Flügelaltar

Krakauer Hochaltar von Veit Stoß: Flügel mit Reliefs und Altarschrein mit Schnitzwerk
Flügelaltar der St. Wolfgangskirche in Schneeberg: Gemalte Tafeln
Gothaer Tafelaltar von 1538 mit 162 Einzelbildern, ausgestellt im Herzoglichen Museum

Der Flügelaltar (auch Klappaltar oder Wandelaltar) ist eine in Mitteleuropa verbreitete Sonderform des Altaraufsatzes (Retabel), bei der der feststehende Schrein durch bewegliche Flügel geschlossen werden kann.

Beschreibung

Flügelaltäre sind mit an einem festen Mittelteil (Tafel, Schrein) angebrachten beweglichen Flügeln versehene Altarretabel. Die Flügel können geschlossen und geöffnet werden, um die Schauseite zu verändern. Die unterschiedlichen Schauseiten werden als Wandlung bezeichnet. Da der Flügelaltar so je nach den Motiven und der Art der Gestaltung (gemalte Tafel oder Relief) im Verlauf des Kirchenjahres wechselnde Ansichten bieten kann, heißt er auch Wandelaltar.

Es gibt als Triptychon, Pentaptychon oder Polyptychon gestaltete Flügelaltäre mit zwei, vier oder mehreren Flügeln. Diese Begriffe stammen aus dem Altgriechischen: τρίς trís ‚dreimal‘, πέντε pénte ‚fünf‘, πολύς polýs ‚viel‘ sowie πτυχή ptychē ‚Falte, Schicht‘.[1] Die ungerade Zahl ergibt sich daraus, dass der Mittelschrein mitgezählt wird.

An den Altarschrein ist manchmal ein gemaltes Altarblatt montiert, meist enthält er aber geschnitzte Darstellungen (Schnitzaltar). Oberhalb des Retabels befindet sich in einigen Kunstlandschaften das Gesprenge mit Fialen und Kreuzblumen. Unterhalb, in der auf der Mensa aufliegenden Predella, können in einem Sepulcrum Reliquien aufbewahrt werden. Die Predella dient zudem als Stütze für die aufgeklappten Flügel.

Mittelteil des Flügelaltars von Cismar. Hinter dem gegeißelten Christus ist ein Türchen zu erkennen, hinter dem die Heilig-Blut-Reliquie aufbewahrt wurde.

Geschichte

Flügelaltäre entstanden als liturgisch wandelbare Entwicklung der Altarretabel, vermutlich in der Zeit um 1300. Zumindest haben sich aus diesen Jahren die ältesten Objekte in den Klöstern in Bad Doberan und Cismar erhalten. Als Grund für die Ausbildung dieses Retabeltypus wird vor allem die Präsentation von Reliquien und (wundertätigen) Bildwerken diskutiert. Dies ist vor allem an gefachreichen Beispielen wie einigen Nebenaltären in Bad Doberan, dem Klarenaltar oder dem Retabel in Marienstatt ersichtlich.

Ab dem späten 15. Jahrhundert florieren die Antwerpener und Brüsseler Werkstätten, die ihre Retabel europaweit exportieren.

Auswahl berühmter Werke

Literatur

  • Max Hasse: Der Flügelaltar. Dittert, Dresden 1941.
  • Leopold Schmidt: Vor gotischen Flügelaltären. Wiener Verlag, Wien 1948.
  • Herbert Schindler: Der Schnitzaltar. Meisterwerke und Meister in Süddeutschland, Österreich und Südtirol. Friedrich Pustet, Regensburg 1978, ISBN 3-7917-0550-4.
  • Michael Baxandall: Die Kunst der Bildschnitzer. Tilman Riemenschneider, Veit Stoß und ihre Zeitgenossen. Beck, München 1984.
  • Erich Egg: Gotik in Tirol. Die Flügelaltäre. Haymon-Verlag, Innsbruck 1985.
  • Hartmut Krohm, Eike Oellermann (Hrsg.): Flügelaltäre des späten Mittelalters. Reimer, Berlin 1992.
  • Anna Elisabeth Albrecht, Stephan Albrecht: Die mittelalterlichen Flügelaltäre der Hansestadt Wismar. Ludwig, Kiel 1998.
  • Hartmut Krohm, Klaus Krüger, Matthias Weniger (Hrsg.): Entstehung und Frühgeschichte des Flügelaltarschreins (Internationales Kolloquium „Entstehung und Frühgeschichte des Flügelaltarschreins“), Berlin 2001.
  • Caterina Limentani Virdis, Mari Pietrogiovanna: Flügelaltäre. Bemalte Polyptychen der Gotik und Renaissance. Hirmer, München 2002, ISBN 3-7774-9520-4.
  • Norbert Wolf: Deutsche Schnitzretabel des 14. Jahrhunderts (= Denkmäler deutscher Kunst). Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 2002.
  • Karl-Werner Bachmann, Géza Jászai, Friedrich Kobler, Catheline Périer-D’Ieteren, Barbara Rommé, Norbert Wolf: Flügelretabel. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Band 9: Firstbekrönung – Flügelretabel. C. H. Beck (In Kommission), München 2003, ISBN 3-406-14009-2, Sp. 1450–1536.
  • Uwe Albrecht: Blatt und Zinken. Zur Konstruktion mittelalterlicher Retabel in Schleswig-Holstein. In: Ders., Hartmut Krohm, Matthias Weniger (Hrsg.): Malerei und Skulptur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit in Norddeutschland. Reichert, Wiesbaden 2004, S. 97–103.
  • Rainer Kahsnitz: Die großen Schnitzaltäre. Spätgotik in Süddeutschland, Österreich, Südtirol. Aufnahmen von Achim Bunz. Hirmer, München 2005, ISBN 3-7774-2625-3.
  • Burkhard Kunkel: Bildarchitektur. Norddeutsche Wandelretabel als konstruktive Entwicklungen typologischer Bildsysteme im späten Mittelalter. In: Tobias Kunz, Dirk Schumann (Hrsg.): Werk und Rezeption. Architektur und ihre Ausstattung. Festschrift Ernst Badstübner zum 80. Geburtstag (= Studien zur Backsteinarchitektur. Band 10). Lukas-Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-86732-114-3, S. 149–164.
  • Julia Trinkert: Flügelretabel in Mecklenburg zwischen 1480 und 1540. Bestand, Verbreitung und Werkstattzusammenhänge (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte. Band 120). Petersberg 2014.
  • Peter Knüvener, Werner Ziems (Hrsg.): Flügelaltäre um 1515. Höhepunkte mittelalterlicher Kunst in Brandenburg und den Nachbarregionen (= Arbeitshefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Museums. Band 42). Hendrik Bäßler Verlag, Berlin 2016.
  • Benjamin Sommer: Mitteldeutsche Flügelretabel. Vom Reglermeister, von Linhart Koengergk und ihren Zeitgenossen. Entstehung, Vorbilder, Botschaften (= Neue Forschungen zur deutschen Kunst. Band 12). Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 2018.
  • Ulrich Schütte u. a. (Hrsg.): Mittelalterliche Retabel in Hessen (= Studie zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte. Band 166). 2 Bände. Petersberg 2019.
Commons: Flügelaltäre – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Wilhelm Gemoll: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. G. Freytag Verlag/Hölder-Pichler-Tempsky, München/Wien 1965.