Priming (Psychologie)

Der Begriff Priming beziehungsweise Bahnung bezeichnet in der Psychologie meist die Beeinflussung der Verarbeitung (Kognition) eines Reizes dadurch, dass ein vorangegangener Reiz implizite Gedächtnisinhalte aktiviert hat. Die Verknüpfung des Reizes mit speziellen Assoziationen im Gedächtnis, aufgrund von Vorerfahrungen geschieht häufig und zum allergrößten Teil unbewusst.[1]

Solch ein bahnender Reiz kann ein Wort, ein Bild, ein Geruch, eine Geste oder Ähnliches sein. Der primende bzw. bahnende Reiz aktiviert bottom-up-Gedächtnisinhalte, die top-down bestimmen, wie schnell der nachfolgende Reiz verarbeitet wird, oder ob er korrekt erkannt wird, oder – bei uneindeutigen Reizen – auf welche Weise er interpretiert wird, oder sie beeinflussen den Gemütszustand oder nachfolgendes Verhalten. Das Konzept beruht auf der Aktivierungsausbreitung von Assoziationen.

In den letzten Jahren gab es in der Fachwelt eine intensive Debatte über die tatsächliche Wirksamkeit des Priming.[2] Lediglich 25 Prozent der Studien konnten unabhängig bestätigt werden.[3]

Abgrenzung zu verwandten Effekten und Begriffen

In der Experimentalpsychologie spricht man allgemein von einem „Hinweisreiz“ (englisch cue), der bei einem Experiment der Versuchsperson anzeigt, dass ein „Zielreiz“ (engl. target) demnächst erscheint (ms-Bereich). Die Gestaltung des Hinweisreizes sollte hier also neutral sein, z. B. ein normal-großer schwarzer Balken, damit er seine Anzeige-Funktion erfüllen kann, sich aber sonst nicht auf die Reaktionsgeschwindigkeit oder Qualität der Reaktion auswirkt. Die Versuchsperson wird gebeten, den Cue zu ignorieren. Prime-Reize sind demnach eine Art spezielle Hinweisreize. Diese sollen zwar von der Versuchsperson ignoriert werden, was ihr aber aufgrund der Gestaltung des Primes nicht möglich ist. Beispiel: Die Person soll mit einer linken und rechten Taste auf linke und rechte Pfeile reagieren (target), die Primes sind auch Pfeile, die nach links oder rechts zeigen. Diese Ähnlichkeit beeinflusst die Reaktion maßgeblich.

Wenn der Prime lange genug präsentiert wird, ist er der bewussten Wahrnehmung zugänglich. Kann der Prime nicht bewusst wahrgenommen werden, so nennt man ihn unterschwellig. Unterschwellige Primes können dennoch eine Wirkung erzielen (subliminale Wahrnehmung).

Morphologisches Priming bezieht sich auf Primingeffekte bei kleinsten linguistischen Einheiten.

Der Framing-Effekt besagt, dass unterschiedliche Formulierungen einer Botschaft – bei gleichem Inhalt – das Verhalten des Empfängers unterschiedlich beeinflussen.

Allgemeine Arten von Priming

Es gibt viele spezielle Ausprägungen des allgemeinen Priming-Konzepts.

Positives versus negatives Priming

Eine Unterscheidung ist beispielsweise danach möglich, ob der Prime die Verarbeitung des nachfolgenden Reizes beschleunigt oder verzögert, die korrekte Identifizierung verbessert oder verschlechtert. Im jeweils ersten Fall spricht man von positivem, im zweiten Fall von negativem Priming.[4]

Die Unterscheidung nach positiver Wirkung bzw. negativer Wirkung lässt sich auf die anderen genannten Priming-Arten übertragen. So beim Semantischen Priming: Semantisch verwandte Wörter führen zu Bahnungseffekten (niedrigere Reaktionszeit, weniger Fehler), semantisch nicht verwandte Wörter hingegen führen eher zu Hemmungseffekten.

  • Wird die Verarbeitung nachfolgender Reize beeinflusst, weil vom vorangegangenen, „primenden“ Reiz Gefühlszustände aktiviert wurden, spricht man von affektivem Priming.
  • Semantisches Priming geschieht über die Aktivierung von begrifflichen Assoziationen, beispielsweise über Wortfelder.
  • Response Priming ist eine Form des Priming mit sehr schnell aufeinander folgenden Reizen, die jeweils mit motorischen Antwortalternativen verknüpft sind. Response Priming ist besonders geeignet, um den Einfluss von kaum oder nicht bewusst wahrnehmbaren Reizen zu untersuchen.
  • Die Medienwirkungsforschung bezeichnet Priming-Effekte, die im Kontext der Massenmedien bestimmte Verhaltens- oder Einstellungsänderungen erklären, als Medien-Priming.
  • In allen nachfolgend beschriebenen Experimenten wurden die Versuchsteilnehmer beeinflusst, ohne dass sie es bemerkten.

Beispiele aus der Wahrnehmungspsychologie

  • Stephen Palmer zeigte 1975 seinen Versuchspersonen sehr kurz das Bild eines Objektes (zum Beispiel einen Brotlaib, einen Briefkasten oder eine Trommel), das sie in 40 % der Fälle korrekt identifizierten. Sahen sie jedoch zuvor das Bild einer Küche, stieg die korrekte Identifizierung des Brotlaibes auf 80 %, jedoch nicht von Objekten, die nicht in ein Küchenbild passen.[5]
  • Murphy und Zajonc (1993) zeigten ihren Probanden für 4 Millisekunden entweder das Bild eines freundlichen, eines neutralen oder eines verärgerten Gesichtes.[6] Anschließend sollten die Versuchspersonen chinesische Schriftzeichen bewerten. Die Art des Gesichtes hatte einen erheblichen Einfluss auf die Bewertung der Schriftzeichen. So führte ein freundliches Gesicht beispielsweise dazu, dass die Probanden die Schriftzeichen als positiver bewerteten.[7] Siehe Lai, Hagoort und Casasanto (2012) für eine alternative Erklärung.[8]

Beispiele aus der Sozialpsychologie

Seit den späten Neunzigerjahren demonstrierten zahlreiche sozialpsychologische Studien Effekte von Priming auf (soziales) Verhalten.[9] Allerdings konnten viele der besonders aufsehenerregenden Befunde in Replikationsstudien von unabhängigen Forschungsteams nicht bestätigt werden (s. auch Replikationskrise).[10]

  • Auf das Thema „Geld“ geprimte Menschen sind individualistischer als die Kontrollgruppe.[9] Sie arbeiten länger an schwierigen Aufgaben, bevor sie um Hilfe bitten; sie sind weniger hilfsbereit und sie sind lieber allein.[11][12] Effekte dieses Geld-Primings konnten allerdings in unabhängigen Replikationsstudien nicht bestätigt werden.[13]
  • Auf das Thema „Altern“ geprimte Menschen bewegen sich langsamer.[14] Auch dieser Effekt konnte nicht in unabhängigen Replikationsstudien bestätigt werden.[15]
  • Menschen, die sich fünf Minuten langsam bewegt haben, erkennen Wörter besser, die mit dem Thema „Altern“ assoziiert werden.[16]
  • Wer sich an ein beschämendes Erlebnis erinnert, bekommt das Bedürfnis, sich zu waschen.[17] Dieser Effekt konnte nicht in unabhängigen Replikationsstudien bestätigt werden.[18]
  • Wird man auf das Thema „Angst vor dem Sterben“ (Mortalitätssalienz) geprimet, ist man empfänglicher für autoritäre Ideen.[19] Die Effekte von Mortalitätssalienz konnten allerdings nicht in unabhängigen Replikationsstudien bestätigt werden.[20]
  • Ein Experiment von Bargh und Pietromonaco ergab, dass Versuchspersonen eine ambivalente Aussage (zum Beispiel „Ein Vertreter klopfte, aber Donald ließ ihn nicht herein.“) emotional als feindseliger bewerteten, wenn sie subliminal durch emotional feindselig gefärbte Begriffe (zum Beispiel „Beleidigung“, „unfreundlich“) geprimet wurden.[21]
  • Die Reihenfolge von Fragen bei Interviews oder auf Fragebögen kann das Ergebnis beeinflussen: Fritz Strack et al. legten einer Gruppe von Versuchspersonen einen Fragebogen vor, in denen folgende Fragen vorkamen:
– „Wie glücklich sind Sie zur Zeit?“
– „Wieviele Verabredungen hatten Sie im vergangenen Monat?“
Zwischen den Antworten auf diese Fragen gab es in dieser Fragereihenfolge (allgemein/spezifisch) keinerlei Zusammenhang. Einer anderen Gruppe legten sie denselben Fragebogen vor, in dem nur die Reihenfolge dieser beiden Fragen vertauscht war (spezifisch/allgemein). Jetzt gab es einen hohen Zusammenhang mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,66.[22]

Literatur

Einzelnachweise

  1. David G. Myers: Psychologie. Springer, 2., erweiterte und aktualisierte Auflage. 14. Juli 2008, ISBN 978-3-540-79032-7, Seite 961.
  2. Kahneman, Daniel: A proposal to deal with questions about priming effects
  3. Ulrich Schimmack, Moritz Heene, and Kamini Kesavan: Reconstruction of a Train Wreck: How Priming Research Went off the Rails
  4. Susanne Mayr, Axel Buchner: Negative Priming as a Memory Phenomenon: A Review of 20 Years of Negative Priming Research. In: Zeitschrift für Psychologie/Journal of Psychology. Band 1, Nr. 215, 2007, S. 35–51.
  5. Stephen Palmer: The effects of contextual scenes on the identification of objects. In: Memory and Cognition. Nr. 3, 1975, S. 519–526.
  6. Affektives Priming mit emotionalen Bildern in einer lexikalischen Entscheidungsaufgabe – eine EEG Studie. Abgerufen am 27. April 2022.
  7. Sheila Murphy, Robert Zajonc: Affect, Cognition, and Awareness: Affective Priming With Optimal and Suboptimal Stimulus Exposures. In: Journal of personality and social psychology. 64. 1993, S. 723–739, doi:10.1037//0022-3514.64.5.723.
  8. Vicky Lai, Peter Hagoort, Daniel Casasanto: Affective Primacy vs. Cognitive Primacy: Dissolving the Debate. In: Frontiers in Psychology. Band 3, 2012, doi:10.3389/fpsyg.2012.00243, PMID 22822403, PMC 3398397 (freier Volltext).
  9. a b Daniel Kahneman: Thinking, fast and slow. Allen Lane Paperback, 2011, ISBN 978-1-84614-606-0, S. 55 f.
  10. Christine Harris, Doug Rohrer, Harold Pashler: A Train Wreck by Any Other Name. In: Psychological Inquiry. Band 32, Nr. 1, 2. Januar 2021, ISSN 1047-840X, S. 17–23, doi:10.1080/1047840X.2021.1889317.
  11. K. D. Vohs, N. L. Mead, M. R. Goode: The Psychological Consequences of Money. In: Science. 314, 2006, S. 1154, doi:10.1126/science.1132491.
  12. Krishna Savani, Nicole L. Mead u. a.: No match for money: Even in intimate relationships and collectivistic cultures, reminders of money weaken sociomoral responses. In: Self and Identity. 15, 2016, S. 342, doi:10.1080/15298868.2015.1133451.
  13. Doug Rohrer, Harold Pashler, Christine R. Harris: Do subtle reminders of money change people’s political views? In: Journal of Experimental Psychology: General. Band 144, Nr. 4, August 2015, ISSN 1939-2222, S. e73–e85, doi:10.1037/xge0000058.
  14. Bargh, J. A., Chen, M., & Burrows, L.: Automaticity of social behavior: Direct effects of trait construct and stereotype priming on action. In: Journal of Personality and Social Psychology. Nr. 71, 1996, S. 230–244.
  15. Stéphane Doyen, Olivier Klein, Cora-Lise Pichon, Axel Cleeremans: Behavioral Priming: It's All in the Mind, but Whose Mind? In: PLOS ONE. Band 7, Nr. 1, 18. Januar 2012, ISSN 1932-6203, S. e29081, doi:10.1371/journal.pone.0029081, PMID 22279526, PMC 3261136 (freier Volltext).
  16. Thomas Mussweiler: Doing Is for Thinking! Stereotype Activation by Stereotypic Movements. In: Psychological Science. Nr. 17, 2006, S. 17–21.
  17. Chen-Bo Zhong, Katie Liljenquist: Washing Away Your Sins: Threatened Morality and Physical Cleansing. In: Science. Nr. 313, 2006, S. 1451 f.
  18. Jennifer V Fayard, Aman Bassi, Daniel M Bernstein, Brent W Roberts: Is cleanliness next to godliness? Dispelling old wives' tales: Failure to replicate Zhong and Liljenquist (2006). Hrsg.: Journal of Articles in Support of the Null Hypothesis. Band 6, Nr. 2, 2006.
  19. Jeff Greenberg et al.: Evidence for Terror Management Theory II: The Effect of Mortality Salience on Reactions to Those Who Threaten or Bolster the Cultural Worldview. In: Journal of Personality and Social Psychology. Nr. 58, 1990, S. 308–318.
  20. Richard Anthony Klein, Corey L. Cook, Charles R. Ebersole, Christine Anne Vitiello, Brian A. Nosek: Many Labs 4: Failure to Replicate Mortality Salience Effect With and Without Original Author Involvement. PsyArXiv, 11. Dezember 2019, doi:10.31234/osf.io/vef2c (osf.io [abgerufen am 9. April 2021]).
  21. John Bargh, Paula Pietromonaco: Automatic information processing and social perception: The influence of trait information presented outside of conscious awareness on impression formation. In: Journal of Personality and Social Psychology. Nr. 43, 1982, S. 437–449.
  22. Fritz Strack, Leonard L. Martin, Norbert Schwarz: Priming and Communication: The Social Determinants of Information Use in Judgments of Life Satisfaction. In: European Journal of Social Psychology. Band 5, Nr. 18, 1988, S. 429–442., zit. n. Daniel Kahneman: Thinking, fast and slow. Allen Lane Paperback, 2011, ISBN 978-1-84614-606-0, S. 101 f.