„Völkerschau“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Vier onbekende Congolese mannen bij het paviljoen van Congo tijdens de Wereldtentoonstelling van 1894 te Antwerpen Groupe de Congolais (titel op object), RP-F-2001-7-1494-35.jpg|mini|hochkant=1.4|Auf der Weltausstellung 1894 in [[Antwerpen]] wurden 114 Menschen aus dem Kongo zur Schau gestellt.<ref>Jean-Pierre Jacquemin: ''Kongolesen im „imperialen“ Belgien''. Hamburg 2012, S.&nbsp;347.</ref> Im Hintergrund sind einige Zuschauende zu erkennen. Auflagenstark veröffentlichte Fotografien und Postkarten der ''Völkerschauen'' zeigten vielfach die „Fremden“ in ihrer vorgeblich „natürlichen Umgebung“ in hierarchisch-rassistischer Abgrenzung zu den „zivilisierten“ Zuschauenden.<ref name="Bilddokumente">''Bilddokumente – Menschenzoos und Völkerschauen'' (ohne Verfasser). Hamburg 2012, S.&nbsp;264&nbsp;f.</ref> (Foto von 1894<ref>''„Exposition Universelle d'Anvers 1894 – Groupe de Congolaise“'' (''[[Weltausstellung]] in [[Antwerpen]] – Gruppe von Kongolesen''), Foto von Charles Bernhoeft, 1894.</ref>)]]
[[Datei:Les danseuses Foulahs de Siguiri Exposition Coloniale Paris 1931.jpg|mini|hochkant=1.5|Völkerschau auf der [[Pariser Kolonialausstellung]] im Jahr 1931 in Paris]]
'''Völkerschau''' (im internationalen Sprachgebrauch heute geläufig als '''Menschenzoo''', {{enS|''human zoo''}}, {{frS|''zoo humain''}}) ist ein Sammelbegriff für verschiedene Formen der kommerziellen Zurschaustellung [[Indigene Völker|indigener]], als „Wilde“ oder „exotisch“ [[Stigmatisierung|stigmatisierter]] Menschen in [[Zoo]]s und [[Vergnügungspark]]s oder auf [[Weltausstellung|Welt-]] und Kolonialausstellungen in Europa, den USA und Japan zwischen 1875 und 1940.
[[Datei:Indios_Onas_llevados_a_París_por_Maitre_en_1889.JPG|mini|hochkant=1.5|Eingeborene aus Feuerland (Argentinisches Patagonien), 1889 vom Maître nach Paris gebracht.]]


Den ''Völkerschauen'' gingen verschiedene, weit in die Vergangenheit zurückreichende Formen der Zurschaustellung „fremdartig“ wahrgenommener Menschen voraus. Sie entwickelten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts auf [[Jahrmarkt|Jahrmärkten]] und in ''[[Freak|Freak Shows]]'' zu einer zunehmend erfolgreichen Gattung der [[Schausteller]]ei. ''Völkerschauen'' grenzen sich von diesen früheren Formaten durch weit größere und um mehr [[Authentizität]] bemühte Inszenierungen ab, beispielsweise der Nachbildung ganzer „Eingeborenendörfer“ oder aufwändiger Aufführungen von Tänzen oder Schaukämpfen in künstlichen Kulissen. Sie erwiesen sich für die Veranstalter, den sogenannten [[Impresario]]s, als lukratives Unterhaltungsgeschäft. Seit der zweiten Hälfte der 1870er Jahre verbreiteten sich die ''Völkerschauen'' ausgehend von [[Hamburg]] in nur wenigen Jahren über viele Staaten Europas bis nach Nordamerika und Japan. In den 1890er Jahren wurden sie zunehmend auch in [[Weltausstellung|Welt-]] und Kolonialausstellungen integriert und zur Legitimation der [[Kolonialismus#Kolonialmächte und ihre „Peripherien“|Kolonialpolitik]] instrumentalisiert.
'''Völkerschau''' (auch '''Kolonialausstellung''' oder '''Kolonialschau''' und verschiedentlich '''Menschenzoo''' genannt) bezeichnet eine Zurschaustellung von Angehörigen als [[fremd]] empfundener [[Ethnie]]n gegen Eintrittsgebühren. Blütezeit der Völkerschauen in [[Europa]] war zwischen 1870 und 1940. Allein in [[Deutsches Reich|Deutschland]] wurden in dieser Zeit über 300 außereuropäische Menschengruppen vorgeführt. Teilweise wurden in diesen Völkerschauen und Kolonialschauen gleichzeitig über 100 Menschen zur Schau gestellt.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 11 ff.</ref> Diese Zurschaustellung waren Massenveranstaltungen, die ein millionenfaches Publikum in Europa und [[Nordamerika]] anlockten. Sie fanden auch abseits der Großstädte in mittelgroßen und kleinen Städten statt.<ref>Manuel Armbruster: ''„Völkerschauen“ um 1900 in Freiburg i.&nbsp;Br. – Kolonialer Exotismus im historischen Kontext''. S. 3 ff.</ref>


''Völkerschauen'' waren aufgrund des enormen Besucherandrangs bis in die 1930er Jahre ein verbreitetes Massenphänomen. Nach Schätzungen wurden in der etwa sechs Jahrzehnte dauernden Hochphase der ''Völkerschauen'' weltweit bis zu 25.000 Menschen „ausgestellt“, die Gesamtzahl der zahlenden Besucherinnen und Besucher lässt sich auf hunderte Millionen schätzen. Sie gelten in der Forschung als maßgeblich wirksam bei der Verbreitung eines [[Rassismus|rassistisch]] begründeten [[Chauvinismus]] der Gesellschaften der [[Kolonialismus|Kolonialmächte]].
Entdeckungsreisende brachten von ihren Unternehmungen ab dem 15. Jahrhundert Menschen aus fernen Ländern nach Europa, die zunächst Adeligen und reichen Kaufleuten gezeigt wurden. Die Entdecker wollten ihren Erfolg belegen und die Obrigkeit reklamierte ihre Besitzansprüche und wollte ihre Weltoffenheit und ihren Reichtum demonstrieren. Im 19. Jahrhundert entstand ein Geschäftszweig, in dem nicht nur einzelne Menschen oder kleine Gruppen aus den entferntesten Gebieten der Erde vorgestellt wurden, sondern diese Veranstaltungen, von denen einzelne bis zu 60.000 Menschen besuchten, erbrachten den Veranstaltern beträchtliche Gewinne. Der sich in jener Zeit entwickelnde europäische Kolonialismus wollte mit Völkerschauen bzw. Kolonialschauen zeigen, dass Kolonien auch für das Volk von Vorteil sein können. Im Jahr 1940 wurden die Völkerschauen eingestellt und sie in den 1950er Jahren wiederzubeleben, gelang nicht.

Eine breite kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den seit der Mitte des 20.&nbsp;Jahrhunderts nur noch wenig rezipierten und erinnerten ''Völkerschauen'' setzte ab dem Jahr 2000 ein. In der Wissenschaft gelten sie als interdisziplinäres Forschungsfeld der [[Kolonialismus|Kolonial-]] und [[Gesellschaftsgeschichte]], der [[Kultursoziologie]] und [[Anthropologie]] sowie des [[Postkolonialismus]].


== Begriff ==
== Begriff ==
{| class="wikitable" style="float:right; margin-left:3em; |
Der Begriff Völkerschau taucht im deutschsprachigen Raum als „Völkerschau auf Reisen“ bereits im Jahr 1840 als Buchtitel in den von [[Theodor Mundt]] verfassten Reiseberichten aus Europa und Afrika auf. Während Völkerschauen bis auf zwei privat betrieben wurden, waren die Kolonialschauen staatlich organisiert und finanziert. Die erste sogenannte Kolonialausstellung in Deutschland, die [[Berliner Kolonialausstellung]] fand 1896 im [[Treptower Park]] in Berlin statt, wobei in sogenannten „Negerdörfern“ mit mehr als 100 Afrikanern und [[Melanesien|Melanesiern]] fünfeinhalb Monate lang vermeintlich typische Lebenssituationen aus ihrer Heimat nachgestellt wurden.<ref>Ursula Trüper: [https://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/namibia/stadtspaziergang/treptow.htm ''Die Deutsche Colonial-Ausstellung von 1896 im Treptower Park'']. In: Deutsches Museum (Hrsg.), ohne Datum, abgerufen am 29. Juli 2020</ref> Die zweite staatlich organisierte und finanzierte Kolonialschau war die Wanderschau [[Deutsche Afrika-Schau]], die mit Unterstützung der nationalsozialistischen Behörden von 1936 an durch das [[Deutsches Reich|Deutsche Reich]] reiste, bis sie 1940 verboten wurde.
|+ Bezeichnung der zur Schau gestellten Menschen (Auswahl)
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! Herkunftsregion!! damalige Bezeichnung <br /> (ggf. heutige Bezeichnung)
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| Nördliches [[Polargebiet]] || [[Eskimo]] ([[Inuit]])
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| Nördliches [[Europa]] || [[Samen (Volk)#Name|Lappländer]] ([[Samen (Volk)|Samen]])
|-
| Westliches [[Afrika]] || [[Aschanti (Volk)|Aschanti]] <br /> [[Königreich Dahomey|Dahomey]] <br /> [[Togo]]lesen
|-
| Östliches [[Afrika]]|| [[Nubier]] <br /> [[Somali (Ethnie)|Somali]] <br /> [[Sudan]]esen <br /> [[Kamba (Ethnie)|Wakamba]] ([[Kamba (Ethnie)|Kamba]])
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| Nördliches [[Afrika]] <br />und [[Naher Osten]] || [[Araber]]
|-
| [[Indien]] || [[Indien#Ethnische Zusammensetzung|Inder]] <br /> [[Hindus]] <br /> [[Malabar]]en
|-
| [[Sri Lanka]] || [[Singhalesen]]
|-
| [[Mongolei]] || [[Kalmücken]]
|-
| [[Südamerika]] || [[Feuerländer]] ([[Kawesqar]])
|-
| [[Nordamerika]]|| [[Indianer]] ([[First Nations]])
|-
| [[Australien]] || „[[Australneger]]“ ([[Aborigines]])
|-
| [[Philippinen]] || [[Igorot]]
|-
| [[Südpazifik]] || [[Kanak (Volk)|Kanaken]] ([[Neukaledonien#Bevölkerung|Kanak]]) <br /> [[Samoa]]ner
|}
Der im Zusammenhang eines [[Koloniallinguistik|kolonialistischen Sprachgebrauchs]] entstandene Begriff ''Völkerschau''<ref>Der Begriff ''Völkerschau'' wird Artikel durchgehend kursiv gesetzt, um einer sprachlichen Distanzierung Ausdruck zu geben.</ref> ist im deutschsprachigen Raum heute der meist verwendete Begriff für die zeitgenössisch ganz unterschiedlich betitelten derartigen Veranstaltungen. Im Zusammenhang der Zurschaustellung von Menschen wurde er explizit erstmals bei der „[[Carl Marquardt|Marquardt's]] afrikanischen ''Völkerschau''“ verwendet, die 1904 durch mehrere Städte im Deutschen Reich tourte.<ref name="Dreesbach319">Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;319&nbsp;f.</ref> Vorher wurden die seit den 1870er Jahren verbreiteten Schauen unterschiedlich bezeichnet, beispielsweise als „Menschenausstellungen“ oder „Menschenvorstellungen“. [[Carl Hagenbeck]], der ab 1875 die ersten ''Völkerschauen'' veranstaltete, nannte sie auch „Ethnologisch−zoologische Ausstellungen“ oder „Völkerausstellungen“. Die [[Impresario]]s gaben jeder der Schauen einen eigenen Titel, mit denen sie in Zeitungen und auf Plakaten beworben wurden. Die Bezeichnungen der Herkunft der zur Schau gestellten Menschen (s. Tabelle rechts) wurde dabei oft mit Begriffen wie „[[Karawane]]n“, „Truppen“, „Gruppen“ oder „Ausstellungen“ kombiniert. Zudem finden sich in den Titeln der ''Völkerschauen'' häufig kolonialistische und rassistische Begriffe wie beispielsweise „exotisch“, „Wilde“, „[[Kannibale]]n“, „[[Neger]]“ oder „Negerdörfer“.<ref>Solche Begriffe werden im Artikel durchgehend in Anführungszeichen gesetzt, um einer sprachlichen Distanzierung Ausdruck zu geben.</ref> Nicht jede Zurschaustellung indigener Menschen kann als ''Völkerschau'' bezeichnet werden, beispielsweise zählen Shows in [[Wachsfigurenkabinett|Panoptiken]], [[Varieté]]s und [[Zirkus]]sen oder Zurschaustellungen in Jahrmarktbuden nicht zum Genre der ''Völkerschauen'' (s. Typologie).


In der Geschichtswissenschaft wurde der Begriff ''Völkerschau'' in den 1950er Jahren erstmals benutzt und hat sich im deutschsprachigen Raum weitgehend durchgesetzt.<ref name="Dreesbach319" /> Im internationalen Sprachgebrauch ist der Begriff ''Menschenzoo'' seit der Veröffentlichung des 2001 in Frankreich erschienenen Sammelbandes ''Zoos Humains. Au temps des exhibitions humaines''<ref>Pascal Blanchard, Nicolas Bancel, Gilles Boëtsch, Éric Deroo, Sandrine Lemaire (Hg.): ''MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit.'' Hamburg 2012.</ref> (deutscher Titel: ''Menschenzoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit'', 2012 erschienen) verbreitet.
Bis in die 1930er Jahre wurden Völkerschauen auch als ''anthropologische Ausstellungen'' oder ''anthropologische Schaustellungen'' bezeichnet.<ref>{{Meyers-1905|2|158|158|spezialkapitel=Ausstellungen, anthropologische}}</ref><ref>{{Meyers-1905|17|716|716|spezialkapitel=Schaustellungen, anthropologische}}</ref> Von 1901 bis 1903 erschien eine Zeitschrift „Völkerschau“ und 1932 gab es ein Sammelalbum „Völkerschau in Bildern“ für Sammelbilder aus Zigarettenschachteln. Der Begriff Völkerschau bezog sich in diesen Jahrzehnten auf die Darstellung und Beschreibung exotischer Menschen mit ihren Trachten, Sitten und Gebräuchen wie ihres heimatlichen Umfeldes. 1904 wurde der Begriff zum ersten Mal für eine Vorführung von Tunesiern auf dem [[Oktoberfest]] in München verwendet. Hagenbeck legte Wert darauf, dass seine Veranstaltungen „ethnologisch-zoologische Ausstellungen“ genannt wurden und bezeichnete sie in seiner Korrespondenz und [[Autobiografie]] als „Völkerausstellungen“. Im üblichen Sprachgebrauch wurden sie „Karawanen“, „Gruppen“, „Truppen“ oder „Ausstellungen“ genannt. Im wissenschaftlichen Kontext dieser Zeit wurde auch der Begriff „Menschausstellung“ und „Menschenvorstellungen“ verwendet.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung „exotischer Menschen“ in Deutschland 1870-1940.'' Campus Verlag, Frankfurt/New York 2005, ISBN 3-593-37732-2. S. 320–321.</ref>
Neuerdings, beginnend etwa ab 2010, ist im deutschsprachigen Raum festzustellen,<ref>Christa Hager: [https://www.wienerzeitung.at/_wzo_daten/media/Storytelling/prater/menschenzoos.html ''Nackt müsst ihr sein natürlich''] In: Wiener Zeitung ohne Datum, abgerufen am 27. Juli 2020</ref><ref>Marc Tribelhorn: [https://www.nzz.ch/zuerich/menschenzoos-1.18209716 ''Menschenzoos'']. In: [[Neue Zürcher Zeitung]] vom 23. Dezember 2013</ref><ref>[https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/arte-doku-ueber-menschen-zoos-kannibalen-gucken/23128658.html ''Kannibalen gucken'']. In: [[Tagesspiegel]] vom 28. September 2018</ref><ref>[https://www.dw.com/de/völkerschauen-menschen-zur-schau-gestellt-wie-im-zoo/a-17187997 ''Völkerschauen: Menschen zur Schau gestellt wie im Zoo'']. In: Deutsche Welle vom 10. März 2017</ref><ref>Peter Burghardt: [https://www.sueddeutsche.de/panorama/rassismus-reste-des-menschenzoos-1.68896 ''Rassismus. Reste des Menschenzoos'']. In: [[Süddeutsche Zeitung]] vom 17. Mai 2010</ref><ref>Sina Riebe: [https://www.mopo.de/hamburg/rassismus-vorwuerfe-gegen-hagenbeck-hamburger-erinnern-an-grausamen--menschenzoo--36947742 ''Rassismus-Vorwürfe gegen Hagenbeck Hamburger erinnern an grausamen „Menschenzoo“'']. In: Hamburger Morgenpost vom 3. Juli 2020</ref> dass in den Medien der Begriff Völkerschau durch ''Menschenzoo'' verschiedentlich ersetzt wird.


== Geschichte ==
== Forschungsstand ==
Die Geschichtswissenschaft beschäftigte sich seit Ende der 1980er Jahre vermehrt mit den ''Völkerschauen''.<ref>Umfassend zum Forschungsstand Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;320–326, und Manuel Armbruster: [https://www.freiburg-postkolonial.de/pdf/Armbruster-Voelkerschauen-in-Freiburg.pdf ''„Völkerschauen“ um 1900 in Freiburg i.&nbsp;Br''] Online unter: Freiburg-postkolonial.de, 5.&nbsp;August&nbsp;2011, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024, S.&nbsp;6&nbsp;ff.</ref> Die erste Monographie über die ''Hagenbeckschen Völkerschauen'' veröffentlichte Hilke Thode-Arosa 1989.<ref>Hilke Thode-Arora: ''Für fünfzig Pfennig um die Welt. Die Hagenbeckschen Völkerschauen.'' Frankfurt am Main 1989.</ref> Durch den im Jahr 2000 in der Zeitschrift ''[[Le Monde diplomatique]]'' veröffentlichten Artikel ''Menschenzoos als Instrument der Kolonialpropaganda. Ein [[Sozialdarwinismus|sozialdarwinistisches]] Disneyland'' vom französischen Forscherteam Nicolas Bancel, Pascal Blanchard und Sandrine Lemaire erhielt das Thema ''Menschenzoos'' große Aufmerksamkeit.<ref name="Bacel" /> Ein Jahr später erschien von denselben Autoren der umfangreiche Sammelband ''Zoos Humains. Au temps des exhibitions humaines''. Wichtige Studien zu den ''Völkerschauen'' im Deutschen Reich sind die 2005 erschienenen Dissertationen von [[Anne Dreesbach]]<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung „exotischer“ Menschen in Deutschland 1870-1940.'' Frankfurt am Main 2005.</ref> und Stefanie Wolter.<ref>Stefanie Wolter: ''Die Vermarktung des Fremden. Exotismus und die Anfänge des Massenkonsums.'' Frankfurt am Main 2005.</ref> ''Völkerschauen'' haben auch im Zuge der [[Postkolonialismus|postkolonialen Forschungen]] verstärkte Aufmerksamkeit mit Blick auf das im Kolonialismus begangene Unrecht, auf die [[Histoire croisée|Verflechtungsgeschichte]] der kolonisierten Gesellschaften und denen der Kolonialmächte sowie die Spuren des kolonialen Erbes erfahren. Dabei stehen sich laut Stefanie Wolter in der Forschung „zwei Positionen unversöhnlich gegenüber“: die eine Seite prangere den Rassismus der ''Völkerschauen'' vehement an, während andere sie eher als Ausdruck ihrer Zeit verstehen möchte.<ref>Stefanie Wolter: ''Die Vermarktung des Fremden.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;82&nbsp;f.</ref>
=== 15. bis 17. Jahrhundert ===
[[Datei:Pocahontas by Simon van de Passe.jpg|mini|hochkant|Pocahontas nach einem Stich aus dem 16. Jahrhundert]]
Entdeckungsreisende in der frühen Neuzeit nahmen auf ihren Rückreisen häufig überseeische Bewohner mit nach Europa. Der in Italien geborene [[Christoph Kolumbus]] (um 1451–1506) brachte von seiner ersten Entdeckungsreise sieben [[Arawak]]-Indianer nach Spanien mit. Der italienische Seefahrer [[Amerigo Vespucci]] (1454–1512) brachte von seinen vier Entdeckungsreisen etwa 200 Bewohner Amerikas nach Europa. Der portugiesische Seefahrer [[Gaspar Corte-Real]] (1450–1501) brachte 1500 die ersten nordamerikanischen Indianer nach [[Lissabon]]. Als der Spanier [[Hernán Cortés]] (1485–1547) im Jahr 1528 zurückkehrte, kamen die ersten Mexikaner in Europa an, die vor [[Karl V. (HRR)|Karl V.]] und vor dem Papst auftraten. Der französische Seefahrer [[Jacques Cartier]] (1491–1557) brachte die ersten amerikanischen Ureinwohner nach Frankreich.


Die Überlieferungen zu den ''Völkerschauen'' sind umfänglich, da sie im zeitgenössischen Kontext große Aufmerksamkeit erfahren haben. Die Quellen spiegeln vielfach die kolonialistische und rassistische Perspektive der Kolonialgesellschaften auf die zur Schau gestellten Menschen wider. Wichtige materielle Überlieferungen sind insbesondere die zahlreichen Fotografien der ''Völkerschauen'',<ref>Zahlreiche solcher Fotos finden sich auf der Seite von Clemens Radauer: [https://humanzoos.net/?page_id=4315 ''Human Zoo''] (Liste von Völkerschauen in verschiedenen Ländern). Online unter: Humanzoos.net, ohne Datum, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024, die dort zumeist unkommentiert gezeigt werden.</ref> die seinerzeit als [[Postkarte]]n große Verbreitung fanden.<ref name="Bilddokumente" /> In solchen Fotografien als Ausdruck „kolonialrassistischer Herrschaftspraxis […] materialisierten sich Gegensätze wie ‚schwarz‘ und ‚weiß‘ oder ‚zivilisiert‘ und ‚wild‘“<ref name="Kuban" /> und sie „stigmatisieren die zur Schau gestellten Personen als Angehörige unterlegener Völker und ‚Rassen‘“.<ref name="Bilddokumente" />
1606 trat in Nürnberg ein Mann aus Afrika auf, der Spiele mit afrikanischen Tieren und Hunden vorführte.<ref name="S25">Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 25.</ref> 1610 marschierte ein [[Wyandot|Huron-Indianer]] mit indianischem Ledergewand und glattrasiertem Kopf ein Jahr lang durch [[Paris]] und wurde so allgemein unter dem Namen „Savigonin“ bekannt. Der Name [[Pocahontas]], eine Häuptlingstochter, die mit ihrem Mann, dem Tabakpflanzer John Rolfe, nach Europa kam, ist bis heute in Erinnerung geblieben. Sie starb vor ihrer Abreise aus Europa.


== Vorgeschichte ==
=== 18. Jahrhundert ===
[[Datei:Baartman.jpg|mini|hochkant|[[Sarah Baartman]], beworben als ''Hottentottische Venus'', war eine [[Khoikhoi]], die aufgrund ihrer anatomischen Besonderheit eines [[Fettsteiß]]es von 1810 bis 1815 auf Jahrmärkten in England und Frankreich „ausgestellt“ wurde. (Karikatur von 1810)]]
[[Datei:Joshua Reynolds - Portrait of Omai.jpg|mini|hochkant|Porträt von Omai nach [[Joshua Reynolds]] (1723–1792)]]
Zurschaustellungen vermeintlich „fremder“ oder „exotischer“ Menschen reicht bis in die Frühgeschichte zurück. „Bereits im alten Ägypten stellte man schwarze Zwerge aus dem Gebiet des Sudan aus, ganz so, wie man während des Römischen Reichs besiegte ‚[[Barbar]]en‘ und ‚Wilde‘ im Triumphzug durch die Straßen der Hauptstadt führte.“<ref name="Blanchard 13">Pascal Blanchard, Nicolas Bancel u. a.: ''Menschenzoos: Schaustellungen „extotischer“ Menschen im Westen''. Hamburg 2012, S.&nbsp;13&nbsp;ff.</ref> Mit Beginn des [[Kolonialismus#Neuzeitliche Grundkonstellationen|neuzeitlichen Kolonialismus]] nahmen solche Zurschaustellungen in Europa stark zu. Schon [[Christoph Kolumbus]] und [[Amerigo Vespucci]] brachten gewaltsam entführte Menschen als „Trophäen“ mit von ihren Entdeckungsreisen. Besonders im 17. Jahrhundert wurden vom Hochadel und an verschiedenen europäischen Fürstenhöfen „exotische“ Dienstbotinnen und Dienstboten eingestellt, die einem „gehobenen Lebensstil“ Ausdruck verleihen sollten.<ref>Stefanie Wolter: ''Die Vermarktung des Fremden.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;86&nbsp;f.</ref>
Im 18. Jahrhundert, als die [[Südsee]] entdeckt wurde, brachte der französische Offizier und Seefahrer [[Louis Antoine de Bougainville]] (1729–1811) im Jahr 1769 nach seiner Weltumsegelung Aotourous, den ersten [[Tahiti]]aner nach Frankreich. Als dieser im März 1790 Paris verließ, starb er auf dem Schiff an [[Pocken]]. Der zweite Tahitianer, der im Jahre 1775 nach Europa ins [[Vereinigtes Königreich|Vereinigte Königreich]] kam, war der Diener [[Omai]] (auch Mai genannt) des britischen Seefahrers [[James Cook]] (1728–1779). Im Gegensatz zu anderen Fällen hatten beide angeblich die Seereise nach Europa freiwillig angetreten und mussten, weil ihren Förderern ihr Unterhalt zu teuer wurde, die Rückreise antreten.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 21/22</ref> Gouverneur [[Arthur Phillip]] (1738–1814), der Gründer der britischen [[Sträflingskolonie Australien]], nahm auf seiner Rückreise im Jahr 1792 die [[Aborigines]] [[Bennelong]] (1764–1813) und [[Yemmerrawanne]] (1775–1794) ins Vereinigte Königreich mit, die am 24. Mai 1793 [[Georg III. (Vereinigtes Königreich)|König Georg III.]] vorgestellt wurden.<ref>Elenor Dark: [http://adb.anu.edu.au/biography/bennelong-1769 ''Bennelong (c. 1764–1813)'']. In: [[Australian Dictionary of Biography]] von 1966</ref>


Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Ausstellung von Menschen als Jahrmarktsattraktionen zu einem lukrativen Unterhaltungsgeschäft. Als wichtiger Schritt dieser Entwicklung gilt die Zurschaustellung von [[Sarah Baartman]], die als „Hottentottische Venus“ beworben und zwischen 1810 und 1815 auf zahlreichen Jahrmärkten und in Zirkussen in verschiedenen Städten Großbritanniens und Frankreichs vorgeführt wurde. Erstmals erwies sich hier die von großem medialen Interesse verfolgte Zurschaustellung eines Menschen als einträgliches Geschäftsmodell.<ref>Gilles Boëtsch, Pascal Blanchard: ''Die Hottentottische Venus: A Freak is born.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;79.</ref> In den 1840er Jahren professionalisierte [[Phineas Taylor Barnum]] die Zurschaustellung von Menschen im 1841 gegründeten ''[[Barnum’s American Museum|American Museum]]'' in Manhattan. Mit den sogenannten ''Freak Shows'', auf denen sowohl Menschen mit körperlichen Anomalien als auch als „exotisch“ beworbene Menschen auf [[Jahrmarkt|Jahrmärkten]] oder in [[Varieté]]s ausgestellt wurden, legte er den Grundstein für das kommerziell erfolgreiche Unterhaltungsformat der späteren ''Völkerschauen''.<ref name="Blanchard 13" /> In Europa wurden Mitte des 19. Jahrhunderts ähnliche Shows vor allem in [[London]] gezeigt.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;38&nbsp;f.</ref> Solche Zurschaustellungen (meist) „wilder Männer“ standen jedoch in keinem guten Ruf, weil sie beim Publikum oft den Eindruck erweckten, es handele sich um „gefälschte Wilde“,<ref>Stefanie Wolter: ''Die Vermarktung des Fremden.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;90&nbsp;f.</ref> die in Kostüme gesteckt und mit nicht authentischen Accessoirces ausgestattet wurden.
=== 19. und 20. Jahrhundert ===
Völkerschauen im eigentlichen Sinne gibt es erst seit der Mitte der 1870er Jahre, davor wurden einzelne „exotische Menschen“ zur Schau gestellt. Carl Hagenbeck veranstaltete 1875 seine erste Völkerausstellung mit „[[Samen (Volk)|Lappländern]]“, mit der er die Grundlage zum erfolgreichen Veranstalter von Völkerschauen legte.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 42/43</ref> Entscheidend für die Fortentwicklung von der bloßen Zurschaustellungen einzelner oder Gruppen „exotischer Menschen“ war der schwindende Publikumserfolg, daher wurden Völkerschauen konzipiert und mit großem Erfolg veranstaltet.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 40 bis 49</ref>


== ''Völkerschauen'' 1875–1940 ==
[[Datei:Bundesarchiv Bild 183-R52035, Hamburg, Kaiser Wilhelm II. im Tierpark Hagenbeck.jpg|mini|Kaiser [[Wilhelm II. (Deutsches Reich)|Wilhelm&nbsp;II.]] spricht 1909 mit einer Gruppe Äthiopiern bei einer Völkerschau im [[Tierpark Hagenbeck]].]]
Die über sechs Jahrzehnte dauernde Hochphase der ''Völkerschauen'' begann im September 1875 (und nicht, wie häufig zu lesen, bereits im Jahr 1874),<ref>Vielfach wird in der Literatur die Jahresangabe 1874 angegeben. Die gemeinhin als Ursprung der ''Völkerschauen'' geltende Zurschaustellung der sechs Personen zählenden „Lappländer“-Familie mit ihren Rentieren in „Hagenbecks Thierpark“ begann aber im September 1875, s. Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;44; hier wird auch die als Initialzündung von Hagenbecks ''Völkerschauen'' geltende Idee von [[Heinrich Leutemann]], einen Rentiertransport von Lappländern begleiten zu lassen, auf August 1875 datiert. Siehe außerdem als Quelle: Hamburgischer Correspondent. 21.&nbsp;September&nbsp;1875, S.&nbsp;10: „Die in Hagenbecks Handelsmenagerie seit einigen Tagen zu Gaste sich befindende Lappländer-Familie […]“</ref> als [[Carl Hagenbeck]] in [[Tierpark Hagenbeck#Geschichte|Hamburg]] eine Familie von sechs nordeuropäischen [[Samen (Volk)|Samen]] zusammen mit ihren Rentieren ausstellte. Vom enormen Besucherandrang überrascht verlagerte der Tierhändler Hagenbeck sein Geschäft von da an vornehmlich auf die Anwerbung von Menschen aus verschiedenen Teilen der kolonisierten Welt. Innerhalb nur weniger Jahre kopierten europa- und weltweit zahlreiche [[Impresario]]s dieses neue und lukrative Format der [[Schausteller]]ei. Die ''Menschenzoos'' wurden zu „Massenveranstaltungen“<ref name="Dreesbach79" /> und gelten als weltweites und „flächendeckendes Massenphänomen“<ref name="Armbruster">Manuel Armbruster: [https://www.freiburg-postkolonial.de/pdf/Armbruster-Voelkerschauen-in-Freiburg.pdf ''„Völkerschauen“ um 1900 in Freiburg i.&nbsp;Br'']. Online unter: Freiburg-postkolonial.de, 5.&nbsp;August&nbsp;2011, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref> auch mit einer hohen Wirksamkeit bezüglich der Wahrnehmung der ausgestellten „Fremden“ und der Ausprägung rassistischer Denkmuster.<ref name="Bacel" /> Durch die ''Völkerschauen'' wurden „rassistische Stereotype bei einem Großteil der Bevölkerung erstmals verankert oder vertieft“.<ref>Gabi Eissenberger: ''Entführt, verspottet und gestorben.'' Frankfurt am Main 1996, S.&nbsp;213.</ref>
Nachdem das [[Deutsches Kaiserreich|Deutsche Reich]] im Jahr 1884 mit der Besetzung von [[Deutsche Kolonie Togo|Togo]], [[Kamerun (deutsche Kolonie)|Kamerun]] und weiteren Gebieten zu einer Kolonialmacht wurde, sollte dies auch in Europa propagandistisch abgesichert werden. Die erste deutsche Kolonialausstellung fand 1896 im Rahmen der [[Berliner Gewerbeausstellung]] 1896 in [[Berlin-Alt-Treptow#Landgemeinde Treptow|Treptow]] als [[Berliner Kolonialausstellung]] statt.<ref>Arbeitsausschuss der Deutschen Kolonial-Ausstellung (Hrsg.): ''Deutschland und seine Kolonien im Jahre 1896; amtlicher Bericht über die erste Deutsche Kolonial-Ausstellung'' ([https://archive.org/details/deutschlandundse00deut/page/n14/mode/2up online] bei [[Archive.org]])</ref> Insgesamt wurden von den etwa 50 Kolonialschauen lediglich zwei staatlich organisiert, es waren die Berliner Kolonialausstellung von 1896 und die [[Deutsche Afrika-Schau]] von 1935 bis 1940. Lediglich in diesen zwei Kolonialschauen kamen die Menschen aus den deutschen Kolonien. Deutlich werden sollte mit diesem Propagandainstrument, dass Kolonien nicht nur den Partikularinteressen einzelner elitärer Kreise dienten, sondern dem Gesamtinteresse von Wirtschaft, Militär und Gesellschaft des imperialistischen Deutschlands. Dem „kleinen Mann“ sollten Kolonialausstellungen, die von 1896 bis 1940 in Deutschland stattfanden, zeigen, dass deutsche Kolonien auch ihm „Vorteile und Chancen“ bieten.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung „exotischer Menschen“ in Deutschland 1870–1940.'' 1. Aufl. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2005, ISBN 3-593-37732-2, S. 249/250</ref>


''Völkerschauen'' wurden zuerst im [[Deutsches Reich|Deutschen Reich]], kurz darauf in [[Frankreich]], [[Belgien]], [[Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland|Großbritannien]], [[Österreich]], der [[Schweiz]], [[Italien]], [[Spanien]] und einigen anderen europäischen Ländern gezeigt, außerdem auch in den [[Vereinigte Staaten|USA]] oder [[Japan]]. Die Schauen wurden meist als Tourneen geplant, die in Metropolen und Großstädten, aber auch in vielen Kleinstädten Station machten. In Europa tourten einige der Schauen durch mehrere Länder.<ref name="Armbruster" /> Nach Schätzungen sind weltweit bis zu 25.000 Menschen in ''Völkerschauen'' ausgestellt worden.<ref name="Blanchard 28">Pascal Blanchard, Nicolas Bancel u. a.: ''Menschenzoos: Schaustellungen „extotischer“ Menschen im Westen''. Hamburg 2012, S.&nbsp;28&nbsp;ff.</ref>
Die Zurschaustellung sogenannter „exotischer Völker“ beschränkte sich nicht auf Deutschland. In anderen Staaten ([[Westeuropa|West-]])Europas und Nordamerikas wurden ebenfalls Völkerschauen in [[Zoo|Zoologischen Gärten]], [[Wunderkammer|Panoptiken]], auf Volksfesten und Jahrmärkten sowie im Rahmen von Kolonial- und [[Weltausstellung]]en veranstaltet. So fanden beispielsweise in [[Wien]] zwischen 1870 und 1910 über 50 Völkerschauen statt,<ref>Werner Michael Schwarz: ''Anthropologische Spektakel. Zur Schaustellung „exotischer“ Menschen, Wien 1870–1910''. S. 223 ff.</ref> der [[Zoo Basel|Basler Zoo]] war Veranstaltungsort von 21 Schauen.<ref>Balthasar Staehelin: ''Völkerschauen im Zoologischen Garten Basel 1879–1935.'' S. 35.</ref> Bei der Pariser [[Weltausstellung Paris 1889|Weltausstellung]] von 1889 gab es neben der Einweihung des [[Eiffelturm]]s als weitere Hauptattraktion in dem zum ''Jardin d’Acclimatation Anthropologique'' verwandelten früheren Jardin Zoologique d’Acclimatation, eine riesige Völkerschau des französischen Kolonialreichs (1877–1912).<ref>Pascal Blanchard, Sandrine Lemaire u.a: ''Menschenzoos als Instrument der Kolonialpropaganda.'' In: ''Le Monde diplomatique'', 11. August 2000, S. 16.</ref> Auf der [[World’s Columbian Exposition]] in [[Chicago]] 1893 waren 17 „Eingeborenen“-Dörfer zu sehen.<ref>Balthasar Staehelin: ''Völkerschauen im Zoologischen Garten Basel 1879–1935.'' S. 27.</ref> Im Rahmen der [[Weltausstellung Brüssel 1897|Weltausstellung]] von 1897 in Brüssel wurde ein kongolesisches Dorf aufgebaut, in dem während der Ausstellung 267 Afrikaner lebten.<ref>Adam Hochschild: ''King Leopold’s Ghost: a Story of Greed, Terror, and Heroism in Colonial Africa''. Papermac, London, 2000, ISBN 978-0-333-76544-9</ref> In der [[Louisiana Purchase Exposition|Weltausstellung in St.&nbsp;Louis von 1904]] wurden unter anderem Patagonier und philippinische [[Igorot]] zur Schau gestellt.<ref>Marshall Everett, „The book of the Fair : the greatest exposition the world has ever seen photographed and explained, a panorama of the St. Louis exposition“, Philadelphia: P. W. Ziegler 1904, Chapter VI, „Giants at the Exposition“, S.&nbsp;101 ff., https://archive.org/details/bookoffairgreate00ever/page/100 und Chapter XIX, „The Study of Mankind“, S.&nbsp;265 ff., https://archive.org/details/bookoffairgreate00ever/page/264</ref> Der sogenannte „Ethnological Congress of Strange Tribes“ war ein Teil der Attraktionen von [[P. T. Barnum#Wanderzirkus|''Barnum and Baileys Greatest Show on Earth'']].<ref name="spiegel_2022-03-15">{{Internetquelle | url=https://www.spiegel.de/geschichte/sussy-dakaro-verschleppt-vorgefuehrt-aber-nicht-vergessen-a-9606833d-15f2-4d5c-b513-dfc12366e848 | titel=Verschleppt, vorgeführt – aber nicht vergessen | autor=Elias Dehnen | werk=[[Der Spiegel]] | datum=2022-03-15 | abruf=2022-03-15}}</ref>
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The beautiful Indian maidens, promotional poster, ca. 1899.jpg|Plakat in den [[Vereinigte Staaten|USA]]: Die wunderschönen Indianer-Jungfern (1899)
Exposition internationale d'Amiens (1906), village sénégalais. Les Plongeurs.jpg|Internationale Ausstellung in Amiens, Frankreich: Kulissen-Dorf in Senegal (1906)
Somali village at the 1895 African Exhibition.jpg|Afrika-Ausstellung in London im [[Crystal Palace (Gebäude)|Cristal Palace]], [[Vereinigtes Königreich]]: Kulissen-Dorf in [[Somalia]] (1885)
Het Congolese dorp tijdens de Wereldtentoonstelling van Antwerpen in 1894.jpg|Weltausstellung in Antwerpen 1894, [[Belgien]] (1894), Kulissen-Dorf im Kongo:
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Die gelegentlich behauptete Gesamtzahl aller zahlenden Besucherinnen und Besucher von 1,5 Milliarden<ref>Diese Zahl wird sowohl in der Ausstellung „Zoo humain“ im Brüsseler [[Königliches Museum für Zentral-Afrika|Afrika-Museum]], s.&nbsp;Joachim Heinz: [https://www.domradio.de/artikel/der-tod-im-museumsdorf-belgisches-afrikamuseum-zeigt-sonderschau-ueber-menschenzoos Der Tod im Museumsdorf]. Online unter: [[Domradio]], 4.&nbsp;Januar&nbsp;2022, abgerufen am 4.&nbsp;Februar&nbsp;2024, als auch in der Dokumentation ''„Die Wilden“ in den Menschenzoos.'' (s. Dokumentarfilme und Reportagen) angegeben.</ref> ist in der Forschung nicht hinreichend belegt. Wenn aber einzelne ''Völkerschauen'' über eine Millionen Besucher<ref name="Dreesbach79" /> (allein im [[Deutsches Reich|Deutschen Reich]] sind zwischen 1875 und 1940 über 400 ''Völkerschauen'' überliefert) oder die großen Weltausstellungen viele Millionen Besucher zählen (am meisten hatte die Weltausstellung 1900 in [[Liste der Weltausstellungen|Paris mit 48 Millionen]]), dann erscheint es plausibel, die Gesamtzahl der Zuschauenden auf mehrere hundert Millionen zu schätzen. Von den 1880er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg war das Angebot an ''Völkerschauen'' allerdings so groß, dass nicht mehr jede Schau ein Erfolg wurde.<ref>Stefanie Wolter: ''Die Vermarktung des Fremden.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;104&nbsp;ff.</ref> Während des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] kamen die Schauen zwischenzeitig zum Erliegen. In den 1920er Jahren fanden sie wieder statt, konnten aber nicht mehr an die Besuchererfolge der Vorkriegszeit anknüpfen. Der Beginn des Zweiten Weltkrieg markiert das Ende der Ära der ''Völkerschauen'', auch wenn es in den Jahren nach 1945 noch zu vereinzelten Zurschaustellung kam.<ref name="DreesbachEGO" />
Nach dem [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] brach der Geschäftszweig zunächst ein. Die Geschäftsbeziehungen in alle Welt waren bei vielen Unternehmen zerstört. In den 1920er Jahren gab es wieder Völkerschauen, allerdings nahm ihre Popularität deutlich ab. Um gegen Konkurrenz, z.&nbsp;B. durch den Rundfunk, zu bestehen, wurden die Ausstellungen immer größer und kostspieliger. [[Willy Siebold|Friedrich Wilhelm Siebold]] veranstaltete zwischen 1930 und 1932 mehrere „Lippenneger“-Schauen sowie 1931 die Ausstellung „Kanaken der Südsee“ auf dem Münchner [[Oktoberfest]].<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 53.</ref>


=== Typologie und Entwicklungen ===
Der Beginn der [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen Herrschaft]] markierte das Ende der Völkerschauen in Deutschland. Zunächst gab es noch einige Schauveranstaltungen mit ähnlichem Konzept, so wurde 1937 ein „Eingeborenendorf“ im Düsseldorfer Zoo gezeigt. Von 1935 bis 1940 tourte die [[Deutsche Afrika-Schau]] durch das Deutsche Reich, ein varietéartiges Programm, das sich zunehmend dem Konzept der klassischen Völkerschau annäherte und für die [[Deutscher Kolonialismus in der Zeit des Nationalsozialismus|Wiedergewinnung der ehemaligen Kolonien]] warb.<ref>Susann Lewerenz: ''Die Deutsche Afrika-Schau (1935–1940). Rassismus, Kolonialrevisionismus und postkoloniale Auseinandersetzungen im nationalsozialistischen Deutschland''. Frankfurt/New York 2005. ISBN 3-593-37732-2</ref> Nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] gab es in [[Deutschland]] kaum noch Völkerschauen (so auf dem Oktoberfest 1950 eine ''[[Apachen]]-Show'', 1951 und 1959 an gleicher Stelle je eine unter dem Thema ''Hawaii'') – die Sehnsucht nach Exotik bedienten nun Film und Fernsehen sowie die aufkommenden Fernreisen.
Zwar ersetzten die ''Völkerschauen'' die weiterhin populäre Zurschaustellungen „exotischer“ Menschen in den ''Freak Shows'' der Jahrmarktbuden, Zirkusse oder Varitétes nicht. Diese meist „schäbige[n] Veranstaltungen mit zusammengewürfelten Grüppchen, die mit wenigen Requisiten auf der Bühne saßen und vor allem ihre Hautfarbe, ihre Nacktheit oder Missbildungen dem Publikum zu präsentieren hatten“,<ref name="Tribelhorn">Marc Tribelhorn: [https://www.nzz.ch/zuerich/menschenzoos-ld.1060259 ''Menschenzoos'']. Online unter: [[Neue Zürcher Zeitung|NZZ]], 23.&nbsp;Dezember&nbsp;2013, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref> wurden bis in die 1930er Jahre weiter aufgeführt. Stefanie Wolter nennt vor allem zwei Kriterien, wie sich die seit Mitte der 1870er Jahren erfolgreichen ''Völkerschauen'' von solchen Formaten abgrenzten.<ref name="wolter102">Stefanie Wolter: ''Die Vermarktung des Fremden.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;102–104.</ref> Erstens bemühten sich die [[Impresario]]s, die zur Schau gestellten Menschen – wenn auch nur vermeintlich – authentisch in Szene zu setzen und sie nicht wie zuvor als „Jahrmarktssensation“ zu bewerben. Zweitens wurden durch die ''Völkerschauen'' auch gebildetere Bevölkerungsschichten angesprochen und den Schauen ein „gewisses Maß bürgerlicher Anerkennung“ zuteil.<ref name="wolter102" /> Hagenbecks immer aufwändigere Inszenierungen indigener Menschen galten zeitgenössisch insofern als fortschrittlich, dass er „die ‚Wilden‘ aus den Jahrmarktsbuden in die wissenschaftlichen Institutionen ‚[[Zoo|Zoologische Gärten]]‘“<ref name="Dreesbach50">Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;50–55.</ref> holte.


[[Datei:Hamburg, Hamburg - Gustav Hagenbeck's Indienschau im Hamburger Zoo (Zeno Ansichtskarten).jpg|mini|Neben „Eingeborenendörfern“ zeigten die ''Völkerschauen'' großangelegter Inszenierungen von Paraden, Tänzen oder Schaukämpfen wie bei Gustav Hagenbecks ''Indienschau'' in Hamburg 1900 (Postkarte, ohne Datum)]]
Die letzte bekannte Ausstellung von Menschen unterschiedlicher Herkunft fand in ''Belgien'' statt. Auf der [[Expo 58|Weltausstellung]] in [[Brüssel]] wurde im Jahr ''1958'' ein ganzes [[Belgisch Kongo|''kongolesisches'']] Dorf samt Einwohner aufgebaut.<ref>{{Internetquelle | url=https://www.domradio.de/artikel/der-tod-im-museumsdorf-belgisches-afrikamuseum-zeigt-sonderschau-ueber-menschenzoos | titel=Der Tod im Museumsdorf | autor=Joachim Heinz | werk=domradio.de | datum=2022-01-04 | abruf=2023-08-31}}</ref>
Bei den ersten ''Völkerschauen'' wurden zunächst noch kleinere Gruppen von Menschen ausgestellt. [[Carl Hagenbeck]]s Zurschaustellung der [[Samen (Volk)#Name|Lappländer]], die ein großer kommerzieller Erfolg war, zeigte nicht nur die „fremden“ Menschen, sondern stellte sie „in einen Zusammenhang mit ihren heimischen Lebensumständen. Dazu beschaffte Hagenbeck Nutztiere wie z.&nbsp;B. Rentiere, originale Zelte, Werkzeuge und Schlitten, um die Ausstellung als möglichst authentisches Ensemble zu arrangieren.“<ref name="DreesbachEGO">Anne Dreesbach: [http://ieg-ego.eu/de/threads/hintergruende/europaeische-begegnungen/anne-dreesbach-kolonialausstellungen-voelkerschauen-und-die-zurschaustellung-des-fremden ''Kolonialausstellungen, Völkerschauen und die Zurschaustellung des "Fremden"'']. Online unter: [[Europäische Geschichte Online]], 17.&nbsp;Februar&nbsp;2017, abgerufen am 31.&nbsp;Januar&nbsp;2024.</ref> In den kommenden etwa zehn Jahren folgten mehrere dieser noch kleineren ''Völkerschauen'', die neben Hamburg und Berlin auch in Paris, London, Zürich und weiteren europäischen Hauptstädten für große Aufmerksamkeit sorgten. Bei diesen Schauen wurden die Menschen eingehegt, also mit einem Zaun umgeben, denn „gerade in der Anfangszeit der ''Völkerschauen'' [wurde] großer Wert auf eine möglichst perfekte räumliche Trennung gelegt“.<ref>Stefanie Wolter: ''Die Vermarktung des Fremden.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;98.</ref>


Ab Mitte der 1880er Jahre entwickelten sich die ''Völkerschauen'' immer mehr zu großen Spektakeln mit bis mehreren Hundert zur Schau gestellten Menschen.<ref name="Dreesbach11" /> Besonders erfolgreich wurde das Konzept des „Eingeborenendorfs“, auch „ethnographisches Dorf“ genannt.<ref name="Blanchard32">Pascal Blanchard, Nicolas Bancel u. a.: ''Menschenzoos: Schaustellungen „extotischer“ Menschen im Westen''. Hamburg 2012, S.&nbsp;32.</ref> Dort wurde die Trennung der zur Schau gestellten Menschen von den Zuschauenden durch Zäune und Barrieren aufgehoben.<ref name="Scholl" /> Die Besucher sollten „durch das Dorf schlendern und am ‚tatsächlichen‘ Leben des Volkes teilnehmen“.<ref name="DreesbachEGO" /> Seit den 1890er wurden die „Eingeborenendörfer“ zunehmend auch Bestandteile der Welt- und Kolonialausstellungen. Die Impresarios steigerten ihre Einnahmen zunehmend auch durch den Verkauf von in den Dörfern hergestellten Produkten wie Teppiche, Körbe und Masken.<ref name="Scholl" /> Die Schauen profitierten außerdem von Ereignissen wie Tod, Hochzeit oder Geburt der Ausgestellten und dem dadurch entstehenden Besucherandrang.<ref>Günter H. W. Niemeyer: ''Hagenbeck. Geschichte und Geschichten''. Hamburg 1972, S.&nbsp;215&nbsp;ff.</ref> Das zweite erfolgreiche Konzept waren große szenische Inszenierungen von Tänzen, Musik, Gesängen, Paraden und Schaukämpfen.<ref name="Dreesbach11" /> Das Programm der „Kameruner Truppe“ von Hagenbeck im Jahr 1886 beinhaltete für diesen Schautyp typische Programmpunkte: „Vorführung von lebhaften Tänzen, vom Trommelkonzert, von Gefechtsübungen, von Kanufahrten und von der Trommelsprache“.<ref>Albert Gouaffo: ''Prinz Dido aus Kamerun im wilhelminischen Deutschland.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;296&nbsp;f.</ref>
=== Organisation ===
Die Organisation der Völkerschauen war mit großem Aufwand verbunden. Insgesamt mussten für eine Völkerschau bis zu fünf Jahre zur Vorbereitung und Umsetzung eingeplant werden. Bereits die Anwerbung begann ein halbes Jahr vor der eigentlichen Tournee. Anwerber des Tierhändlers [[Carl Hagenbeck]] waren zum Beispiel der Nordpolargebiet-Reisende [[Johan Adrian Jacobsen]] oder Mitglieder aus Hagenbecks Familie.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 64 ff.</ref>


=== Zur Schau gestellte Menschen ===
Es wurde stark darauf geachtet, möglichst Kinder und Erwachsene beiden Geschlechts und verschiedenen Alters vorzuführen, damit die Besucher mehr über das „Familienleben“ der Völker erfahren konnten. Mit einem Vertrag zwischen Organisator und den Exoten wurde die Länge des Aufenthalts, die Verpflichtungen während der Schau und das Gehalt festgelegt.<ref>{{Webarchiv|url=http://www.voelkerkundemuseum-muenchen.de/inhalt/html/salon-03.html |wayback=20070927065657 |text=voelkerkundemuseum-muenchen.de }}</ref> Die Gehälter fielen durchaus unterschiedlich aus. Bekannt geworden ist, dass in einer Völkerschau in Österreich 80 Sioux 600 Dollar und fünf Cowboys 200 Dollar Monatsgehalt insgesamt erhielten.<ref>Sabine Scholl: [https://www.derstandard.at/story/2000112892336/vorgefuehrt-und-ausgestellt-im-menschenzoo Vorgeführt und ausgestellt im Menschenzoo], vom 7. Januar 2020. In: [[Der Standard]]</ref>
==== Anwerbung ====
[[Datei:Bundesarchiv Bild 102-11560, Berlin, Ankunft von Schwarzafrikanern.jpg|mini| Im April 1931 kommt eine Gruppe [[Schwarze|Schwarzer Menschen]] begleitet vom Direktor des [[Zoologischer Garten Berlin|Zoologischen Gartens Berlin]] [[Lutz Heck]] am Anhalter Bahnhof an. Die Frauen haben ihre [[Lippenteller]] mit Schals verdeckt. (Foto von 1931)]]
Die auf ''Völkerausstellungen'' zur Schau gestellten Menschen wurden aus verschiedenen Teilen vornehmlich der kolonialisierten Welt angeworben. Die Anwerbung wurde anfangs über Tierhändler, später über Agenten organisiert, die bereits viele Monate vor Beginn der ''Völkerschauen'' mit der Suche nach geeigneten Personengruppen beauftragt wurden. Das Engagement dauerte von einem Sommer bis zu mehreren Jahren. Obwohl die Menschen im Fokus des öffentlichen Interesses standen, gibt es nur wenige Überlieferungen über ihre persönliche Situation oder ihr Erleben als „Ausstellungsobjekte“ bei den ''Völkerschauen''.<ref name="Hager" /> Dennoch gelten sie in der Forschung keineswegs nur als hilflose Objekte der Willkür der Veranstalter, sondern als selbstbewusste Subjekte.<ref name="Bechhaus 149">Marianne Bechhaus-Gerst: ''Inszenierte Exotik – Völkerschauen in Köln''. Köln, Weimar, Wien 2013, S.&nbsp;149&nbsp;f.</ref> Nicht wenige von ihnen ließen sich aus finanziellen Motiven bereitwillig für Darstellungen in Europa anwerben und kehrten zum Teil nach einigen Jahren wohlhabend in ihre Herkunftsländer zurück, wenngleich ihnen in der Regel höchstens ein Bruchteil der Einkünfte aus den Spektakeln ausgezahlt wurde.<ref name="DreesbachEGO" />


Die Agenten achteten darauf, die Gruppen möglichst unterschiedlich zusammenzustellen, also mit Frauen und Männern, auch Kindern und alten Menschen, um vorgeblich ein alltägliches Familienleben inszenieren zu können.<ref name="DreesbachEGO" /> Auswahlkriterien waren auch ein besonders „schönes“ oder „hässliches“ Aussehen sowie körperliche Veränderung wie [[Tätowierung]]en, [[Skarifizierung]] oder beispielsweise spitz gefeilte Zähne, Frauen mit langgestreckten Hälsen (genannt „[[Padaung|Giraffenhals-Frauen]]“) oder [[Lippenteller]]n. Für die größeren ''Völkerschauen'' wurden später auch gezielt Handwerker, Artisten und Tänzer eingestellt. Die Anwerbung erfolgte in der Regel freiwillig, auch wenn den Angeworbenen nicht immer klar war, was sie bei den ''Völkerschauen'' erwartete.<ref>Hilke Thode-Arora: ''Für fünfzig Pfennig um die Welt.'' Frankfurt am Main 1989, S.&nbsp;59–67.</ref>
Es kam immer wieder zu Krankheiten und Todesfällen der Völkerschau-Teilnehmer. Im Verlauf der Berliner Kolonialausstellung im Jahr 1896, die etwas weniger als sechs Monate dauerte, starben beispielsweise von 106 Völkerschau-Teilnehmer drei. Dies geschah, obwohl in dieser Zurschaustellung eine wöchentliche Untersuchung durch einen Arzt erfolgte. Meist lagen Krankheit und Tod an der fehlenden medizinischen Vorsorge, an fehlenden Impfungen, unangepasster Kleidung unter ungewohnten klimatischen Bedingungen und unter schlechten Wohn- und Lebensverhältnissen sowie an ungewohnten Speisen. Eine medizinische Untersuchung und Impfungen wurden später Pflicht und man ging dazu über die Teilnehmer selbst kochen zu lassen.<ref>Hilke Thode-Arosa: „Für fünfzig Pfennig um die Welt. Das Phänomen der Volkerschauen“. In: Hilke Thode-Arora (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. Hirmer Verlag 2014. ISBN 978-3-7774-2237-4. S. 82</ref>


In den Anfangsjahren wurden zur Schau gestellte Menschen auch unfreiwillig und unter Entzug der Freiheitsrechte nach Europa verschleppt – insbesondere, wenn es sich um Gruppen vermeintlicher „Urmenschen“ handelte. Robert&nbsp;A. Cunningham etwa galt laut Hilde Thode-Arora als „der Prototyp des schlechten, rücksichtslosen Völkerschau-Impresarios“,<ref>Hilke Thode-Arora: ''Für fünfzig Pfennig um die Welt.'' Frankfurt am Main 1989, S.&nbsp;41.</ref> der 1882 eine Gruppe von [[Aborigines]] entführte. Zur Gruppe dieser Aborigine gehörte [[Kukamunburra]], der in Europa und den USA zur Schau gestellt wurde und nach seinem Tod in [[Cleveland]] mumifiziert wurde. Häufig war mit den „Wilden“ und „Urmenschen“ überhaupt keine sprachliche Kommunikation möglich, weshalb ihnen bei ihrer „Anwerbung“ überhaupt nicht vermittelt werden konnte, was sie auf ihrer Reise und bei der Zurschaustellung erwarten würde. Solche „Anwerbungen“ entsprachen also dem Tatbestand einer Verschleppung oder Entführung.<ref>Gabi Eissenberger: ''Entführt, verspottet und gestorben.'' Frankfurt am Main 1996, S.&nbsp;87&nbsp;f.</ref>
=== Werbung, Inszenierung ===
[[Datei:Tiergarten Nill, 019.jpg|mini|Postkarte von der „Talofa Samoa“, Völkerschau im Tiergarten Nill in Stuttgart (1900)]]
Schon die Ankunft der Teilnehmer erregte viel Aufsehen unter anderem mit Umzügen durch die Stadt. Die Schauen profitierten von Ereignissen wie Tod, Hochzeit oder Geburt der Ausgestellten und dem dadurch entstehenden Besucherandrang.<ref>Günter H. W. Niemeyer: ''Hagenbeck. Geschichte und Geschichten''. Hamburg 1972, S. 215 ff.</ref> Auch prominente Besucher der Schauen wie zum Beispiel [[Otto von Bismarck]] lockten noch mehr Publikum zum Ausstellungsort. Durch zahlreiche Verbindungen zur Presse erschienen hunderte von Artikeln über derartige Ereignisse. Auch Post- und Sammelkarten, Film und Radio trugen zur Vermarktung bei. Plakate waren wichtige Werbemedien: Sie waren farbenfroh, bildgewaltig und groß gestaltet. Am begehrtesten waren die Plakate der Hamburger Druckerei [[Adolph Friedländer]]. Aufwändige Programmhefte und später Postkarten, die massenhaft erstellt wurden, waren wichtige und effektive Werbemittel der Völkerschauen.


===== Verschleppung der „Feuerländer“ =====
Die Inszenierung der Ausstellungen konnte man teilweise mit Theateraufführungen vergleichen. Deshalb wurden bevorzugt Artisten, Gaukler und Handwerker nach Deutschland gebracht. Alle Teilnehmer mussten gesund und kräftig sein. Es gab drei Typen der Völkerschauen: Zum einen das „Eingeborenendorf“, das der Zuschauer durchlaufen konnte, dann Schauen mit geregelten Abläufen der Vorführungen und den Beiprogrammen, bei denen stark auf die körperliche Andersartigkeit gegenüber den Europäern hingewiesen wurde. Oft gab es aber auch Mischformen. Wichtig waren auch passende Kostüme und aufwendig gestaltete Bühnen und Kulissen, die ein Bildnis der Heimat darstellten.
[[Datei:Feuerländer 1881 Jardin d Acclimatation.jpg|mini|Menschenzoo der „Feuerländer“ im Sommer 1881, [[Jardin d'Acclimatation]] in Paris (Foto von 1881)]]
{{Hauptartikel|Hagenbecks Völkerschau der „Feuerländer“ 1881/82}}
Ein weiteres bekanntes Beispiel für die Verschleppung von zur Schau gestellten Menschen war der Menschenzoo der „Feuerländer“ in den Jahren 1881 und 1882. [[Carl Hagenbeck]] beauftragte einen Agenten, „Feuerländer“ nach Europa zu bringen. Dieser Agent übergab in der Nähe der [[Magellanstraße]] dem Kapitän G. Schweers elf [[Kawesqar]] (das waren westlich der Hauptinsel Feuerland lebende Wassernomaden), der sie unter Umgehung chilenischer Behörden nach Hamburg brachte. Später behauptete Hagenbeck, Schweers hätte die Menschen aus Seenot gerettet und in den nächsten angesteuerten Hafen – also nach Hamburg – gebracht.<ref>Gabi Eissenberger: ''Entführt, verspottet und gestorben.'' Frankfurt am Main 1996, S.&nbsp;145–149.</ref>


Die elf Kawesqar, darunter drei Kinder, wurden im Sommer 1881 zuerst im Pariser [[Jardin d'Acclimatation]] mit einer halben Million Zuschauer und anschließend in Berlin, Leipzig, Stuttgart, München, Nürnberg und Zürich zur Schau gestellt. Sie erregten großes Aufsehen in der Presse und wurden äußerst abschätzig beschrieben: „Hässlich seien die Feuerländer, lethargisch und schmutzig, stinkfaul von Natur aus und unsäglich dumm“, und „die Menschenfresser aus Südamerika würden eher die eigenen Großmütter verspeisen als ihre Hunde, weil Hunde Ottern fressen, das einzige Tier, vor dem die Feuerländer sich ekelten“.<ref>[[Rea Brändle]]: ''Wildfremd, hautnah. Völkerschauen und ihre Schauplätze in Zürich 1880–1960.'' Zürich 1995, S.&nbsp;19&nbsp;ff.</ref> Im [[Zoologischer Garten Berlin|Berliner Zoo]] kam es zu lautstarken Aufruhr, wie die Presse berichtete: „Als sich jedoch um 5 1/2 Uhr die Feuerländer in die inneren Gemächer ihres Erdgelasses zurückzogen, nahm der Tumult bedenkliche Dimensionen an. ‚Feuerländer raus!‘, brüllte ein tausendstimmiger Chorus, Bänke und Stühle wurden zerbrochen und erst mit Hülfe requirierter Schutzleute gelang es, die Ruhe wiederherzustellen“.<ref>Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 8. November 1881, zitiert nach Gabi Eissenberger: ''Entführt, verspottet und gestorben.'' Frankfurt am Main 1996, S.&nbsp;153&nbsp;f.</ref> Im Berliner Zoo nahm Anatom und Anthropologe [[Rudolf Virchow]] Untersuchungen an den Kawesqar vor und stellte sie am 14. November 1881 der [[Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte]] im Saal des Zoologischen Gartens als eine „Rasse“ auf der „untersten Stufe“ sowie als mögliche „Kannibalen“ vor.<ref>Gabi Eissenberger: ''Entführt, verspottet und gestorben.'' Frankfurt am Main 1996, S.&nbsp;156&nbsp;f.</ref> In Zürich verstarben im Februar und März fünf der Kawesqar, schließlich kehrten nur vier von ihnen in ihre Heimat zurück.<ref>Gabi Eissenberger: ''Entführt, verspottet und gestorben.'' Frankfurt am Main 1996, S.&nbsp;162–171.</ref>
Die Zurschaustellung der Völker entsprachen oft (entgegen entsprechenden Behauptungen der Veranstalter) nicht der Wirklichkeit und der wahren Lebensweise der Völker, sondern vielmehr einem Abbild der europäischen Klischees zu den fremden Menschen, die durch Bücher und Erzählungen (z.&nbsp;B. von [[Karl May]]) und Berichten von Entdeckern entstanden waren. So zum Beispiel wurden die [[Patagonier|Feuerländer]] als [[Kannibale]]n dargestellt und mussten rohes Fleisch essen, Kämpfe und Kriegstänze vorführen. [[Indien]] zeichnete sich durch seine malerischen Kulissen, die prachtvollen Kostüme und bunt geschmückte Elefanten aus. Die Völkerschauen zeigten keinesfalls das reale Leben, es handelte meist um eine idealisierende Darstellung fremder Kulturen.


=== Stereotypen, Klischees ===
==== Arbeitsbedingungen ====
Im Zuge der Professionalisierung der ''Völkerschauen'' hielten sich die meisten Impresarios weitestgehend an Abmachungen oder Verträge und wollten den Eindruck vermeiden, die Menschen würden gegen ihren Willen zur Schau gestellt werden. Über die Bezahlung in den Menschenzoos gibt es nur wenige Informationen.<ref name="Hager" /> Die Verträge umfassten neben der Entlohnung auch „das Anrecht auf bestimmte Mengen an Lebensmitteln und Decken und vieles mehr“.<ref name="Bechhaus 149" /> So wurden die medizinische Versorgung, die geforderten Tätigkeiten sowie die Arbeitszeiten genau geregelt.<ref name="Thode79">Hilke Thode-Arosa: ''Hagenbecks Europatourneen und die Entwicklung der Völkerschauen.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;165&nbsp;ff.</ref> Die Arbeitsbedingungen und -zeiten von bis zu 10 Stunden waren hart, und es kam häufig zur Erkrankungen. Ursachen hierfür waren neben mangelnder medizinischer Versorgung vor allem Infektionskrankheiten und fehlende Impfungen,<ref name="Rydell" /> zudem auch unangepasste Kleidung unter ungewohnten klimatischen Bedingungen, schlechte Wohn- und Lebensverhältnissen sowie das ungewohnte Essen. Medizinische Untersuchung und Impfungen wurden später allgemeiner Standard, und man ging dazu über, die Teilnehmer für sich selbst kochen zu lassen.<ref name="Thode79" /> Die Menschen wohnten meist in einfachen, dem Publikum nicht zugänglichen Behausungen und durften teilweise den Zoo oder das Ausstellungsgelände nicht verlassen.<ref name="Rydell" />
[[Datei:Friedländer.plakat.8.jpg|mini|hochkant|Singhalesen-Völkerschau bei Carl Hagenbeck (1886)]]
Gemäß einer Darstellung von 2005 war die Verwendung von [[Stereotyp]]en ein wesentliches Merkmal zur erfolgreichen Vermarktung der Völkerschauen.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.''</ref> Diese bedienten sich der vorhandenen [[Rassenlehre]]n und der [[Klischee]]s über andere Völker. Völkerschauen bestätigten dadurch vorhandene Vorstellungen eines großen Teils der Bevölkerung. Sie waren nicht aufklärerisch, sondern die Besucher sollten das glauben, was sie dort sahen. Obschon es Wissenschaftler gab, welche zu anderen Erkenntnissen gelangt waren und andere Auffassungen vertraten, waren diese dem Geschäft nicht zuträglich. Die Schausteller ignorierten oder negierten diese Erkenntnisse, oder wandelten sie unter kommerziellen Gesichtspunkten ab. Zur Werbung für die Völkerschauen dienten vor allem Plakate und Postkarten.


=== Anwerbung ===
==== Herkunft und Stereotype ====
[[Datei:JARDIN ZOOLOGIQUE D'ACCLIMATATION ACHANTIS, AFF2877.jpg|mini|Das Plakat zur ''Völkerschau'' der [[Aschanti (Volk)|Aschantis]] 1887 im [[Jardin d'Acclimatation]] in Paris wirbt mit halbnackten [[Schwarze|Schwarzen Menschen]] (Plakat von 1887)]]
Die Völkerschau-Teilnehmer wurden unterschiedlich angeworben, meist waren es Agenten, die Viehtransporte im europäischen Ausland im Auftrag durchführten und entsprechende Zusatzaufträge erhielten, daneben gab es auch Seeleute und Kaufleute, die die Gepflogenheiten der Länder kannten und die Sprachen beherrschten. Es gab ferner Anwerber, die anschließend als Impresarios bei den Völkerschauen eingesetzt wurden. Hagenbeck verfügte beispielsweise über ein weltweites Netz von Anwerbern, die für ihn tätig wurden. Es kam häufig vor, dass die Anwerber nicht nur den Auftrag erhielten Menschen zu engagieren, sondern die Lieferungen wurden um einheimische Tiere, Zelte, Haus- und Jagdgerätschaften erweitert.
Nach der ersten ''Völkerschau'' der Lappländer 1875 organisierte Carl Hagenbeck 1877 eine erste Schau mit [[Schwarze|Schwarzen Menschen]]: eine afrikanische Tierschau, die von vierzehn als ''Nubier'' beworbenen Afrikanern begleitet wurde.<ref>William H. Schneider: ''Völkerschauen im Zoologischen Garten von Paris''. Hamburg 2012, S.&nbsp;179.</ref> Auch die Nubier-Schau reiste durch zahlreiche europäische Hauptstädte und erlebte in ganz Europa einen großen Besucherandrang.<ref name="Bacel">Nicolas Bancel, Pascal Blanchard, Sandrine Lemaire: [https://monde-diplomatique.de/artikel/!1218192 ''Menschenzoos als Instrument der Kolonialpropaganda.''] In: [[Le Monde diplomatique]], 11.&nbsp;August&nbsp;2000, S.&nbsp;16&nbsp;f., abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref> Nach diesen ersten ''Völkerschauen'' wurden Menschen verschiedener Kontinente und Regionen vornehmlich der kolonialisierten Welt angeworben.


In der Logik des kolonialistischen und rassenbiologischen Denkens wurden die ausgestellten ''Völker'' hierarchisiert und unterschiedlich entweder als ''Kulturvölker'' oder als ''primitive Urmenschen'' kategorisiert, die „entweder dem europäischen Schönheitsideal entsprachen oder aber als Vertreter des Typs ‚Urmensch‘ besonders abstoßend wirkten“.<ref name="DreesbachEGO" /> Solche Stereotype der ''Völkerschauen'' lassen sich heute anhand der Plakate rekonstruieren, die das wichtigste Medium für die Bewerbung der Schauen waren.
Die Völkerschau-Unternehmer waren sehr bemüht den Eindruck zu erwecken, dass die Völkerschau-Teilnehmer nicht aus Zwang aus ihrer Heimat, sondern freiwillig gekommen seien. Der einzige Impresario, der zugab, Menschen entführt zu haben, war der Kanadier R. A. Cunningham. Darunter waren die [[Aborigines]] [[Kukamunburra]] und [[Sussy Dakaro]]. Wenn es wirklich so war, war er der einzige, der so vorging, die meisten Impresarios hielten sich weitestgehend an Abmachungen oder Verträge. Wichtig war den Völkerschau-Veranstaltern auch, dass der betreffende Personenkreis stets um Kinder unterschiedlichen Alters erweitert wurde, damit der Eindruck entstand, es seien komplette Familien angereist. Viele Teilnehmer litten unter Heimweh. Nach Beendigung der Völkerschau-Tourneen reisten die Teilnehmer, meist mit Geschenken der großen Veranstalter verabschiedet wieder in ihre Heimat zurück, nur wenige blieben.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 58–71</ref>


[[Alexander Sokolowsky]], Hagenbecks Assistent und ein Schüler [[Ernst Haeckel]]s, konstruierte im Rahmen der ''Völkerschauen'' solche Hierarchien zwischen den ''Menschenrassen''.<ref name="Anhalt">Utz Anhalt: [https://taz.de/Archiv-Suche/!286751&s=UTZ%2BANHALT&SuchRahmen=Print/ ''Im Menschenpark''.] Online unter: [[die tageszeitung|taz]], 3.&nbsp;Mai&nbsp;2007, abgerufen am 4.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref> Zu den damals so bezeichneten ''Kulturvölkern'' zählten ''Araber'', ''[[Indien|Inder]]'' und die ''[[Singhalesen]]''. Plakate bewarben sie mit „geheimnisvollen Märchen aus 1001 Nacht“, Kamelkarawanen, Basaren und erotischen Bauchtänzerinnen.<ref name="DreesbachEGO" /> Positiv konnotiert wurden auch die ''Indianer'' die viel kämpfen und um den Marterpfahl tanzen mussten,<ref name="Scholl" /> sowie die ''[[Südsee]]insulaner'' „als freundliche, liebenswürdige Wesen mit sonnigem Gemüt […], die tagtäglich nichts anderes taten, als zu singen, Hula zu tanzen und Feste zu feiern. Die Frauen aus dieser Gruppe erschienen oft mit freiem Oberkörper, nur mit Bastrock und Blumengirlanden bekleidet.“<ref name="DreesbachEGO" /> Auch die nördlichen ''Völker'' wie die ''Kalmücken'' aus dem Gebiet zwischen Wolga und Don sowie ''Eskimos'' und ''Lappländer'' aus dem Polarkreis kulturell höher bewertet als [[Schwarze|Schwarze Menschen]], darunter [[Aschanti (Volk)|Aschanti]], [[Nubier]], [[Somali (Ethnie)|Somali]], [[Kamba (Ethnie)|Kamba]] oder die als [[Schwarzafrikaner]] bezeichneten Menschen aus dem südlichen Afrika sowie die als „[[Australneger]]“ bezeichneten [[Aborigines]]. Auf der untersten Stufe standen die sogenannten „Urmenschen“, beispielsweise die ''Feuerländer'' oder ''Fidschi-Insulaner'', die von Anthropologen als „primitivste Wesen“ und als „Kannibalen“ beschrieben wurden.<ref>Umfassend zur Typologisierung der zur Schau gestellten Menschen: Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;135–149.</ref>
Es gab auch Todesfälle im Verlauf der Völkerschauen, was sich nicht nur auf die Gruppenzusammensetzung und auf die Stimmung der Teilnehmer auswirkte, sondern die Presse veröffentlichte. Nach den mehreren Todesfällen der [[Eskimo]]-Völkerschau achteten die großen Veranstalter darauf, dass alle Völkerschau-Teilnehmer geimpft wurden.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 73</ref> Manche Teilnehmer, die in ihre Heimat zurückreisten und sich mit ansteckenden Krankheiten in Europa infiziert hatten, steckten gegebenenfalls die sie umgebenden Menschen an.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 77</ref>


==== Vermeintliche Authentizität ====
== Deutschland ==
Die Frage, ob die zur Schau gestellten Menschen bezüglich ihres Aussehens, ihrer Kleidung und der Inszenierung ihres Alltags oder der Schaukämpfe authentisch auftraten oder nicht, wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt. Dabei dominiert die zweite Deutung. In den „Eingeborenendörfern“ beispielsweise wäre nur suggeriert worden, das alltägliche Leben darzustellen: „Vorgeführt wurden Bräuche und Sitten, oft mussten die Menschen einen nur vorgeblichen Alltag nachspielen.“<ref name="Tribelhorn" /> Die ausgestellten Menschen hatten zudem in der Regel bei den Inszenierung der Schauen nichts mitzureden.<ref name="Rydell" /> [[Anne Dreesbach]] hat zur Erklärung solcher Inszenierungsmuster der ''Völkerschauen'' einen „Stereotypenkreislauf“ vorgeschlagen: erstens würden durch Werbung und Plakate bereits verankerte Klischees aktiviert, um zweitens in der Inszenierung bestätigt zu werden und die Besucher drittens zur Bildung neuer Klischees anzuregen. Dabei wurde großer Wert darauf gelegt „Publikumserwartungen auf möglichst spektakuläre Weise zu erfüllen“. Dieses Inszenierungsmuster habe zur Folge gehabt, dass es bei der Planung einer ''Völkerschau'' gar nicht so sehr darum ging, Repräsentanten einer Volksgruppe so zu zeigen, wie sie wirklich lebten. Authentizität sei nur insofern von Bedeutung gewesen, als dass die Zuschauer die Präsentation für ''authentisch'' hielten.<ref name="DreesbachEGO" />


Nach Stefanie Wolter liegt hier der Schlüssel zur Erklärung des unerwarteten Erfolgs der ersten ''Völkerschau'' der Lappländer 1875.<ref name="wolter102" /> Zur gleichen Zeit tourte bereits eine Gruppe Lappländer auf verschiedenen Jahrmärkten, die allerdings als Eskimos vermarktet worden wären. Die Lappländer seien zwar ''echt'', die Schau aber nicht als ''authentisch'' wahrgenommen worden. Im Gegensatz dazu seien die erste ''Völkerschau'' von den Zuschauenden „als wahrheitsgetreue Abbilder des Lebens der jeweiligen Ausgestellten“ aufgefasst worden, wie sich in zahlreichen Berichten herauslesen lässt. In den Folgejahren gab es aber auch verschiedene erfolglose ''Völkerschauen'', eben weil sie vom Publikum nicht für authentisch gehalten wurden.<ref name="Scholl" />, wie beispielsweise Hagenbecks ''Hindu-Schau'' von 1878 oder die ''Bella-Coola-Schau '' von 1885/86. Wolter kritisiert zugleich die vorgeblich ''authentische'' Sicht auf die Ausgestellten, spricht sie „doch jedes Bewusstsein für ihre tatsächliche Situation ab“.<ref name="wolter102" />
=== Politischer Hintergrund ===
Nach dem Historiker [[Christian Geulen]] entwickelte sich die Politik im 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum in einem von [[Völkische Bewegung|völkischen Bewegungen]] vorgeprägten Umfeld, dem ein rassentheoretisches Konzept der „Germanen“ zugrunde lag. Vor diesem Hintergrund und mit den Vorstellungen eines „Großdeutschen Reichs“, das über die Staatsgrenzen hinweg weitere Gebiete u. a. auch Österreich umschließt, wurden im weiteren Verlauf Begriffe wie Nation, Volk und Rasse nicht mehr unterscheidbar, waren austauschbar geworden. Der Widerspruch zwischen Nationalstaat mit Grenzen und allumfassendem Imperium wurde offenkundig und Rasse „als vorpolitische, biologische Bevölkerung gedacht“. Grenzen stellen demzufolge allenfalls kurzfristige Hürden dar. Das erste Postulat des modernen Rassendenkens zufolge lautet nach Geulen, „jeder gehört ohne Ausnahme zu einer Rasse“. Die Verteilung von Höherwertigkeit oder Niederwertigkeit ist im rassistischen Denken immanent und immer erst „Resultat der rassengeschichtlich oder evolutionär gedachten Entwicklung.“<ref>Christian Geulen: Geschichte des Rassismus. 4. aktualisierte Auflage 2021. C.H.Beck. S. 80–88</ref> Entsprechend dieser Analyse kann festgehalten werden, dass in den Völkerschauen vorhandene rassistische Vorstellungen widergespiegelt und befestigt sowie in der Konsequenz andere Völker als niederwertig dargestellt werden müssen.


==== Proteste der zur Schau gestellten Menschen ====
=== Völkerschau-Teilnehmer ===
[[Datei:Opernglas Kolonialausstellung 1896.jpg|mini|Vitrine: ''Opernglas'' in der Ausstellung „zurückGESCHAUT“ in Berlin-Treptow. (Foto von 2020)]]
Die Auswahlkriterien für teilnehmende Personen waren entweder besondere Schönheit oder auch Hässlichkeit und körperliche Veränderung aufgrund kultureller Gepflogenheiten wie [[Tätowierung]]en, [[Skarifizierung]] oder beispielsweise spitz gefeilte Zähne. Ferner wurden Menschen engagiert, die langgestreckte Hälse (genannt „Giraffenhals-Frauen“) oder Lippenteller (genannt „Lippenneger“) hatten, aber auch extrem kleine und übergroße Persönlichkeiten. Diese Auswahl von Personen wurde unter dem Gesichtspunkt kolonialer Sichtweisen vorgenommen. Viele Völkerschau-Teilnehmer wurden von Abenteuererwartungen und Geldangeboten gelockt. Außerhalb von Deutschland kam es vereinzelt zu extremen Ereignissen, so wurde [[Sussy Dakaro]] entführt oder manche begingen aus Verzweiflung über ihre Lebensverhältnisse [[Suizid]] wie [[Ota Benga]]. Teilnehmer wurden unter unwürdigen Bedingungen gehalten, aber es gab auch Widerstand von Völkerschau-Teilnehmern gegen Behandlungen durch ihre Auftraggeber. Manche Völkerschauveranstalter schlossen Verträge, in denen die Verpflegung, Unterbringung, medizinische Versorgung und Gagen geregelt waren. Viele, die aus Abenteuerlust und [[Honorar|Gage]] gelockt worden waren, konnten allerdings nicht abschätzen, was ein Leben in unbekannten Ländern bedeutet, das bis zu zwei Jahren dauern konnte.
Vereinzelt sind Proteste der zur Schau gestellten Menschen überliefert. Auf der von Mai bis Oktober 1896 dauernden [[Berliner Kolonialausstellung]] im [[Treptower Park]] setzte der zur afrikanischen ''Völkerschau'' gehörende etwa zwanzigjährige ''Kwelle Ndumbe'' (auch ''Bismarck Bell'' genannt) ein sichtbares Zeichen des Protests, indem er mit einem Opernglas die Zuschauenden beobachtete und damit ihren Voyeurismus kritisieren wollte.<ref name="Kuban">Josephine Kuban: [https://visual-history.de/2021/06/28/wer-schaut-hier-wen-an/ ''Wer schaut hier wen an? Die Ausstellung „zurückGESCHAUT“ im Museum Treptow in Berlin.''] Online unter: Visual History, 28.&nbsp;Juni&nbsp;2021, abgerufen am 1.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref> Es gab auch viele zur Schau gestellten Menschen, die sich nicht vermessen ließen, von 103 Teilnehmern der Berliner Kolonialausstellung stimmten beispielsweise lediglich 83 zu und nur 31 ließen sich fotografieren.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;292.</ref> Vereinzelt traten die zur Schau gestellten Menschen in Streik, wie auf der 1899 in Wien stattfindenden sogenannten Bischari-Schau.<ref name="Scholl" />
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Aborigine.png| [[Sussy Dakaro]] (1884)
Ota Benga (American Museum of Natural History).jpeg| [[Ota Benga]] (1906)
Long Necked Karen, Myanmar (from a book Published in 1931) P.109.png|Frau aus Myanmar (1931)
Labrets - another view. Africa in the early 1940s.jpg|Schwarzafrikanerin mit Lippentellern (1940)
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Größere Völkerschauveranstalter hatten die Vorstellung, dass die Teilnehmer in einer Umgebung leben sollten, die ihrer Heimat entsprach, und errichteten derartige Bauten bis zur Größe von Dörfern auf dem Völkerschaugelände; es waren Kulissen-Dörfer. Es gab auch Völkerschauen, bei denen Wege durch die Kulissendörfer führten, die das Publikum durchwandern sollte. Dort sollten sie rund um die Uhr leben, ihre Mahlzeiten durchaus auch Programmpunkt vor Publikum zubereiten und auch einnehmen. Geklagt wurde über die Eintönigkeit des Essens und es gab Probleme bei der Zubereitung von Speisen, wenn religiöse Tabus gebrochen wurden. Die Völkerschau-Teilnehmer hatten auch ein zeitlich strenges und nach Vorgaben gestaltetes Programm zu absolvieren, das acht bis zehn Stunden dauerte, an Wochenenden länger. Abhängig von der Herkunftsregion hatten die Völkerschau-Teilnehmer Tanz, Musik und auch Darbietungen von Kampfszenen vorzuführen. Präsentationen wurden verschiedentlich auch nach einem dramatischen Ablauf gestaltet, der bis zum Happyend führen konnte.


=== Veranstalter ===
Auf Bildern von Völkerschauen sieht man durchaus Zäune, die aber mehr zum Schutz vor aufdringlichem Publikum aufgebaut worden waren und keineswegs zur Fluchtverhinderung von Völkerschau-Teilnehmern. Die erotische Anziehungskraft von Völkerschauteilnehmern ist in Briefen und Tagebüchern dokumentiert und es kam zu Liebesbeziehungen. Eine Beziehung von Männern zu Völkerschau-Teilnehmerinnen wurde akzeptiert, umgekehrt war dies zu jener Zeit allerdings ein „Skandal“.<ref name="hil" />
==== Impresarios ====
Der heute kaum noch geläufige Begriff [[Impresario]] bezeichnete bis ins 19. Jahrhunderte den Besitzer oder Leiter von Theatern und anderer Veranstaltungsformaten, so auch die Veranstalter der ''Völkerschauen''. Um 1870 nahm das [[Schausteller]]eiwesen und verschiedener Vergnügungsstätten in Europa einen enormen Aufschwung, worin auch die rasche Verbreitung und Popularisierung der ''Völkerschauen'' seit den 1870er Jahren begründet liegt.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;40&nbsp;ff.</ref> Nach [[Phineas Taylor Barnum]], der ab den 1840er Jahren in den USA das Format der ''Freak Shows'' etabliert hatte, war [[Carl Hagenbeck]] einer der einflussreichsten Impresarios, der das Format der ''Völkerschauen'' maßgeblich professionalisierte. Hagenbeck begann seine Karriere 1866 als Händler exotischer Tiere. Nach der Schau der Lappländer war für ihn klar, dass mit der Vorführung von Menschen aus entfernten Kulturen weitaus mehr zu verdienen war<ref name="Scholl" /> und ab 1879 wurden die ''Völkerschauen'' zu seiner Haupteinnahmequelle.<ref>Utz Anhalt: [https://edok01.tib.uni-hannover.de/edoks/e01dh07/524261350.pdf ''Tiere und Menschen als Exoten.''] Hannover 2007, S.&nbsp;327.</ref> Der Erfolg der meisten ''Völkerschauen'' lag also nicht vorrangig darin begründet, dass die Impresarios ein ideologisch-rassistisches Konzept oder Kolonialpropaganda vermitteln wollten, sondern in erster Linie an ihrem Profitstreben. Sie versuchten, die ''Völkerschauen'' so zu inszenieren, dass der Unterhaltungswert für das Publikum und somit die Einnahmen möglichst groß waren.<ref name="Dreesbach13" /> Zudem bemühte sich Hagenbeck um gute Kontakte zu Wissenschaftlern, die den Schauen einen seriösen Eindruck gaben und ihrerseits von der Untersuchungen und Vermessungen profitieren. Besonders engen Kontakt unterhielt er zum Anatom und Anthropologen [[Rudolf Virchow]].<ref>Gabi Eissenberger: ''Entführt, verspottet und gestorben.'' Frankfurt am Main 1996, S.&nbsp;45&nbsp;f.</ref>


Hagenbeck setzte auch auf die intensive Bewerbung der Schauen. Neben Plakatwerbung, Zeitungsannoncen und Rabattaktionen zog er mit den neu ankommenden ''Völkerschauen'' in großen Umzügen durch die Stadt, um dadurch ein großes Medienecho zu erzeugen. Wie wichtig die gute Vernetzung zur Presse war, machte bereits die ''Völkerschau'' der Lappländer 1875 deutlich. Die Schau war nur in Hamburg so erfolgreich, in Berlin aber, wo Hagenbeck noch nicht vernetzt war, waren die Besuchszahlen nur gering.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;127.</ref>
=== „Wissenschaftliche“ Studien ===
Für die Forscher der damaligen Wissenschaftsdisziplinen wie [[Anthropologie]], [[Ethnologie]], [[Anatomie]], Medizin und Urgeschichte bildeten die Völkerschau-Teilnehmer ein ideales Studienobjekt, denn Forscher konnten ihre Studien vor Ort durchführen und mussten nicht in ferne oder auch gefährliche Länder reisen. Es konnten [[Gipsabdruck|Gipsabdrücke]] von verschiedenen Körperteilen angefertigt, Gesänge und Sprachen aufgenommen, Fotodokumentationen und später auch Filmaufnahmen erstellt werden. Zum Vermessen wurden spezielle Gerätschaften entwickelt wie „Ohrenhöhenmesser“, „Tasterzirkel“ und weitere. Diese Praxis Untersuchungen an den Völkerschau-Teilnehmern vorzunehmen, fand beispielsweise bereits bei der ersten Völkerschau „Lappländer“ 1874/1875 von Hagenbeck durch die „Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte“ statt, dessen langjähriger Vorsitzenden [[Rudolf Virchow]] (1821–1902) war.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 280–283</ref> Für die Völkerschau-Veranstalter hatten die „wissenschaftlichen Studien“ mehrere Vorteile, denn die Forscher bestätigten die Authentizität der Schauen, und die sogenannte „Lustbarkeitssteuer“, die bis zu 40 Prozent der Bruttoeinnahmen betragen konnte, und eine Wandergewerbe-Anmeldung entfiel.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 285</ref>


Bekannte Impresarios aus anderen Länder waren beispielsweise [[Imre Kiralfy]] aus Großbritannien<ref name="MacKenzie" /> oder [[William Frederick Cody]] alias [[Buffalo Bill]] aus den USA, der mit seiner Wild West Show mit ''Cowboys und Indianern'' unter freiem Himmel ein eigenes Ausstellungskonzept entwickelte. Die Show wurde zuerst in den USA, 1887 in London und danach in ganz Europa gezeigt.<ref name="DreesbachEGO" />
Es gab auch viele Völkerschau-Teilnehmer, die sich nicht vermessen ließen, von 103 Teilnehmern der Berliner Kolonialausstellung stimmten beispielsweise lediglich 83 zu, nur 31 ließen sich fotografieren und alle 10 Frauen aus Togo ließen sich ebenfalls nicht vermessen.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 292</ref> Einzelne Impresarios gaben auch Extra-Vorstellung für Untersuchungen vor ganzen „wissenschaftlicher Gesellschaften“.<ref name="hil">Hilke Thode-Arosa: „Für fünfzig Pfennig um die Welt. Das Phänomen der Volkerschauen“. In: Hilke Thode-Arora (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. Hirmer Verlag 2014. ISBN 978-3-7774-2237-4. S. 79–85</ref>


==== Welt- und Kolonialausstellungen ====
=== Impresarios ===
Seit den 1850er Jahren wurden regionale oder nationale Industrieausstellungen sowie die größer konzipierten [[Weltausstellung]]en zu einem wichtigen Instrument der Industrienationen Europas, Amerikas und Japan zur Repräsentation ihrer wirtschaftlichen Stärke. Diese Schauen wurden Ende des 19. Jahrhunderts von den imperialistischen Mächten oft verknüpft mit Kolonialausstellungen, in die auch ''Völkerschauen'' integriert wurden. Koloniale Themen nahmen auf den Weltausstellungen immer größeren Raum ein, und „die Auftritte lebender Menschen [wurden] zur beliebtesten Attraktion“.<ref name="Rosenberg902" /> Während es im Deutschen Reich nur drei Kolonialausstellungen gab, in denen Menschen zur Schau gestellt wurden, waren in Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien, Belgien und Japan diese Form der ''Völkerschauen'' verbreiteter.
[[Datei:Ludwig.Ruhe.jpg|miniatur|hochkant|Ludwig Ruhe (um 1860/70)]]
Im 19. Jahrhundert entwickelten sich die Völkerschauen zu einem Unterhaltungsgeschäft, das durch [[Weltausstellung]]en und mit Darbietungen in Zirkussen und Schaubuden stattfand, und immer weiter professionalisiert wurde. In den 1880er Jahren mussten die Impresarios in Deutschland Besonderes bieten, um konkurrenzfähig zu sein. Die Auftritte fanden in [[Zoologischer Garten|Zoologischen Gärten]], Vergnügungsparks, Panoptik-Häusern, kleinen Theatern, verschiedentlich kleinen Theatern, Gaststätten mit Bühnen oder auch Schaubuden auf Jahrmärkten statt. Die Besucherzahlen stiegen an, eine im Jahr durchgeführte Völkerschau kostete im Jahr 1910 60.000 Reichsmark.<ref>Hilke Thode-Arosa: „Für fünfzig Pfennig um die Welt. Das Phänomen der Volkerschauen“. In: Hilke Thode-Arora (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. Hirmer Verlag 2014. ISBN 978-3-7774-2237-4. S. 79</ref> Die Gewinnspannen waren enorm, beispielsweise besuchten die etwa 6 Monate dauernde [[Berliner Kolonialausstellung]] zwei Millionen Personen, das sind bei einem Eintrittsgeld von 25 Pfennig je Personen eine Einnahme von 500.000 Reichsmark.


In den Kolonialschauen wurde vorrangig die Zivilisierung der Menschen in den Kolonien in Szene zu setzen versucht, beispielsweise bei der [[Louisiana Purchase Exposition|Weltausstellung 1904 in St. Louis]]. Dort wurden im „Philippinischen Reservat“ 1200 Menschen zur Schau gestellt und in Gruppen unterschiedlicher „Anpassungsstufen“ an die Kolonialmacht inszeniert: „Der koloniale Fortschritt wurde anhand der Weiterentwicklung der ‚primitiven‘ Völker demonstriert, die sich in gut gekleidete und disziplinierte Polizeitruppen verwandelten“.<ref name="Rosenberg902">Emily S. Rosenberg: ''Transnationale Strömungen in einer Welt, die zusammenrückt''. In: dies. (Hg.): C.H. Beck/Harvard UP: Geschichte der Welt, Bd. 5: 1870–1945. Weltmärkte und Weltkriege. C.H. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-64105-3, S.&nbsp;815–998, hier S.&nbsp;901&nbsp;f.</ref>
Die in der Zeit groß gewordenen [[Impresario]]s in Deutschland hatten unterschiedliche berufliche Hintergründe: Carl Hagenbeck, Ludwig Ruhe und Carl Reiche waren erfolgreiche Händler von außereuropäischen Großtieren, Ruhe und Reiche hatten ihre Wurzeln im [[Hausierer|hausierenden]] Vogelhandel. Die Brüder Fritz und Carl Marquardt entwickelten Samoa-Völkerschauen ohne konkreten beruflichen Hintergrund, sie nahmen die ihnen gebotenen Chancen durch Aufenthalte in [[Deutsch-Samoa]] wahr.<ref>Hilke Thode-Arosa: Die Brüder Fritz und Carl Marquardt. In: Hilke Thode-Arora (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. Hirmer Verlag 2014. ISBN 978-3-7774-2237-4. S. 47–57</ref> Carl Gabriel war ausgebildeter Mechaniker und Kunstschlosser und reiste im Zirkus seines Vaters mit, Willy Siebold hatte Ingenieurwesen studiert.


=== Zuschauende ===
Einige Völkerschau-Teilnehmer sind selbst Völkerschau-Unternehmer oder Impresarios geworden.<ref>Hilke Thode-Arosa: „Für fünfzig Pfennig um die Welt. Das Phänomen der Volkerschauen“. In: Hilke Thode-Arora (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. Hirmer Verlag 2014. ISBN 978-3-7774-2237-4. S. 82</ref>
Über das Verhalten der Besucherinnen und Besucher der ''Völkerschauen'' gibt es zahlreiche Überlieferungen. Bereits die erste ''Völkerschau'' von [[Carl Hagenbeck|Hagenbeck]] im Jahr 1875 erlebte einen großen Besucherandrang. Er notierte in seinen Erinnerungen: „Vom ersten Tage an war das Publikum geradezu enthusiasmiert […] Schon am frühen Morgen des Eröffnungstages begann das Zuströmen des Publikums, und trotz des großen Raumes, der zur Verfügung stand, nahm das Gedränge geradezu beängstigende Formen an“,<ref>Carl Hagenbeck: ''Von Tieren und Menschen''. Berlin 1908, S.&nbsp;83, zitiert nach: Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;44.</ref> so dass die Polizei einschreiten musste.<ref>Caroline Schmidt-Gross: ''Tropenzauber um die Ecke: Völkerschauen bei Hagenbeck''. Hamburg 2012, S.&nbsp;172.</ref>


Für die Erklärung des Besucherandrangs gibt es verschiedene Ansätze wie ein „grenzenloser Voyeurismus“.<ref name="Tribelhorn" /> Dabei spielte in den ansonsten prüden Gesellschaften des ausgehenden Jahrhunderts die Inszenierung halbnackter oder in Einzelfällen auch nackter Menschen eine große Rolle. Klischees über die „sexuelle Verfügbarkeit schwarzer Frauen und Virilität schwarzer Männer“ waren weit verbreitet.<ref>Peter Plener: ''Völkerschauen in Österreich−Ungarn.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;306.</ref> Dominika Czarnecka hob in ihrem Zeitschriftenartikel ''Black Female Bodies and the ‚White‘ View'' von 2020 die Sexualisierung der Körper Schwarzer Frauen als maßgeblichen Faktor für den Besucherandrang der ''Völkerschauen'' hervor.<ref>Dominika Czarnecka: ''Black Female Bodies and the "White" View''. In: East Central Europe, Jg. 47, 9.&nbsp;November&nbsp;2020, S.&nbsp;285–312.</ref> Die Masse der Zuschauenden ist in verschiedenen Fällen auch übergriffig geworden. „Die dunklere Haut musste berührt und geprüft werden; erotisches Begehren überschritt Grenzen.“<ref name="Scholl" /> Aus Paris ist überliefert, dass die Zuschauenden die ausgestellten Menschen mit Nahrungsmitteln und anderem bewarfen.<ref name="Bacel" />
;Carl Hagenbeck
[[Datei:Friedländer.plakat.7.jpg|mini|Plakat von [[Adolph Friedländer]] für eine Lappen-Völkerschau bei Carl Hagenbeck, 1893/94]]
Im Jahr 1874 eröffnete [[Carl Hagenbeck]] eine erste Völkerschau mit Lappländern nach der Idee des befreundeten [[Tiermalerei|Tiermalers]] [[Heinrich Leutemann]] (1824–1905).<ref>Carl Hagenbeck: ''Von Tieren und Menschen.'' Leipzig 1967, S. 66 ([http://www.zeno.org/Naturwissenschaften/M/Hagenbeck,+Carl/Von+Tieren+und+Menschen/3.+V%C3%B6lkerschauen+von+der+Arktis+bis+zum+Feuerland Online] bei Zeno.org).</ref><ref>{{Internetquelle | url=https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kalenderblatt/voelkerausstellung-tierpark-hagenbeck100.html | titel=Erste Völkerausstellung bei Hagenbeck | autor= Susanne Tölke | werk=BR.de | datum=2010-03-11 | abruf=2020-09-08}}</ref><ref>Abweichend 1875: Die erwähnte Rentierherde traf um den 12. September 1875 bei der Handels-Menagerie am Neuen Pferdemarkt 18 ein. Dies läßt sich durch eine Anzeige in den ''Hamburger Nachrichten'' am 12. September 1875, S. 12 mit dem Titel „Ankunft einer großen Heerde Rennthiere in Begleitung einer Lappländer-Familie bestehend aus 6 Personen“ belegen. Nach ca. 14 Tagen reiste die Herde weiter nach Berlin, anschließend nach Leipzig.</ref> Während des Aufenthalts in Hagenbecks Ausstellungsgelände konnten Besucher den Lappländern bei ihrem alltäglichen Leben zusehen. Hagenbecks Schau feierte große Erfolge.<ref>[[Haug von Kuenheim]]: ''Carl Hagenbeck''. Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2007, S. 96–98.</ref> Die kleine Lappländerschau wanderte von Hamburg aus weiter nach Berlin. Anschließend reiste sie nach Leipzig. Um die Ausstellungen aus dem Umfeld von Schaubuden und Vergnügungslokalitäten zu lösen, versuchte man von nun an seriöse Ausstellungsorte zu finden, damit die Schauen auch vom Bürgertum respektiert wurden.


==== Kritik an den ''Völkerschauen'' ====
Nach dem unerwarteten großen Erfolg der ersten Völkerschau Carl Hagenbecks plante dieser schnell weitere. Mithilfe seiner Verbindungen zu Tierfängern auf der ganzen Welt brachte er 1876 drei [[Nubier]] nach Europa und gleich darauf eine Inuitfamilie aus Grönland. 1883 und 1884 veranstaltete er eine [[Kalmücken]]- und eine [[Singhalesen]]- bzw. Ceylonschau. Mit der Eröffnung seines [[Tierpark Hagenbeck|Tierparks]] in Stellingen 1907 vor den Toren Hamburgs stand Carl Hagenbeck ein eigenes Ausstellungsgelände zur Verfügung, wo [[Somali (Ethnie)|Somalier]], [[Äthiopier]] und [[Beduinen]] auftraten.
Nach [[Anne Dreesbach]] gab es während der Hochphase der ''Völkerschauen'' eine „fast durchweg positive Reaktion“ der Zuschauenden: „Einer kleinen Zahl von kritischen, ablehnenden oder auch nur hinterfragenden Stimmen stehen Tausende und Abertausende von begeisterten Zuschauern gegenüber“.<ref name="Dreesbach11">Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;11&nbsp;f.</ref> Auch Nicolas Bancel, Pascal Blanchard und Sandrine Lemaire stellten in ihrem Artikel von 2000 in der ''[[Le Monde diplomatique]]'' fest: „Am erstaunlichsten war bei dieser rücksichtslosen Animalisierung gewiss die Reaktion des Publikums. In all den Jahren mit tagtäglichen Ausstellungen empörte sich kaum ein Journalist, Politiker oder Wissenschaftler über die vielfach katastrophalen sanitären Bedingungen, unter denen die ‚Eingeborenen‘ auf engem Raum zusammengepfercht waren.“<ref name="Bacel" />


Aus der Zeit, in der die ''Völkerschauen'' abgehalten wurden, gibt es nur punktuell überlieferte Kritik. Bereits 1872 wurde von der Münchener Polizeidirektion die Ausstellung eines „Indianers“ auf dem [[Oktoberfest]] untersagt, weil „derartige Schaustellungen […] der [[Menschenwürde]] zuwiderlaufen“.<ref>[https://books.google.de/books?id=AD9UAAAAcAAJ&hl=de&pg=PA204 ''Münchener Gemeinde-Zeitung''], Jg. 1 (1872), Nr. 27 vom 4. Juli 1872, S. 204.</ref> In Wien kritisierte der Schriftsteller [[Peter Altenberg]] 1887 „die kommerzielle Vermarktung, die moralische Zulässigkeit der Schaustellungen, hinterfragte die Brauchtumsvorführungen, erkannte in den Tanzszenen einstudierte Nummern, und brandmarkte das Dorf als Herabwürdigung einer fremden Kultur.“<ref name="Hager" /> Als 1892 eine Darstellerin der Varieté-Schau „Amazonen aus Dahomey“ starb, wurde ihr Tod in einer Zeitung [[Münchener Post]] als Folge von „Geldmacherei“ in ''Völkerschauen'' kritisiert. Anlässlich ihrer Beisetzung kam es zu Tumulten.<ref>Marco Wedig: [https://www.sueddeutsche.de/muenchen/grosser-andrang-abschied-von-cula-1.3746431 ''So rassistisch waren Völkerschauen in München'']. Online unter: [[Süddeutsche Zeitung]]: 13.&nbsp;November&nbsp;2017, abgerufen am 10.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref> Bei der [[Weltausstellung Brüssel 1897|Weltausstellung]] 1897 in der Nähe von Brüssel starben 70 der Kongolesen an Lungenentzündung. Als sich die Bevölkerung eines nahegelegenen Dorfes verweigerte, sie auf dem dortigen Friedhof zu beerdigen, kam es zum Skandal und es fanden für mehrere Jahre keine ''Völkerschauen'' mehr in Belgien statt.<ref name="Jacquemin348" /> In Japan löste die erste Zurschaustellung zur Schau gestellter Menschen aus den japanischen Kolonien 1903 in Osaka große Proteste aus.<ref name="Nanta330" /> Und anlässlich einer großen Indienschau 1926 im Berliner Zoo protestierte der „Verein der Inder in Zentral-Europa“. Auf der Ausstellung werde der Anschein erweckt, „das ganze indische Volk befinde sich auf dem Niveau von Tieren“, protestierten die Inder in einem Brief an die Reichskanzlei.<ref name="Bienert">Michael Bienert: [https://www.tagesspiegel.de/kultur/so-wird-die-geschichte-kolonialer-volkerschauen-aufgearbeitet-4188388.html ''Blinder Fleck der Erinnerungskultur: So wird die Geschichte kolonialer Völkerschauen aufgearbeitet''] In: [[Tagesspiegel]], 10.&nbsp;August&nbsp;2020, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref>
;Weitere Impresarios
Hagenbecks Völkerschauen fanden bald Nachahmer, die zu der Zeit Eduard Gehring, [[Carl Marquardt|Carl]], [[Fritz Marquardt (Schausteller)|Fritz]] und Gustav Marquardt, Willy Möller, [[Willy Siebold|Friedrich Wilhelm Siebold]], die Firmen [[Ruhe KG|Ruhe und Reiche]] sowie [[Carl Gabriel]] waren.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 53</ref>


=== Wissenschaftliche Legitimierung ===
Die Firmen von Ludwig Ruhe und Carl und Heinrich Reiche waren die größten Konkurrenten Hagenbecks. Beide waren ansässig in Niedersachsen und wetteiferten mit Hagenbeck unter anderem durch [[Nubier]]- und [[Irokesen]]-Schauen, „Wild-Afrika“ (1926) und die „Riesenpolarschau“ (1930).
Forschende verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, besonders der physischen [[Anthropologie]] und der [[Anatomie]] nutzten die zur Schau gestellten Menschen auch als Forschungsobjekte. Im Interesse der Forschung standen akribische Vermessungen und die Untersuchung „der Hautfarbe, der Haare, Augen bis hin zu den Zehennägeln“<ref name="Hager" />, außerdem auch die Anfertigung von Gipsabdrücken unter anderem auch von Sexualorganen.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;280–285.</ref> Verstorbene Menschen wurden auch seziert, und ihre Leichname bzw. Skelette blieben oftmals im Besitz der Forschungsinstitute. Großes Interesse galt dabei den Schädeln sowie präparierten, also in Spiritus eingelegten Körperteilen. Der Münchner Anatom [[Theodor von Bischoff]] etwa spezialisierte sich etwa auf weibliche Geschlechtsorgane, die er sich beispielsweise 1882 von den in Zürich verstorbenen [[Kawesqar]] zusenden ließ.<ref>Gabi Eissenberger: ''Entführt, verspottet und gestorben.'' Frankfurt am Main 1996, S.&nbsp;163.</ref>


Wissenschaftler und Impresarios profitieren gegenseitig von der Zusammenarbeit. Die ''Völkerschauen'' nutzen der Wissenschaft insbesondere, weil statt aufwändiger und gefährlicher Reisen die Forschungen direkt vor Ort durchgeführt werden konnten. Hagenbeck verstand es im Gegenzug, durch die intensive Zusammenarbeit besonders mit der 1869 gegründeten [[Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte]] den Schauen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Deren Vorsitzender und bekannte Anatom [[Rudolf Virchow]] (1821–1902) regte seinerseits die Untersuchung der zur Schau gestellten Menschen an. Die Wissenschaftler erhofften sich „Erkenntnisse über die Menschheitsgeschichte, da sie annahmen, dass ‚Naturvölker‘ einer niedrigeren Entwicklungsstufe angehörten als ‚Kulturvölker‘ und somit den von Charles Darwin (1809–1882) gesuchten Missing Link zwischen Affe und Mensch darstellen könnten.“<ref name="DreesbachEGO" />
Carl Gabriel war selten überregional, sondern meist nur in München auf dem Oktoberfest tätig. Er besaß ein Wachsfigurenkabinett, ein Lichtspieltheater und später ein Kino. Mit seinen „Riesen-Schauen“, die oft über einhundert ausgestellte Menschen zeigten, lockte er viele Besucher auf das [[Oktoberfest]] und machte es so zu einem mehrfachen „Exoten-Schauplatz“.


Die Impresarios brachten die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft direkten finanziellen Vorteil ein, da bei einer ''Völkerschau'' mit nachweislichem Bildungscharakter die Erlassung der [[Vergnügungsteuer (Deutschland)|Lustbarkeitssteuer]] von bis zu vierzig Prozent der Bruttoeinnahmen beantragt werden konnte. Nach 1900 nahm das wissenschaftliche Interesse an der Untersuchung der zur Schau gestellten Menschen ab.<ref name="DreesbachEGO" />
Aus Völkerschauen in [[Freiburg im Breisgau]] und [[Basel]] entwickelte [[Karl Küchlin]] die Programme seines [[Varieté]]-Theaters.


=== Völkerschauende in Deutschland ===
=== Ende der ''Völkerschauen'' ===
Das Ende der ''Völkerschauen'' in den verschiedenen Ländern, in denen sie gezeigt wurden, fällt zumeist in die 1930er Jahre. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Format insbesondere durch den Film immer weiter verdrängt, der in der Darstellung des „Fremden“ und „Exotischen“ in den 1950er und 1960er übrigens dieselben Klischees bediente wie zuvor die ''Völkerschauen''. Der [[Tierpark Hagenbeck]], der seit Anfang der 1930er Jahre keine ''Völkerschauen'' mehr zeigte, profitierte dabei vom Film, denn die Kulissen der ''Völkerschauen'' wurden jetzt als Filmset vermietet.<ref name="Scholl" /> Auch der aufkommende Ferntourismus der 1950er Jahre trug zum Ende der Schauen bei.<ref name="Dreesbach13">Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;13&nbsp;ff.</ref> Hinzu kam eine veränderte Haltung der europäischen Gesellschaften in den 1950er und 1960er Jahren, die aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs resultierte und zugleich mit dem Zerfall der europäischen Kolonialreiche und mit den Unabhängigkeitsbestrebungen der überseeischen Völker verbunden war.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;316&nbsp;f.</ref>
In den 1930er Jahren begann das Interesse an Völkerschauen und auch das „wissenschaftliche Interesse“, das mit überaus fragwürdigen Methoden Forschung betrieb, an „exotischen“ Menschen zu schwinden. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. In der Wissenschaft trat an die Stelle der Forschung daheim die [[Feldforschung]], bei der das Verhalten der Menschen in ihrer Umwelt untersucht wurde. Das Interesse der [[NSDAP]] an Völkerschauen war zunächst gering. Das [[Auswärtiges Amt|Auswärtige Amt]] genehmigte in den späten 1930er Jahren die sogenannte „[[Deutsche Afrika-Schau|Afrikaschau]]“ nur unter dem Vorbehalt, dass „Unzuverträglichkeiten gegenüber der Öffentlichkeit“ ausgeschlossen seien. Die Afrikaschau kam bei der Bevölkerung gut an und die [[Nationalsozialismus|Nationalsozialisten]] kamen auf die Idee John Hagenbeck daran zu beteiligen und so tourte diese Veranstaltung von 1935 bis 1940 durch Deutschland. 1939 wurde eine „Kamerunschau“ ohne Hagenbeck veranstaltet, zu einer weiteren derartigen Veranstaltung kam es nicht, denn das Auswärtige Amt war der Auffassung, dass diese „Art der Kolonialpropaganda […] in breiten Schichten des deutschen Volkes einer berechtigten Verständnislosigkeit begegnet“. Auch wenn 1940 jegliche Völkerschauen verboten wurden, war die Haltung hierzu in der NSDAP nicht einheitlich. Die Nationalsozialisten sahen und befürchteten in den Völkerschauen vor allem eine „Rassenmischung“. Kolonialprogaganda war ihnen zwar wichtig, aber nicht in der Form von Völkerschauen und diese Propaganda sollte durch Vorträge, Lichtbildervorträge und Schulungen erfolgen.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 306 bis 316</ref>


Auch wenn in den 1950er Jahren beispielsweise auf dem Oktoberfest in München die ''Völkerschauen'' wiederzubeleben versucht wurden, war das Interesse und der kommerzielle Erfolg nur noch gering. Die letzte große Zurschaustellung indigener Menschen fand 1958 auf der [[Expo 58|Weltausstellung]] in [[Brüssel]] statt, auf der ein [[Belgisch Kongo|„kongolesisches]] Dorf“ errichtet wurde.<ref name="Heinz">Joachim Heinz: [https://www.domradio.de/artikel/der-tod-im-museumsdorf-belgisches-afrikamuseum-zeigt-sonderschau-ueber-menschenzoos ''Der Tod im Museumsdorf'']. Online unter: [[Domradio]], 4.&nbsp;Januar&nbsp;2022, abgerufen am 4.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref> Kleinere Schauen sind gelegentlich bis die 1960er Jahre überliefert, beispielsweise in Zürich.<ref name="Brändle160" />
Das Ende der Völkerschauen schreibt [[Anne Dreesbach]], die Autorin des Buches ''Gezähmte Wilde'', nicht allein den Nationalsozialisten zu, sondern sieht einen wesentlichen Faktor in der aufkommenden Filmindustrie, die seit den 1920er Jahren zu einem Massenphänomen geworden war. Filme erzielten nicht nur eine größere Wirkung, sondern waren auch einfacher zu realisieren.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 314/315</ref>


== ''Völkerschauen'' nach Ländern und Städten ==
Als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den 1950er Jahren auf dem Oktoberfest in München die Völkerschauen wiederbelebt wurden und mehrere Völkerschauen an verschiedenen Orten bis 1959 in der Bundesrepublik stattfanden, war das „Zeitalter der Völkerschauen“ vorbei,<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 306/307</ref> wesentlich verursacht durch den beginnenden Ferntourismus.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 316</ref> Hinzu kam die Haltung der europäischen Gesellschaften in den 1950er und 1960er Jahren, die aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs resultierte, mit dem Zerfall der europäischen Kolonialreiche und mit den Unabhängigkeitsbestrebungen der überseeischen Völker verbunden war.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' S. 318</ref>
=== Deutsches Reich ===
Im [[Deutsches Reich|Deutschen Reich]] wurden seit der ersten ''Völkerschau'' der ''Lappländer'' 1875 bis 1940 etwa 400 Gruppen bei ''Völkerschauen'' gezeigt, die häufig auf Tournee durch mehrere Städte geschickt wurden.<ref name="DreesbachEGO" /> Einige dieser Schauen wurden täglich von mehreren Zehntausend Besuchern gesehen, und an einzelnen Standorten erreichten die Schauen, die dort jeweils meist für einige Wochen gastierten, Besucherzahlen von über einer Million Menschen.<ref name="Dreesbach79">Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;79.</ref> Fast alle der etwa 400 Schauen waren von Impresarios als kommerzielle Veranstaltungen geplant. Unter den etwa 50 Kolonialausstellungen, die zwischen 1896 und 1940 im Deutschen Reich gezeigt wurden, gab es nur drei mit einer ''Völkerschau'', nämlich die [[Berliner Gewerbeausstellung]] 1896, in deren Rahmen auch die [[Berliner Kolonialausstellung]] im Treptower Park zu sehen war, die Kolonialausstellung 1928 in Stuttgart sowie die zwischen 1935 und 1940 gezeigte [[Deutsche Afrika-Schau]]. Die wichtigsten Veranstaltungsorte im Deutschen Reich waren Berlin und Hamburg,<ref name="Dreesbach13" /> außerdem unter anderem auch München, Köln, Leipzig oder Dresden.


;Berlin
== Österreich ==
Der [[Zoologischer Garten Berlin|Berliner Zoo]] war anfangs die wichtigste Station auf Hagenbecks Tourneen, wo nach seinen Angaben täglich bis zu 100.000 Besucher zu den ''Völkerschauen'' kamen.<ref name="Bienert22" /> Insgesamt fanden im Berliner Zoo 25 ''Völkerschauen'' statt.<ref>Anja Sokolow: [https://www.maz-online.de/brandenburg/die-dunklen-seiten-des-berliner-zoos-CFYPHBVFAPZOWTRLBKX5G54XSE.html ''Die dunklen Seiten des Berliner Zoos.''] Online unter: [[Märkische Allgemeine]], 1.&nbsp;Dezember&nbsp;2016, abgerufen am 18.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref> Auf der [[Berliner Kolonialausstellung]] 1896 im [[Treptower Park]] wurden mehr als hundert Menschen aus den deutschen Kolonien in Afrika fünfeinhalb Monate im „Togodorf“ und „Kamerundorf“ am [[Karpfenteich (Berlin)|Karpfenteich]] zur Schau gestellt,<ref>Ursula Trüper: [https://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/namibia/stadtspaziergang/treptow.htm ''Afrika in Berlin – Die Deutsche Colonial-Ausstellung 1896 im Treptower Park'']. Online unter: [[Deutsches Historisches Museum|DHM]], ohne Datum, abgerufen am 25.&nbsp;Januar&nbsp;2024.</ref> die etwa 2 Millionen Besucher zählten. Auf einem Palisadenzaun rund um die Hütten waren Attrappen von Menschenköpfen aufgespießt.<ref name="Bienert22">Michael Bienert: [http://www.text-der-stadt.de/Kolonialausstellung_Treptow_1896.html ''Schwarzer Stolz im Treptower Park'']. Online unter: Text der Stadt.de, ohne Datum, abgerufen am 31.&nbsp;Januar&nbsp;2024.</ref>
In Österreich gilt die im Jahr 1825 in Wien in einem Cafe vorgestellte [[Inuit]]-Familie als erste Zurschaustellungen von „exotischen“ Menschen. Die „Nubierkarawane“ war die erste Völkerschau in Österreich, die der deutsche Völkerschau-Unternehmer Carl Hagenbeck im Jahr 1878 in der Rotunde im [[Wiener Prater|Prater]] aufführte. Es war die in weiteren Ländern bereits gezeigte „Nubierkarawane“. In den Jahren 1886, 1887 und 1897 gab es mit dem Thema „Aschantidorf“ weitere Völkerschauen, die im Zoo am Schüttel in Wien stattfanden, des Weiteren fanden in Schönbrunn Völkerschauen statt.<ref>Völkers Hager:
[https://www.wienerzeitung.at/_wzo_daten/media/Storytelling/prater/menschenzoos.html Nackt müsst ihr sein natürlich], ohne Datum, abgerufen am 7. April 2022. In: [[Wiener Zeitung]]</ref> 1885 kam die „Singhalesen-Karawane“ nach Wien, wiederum veranstaltet von Hagenbeck; eine Zurschaustellung der „Bischari“ erfolgte 1888.<ref name="sab">Sabine Scholl: [https://www.derstandard.at/story/2000112892336/vorgefuehrt-und-ausgestellt-im-menschenzoo Vorgeführt und ausgestellt im Menschenzoo], vom 3. Januar 2020. In: [[Der Standard]]</ref>


;Hamburg
=== Völkerschauende in Österreich ===
[[Carl Hagenbeck]] begann mit den ''Völkerschauen'' im 1874 eröffneten „Hagenbecks Thierpark“ am Neuen Pferdemarkt. Insgesamt fanden etwa 60 ''Völkerschauen'' in Hamburg statt.<ref name="Goldner" /> Nachdem in den 1890er Jahren die ''Völkerschauen'' in vielen Städten des Deutschen Reiches immer weniger Umsätze einbrachten, konnte Hagenbeck 1908 durch die Gründung des [[Tierpark Hagenbeck|Tierparks in Hamburg-Stellingen]] neue und immer größere und aufwändigere Formate der ''Völkerschauen'' entwickeln.<ref>Hilke Thode-Arora: ''Für fünfzig Pfennig um die Welt.'' Frankfurt am Main 1989, S.&nbsp;34–39.</ref>
Es wird vermutet, dass das Interesse an Völkerschauen in Österreich erlosch, da Österreich in seiner Geschichte [[Österreichische Kolonialgeschichte|kaum Kolonien]] besaß. Zudem wird angenommen, die Besucher erkannten, dass die Völkerschau-Teilnehmer nicht ihr wahres heimatliches Leben in ihren Vorführungen darstellten. Spätere Präsentationen fanden nicht mehr hinter Zäunen statt, sondern die Kulissen-Dörfer waren offen und boten Waren aus den jeweiligen Ländern zum Kauf an.<ref name="sab" /> Der Wiener Historiker Werner Michael Schwarz vertritt die These, dass die „Buffalo Bills Wild West“-Show in Österreich im Jahr 1906 wesentlich dazu betrug die Zurschaustellung anderer Völker in Wien als Massengeschäft durch diese Show mit „Spektakel“ und „Gaudium“ abzulösen.<ref>[https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20020806_OTS0032/buch-ueber-wiener-voelkerschauen-erschienen Buch über Wiener "Völkerschauen" erschienen], ohne Datum, abgerufen am 7. April 2022</ref>


;München
== Schweiz ==
In München fanden die meisten ''Völkerschauen'' im Rahmen des [[Oktoberfest]]es statt, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass der [[Tierpark Hellabrunn]] erst 1911 gegründet wurde.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;82.</ref> In München dominierte [[Carl Gabriel]] ab den 1890er Jahren das dortige Schaustellergewerbe und auch die Zurschaustellung von Menschen. [[Willy Siebold|Friedrich Wilhelm Siebold]] veranstaltete zwischen 1930 und 1932 mehrere „Lippenneger“-Schauen auf dem Münchner Oktoberfest.<ref name="Dreesbach50" /> Die letzte Ausstellung auf dem Münchner Oktoberfest vor dem Zweiten Weltkrieg war 1931 ''Kanaken der Südsee'' von Hagenbeck.<ref name="DreesbachEGO" />
In der Schweiz fanden Völkerschauen ab den 1870er Jahren verbreitet statt, so gab es 1885 „[[Carl Hagenbeck]]s anthropologische-zoologische Singhalesen-Ausstellung“; am ersten Wochenende wurden 10.000 Eintrittskarten verkauft. Auf der [[Schweizerische Landesausstellung|Schweizerischen Landesausstellung]] im Sommer 1896 in [[Genf]] war neben einem ''Village suisse'' ein ''Village noir'' mit 230 Sudanesen zu sehen.


;Köln
Vier [[Kawesqar]] aus [[Chile|Südchile]], die 1881 nach Europa verschleppt und dann in verschiedenen Ländern vorgeführt wurden, verstarben in Zürich, als sie im Februar 1882 im „Platte-Theater“ in [[Fluntern]] gezeigt wurden. Eine weitere Angehörige der Gruppe war schon auf der Reise nach Zürich gestorben. Schlechte Unterkünfte, strapaziöse Reisen und mangelhafte Ernährung führten zu Krankheiten. Von den elf Kawesqar kehrten nur vier lebend nach Chile zurück. Überreste der fünf Toten, die im Anthropologischen Institut der [[Universität Zürich|Universität]] gelagert wurden, wurden 2010 in Chile beerdigt.<ref>{{Internetquelle |autor=Sascha Renner |url=http://www.news.uzh.ch/de/articles/2010/das-ende-einer-129-jahre-langen-reise.html |titel=Das Ende einer 129 Jahre langen Reise |werk=Universität Zürich |datum=2010-12-01 |abruf=2023-07-22}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Giorgio Scherrer |Titel=Ein Indigener aus Chile sucht in Zürich Versöhnung |Sammelwerk=Neue Zürcher Zeitung |Nummer=167 |Datum=2023-07-21 |Seiten=12 f |Online=https://www.nzz.ch/zuerich/voelkerschauen-seine-vorfahren-wurden-in-zuerich-wie-tiere-ausgestellt-er-sucht-versoehnung-ld.1747864 |Abruf=2023-07-22}}</ref>
Zwischen 1878 und 1932 fanden im [[Kölner Zoo]] im Stadtteil [[Riehl (Köln)|Riehl]] sieben ''Völkerschauen'' statt. [[Marianne Bechhaus-Gerst]] erklärt die vergleichsweise geringe Zahl unter anderem mit der Konkurrenz der zahlreicheren ''Freak Shows'', die in unmittelbarer Nähe des Zoos aufgeführt wurden.<ref name="Bechhaus 149" /> Am Standort der heutigen [[Zoobrücke]] befand sich seinerzeit die sogenannte „Goldene Ecke“ Kölns mit einem ausgedehnten Vergnügungspark, wo beispielsweise die ''Amazonen von Dahomey'' öfters Station machten. Die letzte ''Völkerschau'' im Kölner Zoo war 1931 die Schau der Frauen mit [[Lippenteller]]n, die zuvor in Hamburg, Berlin und München Station gemacht hatte.<ref>Marianne Bechhaus-Gerst: ''Inszenierte Exotik – Völkerschauen in Köln''. Köln, Weimar, Wien 2013, S.&nbsp;151&nbsp;f.</ref>


;Leipzig
Neben anderen Anlässen wurde beispielsweise im Sommer 1925 in [[Altstetten]] zur „Volksbelustigung“ eine Siedlung errichtet, in der 74 Menschen aus Westafrika lebten. 1930 baute der [[Zoo Zürich]] auf der Flamingowiese ein „Senegalesendorf“.
Im [[Zoo Leipzig|Leipziger Zoo]] fanden zwischen 1876 und 1931 40 ''Völkerschauen'' statt, bei denen insgesamt etwa 750 Personen zur Schau gestellt wurden. Anfangs gastierte Carl Hagenbeck mit seinen Schauen im Leipziger Zoo, ab 1888 organisierte der Leipziger Zoodirektor [[Ernst Pinkert|Ernst Wilhelm Pinkert]] eigene Schauen, die er ebenfalls auf Tournee schickte.<ref>[https://leipzig-postkolonial.de/themen/zoo-leipzig/ ''Zoo Leipzig'']. Online unter: Leipzig Postkolonial, ohne Datum, abgerufen am 18.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref> Eine kritische Auseinandersetzung mit den ''Völkerschauen'' und der Rolle Pinkerts und seines Nachfolgers [[Johannes Gebbing]] hat in Leipzig bisher kaum stattgefunden.<ref name="Goldner" /> Auf der [[Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung Leipzig 1897]] wurde ein „Eingeborenendorf“ gezeigt.


;Dresden
Der [[Circus Knie]] führte auf dem [[Sechseläutenplatz]] in [[Zürich]] bis 1964 Völkerschauen durch. 1955 lautete ein Plakat: {{" |Text=Afrika ruft, Sitten- und Völkerschau. Neger aus dem Sudan. Sechs Männer, drei Frauen, zwei Kinder.}} Im Allgemeinen gingen Besucher nicht aus Sensationslust zu solchen Schauen, sondern aus Interesse an der Kultur der Völker.<ref>[http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Ein-Negerdoerfli-in-Altstetten/story/19787643 tagesanzeiger.ch]</ref><ref>[https://www.nzz.ch/zuerich/menschenzoos-1.18209716 nzz.ch]</ref>
Auch der Dresdner Zoo war seit den 1870er-Jahren ein wichtiger Veranstaltungsort der ''Völkerschauen''. Das dortige Stadtmuseum konnte 65 solcher Veranstaltungen zwischen 1878 und 1934 nachweisen.<ref name="ZooDresden">[https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/dresden/dresden-radebeul/menschenanschauen-ausstellung-stadtmuseum-kultur-news-100.html#Ausstellung ''Ausstellung in Dresden: "Völkerschauen" und ihre Nachwirkungen''] In: [[Mitteldeutscher Rundfunk|MDR]], ohne Datum, abgerufen am 18.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref>


;Freiburg
Für das Ende der Völkerschauen in der Schweiz wird festgehalten, dass man Menschen nicht in einem Zoo ausstellen sollte.<ref>Mathias Küng: [https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/menschenzoo-war-im-19-jahrhundert-auch-im-aargau-publikumsrenner-ld.1826673 „Menschenzoo“ war im 19. Jahrhundert auch im Aargau Publikumsrenner], vom 23. März 2014. In: Aargauer Zeitung</ref>
In Freiburg fanden zwischen 1885 und 1914 vier Völkerschauen statt.<ref name="Armbruster" />


;Weitere Impresarios aus Deutschland
== Kritik ==
Hagenbecks ''Völkerschauen'' fanden im Deutschen Reich rasch verschiedene Nachahmer. Bedeutende [[Impresario]]s waren Eduard Gehring, [[Carl Marquardt|Carl]], [[Fritz Marquardt (Schausteller)|Fritz]] und Gustav Marquardt, Willy Möller, [[Willy Siebold|Friedrich Wilhelm Siebold]], die Firmen [[Ruhe KG|Ruhe und Reiche]] sowie [[Carl Gabriel]].<ref name="Dreesbach50" /> Die Brüder Fritz und Carl Marquardt hielten sich selbst lange in [[Deutsch-Samoa]] auf und begannen von dort mit der Anwerbung indigener Menschen.<ref>Hilke Thode-Arosa: ''Die Brüder Fritz und Carl Marquardt''. München 2014, S.&nbsp;47–57.</ref>
In der Zeit, in der die Völkerschauen abgehalten wurden, gab es wenig Kritik daran. Seit dem 21. Jahrhundert wurde der Begriff ''Völkerschau'' hinterfragt und auch der Begriff ''Menschenzoo'' verwendet.
;Ab 1872
1872 wurde von der Münchener Polizeidirektion die Ausstellung eines Indianers auf dem [[Oktoberfest]] untersagt, weil „derartige Schaustellungen … der [[Menschenwürde]] zuwiderlaufen“.<ref>''Münchener Gemeinde-Zeitung'', 1 (1872), Nr. 27 vom 4. Juli 1872, S. 204 ([https://books.google.de/books?id=AD9UAAAAcAAJ&hl=de&pg=PA204 Google-Books]).</ref> Kritik kam auch aus den Reihen der [[Deutsche Kolonialgesellschaft|Deutschen Kolonialgesellschaft]], deren Vorstandsmitglied [[Franz Strauch]] 1900 in einer Denkschrift den Veranstaltern die rein kommerzielle Ausrichtung vorwarf und deren schädlichen Einfluss thematisierte.<ref>Deutsche Kolonialzeitung 1900, Nr. 44–46, S. 500, 511 und 520</ref> Der „Verein der Inder in Zentral-Europa“ protestierte 1920 in einem Schreiben an den Reichskanzler gegen die Indische Völkerschau in Berlin, denn diese erwecke den Anschein, „das ganze indische Volk befinde sich auf dem Niveau von Tieren“, und er merkte an, würden Deutsche so in Indien ausgestellt, würde die deutsche Regierung dagegen vorgehen.<ref>[https://www.tagesspiegel.de/kultur/blinder-fleck-der-erinnerungskultur-so-wird-die-geschichte-kolonialer-voelkerschauen-aufgearbeitet/26079178.html So wird die Geschichte kolonialer Völkerschauen aufgearbeitet], vom 20. August 2020. In: Tagesspiegel</ref> In Hagenbecks Tierpark fand eine Völkerschau statt, in der eine Gruppe von etwa 100 Menschen aus Fidschi als die „letzten Kannibalen der Südsee“ angekündigt wurde. Die Gruppe von 100 Personen war 1931 zuerst in Frankreich aufgetreten, und im Verlauf ihrer Zurschaustellungen in Hamburg beschwerte sie sich in Briefen beim für sie zuständigen französischen Kolonialminister: „Selbst bei Regen müssten sie barfuß und nahezu unbekleidet viele Stunden am Tag tanzen“, sie wollten abreisen. Als der Skandal in Frankreich öffentlich wurde, wurden sie zurückgeholt und in ihre Heimat zurückgebracht.<ref>Anne Ruprecht, Mirco Seekamp: [https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/hagenbeck-voelkerschau-rassismus-101.html Menschen wie Tiere ausgestellt], vom 26. Oktober 2021. In: NDR-Tagesschau</ref> Cula war eine von 40 Frauen, die in München Ende 1892 als „Amazonen aus Dahomey“ (heute Benin) in einer Völkerschau auftreten mussten. Als sie starb, wurde – vollkommen untypisch für die damalige Zeit – ihr Tod in einer Zeitung [[Münchener Post]] als Folge von „Geldmacherei“ in Völkerschauen kritisiert. Anlässlich ihrer Beisetzung kam es zu Tumulten.<ref>[https://www.sueddeutsche.de/muenchen/grosser-andrang-abschied-von-cula-1.3746431 So rassistisch waren Völkerschauen in München], vom 13. November 2017. In: Süddeutsche Zeitung.</ref> Ab den 1930er Jahren verschwanden die Völkerschauen aus der Öffentlichkeit.<ref>Anne Dreesbach: [http://ieg-ego.eu/de/threads/hintergruende/europaeische-begegnungen/anne-dreesbach-kolonialausstellungen-voelkerschauen-und-die-zurschaustellung-des-fremdenKolonialausstellungen, Völkerschauen und die Zurschaustellung des "Fremden"], vom 17. Februar 2017. In: Europäische Geschichte Online</ref>


Es gab auch zur Schau gestellte Menschen, die selbst Impresarios wurden. Ein bekanntes Beispiel war Nayo Bruce, der 1896 die Zurschaustellung einer Gruppe aus Togo bei der Berliner Gewerbeausstellung organisierte und in den folgenden Jahren mit der „Togo-Gruppe“ durch das Deutsche Reich tourte.<ref name="Bienert22" />
;Ab den 1990er Jahren
Seit der im Jahr 1999 einsetzenden Diskussion über die Rede ''[[Regeln für den Menschenpark]]'' des Philosophen [[Peter Sloterdijk]] sind auch Völkerschauen als „Menschenpark“ kritisiert worden.<ref name=":0">Werner Balsen: ''Exoten für den Menschenpark''. In: ''[[Frankfurter Rundschau]]'', 16. September 2002.</ref> So geriet zum Beispiel der [[Augsburger Zoo]] im Juni 2005 in die öffentliche Diskussion, nachdem er eine viertägige Veranstaltung mit dem Titel „African Village“ („Afrikanisches Dorf“) angekündigt hatte. Wegen dieser Wortwahl, so hieß es, könne auf das Zurschaustellen von außereuropäischen Völkern in Zoos wie in den Völkerschauen geschlossen werden.<ref>Henryk M. Broder: [https://www.spiegel.de/jahreschronik/a-388059.html ''Skandal Ausstellung. Zu Besuch im Ethno-Zoo''], vom 13. Juni 2005. In: Spiegel-online</ref><ref>Sonja Zekri: [https://www.sueddeutsche.de/kultur/skandal-im-zoo-das-ist-kein-afrikanisches-dorf-sondern-ein-african-village-1.417786 ''Skandal im Zoo. Das ist kein afrikanisches Dorf, sondern ein African Village''], vom 17. Mai 2005</ref><ref name=":1">Utz Anhalt: [http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2007/05/03/a0238 ''Im Menschenpark''.] In: ''[[die tageszeitung|taz]]'', 3. Mai 2007.</ref>


;Deutsches Kaiserreich (1871–1918)
Seit 2017 gerieten Völkerschauen Deutschlands an verschiedenen Orten in einen öffentlichen Diskurs,<ref>Vanessa Wohlrath: [https://www.ndr.de/geschichte/Diskussioum-rassistische-Denkmaeler-und-Statuen,denkmalrassismus100.html Diskussion um rassistische Denkmäler und Statuen], vom 17. Juni 2020. In: NDR</ref> der die koloniale Vergangenheit von Völkerschau-Unternehmern oder Impresarios zum Gegenstand hat. In diesem Zusammenhang wird neben einer kritischen Auseinandersetzung die Entfernung von Denkmälern und Statuen, die Streichung von Straßen- und Schulnamen namensgebender Personen gefordert. Die erste Dauerausstellung zum Thema Völkerschau in Deutschland wurde 2017 im Treptow-Museum in Berlin eröffnet.<ref>Michael Bienert: [http://www.text-der-stadt.de/Kolonialausstellung_Treptow_1896.html Schwarzer Stolz im Treptower Park], ohne Datum, abgerufen am 5. April 2022. In: Text der Stadt</ref> In Hamburg kann in einer Online-Petition für die Abschaffung einer Statue und eines Straßennamens des Völkerschau-Unternehmers [[Carl Hagenbeck]] (1844–1913) plädiert werden.<ref>[https://www.change.org/p/gegen-rassismus-ich-fordere-die-abschaffung-der-carl-hagenbeck-statue-strasse-und-ein-denkmal-f%C3%BCr-die-betroffenen-menschen Abschaffung der Carl Hagenbeck Statue & Strasse und Denkmal für die betroffenen Menschen!],ohne Datum, abgerufen am 5. April 2022. In: Change</ref> Im Jahr 2020 musste sich der Stadtrat in Leipzig der Frage stellen, ob er eine Straße (2009) und eine Grundschule (2010), die er nach dem Zoodirektor [[Ernst Pinkert]] (1844–1909) benannt hatte, ausreichend kritisch hinsichtlich seiner zahlreichen von ihm veranstalteten Völkerschauen überprüft habe.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.lvz.de/Leipzig/Lokales/Anfrage-im-Stadtrat-War-Leipzigs-Zoogruender-Ernst-Pinkert-Rassist |titel= War Leipzigs Zoogründer Ernst Pinkert ein Rassist |werk=www.lvz.de |hrsg=Leipziger Volkszeitung |datum=2020-06-20 |abruf=2024-02-26 | kommentar= Abruf kostenpflichtig}}</ref><ref>[http://dsf-leipzig.de/dsf2.0/blog/2020/07/09/stellungnahme-dsf-e-v-debatte-um-leipzigs-zoo-grunder-ernst-pinkert/ Debatte um Leipzigs Zoo-Gründer Ernst Pinkert], vom 9. Juli 2020. In: Deutsch-Spanische Freundschaft</ref>
Im Zuge des Erwerbs von Kolonien entwickelten die [[Deutsche Kolonialgesellschaft|Kolonialverbände]] eine kritische und ablehnende Haltung zu den kommerziellen ''Völkerschauen'' der Impresarios. Die Schauen üben „einen schädlichen Einfluss auf die Ausgestellten aus, was das Verhältnis der ‚Eingeborenen‘ zu den Kolonialisten empfindlich schädigen“ und nützten nur den kommerziellen Interessen der Impresarios. Vor diesem Hintergrund ordnete die Reichsregierung unter Reichskanzler [[Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst]] 1901 per Runderlass das „Verbot zur Ausfuhr von Eingeborenen aus den Kolonien zum Zwecke der Schaustellung“ an.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;269&nbsp;f.</ref> Allerdings kamen zu dieser Zeit die meisten der zur Schau gestellten Menschen nicht mehr aus deutschen Kolonien.


;Nationalsozialismus
== Dokumentarfilme und Reportagen ==
In der Zeit des [[Nationalsozialismus]] fanden kaum noch kommerzielle ''Völkerschauen'' statt. Zwischen 1935 und 1940 tourte die sogenannte „[[Deutsche Afrika-Schau|Afrikaschau]]“ durch das Deutsche Reich. Seit 1933 wurde wieder eine intensivere Kolonialpropaganda betrieben, andererseits sahen Teile der Nationalsozialisten die Angehörigen indigener ''Völker'' als Bedrohung, da ''Völkerschauen'' „immer die Möglichkeit eines Kontaktes, einer Vermischung von ‚Schwarzen‘ und ‚Weißen‘, also einer ‚Rassenvermischung‘ boten.“<ref name="DreesbachEGO" /> Im Jahr 1940 wurde ein generelles Auftrittsverbot für Schwarze Menschen erlassen.<ref>Anne Dreesbach: ''Gezähmte Wilde.'' Frankfurt am Main 2005, S.&nbsp;306–313.</ref>
* ''„Die Wilden“ in den Menschenzoos.'' 92 Minuten. Regie: Bruno Victor-Pujebet, Pascal Blanchard. Produktion: [[Arte]]. Frankreich 2017.<ref>{{Internetquelle | url=https://programm.ard.de/TV/arte/-die-wilden--in-den-menschenzoos/eid_28724891046221 | titel="Die Wilden" in den Menschenzoos | werk=Programm.ARD.de | datum=2018-09-29 | abruf=2020-09-08}}</ref><ref>{{Internetquelle | url=https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/arte-doku-ueber-menschen-zoos-kannibalen-gucken/23128658.html | titel=Arte-Doku über "Menschen-Zoos" | autor=Thomas Gehringer | werk=www.tagesspiegel.de | datum=2018-09-28 | abruf=2020-09-08}}</ref>

* ''The Human Zoo.'' (''Lost Places.'' Staffel 6, Folge 11). 60 Minuten. Regie: Luke Wales und Tom Williams. Vereinigtes Königreich 2020.<ref>{{Internetquelle | url=https://www.imdb.com/title/tt13724842/ | titel=The Human Zoo | werk=Internet Movie Database | abruf=2021-11-10 |sprache=en}}</ref><ref>{{Internetquelle | url=https://www.fernsehserien.de/lost-places/folgen/6x11-the-human-zoo-1447151 | titel=The Human Zoo | werk=Fernsehserien.de | abruf=2021-11-10}}</ref>
=== Frankreich ===
* ''Menschen ausgestellt im Zoo – Das dunkle Kapitel Völkerschauen.'' 30 Minuten. Ein Film von Anne Ruprecht und Mirco Seekamp. Produktion: [[Norddeutscher Rundfunk]] (NDR). Deutschland 2021.<ref>{{Internetquelle | url=https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Menschen-ausgestellt-im-Zoo-Das-dunkle-Kapitel-Voelkerschauen,panoramadrei3954.html | titel=Menschen ausgestellt im Zoo – Das dunkle Kapitel Völkerschauen | werk=www.ndr.de | abruf=2021-11-10}}</ref>
In Frankreich gab es bereits 1877 erste kleinere ''Völkerschauen'' im [[Jardin d’Acclimatation|Jardin Zoologique d’Acclimatation]] in [[Paris]]. Im August 1877 sorgte eine afrikanische Tierschau, die von vierzehn als ''Nubier'' beworbene Afrikanern begleitet wurde, für großes Aufsehen.<ref>William H. Schneider: ''Völkerschauen im Zoologischen Garten von Paris''. Hamburg 2012, S.&nbsp;179.</ref> Der Pariser Zoo konnte durch die Schauen seine Besucherzahl verdoppeln, die im selben Jahr die Millionengrenze erreichte. Aufgrund des Erfolges wurden zwischen 1877 und 1912 dreißig solcher ''ethnologischer Ausstellungen'' veranstaltet.<ref name="Bacel" /> In Frankreich fanden ''Völkerschauen'' häufig im Zusammenhang von Welt- und Kolonialausstellungen statt. Auf der Pariser [[Weltausstellung Paris 1889|Weltausstellung]] von 1889 gab es neben der Einweihung des [[Eiffelturm]]s als weitere Hauptattraktion in dem zum ''Jardin d’Acclimatation Anthropologique'' verwandelten früheren ''Jardin Zoologique d’Acclimatation'', eine riesige ''Völkerschau'' des französischen Kolonialreichs.<ref name="Bacel" /> Sie wurde von 32 Millionen besucht.<ref>John MacKenzie: ''Imperiale Ausstellungen in Großbritannien.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;337.</ref> Eine letzte große bei Hagenbeck in Auftrag gegebene ''Völkerschau'' fand 1931 im Rahmen der ''Exposition coloniale internationale'' in Paris statt.<ref>Herman Lebovics: ''Die Menschenzoos der Internationalen Kolonialausstellung in Paris, 1931.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;392&nbsp;f.</ref>

=== Belgien ===
Im Rahmen der [[Weltausstellung Brüssel 1897|Weltausstellung]] 1897 in Brüssel wurde in [[Königliches Museum für Zentral-Afrika|Tervuren]] ein kongolesisches Dorf aufgebaut, in dem während der Ausstellung 267 Afrikaner lebten und die von über 1,1 Millionen Menschen besucht wurde. In nachgebauten Dörfern spielten sie Alltagsszenen nach. „Die Begeisterung des Publikums musste in Zaum gehalten werden. Auf Hinweisschildern war zu lesen: ‚Es ist verboten, die Schwarzen zu füttern, sie werden verpflegt‘.“<ref name="Jacquemin348">Jean-Pierre Jacquemin: ''Kongolesen im „imperialen“ Belgien''. Hamburg 2012, S.&nbsp;348.</ref> Als bei dieser Schau 70 der Kongolesen an Lungenentzündung starben und die Bevölkerung eines nahegelegenen Dorfes sich verweigerte, sie auf dem dortigen Friedhof zu beerdigen, kam es zum Skandal und die Teile der Presse übten Kritik an der Schau. In den folgenden Jahrzehnten wurden bei Kolonialausstellungen in Belgien deshalb kaum noch Menschen zur Schau gestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings fand in Brüssel auf der [[Expo 58]] die letzte große ''Völkerschau'' statt, auf der mehrere hundert Kongolesen zur Schau gestellt wurden.<ref name="Jacquemin348" />

=== Großbritannien ===
In Großbritannien fanden viele größere ''Völkerschauen'' im Rahmen von Industrie- und Weltausstellungen statt. 1899 zeigte die ''Greater Britain Exhibition'' 174 [[Schwarze|Schwarze Menschen]] aus Südafrika, die auf die Dörfer aufgeteilt wurden. Weitere solcher Schauen gab es bis in die 1930er Jahre. Bekannt wurde der Impresario [[Imre Kiralfy]], der ab 1908 jährlich große ''Völkerschauen'' in [[White City (London)|White City]] mit einem Schwerpunkt auf den Orient zeigte.<ref name="MacKenzie">John MacKenzie: ''Imperiale Ausstellungen in Großbritannien.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;338&nbsp;ff.</ref>

=== Österreich−Ungarn ===
In [[Wien]] fanden zwischen 1870 und 1910 über 50 ''Völkerschauen'' statt.<ref>Werner Michael Schwarz: ''Anthropologische Spektakel. Zur Schaustellung „exotischer“ Menschen''. Wien 2001, S.&nbsp;223&nbsp;ff.</ref> Die „Nubierkarawane“ 1878 war die erste ''Völkerschau'' in Österreich, die Carl Hagenbeck in der Rotunde im [[Wiener Prater|Prater]] aufführte. 1885 kam die „Singhalesen-Karawane“ nach Wien, wiederum veranstaltet von Hagenbeck.<ref name="Scholl">Sabine Scholl: [https://www.derstandard.at/story/2000112892336/vorgefuehrt-und-ausgestellt-im-menschenzoo ''Vorgeführt und ausgestellt im Menschenzoo'']. Online unter: [[Der Standard]], 3. Januar 2020, abgerufen am 31.&nbsp;Januar&nbsp;2024.</ref> In den folgenden Jahren wurden zahlreich „Eingeborenendörfer“ zur Schau gestellt. In den Jahren 1886, 1887 und 1897 gab es mit dem Thema „Aschantidorf“ weitere ''Völkerschauen'', die im Zoo am Schüttel in Wien stattfanden.<ref name="Hager">Christa Hager: [https://www.wienerzeitung.at/_wzo_daten/media/Storytelling/prater/menschenzoos.html ''Nackt müsst ihr sein natürlich'']. Online unter: [[Wiener Zeitung]], ohne Datum, abgerufen am 31.&nbsp;Januar&nbsp;2024.</ref> 1910 wurde wiederum am Prater ein abessinisches Dorf errichtet. In Österreich hatte das Interesse an den Schauen zu dieser Zeit aber schon stark nachgelassen.<ref>Peter Plener: ''Völkerschauen in Österreich−Ungarn.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;309.</ref>

=== Schweiz ===
Die [[Schweiz]] war nie Kolonialmacht, dennoch waren ''Völkerschauen'' zwischen 1879 und 1939 weit verbreitet und populär. In den Anfangsjahren machten zahlreiche kommerzielle ''Völkerschauen'' Station in der Schweiz. Später wurden die Schauen auch im Rahmen von Kolonialschauen mit „Eingeborenendörfern“ veranstaltet.<ref>Patrick Minder: ''Menschen-Zoos in der Schweiz.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;313&nbsp;f.</ref>

;Zürich
[[Rea Brändle]] hat für Zürich 65 ''Völkerschauen'' zwischen 1835 und 1960 nachgewiesen,<ref name="Brändle160">Rea Brändle: ''Wildfremd, hautnah. Völkerschauen und ihre Schauplätze in Zürich 1880–1960.'' Zürich 1995, S.&nbsp;160–166.</ref> die allerdings zum großen Teil zu den Veranstaltungen auf Jahrmärkten und in Zirkussen zählen. Dennoch fanden in Zürich zahlreiche große ''Völkerschauen'' im engeren Sinne statt. Eine der ersten war 1882 die „Feuerländer“-Schau von Hagenbeck. Vier der [[Kawesqar]] aus [[Chile|Südchile]], die 1881 nach Europa verschleppt und dann in verschiedenen Ländern vorgeführt wurden, verstarben in Zürich, als sie im Februar 1882 im „Platte-Theater“ in [[Fluntern]] gezeigt wurden. Eine weitere Angehörige der Gruppe war schon auf der Reise nach Zürich gestorben. Schlechte Unterkünfte, strapaziöse Reisen und mangelhafte Ernährung führten zu Krankheiten. Von den elf Kawesqar kehrten nur vier lebend nach Chile zurück. Überreste der fünf Toten, die im Anthropologischen Institut der [[Universität Zürich|Universität]] gelagert wurden, wurden 2010 in Chile beerdigt.<ref name="Renner">Sascha Renner: [https://www.news.uzh.ch/de/articles/2010/das-ende-einer-129-jahre-langen-reise.html ''Das Ende einer 129 Jahre langen Reise'']. Online unter: [[Universität Zürich|UZH News]], 12.&nbsp;Januar&nbsp;2010, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024, und Giorgio Scherrer [https://www.nzz.ch/zuerich/voelkerschauen-seine-vorfahren-wurden-in-zuerich-wie-tiere-ausgestellt-er-sucht-versoehnung-ld.1747864 ''Ein Indigener aus Chile sucht in Zürich Versöhnung'']. Online unter: [[Neue Zürcher Zeitung|NZZ]], 21.&nbsp;Juli&nbsp;2010, abgerufen am 19.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref> 1885 erregte „Carl Hagenbecks anthropologische-zoologische Singhalesen-Ausstellung“ große Aufmerksamkeit.<ref name="Tribelhorn" />

;Basel
Der [[Zoo Basel|Basler Zoo]] war Veranstaltungsort von 21 ''Völkerschauen''.<ref>Balthasar Staehelin: ''Völkerschauen im Zoologischen Garten Basel 1879–1935.'' S.&nbsp;35.</ref> Die erste Schau der „Nubier-Karawane“ von Hagenbeck 1879 zeigte fünfzehn Männer aus Ägypten, daneben zahlreiche Tiere der Region. „Das Ausstellen exotisierter Menschen war für den seit der Gründung defizitären Zoo eine wichtige Einnahmequelle. Während der kurzen Anwesenheit einer ''Völkerschau'' von zwei bis drei Wochen verzeichnete der Zoo durchschnittlich zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent aller Besucherinnen und Besucher eines gesamten Jahres.“<ref name="Basel">[https://www.zoobasel.ch/de/aktuelles/blog/3/zoo-geschichte/160/voelkerschauen-im-zoo-basel/ ''Völkerschauen im Zoo Basel'']. Online unter: [[Zoo Basel]], ohne Datum, abgerufen am 4.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref> 1899 fand mit der „Bischari-Karawane“ die vorerst letzte Schau in Basel statt, danach fanden von 1922 bis 1935 sechs weitere Schauen statt. Die letzte Schau von 1935 zeigte die „aussterbenden Lippennegerinnen aus Zentral-Afrika“.<ref name="Basel" />

;Genf
Auf der [[Schweizerische Landesausstellung|Schweizerischen Landesausstellung]] im Sommer 1896 in [[Genf]] wurden im ''Village noir'' 230 Sudanesen zur Schau gestellt.

=== Italien ===
In Italien setzten die ''Völkerschauen'' erst in den 1890er Jahren ein. Bei der ''Esposizione Nazionale'' in Palermo 1891/92 wurden Menschen aus der neu gegründeten Kolonie Eritrea in einem „Eingeborenendorf“ zur Schau gestellt.<ref>Guido Abbattista, Nicola Labanca: ''Völkerschauen bei Kolonialausstellungen im liberalen und faschistischen Italien.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;364&nbsp;f.</ref> In den Jahren bis 1914 fanden zahlreiche von Impresarios organisierte Schauen statt, die zuvor bereits durch verschiedene andere Länder getourt waren. Daneben gab es weiterhin Kolonialschauen, wie die Weltausstellung in Mailand 1906 oder die ''Exposizione Internatzionale'' 1911 in Turin, für die sogar zwei separate „Eingeborenendörfer“ der Eritreer und Somali errichtet wurden. Im faschistischen Italien gab es Bestrebungen, die Schauen immer größer anzulegen und damit die Kolonialpolitik und imperialen Ansprüche zu legitimieren, zugleich gab es aber deutlich weniger Schauen als vor dem Ersten Weltkrieg. Die letzte große Kolonialausstellung 1940 in Neapel wurde nur einen Monat nach ihrer Eröffnung wegen der Kriegserklärung Italiens an Frankreich und Großbritannien abgebrochen.<ref>Guido Abbattista, Nicola Labanca: ''Völkerschauen bei Kolonialausstellungen im liberalen und faschistischen Italien.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;372&nbsp;f.</ref>

=== Spanien ===
Aus Spanien sind zwischen 1887 und 1927 sechs größere ''Völkerschauen'' überliefert. Die erste war die staatlich organisierte ''Exhibición General de las Islas Filipinas'' 1897 in Madrid, auf der unter anderem ein „Eingeborenendorf“ der [[Igorot]] ausgestellt wurde. Nach Willen der Veranstalter sollten keine „Wilden“ gezeigt, sondern deutlich gemacht werden, „dass manche ‚Eingeborene‘ aufgrund des wohltätigen Einflusses des spanischen Protektorats ‚zivilisiert‘ werden und als Arbeitskräfte […] eingesetzt werden konnten“.<ref name="Moyano">Miranda Neus Moyano: ''Menschenschauen in Spanien: Kolonialismus und Massenkultur.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;376&nbsp;ff.</ref> Weitere Schauen waren eine Zurschaustellung von [[Aschanti (Volk)|Aschanti]] 1897 in Barcelona, Valencia und Madrid, von [[Inuit]] 1900 in Madrid und Barcelona, 1913 und 1925 in Tibidabo sowie 1929 im Rahmen der ''Exposición Iberoamericana'' in Sevilla. Obwohl es noch weitere kleinere Schauen gab, waren die ''Völkerschauen'' in Spanien nicht so populär wie in anderen europäischen Ländern. Eine besondere Rolle kommt in Spanien der Kirche zu, der eine aktive Rolle als Mitveranstalter der Schauen zukam.<ref>Miranda Neus Moyano: ''Menschenschauen in Spanien: Kolonialismus und Massenkultur.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;390&nbsp;f.</ref>

=== USA ===
In den USA fanden größere Zurschaustellungen indigener Menschen zwischen 1876 und 1909 statt. Besonders die [[Inuit]] wurden „unter abscheulichen Bedingungen zur Schau gestellt. In Chicago mussten sie mitten im Sommer in Robbenfelle gehüllt auftreten. In Buffalo zwang man sie, in einem Tiergehege zu leben, bis ihr Dorf fertig gebaut war“.<ref name="Rydell">Robert Rydell: ''Afrikaner in Amerika.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;353&nbsp;ff.</ref> Es gab verschiedene „Eingeborenendörfer“ mit [[Schwarze|Schwarzen Menschen]], beispielsweise das ''Dahomey-Dorf'' in Chicago 1893. Die Menschen wurden als „Wilde“ inszeniert und in einem Führer zur Ausstellung war zu lesen: Die Gewohnheiten dieser Leute sind abstoßend. Sie fressen wie Tiere und weisen alle Merkmale der niedrigsten Stufe der Menschenfamilie auf.<ref name="Rydell356">Robert Rydell: ''Afrikaner in Amerika.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;356&nbsp;f.</ref> Eine ähnliche Ausstellung fand 1901 unter dem Namen ''Darkest Africa'' statt. In den USA wurden einige besonders große Schauen gezeigt. Auf der [[World’s Columbian Exposition]] in [[Chicago]] 1893 waren 17 „Eingeborenen“-Dörfer zu sehen.<ref>Balthasar Staehelin: ''Völkerschauen im Zoologischen Garten Basel.'' Basel 1993 S.&nbsp;27.</ref> Im Jahr 1904 wurden auf der [[Louisiana Purchase Exposition|Weltausstellung in St. Louis]] etwa 1.200 Filipinos ausgestellt, die in verschiedenen Dörfern nach Entwicklungsstufen ihrer „Zivilisierung“ gezeigt wurden.

=== Japan ===
In [[Japan]] standen ''Völkerschauen'' in Zusammenhang zu den großen Industrie- und Weltausstellungen, die hier seit 1877 stattfanden und die Position Japans als Kolonialmacht legitimieren sollten. 1903 fand in [[Osaka]] eine große Industrieausstellung statt, auf der in einem „Anthropologischen Pavillon“ und einem „Taiwan−Pavillon“ erstmals Menschen zur Schau gestellt wurden. Im „Anthropologischen Pavillon“ wurden 31 Personen gezeigt: „Sieben [[Ainu]] aus [[Hokkaido]], ein ‚roher Barbar‘ und zwei ‚gargekochte Barbaren‘, zwei ‚Eingeborene‘ aus [[Taiwan (Insel)|Taiwan]], zwei Okinawesen, zwei Koreaner, zwei Malaysier, drei Chinesen, sieben Inder, ein [[Java (Insel)|Javanese]], ein ottomanischer Türke und ein Bewohner der Insel Sansibar“.<ref name="Nanta">Arnaud Nanta: ''Kolonialausstellungen und ethnische Hierarchien im modernen Japan.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;325&nbsp;f.</ref> Auch im Taiwan-Pavillon wurden „rohe Barbaren“ (gemeint waren taiwanesische Ureinwohner) zur Schau gestellt. Sie mussten „in einem nachgebildeten Urwald stehen und so tun, als hantierten sie bei einem religiösen Ritual mit abgeschlagenen menschlichen Köpfen“.<ref name="Nanta" /> Gegen die ''Völkerschau'' wurde scharfe Kritik laut. Nach Protesten von Seiten Chinas, Koreas und Okinawa wurden diese Personen aus dem „Anthropologischen Pavillon“ entfernt. Überhaupt gab es in der Bevölkerung Osakas eine „deutliche Ablehnung der Schaustellung indigener Bevölkerungsgruppen“.<ref name="Nanta330">Arnaud Nanta: ''Kolonialausstellungen und ethnische Hierarchien im modernen Japan.'' Hamburg 2012, S.&nbsp;330.</ref> Dennoch wurden in Japan besonders in der Zeit von 1914 bis zum Zweiten Weltkrieg regelmäßig Kolonialschauen mit Zurschaustellungen indigener Menschen veranstaltet.

=== Weitere Länder und Städte ===
Außer in den hier aufgelisteten Ländern fanden ''Völkerschauen'' auch noch in Dänemark, Norwegen, Schweden, den Niederlanden, Portugal und in Kanada statt, außerdem in den Städten Prag und Budapest (damals beide zu Österreich-Ungarn).<ref>Clemens Radauer: [https://humanzoos.net/?page_id=4315 ''Human Zoo''] (Liste von Völkerschauen in verschiedenen Ländern). Online unter: Humanzoos.net, ohne Datum, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref>

== Rezeption ==
=== Debatten zu den ''Völkerschauen'' und das ''Koloniale Erbe'' ===
[[Datei:Ehemaliger Haupteingang Hagenbeck.jpg|mini|Ehemaliges Eingangstor [[Tierpark Hagenbeck]] von 1907 (Foto von 2011)]]
Obwohl die ''Völkerschauen'' ein Massenphänomen waren, haben sie nur wenige materielle Überlieferungen hinterlassen, wie beispielsweise das Eingangstor im [[Tierpark Hagenbeck]], auf dem zwei kriegerisch inszenierte Menschenfiguren Bezug auf die ''Völkerschauen'' nehmen. Im Zuge der Debatten um das koloniale Erbe und den [[Postkolonialismus]] wurde seit den 2010er Jahren in Deutschland in verschiedenen lokalen Kontexten über die ''Völkerschauen'' debattiert.

;Augsburg
So geriet zum Beispiel der [[Augsburger Zoo]] im Juni 2005 in die öffentliche Diskussion, nachdem er eine viertägige Veranstaltung mit dem Titel „African Village“ angekündigt hatte.<ref name="Zekri">Sonja Zekri: [https://www.sueddeutsche.de/kultur/skandal-im-zoo-das-ist-kein-afrikanisches-dorf-sondern-ein-african-village-1.417786 ''Skandal im Zoo. Das ist kein afrikanisches Dorf, sondern ein African Village'']. Online unter: [[Süddeutsche Zeitung]], 17.&nbsp;Mai&nbsp;2005, abgerufen am 4.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref>

;Berlin
Der Berliner Zoo setzt sich in einer kleinen Dauerausstellung im Antilopenhaus kritisch mit den ''Völkerschauen'' und der Rolle [[Ludwig Heck (Zoologe)|Ludwig Hecks]], der von 1932 bis 1945 Berliner Zoodirektor war, auseinander.<ref name="Goldner">Colin Goldner: [https://hpd.de/artikel/menschenzoos-18305 ''Menschenzoos'']. Online unter: [[Humanistischer Pressedienst]], 28.&nbsp;Juli&nbsp;2020, abgerufen am 22.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref>

;Hamburg
Andernorts wurde die Entfernung von Denkmälern und Statuen, die Streichung von Straßen- und Schulnamen namensgebender Personen diskutiert. In Hamburg beispielsweise wurde 2020 eine Petition zur Entfernung der Hagenbeck-Statue und der Umbenennung der ''Hagenbeck-Straße'' gestartet.<ref name="Wohlrat">Vanessa Wohlrath: [https://www.ndr.de/geschichte/Diskussioum-rassistische-Denkmaeler-und-Statuen,denkmalrassismus100.html ''Diskussion um rassistische Denkmäler und Statuen'']. Online unter: [[Norddeutscher Rundfunk|NDR]], 17.&nbsp;Juni&nbsp;2020, abgerufen am 4.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref>

;Zürich
Außerdem gab es Initiativen, der zur Schau gestellten Menschen zu erinnern. Beispielsweise veranlasste die [[Universität Zürich|Universität]] 2010 die Überführung von fünf Skeletten der 1882 verstorbenen „Feuerländer“, die im dortigen Anthropologischen Institut lagerten.<ref>Sascha Renner: [https://www.news.uzh.ch/de/articles/2010/das-ende-einer-129-jahre-langen-reise.html ''Das Ende einer 129 Jahre langen Reise'']. Online unter: [[Universität Zürich|UZH News]], 12.&nbsp;Januar&nbsp;2010, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024, und Peter Burghardt: [https://www.sueddeutsche.de/panorama/rassismus-reste-des-menschenzoos-1.68896 ''Reste des Menschenzoos'']. Online unter: [[Süddeutsche Zeitung]], 17.&nbsp;Mai&nbsp;2010, abgerufen am 4.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref>

=== Museen und Ausstellungen ===
Die Ausstellung „zurückGESCHAUT“ über die [[Berliner Kolonialausstellung|Kolonialausstellung 1896]] wurde 2017 ''im Museum Treptow'' in Berlin eröffnet<ref name="Bienert22" /> und ist „eine der ersten Dauerausstellungen zur deutschen Geschichte von Kolonialismus, Rassismus und Widerstand“.<ref name="Kuban" /> Im Jahr 2021 zeigte das [[Königliches Museum für Zentral-Afrika|Königliche Museum für Zentral-Afrika]] in [[Tervuren]] bei Brüssel die Sonderausstellung „Zoo Humain“.<ref name="Heinz" /> Im November 2023 wurde im [[Stadtmuseum Dresden]] die Ausstellung „Menschen(an)Schauen“ eröffnet.<ref name="ZooDresden" />

=== Dokumentarfilm und Podcast ===

;Dokumentarfilm
* ''„Die Wilden“ in den Menschenzoos.'' 92 Minuten. Regie: Bruno Victor-Pujebet, Pascal Blanchard. Produktion: [[Arte]]. Frankreich 2017.<ref>[https://www.arte.tv/de/videos/067797-000-A/die-wilden-in-den-menschenzoos/ ''"Die Wilden" in den Menschenzoos''] (Frankreich 2017) Online unter: [[Arte]], abgerufen am 1.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref>
* ''Menschen ausgestellt im Zoo – Das dunkle Kapitel Völkerschauen.'' Produktion: [[Norddeutscher Rundfunk|NDR]]. Deutschland 2021.<ref>[https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Menschen-ausgestellt-im-Zoo-Das-dunkle-Kapitel-Voelkerschauen,panoramadrei3954.html ''Menschen ausgestellt im Zoo – Das dunkle Kapitel Völkerschauen'']. Online unter: [[Norddeutscher Rundfunk|NDR]], 26.&nbsp;Oktober&nbsp;2021, abgerufen am 1.&nbsp;Februar&nbsp;2024.</ref>

;Podcast
* [https://www.geschichte.fm/podcast/gag293/ ''Als in Europa Menschen ausgestellt wurden. Eine Geschichte über Nayo Bruce und „Völkerschauen“'']. Online unter: [[Geschichten aus der Geschichte (Podcast)|Geschichten aus der Geschichte]]: Folge 293 vom 5.&nbsp;Mai&nbsp;2021, abgerufen am 28.&nbsp;Februar&nbsp;2024.


== Literatur ==
== Literatur ==
* Utz Anhalt: ''Tiere und Menschen als Exoten – Exotisierende Sichtweise auf das „Andere“ in der Gründungs- und Entwicklungsphase der Zoos.'' Technische Informationsbibliothek (TIB) – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften und Universitätsbibliothek Hannover, Hannover 2007 ([http://edok01.tib.uni-hannover.de/edoks/e01dh07/524261350.pdf PDF]).
* Utz Anhalt: [https://edok01.tib.uni-hannover.de/edoks/e01dh07/524261350.pdf ''Tiere und Menschen als Exoten – Exotisierende Sichtweise auf das „Andere“ in der Gründungs- und Entwicklungsphase der Zoos.''] Hannover 2007.
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* Balthasar Staehelin: ''Völkerschauen im Zoologischen Garten Basel 1879–1935.'' Basler Afrika Bibliographien, Basel 1993, ISBN 3-905141-57-4.
* Werner Michael Schwarz: ''Anthropologische Spektakel.'' Zur Schaustellung „exotischer“ Menschen, Wien 1870–1910. Turia und Kant, Wien 2001, ISBN 3-85132-285-1.
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* Stefanie Wolter: ''Die Vermarktung des Fremden. Exotismus und die Anfängen des Massenkonsums.'' Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-593-37850-3.
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=== Regionale Fallstudien ===
* Manuel Armbruster: [https://www.freiburg-postkolonial.de/pdf/Armbruster-Voelkerschauen-in-Freiburg.pdf ''„Völkerschauen“ um 1900 in Freiburg i.&nbsp;Br. – Kolonialer Exotismus im historischen Kontext.''] Online unter: Freiburg-postkolonial.de, 5.&nbsp;August&nbsp;2011, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024.
* [[Rea Brändle]]: ''Wildfremd, hautnah. Völkerschauen und ihre Schauplätze in Zürich 1880–1960.'' Rotpunktverlag, Zürich 1995, ISBN 3-85869-120-8.
* Marianne Bechhaus-Gerst: ''Inszenierte Exotik – Völkerschauen in Köln'', in: Marianne Bechhaus-Gerst, Anne Kathrin Horstmann (Hg.): ''Köln und der deutsche Kolonialismus.'' Böhlau, Köln, Weimar, Wien 2013, ISBN 978-3-412-21017-5, S.&nbsp;149–157.
* Werner Michael Schwarz: ''Anthropologische Spektakel. Zur Schaustellung „exotischer“ Menschen, Wien 1870–1910.'' Turia und Kant, Wien 2001, ISBN 3-85132-285-1.
* Balthasar Staehelin: ''Völkerschauen im Zoologischen Garten Basel 1879–1935.'' Basler Afrika Bibliographien, Basel 1993, ISBN 3-905141-57-4.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Commonscat|Human zoos|Völkerschau}}
{{Commonscat|Human zoos|Völkerschau}}
{{Wiktionary|Kolonialausstellung}}
{{Wiktionary|Völkerschau}}
{{Wiktionary|Menschenzoo}}
{{Wiktionary|Menschenzoo}}

{{Wiktionary}}
=== Liste von Völkerschauen ===
{{Wikisource|Eskimos in Berlin|Eskimos in Berlin (1878)}}
* Clemens Radauer: [https://humanzoos.net/?page_id=72 ''Germany''] (Liste von Völkerschauen im Deutschen Reich, zahlreiche unkommentierte Fotografien). Online unter: Humanzoos.net, ohne Datum, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024.
{{Wikisource|Die Hagenbeck’schen Singhalesen|Die Hagenbeck’schen Singhalesen (1884)}}

* [https://humanzoos.net/ Online-Archiv ''HumanZoos.net''] (englisch)
=== Online−Beiträge ===
* [https://humanzoos.net/?page_id=72 Liste der Völkerschauen in Deutschland]
* [[Anne Dreesbach]]: [http://ieg-ego.eu/de/threads/hintergruende/europaeische-begegnungen/anne-dreesbach-kolonialausstellungen-voelkerschauen-und-die-zurschaustellung-des-fremden ''Kolonialausstellungen, Völkerschauen und die Zurschaustellung des "Fremden"'']. Online unter: [[Europäische Geschichte Online]], 17.&nbsp;Februar&nbsp;2017, abgerufen am 31.&nbsp;Januar&nbsp;2024.
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* [http://www.kalenderblatt.de/index.php?what=thmanu&manu_id=78&tag=11&monat=3&weekd=&weekdnum=&year=20 Kalenderblatt Hagenbecks Exotenschau.] [[Deutsche Welle]], 11. März 1874
=== Zeitungsartikel ===
* [http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/namibia/stadtspaziergang/treptow.htm ''Die Deutsche Colonial-Ausstellung von 1896 im Treptower Park''.] Info des [[Deutsches Historisches Museum|Deutschen Historischen Museums]] zur [[Berliner Kolonialausstellung]]
* Nicolas Bancel, Pascal Blanchard, Sandrine Lemaire: [https://monde-diplomatique.de/artikel/!1218192 ''Menschenzoos als Instrument der Kolonialpropaganda. Ein sozialdarwinistisches Disneyland.''] Online unter: [[Le Monde diplomatique]], 11.&nbsp;August&nbsp;2000, S.&nbsp;16&nbsp;f., abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024.
* Kurt Jonassohn: [http://migs.concordia.ca/occpapers/zoo.htm ''On A Neglected Aspect Of Western Racism''.]
* [[Michael Bienert]]: [https://www.tagesspiegel.de/kultur/so-wird-die-geschichte-kolonialer-volkerschauen-aufgearbeitet-4188388.html ''Blinder Fleck der Erinnerungskultur: So wird die Geschichte kolonialer Völkerschauen aufgearbeitet''] In: [[Tagesspiegel]], 10.&nbsp;August&nbsp;2020, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024.
* {{Webarchiv|url=http://www.isd-bund.org/modules.php?name=News&file=article&sid=145 | wayback=20110407044345 | text=ISD: „Afrikaner im Zoo / Wir protestieren!“}}, 2005
* [[Michael Bienert]]: [http://www.text-der-stadt.de/Kolonialausstellung_Treptow_1896.html ''Schwarzer Stolz im Treptower Park'']. Online unter: Text der Stadt.de, ohne Datum, abgerufen am 31.&nbsp;Januar&nbsp;2024.
* {{Webarchiv|url=http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/Welt;art118,2247611 | wayback=20091213165716 | text=''Zoo zeigt Afrikaner''.}} [[Der Tagesspiegel]], 28. Mai 2005
* Colin Goldner: [https://hpd.de/artikel/menschenzoos-18305 ''Menschenzoos'']. Online unter: [[Humanistischer Pressedienst]], 28.&nbsp;Juli&nbsp;2020, abgerufen am 22.&nbsp;Februar&nbsp;2024.
* [[Armin Fuhrer]]: [https://www.focus.de/wissen/mensch/geschichte/ausflugsziel-voelkerschau-als-ganze-massen-zu-den-freak-shows-und-negerdoerfern-stroemten_id_12179802.html ''Ausflugsziel Völkerschau: Als ganze Massen zu den „Freak-Shows“ und „Negerdörfern“ strömten'']. In: [[Focus.de]], 10. Juli 2020
* Christa Hager: [https://www.wienerzeitung.at/_wzo_daten/media/Storytelling/prater/menschenzoos.html ''Nackt müsst ihr sein natürlich'']. Online unter: [[Wiener Zeitung]], ohne Datum, abgerufen am 31.&nbsp;Januar&nbsp;2024.
* [[Sabine Scholl]]: [https://www.derstandard.de/story/2000112892336/vorgefuehrt-und-ausgestellt-im-menschenzoo ''Vorgeführt und ausgestellt im Menschenzoo'']. In: [[Der Standard|DerStandard.de]], 5. Januar 2020
* Joachim Heinz: [https://www.domradio.de/artikel/der-tod-im-museumsdorf-belgisches-afrikamuseum-zeigt-sonderschau-ueber-menschenzoos ''Der Tod im Museumsdorf'']. Online unter: [[Domradio]], 4.&nbsp;Januar&nbsp;2022, abgerufen am 4.&nbsp;Februar&nbsp;2024.
* {{DNB-Portal|4216818-1|Völkerschauen}}
* Sabine Scholl: [https://www.derstandard.at/story/2000112892336/vorgefuehrt-und-ausgestellt-im-menschenzoo ''Vorgeführt und ausgestellt im Menschenzoo'']. Online unter: [[Der Standard]], 3.&nbsp;Januar&nbsp;2020, abgerufen am 31.&nbsp;Januar&nbsp;2024.
* [https://www.ardmediathek.de/video/panorama-3/das-dunkle-kapitel-voelkerschauen/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS9kZjE1ZTY3MC00OTdjLTQ1NWEtYWRiOC01MWU1ODdhZTIwZmU Menschen ausgestellt im Zoo - Das dunkle Kapitel Völkerschauen]
* Sven Töniges: [https://www.dw.com/de/v%C3%B6lkerschauen-und-menschenzoos/a-60346484 ''Völkerschauen: Rassismus als Spektakel'']. Online unter: [[Deutsche Welle]], 8.&nbsp;August&nbsp;2017, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024.
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* Annika Zeitler: [https://www.dw.com/de/v%C3%B6lkerschauen-menschen-zur-schau-gestellt-wie-im-zoo/a-17187997 ''Völkerschauen: Menschen zur Schau gestellt wie im Zoo'']. Online unter: [[Deutsche Welle]], 10.&nbsp;März&nbsp;2017, abgerufen am 3.&nbsp;Februar&nbsp;2024.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
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Version vom 31. März 2024, 21:24 Uhr

Auf der Weltausstellung 1894 in Antwerpen wurden 114 Menschen aus dem Kongo zur Schau gestellt.[1] Im Hintergrund sind einige Zuschauende zu erkennen. Auflagenstark veröffentlichte Fotografien und Postkarten der Völkerschauen zeigten vielfach die „Fremden“ in ihrer vorgeblich „natürlichen Umgebung“ in hierarchisch-rassistischer Abgrenzung zu den „zivilisierten“ Zuschauenden.[2] (Foto von 1894[3])

Völkerschau (im internationalen Sprachgebrauch heute geläufig als Menschenzoo, englisch human zoo, französisch zoo humain) ist ein Sammelbegriff für verschiedene Formen der kommerziellen Zurschaustellung indigener, als „Wilde“ oder „exotisch“ stigmatisierter Menschen in Zoos und Vergnügungsparks oder auf Welt- und Kolonialausstellungen in Europa, den USA und Japan zwischen 1875 und 1940.

Den Völkerschauen gingen verschiedene, weit in die Vergangenheit zurückreichende Formen der Zurschaustellung „fremdartig“ wahrgenommener Menschen voraus. Sie entwickelten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts auf Jahrmärkten und in Freak Shows zu einer zunehmend erfolgreichen Gattung der Schaustellerei. Völkerschauen grenzen sich von diesen früheren Formaten durch weit größere und um mehr Authentizität bemühte Inszenierungen ab, beispielsweise der Nachbildung ganzer „Eingeborenendörfer“ oder aufwändiger Aufführungen von Tänzen oder Schaukämpfen in künstlichen Kulissen. Sie erwiesen sich für die Veranstalter, den sogenannten Impresarios, als lukratives Unterhaltungsgeschäft. Seit der zweiten Hälfte der 1870er Jahre verbreiteten sich die Völkerschauen ausgehend von Hamburg in nur wenigen Jahren über viele Staaten Europas bis nach Nordamerika und Japan. In den 1890er Jahren wurden sie zunehmend auch in Welt- und Kolonialausstellungen integriert und zur Legitimation der Kolonialpolitik instrumentalisiert.

Völkerschauen waren aufgrund des enormen Besucherandrangs bis in die 1930er Jahre ein verbreitetes Massenphänomen. Nach Schätzungen wurden in der etwa sechs Jahrzehnte dauernden Hochphase der Völkerschauen weltweit bis zu 25.000 Menschen „ausgestellt“, die Gesamtzahl der zahlenden Besucherinnen und Besucher lässt sich auf hunderte Millionen schätzen. Sie gelten in der Forschung als maßgeblich wirksam bei der Verbreitung eines rassistisch begründeten Chauvinismus der Gesellschaften der Kolonialmächte.

Eine breite kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den seit der Mitte des 20. Jahrhunderts nur noch wenig rezipierten und erinnerten Völkerschauen setzte ab dem Jahr 2000 ein. In der Wissenschaft gelten sie als interdisziplinäres Forschungsfeld der Kolonial- und Gesellschaftsgeschichte, der Kultursoziologie und Anthropologie sowie des Postkolonialismus.

Begriff

Bezeichnung der zur Schau gestellten Menschen (Auswahl)
Herkunftsregiondamalige Bezeichnung
(ggf. heutige Bezeichnung)
Nördliches PolargebietEskimo (Inuit)
Nördliches EuropaLappländer (Samen)
Westliches AfrikaAschanti
Dahomey
Togolesen
Östliches AfrikaNubier
Somali
Sudanesen
Wakamba (Kamba)
Nördliches Afrika
und Naher Osten
Araber
IndienInder
Hindus
Malabaren
Sri LankaSinghalesen
MongoleiKalmücken
SüdamerikaFeuerländer (Kawesqar)
NordamerikaIndianer (First Nations)
AustralienAustralneger“ (Aborigines)
PhilippinenIgorot
SüdpazifikKanaken (Kanak)
Samoaner

Der im Zusammenhang eines kolonialistischen Sprachgebrauchs entstandene Begriff Völkerschau[4] ist im deutschsprachigen Raum heute der meist verwendete Begriff für die zeitgenössisch ganz unterschiedlich betitelten derartigen Veranstaltungen. Im Zusammenhang der Zurschaustellung von Menschen wurde er explizit erstmals bei der „Marquardt's afrikanischen Völkerschau“ verwendet, die 1904 durch mehrere Städte im Deutschen Reich tourte.[5] Vorher wurden die seit den 1870er Jahren verbreiteten Schauen unterschiedlich bezeichnet, beispielsweise als „Menschenausstellungen“ oder „Menschenvorstellungen“. Carl Hagenbeck, der ab 1875 die ersten Völkerschauen veranstaltete, nannte sie auch „Ethnologisch−zoologische Ausstellungen“ oder „Völkerausstellungen“. Die Impresarios gaben jeder der Schauen einen eigenen Titel, mit denen sie in Zeitungen und auf Plakaten beworben wurden. Die Bezeichnungen der Herkunft der zur Schau gestellten Menschen (s. Tabelle rechts) wurde dabei oft mit Begriffen wie „Karawanen“, „Truppen“, „Gruppen“ oder „Ausstellungen“ kombiniert. Zudem finden sich in den Titeln der Völkerschauen häufig kolonialistische und rassistische Begriffe wie beispielsweise „exotisch“, „Wilde“, „Kannibalen“, „Neger“ oder „Negerdörfer“.[6] Nicht jede Zurschaustellung indigener Menschen kann als Völkerschau bezeichnet werden, beispielsweise zählen Shows in Panoptiken, Varietés und Zirkussen oder Zurschaustellungen in Jahrmarktbuden nicht zum Genre der Völkerschauen (s. Typologie).

In der Geschichtswissenschaft wurde der Begriff Völkerschau in den 1950er Jahren erstmals benutzt und hat sich im deutschsprachigen Raum weitgehend durchgesetzt.[5] Im internationalen Sprachgebrauch ist der Begriff Menschenzoo seit der Veröffentlichung des 2001 in Frankreich erschienenen Sammelbandes Zoos Humains. Au temps des exhibitions humaines[7] (deutscher Titel: Menschenzoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit, 2012 erschienen) verbreitet.

Forschungsstand

Die Geschichtswissenschaft beschäftigte sich seit Ende der 1980er Jahre vermehrt mit den Völkerschauen.[8] Die erste Monographie über die Hagenbeckschen Völkerschauen veröffentlichte Hilke Thode-Arosa 1989.[9] Durch den im Jahr 2000 in der Zeitschrift Le Monde diplomatique veröffentlichten Artikel Menschenzoos als Instrument der Kolonialpropaganda. Ein sozialdarwinistisches Disneyland vom französischen Forscherteam Nicolas Bancel, Pascal Blanchard und Sandrine Lemaire erhielt das Thema Menschenzoos große Aufmerksamkeit.[10] Ein Jahr später erschien von denselben Autoren der umfangreiche Sammelband Zoos Humains. Au temps des exhibitions humaines. Wichtige Studien zu den Völkerschauen im Deutschen Reich sind die 2005 erschienenen Dissertationen von Anne Dreesbach[11] und Stefanie Wolter.[12] Völkerschauen haben auch im Zuge der postkolonialen Forschungen verstärkte Aufmerksamkeit mit Blick auf das im Kolonialismus begangene Unrecht, auf die Verflechtungsgeschichte der kolonisierten Gesellschaften und denen der Kolonialmächte sowie die Spuren des kolonialen Erbes erfahren. Dabei stehen sich laut Stefanie Wolter in der Forschung „zwei Positionen unversöhnlich gegenüber“: die eine Seite prangere den Rassismus der Völkerschauen vehement an, während andere sie eher als Ausdruck ihrer Zeit verstehen möchte.[13]

Die Überlieferungen zu den Völkerschauen sind umfänglich, da sie im zeitgenössischen Kontext große Aufmerksamkeit erfahren haben. Die Quellen spiegeln vielfach die kolonialistische und rassistische Perspektive der Kolonialgesellschaften auf die zur Schau gestellten Menschen wider. Wichtige materielle Überlieferungen sind insbesondere die zahlreichen Fotografien der Völkerschauen,[14] die seinerzeit als Postkarten große Verbreitung fanden.[2] In solchen Fotografien als Ausdruck „kolonialrassistischer Herrschaftspraxis […] materialisierten sich Gegensätze wie ‚schwarz‘ und ‚weiß‘ oder ‚zivilisiert‘ und ‚wild‘“[15] und sie „stigmatisieren die zur Schau gestellten Personen als Angehörige unterlegener Völker und ‚Rassen‘“.[2]

Vorgeschichte

Sarah Baartman, beworben als Hottentottische Venus, war eine Khoikhoi, die aufgrund ihrer anatomischen Besonderheit eines Fettsteißes von 1810 bis 1815 auf Jahrmärkten in England und Frankreich „ausgestellt“ wurde. (Karikatur von 1810)

Zurschaustellungen vermeintlich „fremder“ oder „exotischer“ Menschen reicht bis in die Frühgeschichte zurück. „Bereits im alten Ägypten stellte man schwarze Zwerge aus dem Gebiet des Sudan aus, ganz so, wie man während des Römischen Reichs besiegte ‚Barbaren‘ und ‚Wilde‘ im Triumphzug durch die Straßen der Hauptstadt führte.“[16] Mit Beginn des neuzeitlichen Kolonialismus nahmen solche Zurschaustellungen in Europa stark zu. Schon Christoph Kolumbus und Amerigo Vespucci brachten gewaltsam entführte Menschen als „Trophäen“ mit von ihren Entdeckungsreisen. Besonders im 17. Jahrhundert wurden vom Hochadel und an verschiedenen europäischen Fürstenhöfen „exotische“ Dienstbotinnen und Dienstboten eingestellt, die einem „gehobenen Lebensstil“ Ausdruck verleihen sollten.[17]

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Ausstellung von Menschen als Jahrmarktsattraktionen zu einem lukrativen Unterhaltungsgeschäft. Als wichtiger Schritt dieser Entwicklung gilt die Zurschaustellung von Sarah Baartman, die als „Hottentottische Venus“ beworben und zwischen 1810 und 1815 auf zahlreichen Jahrmärkten und in Zirkussen in verschiedenen Städten Großbritanniens und Frankreichs vorgeführt wurde. Erstmals erwies sich hier die von großem medialen Interesse verfolgte Zurschaustellung eines Menschen als einträgliches Geschäftsmodell.[18] In den 1840er Jahren professionalisierte Phineas Taylor Barnum die Zurschaustellung von Menschen im 1841 gegründeten American Museum in Manhattan. Mit den sogenannten Freak Shows, auf denen sowohl Menschen mit körperlichen Anomalien als auch als „exotisch“ beworbene Menschen auf Jahrmärkten oder in Varietés ausgestellt wurden, legte er den Grundstein für das kommerziell erfolgreiche Unterhaltungsformat der späteren Völkerschauen.[16] In Europa wurden Mitte des 19. Jahrhunderts ähnliche Shows vor allem in London gezeigt.[19] Solche Zurschaustellungen (meist) „wilder Männer“ standen jedoch in keinem guten Ruf, weil sie beim Publikum oft den Eindruck erweckten, es handele sich um „gefälschte Wilde“,[20] die in Kostüme gesteckt und mit nicht authentischen Accessoirces ausgestattet wurden.

Völkerschauen 1875–1940

Die über sechs Jahrzehnte dauernde Hochphase der Völkerschauen begann im September 1875 (und nicht, wie häufig zu lesen, bereits im Jahr 1874),[21] als Carl Hagenbeck in Hamburg eine Familie von sechs nordeuropäischen Samen zusammen mit ihren Rentieren ausstellte. Vom enormen Besucherandrang überrascht verlagerte der Tierhändler Hagenbeck sein Geschäft von da an vornehmlich auf die Anwerbung von Menschen aus verschiedenen Teilen der kolonisierten Welt. Innerhalb nur weniger Jahre kopierten europa- und weltweit zahlreiche Impresarios dieses neue und lukrative Format der Schaustellerei. Die Menschenzoos wurden zu „Massenveranstaltungen“[22] und gelten als weltweites und „flächendeckendes Massenphänomen“[23] auch mit einer hohen Wirksamkeit bezüglich der Wahrnehmung der ausgestellten „Fremden“ und der Ausprägung rassistischer Denkmuster.[10] Durch die Völkerschauen wurden „rassistische Stereotype bei einem Großteil der Bevölkerung erstmals verankert oder vertieft“.[24]

Völkerschauen wurden zuerst im Deutschen Reich, kurz darauf in Frankreich, Belgien, Großbritannien, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien und einigen anderen europäischen Ländern gezeigt, außerdem auch in den USA oder Japan. Die Schauen wurden meist als Tourneen geplant, die in Metropolen und Großstädten, aber auch in vielen Kleinstädten Station machten. In Europa tourten einige der Schauen durch mehrere Länder.[23] Nach Schätzungen sind weltweit bis zu 25.000 Menschen in Völkerschauen ausgestellt worden.[25]

Die gelegentlich behauptete Gesamtzahl aller zahlenden Besucherinnen und Besucher von 1,5 Milliarden[26] ist in der Forschung nicht hinreichend belegt. Wenn aber einzelne Völkerschauen über eine Millionen Besucher[22] (allein im Deutschen Reich sind zwischen 1875 und 1940 über 400 Völkerschauen überliefert) oder die großen Weltausstellungen viele Millionen Besucher zählen (am meisten hatte die Weltausstellung 1900 in Paris mit 48 Millionen), dann erscheint es plausibel, die Gesamtzahl der Zuschauenden auf mehrere hundert Millionen zu schätzen. Von den 1880er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg war das Angebot an Völkerschauen allerdings so groß, dass nicht mehr jede Schau ein Erfolg wurde.[27] Während des Ersten Weltkriegs kamen die Schauen zwischenzeitig zum Erliegen. In den 1920er Jahren fanden sie wieder statt, konnten aber nicht mehr an die Besuchererfolge der Vorkriegszeit anknüpfen. Der Beginn des Zweiten Weltkrieg markiert das Ende der Ära der Völkerschauen, auch wenn es in den Jahren nach 1945 noch zu vereinzelten Zurschaustellung kam.[28]

Typologie und Entwicklungen

Zwar ersetzten die Völkerschauen die weiterhin populäre Zurschaustellungen „exotischer“ Menschen in den Freak Shows der Jahrmarktbuden, Zirkusse oder Varitétes nicht. Diese meist „schäbige[n] Veranstaltungen mit zusammengewürfelten Grüppchen, die mit wenigen Requisiten auf der Bühne saßen und vor allem ihre Hautfarbe, ihre Nacktheit oder Missbildungen dem Publikum zu präsentieren hatten“,[29] wurden bis in die 1930er Jahre weiter aufgeführt. Stefanie Wolter nennt vor allem zwei Kriterien, wie sich die seit Mitte der 1870er Jahren erfolgreichen Völkerschauen von solchen Formaten abgrenzten.[30] Erstens bemühten sich die Impresarios, die zur Schau gestellten Menschen – wenn auch nur vermeintlich – authentisch in Szene zu setzen und sie nicht wie zuvor als „Jahrmarktssensation“ zu bewerben. Zweitens wurden durch die Völkerschauen auch gebildetere Bevölkerungsschichten angesprochen und den Schauen ein „gewisses Maß bürgerlicher Anerkennung“ zuteil.[30] Hagenbecks immer aufwändigere Inszenierungen indigener Menschen galten zeitgenössisch insofern als fortschrittlich, dass er „die ‚Wilden‘ aus den Jahrmarktsbuden in die wissenschaftlichen Institutionen ‚Zoologische Gärten‘“[31] holte.

Neben „Eingeborenendörfern“ zeigten die Völkerschauen großangelegter Inszenierungen von Paraden, Tänzen oder Schaukämpfen wie bei Gustav Hagenbecks Indienschau in Hamburg 1900 (Postkarte, ohne Datum)

Bei den ersten Völkerschauen wurden zunächst noch kleinere Gruppen von Menschen ausgestellt. Carl Hagenbecks Zurschaustellung der Lappländer, die ein großer kommerzieller Erfolg war, zeigte nicht nur die „fremden“ Menschen, sondern stellte sie „in einen Zusammenhang mit ihren heimischen Lebensumständen. Dazu beschaffte Hagenbeck Nutztiere wie z. B. Rentiere, originale Zelte, Werkzeuge und Schlitten, um die Ausstellung als möglichst authentisches Ensemble zu arrangieren.“[28] In den kommenden etwa zehn Jahren folgten mehrere dieser noch kleineren Völkerschauen, die neben Hamburg und Berlin auch in Paris, London, Zürich und weiteren europäischen Hauptstädten für große Aufmerksamkeit sorgten. Bei diesen Schauen wurden die Menschen eingehegt, also mit einem Zaun umgeben, denn „gerade in der Anfangszeit der Völkerschauen [wurde] großer Wert auf eine möglichst perfekte räumliche Trennung gelegt“.[32]

Ab Mitte der 1880er Jahre entwickelten sich die Völkerschauen immer mehr zu großen Spektakeln mit bis mehreren Hundert zur Schau gestellten Menschen.[33] Besonders erfolgreich wurde das Konzept des „Eingeborenendorfs“, auch „ethnographisches Dorf“ genannt.[34] Dort wurde die Trennung der zur Schau gestellten Menschen von den Zuschauenden durch Zäune und Barrieren aufgehoben.[35] Die Besucher sollten „durch das Dorf schlendern und am ‚tatsächlichen‘ Leben des Volkes teilnehmen“.[28] Seit den 1890er wurden die „Eingeborenendörfer“ zunehmend auch Bestandteile der Welt- und Kolonialausstellungen. Die Impresarios steigerten ihre Einnahmen zunehmend auch durch den Verkauf von in den Dörfern hergestellten Produkten wie Teppiche, Körbe und Masken.[35] Die Schauen profitierten außerdem von Ereignissen wie Tod, Hochzeit oder Geburt der Ausgestellten und dem dadurch entstehenden Besucherandrang.[36] Das zweite erfolgreiche Konzept waren große szenische Inszenierungen von Tänzen, Musik, Gesängen, Paraden und Schaukämpfen.[33] Das Programm der „Kameruner Truppe“ von Hagenbeck im Jahr 1886 beinhaltete für diesen Schautyp typische Programmpunkte: „Vorführung von lebhaften Tänzen, vom Trommelkonzert, von Gefechtsübungen, von Kanufahrten und von der Trommelsprache“.[37]

Zur Schau gestellte Menschen

Anwerbung

Im April 1931 kommt eine Gruppe Schwarzer Menschen begleitet vom Direktor des Zoologischen Gartens Berlin Lutz Heck am Anhalter Bahnhof an. Die Frauen haben ihre Lippenteller mit Schals verdeckt. (Foto von 1931)

Die auf Völkerausstellungen zur Schau gestellten Menschen wurden aus verschiedenen Teilen vornehmlich der kolonialisierten Welt angeworben. Die Anwerbung wurde anfangs über Tierhändler, später über Agenten organisiert, die bereits viele Monate vor Beginn der Völkerschauen mit der Suche nach geeigneten Personengruppen beauftragt wurden. Das Engagement dauerte von einem Sommer bis zu mehreren Jahren. Obwohl die Menschen im Fokus des öffentlichen Interesses standen, gibt es nur wenige Überlieferungen über ihre persönliche Situation oder ihr Erleben als „Ausstellungsobjekte“ bei den Völkerschauen.[38] Dennoch gelten sie in der Forschung keineswegs nur als hilflose Objekte der Willkür der Veranstalter, sondern als selbstbewusste Subjekte.[39] Nicht wenige von ihnen ließen sich aus finanziellen Motiven bereitwillig für Darstellungen in Europa anwerben und kehrten zum Teil nach einigen Jahren wohlhabend in ihre Herkunftsländer zurück, wenngleich ihnen in der Regel höchstens ein Bruchteil der Einkünfte aus den Spektakeln ausgezahlt wurde.[28]

Die Agenten achteten darauf, die Gruppen möglichst unterschiedlich zusammenzustellen, also mit Frauen und Männern, auch Kindern und alten Menschen, um vorgeblich ein alltägliches Familienleben inszenieren zu können.[28] Auswahlkriterien waren auch ein besonders „schönes“ oder „hässliches“ Aussehen sowie körperliche Veränderung wie Tätowierungen, Skarifizierung oder beispielsweise spitz gefeilte Zähne, Frauen mit langgestreckten Hälsen (genannt „Giraffenhals-Frauen“) oder Lippentellern. Für die größeren Völkerschauen wurden später auch gezielt Handwerker, Artisten und Tänzer eingestellt. Die Anwerbung erfolgte in der Regel freiwillig, auch wenn den Angeworbenen nicht immer klar war, was sie bei den Völkerschauen erwartete.[40]

In den Anfangsjahren wurden zur Schau gestellte Menschen auch unfreiwillig und unter Entzug der Freiheitsrechte nach Europa verschleppt – insbesondere, wenn es sich um Gruppen vermeintlicher „Urmenschen“ handelte. Robert A. Cunningham etwa galt laut Hilde Thode-Arora als „der Prototyp des schlechten, rücksichtslosen Völkerschau-Impresarios“,[41] der 1882 eine Gruppe von Aborigines entführte. Zur Gruppe dieser Aborigine gehörte Kukamunburra, der in Europa und den USA zur Schau gestellt wurde und nach seinem Tod in Cleveland mumifiziert wurde. Häufig war mit den „Wilden“ und „Urmenschen“ überhaupt keine sprachliche Kommunikation möglich, weshalb ihnen bei ihrer „Anwerbung“ überhaupt nicht vermittelt werden konnte, was sie auf ihrer Reise und bei der Zurschaustellung erwarten würde. Solche „Anwerbungen“ entsprachen also dem Tatbestand einer Verschleppung oder Entführung.[42]

Verschleppung der „Feuerländer“
Menschenzoo der „Feuerländer“ im Sommer 1881, Jardin d'Acclimatation in Paris (Foto von 1881)

Ein weiteres bekanntes Beispiel für die Verschleppung von zur Schau gestellten Menschen war der Menschenzoo der „Feuerländer“ in den Jahren 1881 und 1882. Carl Hagenbeck beauftragte einen Agenten, „Feuerländer“ nach Europa zu bringen. Dieser Agent übergab in der Nähe der Magellanstraße dem Kapitän G. Schweers elf Kawesqar (das waren westlich der Hauptinsel Feuerland lebende Wassernomaden), der sie unter Umgehung chilenischer Behörden nach Hamburg brachte. Später behauptete Hagenbeck, Schweers hätte die Menschen aus Seenot gerettet und in den nächsten angesteuerten Hafen – also nach Hamburg – gebracht.[43]

Die elf Kawesqar, darunter drei Kinder, wurden im Sommer 1881 zuerst im Pariser Jardin d'Acclimatation mit einer halben Million Zuschauer und anschließend in Berlin, Leipzig, Stuttgart, München, Nürnberg und Zürich zur Schau gestellt. Sie erregten großes Aufsehen in der Presse und wurden äußerst abschätzig beschrieben: „Hässlich seien die Feuerländer, lethargisch und schmutzig, stinkfaul von Natur aus und unsäglich dumm“, und „die Menschenfresser aus Südamerika würden eher die eigenen Großmütter verspeisen als ihre Hunde, weil Hunde Ottern fressen, das einzige Tier, vor dem die Feuerländer sich ekelten“.[44] Im Berliner Zoo kam es zu lautstarken Aufruhr, wie die Presse berichtete: „Als sich jedoch um 5 1/2 Uhr die Feuerländer in die inneren Gemächer ihres Erdgelasses zurückzogen, nahm der Tumult bedenkliche Dimensionen an. ‚Feuerländer raus!‘, brüllte ein tausendstimmiger Chorus, Bänke und Stühle wurden zerbrochen und erst mit Hülfe requirierter Schutzleute gelang es, die Ruhe wiederherzustellen“.[45] Im Berliner Zoo nahm Anatom und Anthropologe Rudolf Virchow Untersuchungen an den Kawesqar vor und stellte sie am 14. November 1881 der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte im Saal des Zoologischen Gartens als eine „Rasse“ auf der „untersten Stufe“ sowie als mögliche „Kannibalen“ vor.[46] In Zürich verstarben im Februar und März fünf der Kawesqar, schließlich kehrten nur vier von ihnen in ihre Heimat zurück.[47]

Arbeitsbedingungen

Im Zuge der Professionalisierung der Völkerschauen hielten sich die meisten Impresarios weitestgehend an Abmachungen oder Verträge und wollten den Eindruck vermeiden, die Menschen würden gegen ihren Willen zur Schau gestellt werden. Über die Bezahlung in den Menschenzoos gibt es nur wenige Informationen.[38] Die Verträge umfassten neben der Entlohnung auch „das Anrecht auf bestimmte Mengen an Lebensmitteln und Decken und vieles mehr“.[39] So wurden die medizinische Versorgung, die geforderten Tätigkeiten sowie die Arbeitszeiten genau geregelt.[48] Die Arbeitsbedingungen und -zeiten von bis zu 10 Stunden waren hart, und es kam häufig zur Erkrankungen. Ursachen hierfür waren neben mangelnder medizinischer Versorgung vor allem Infektionskrankheiten und fehlende Impfungen,[49] zudem auch unangepasste Kleidung unter ungewohnten klimatischen Bedingungen, schlechte Wohn- und Lebensverhältnissen sowie das ungewohnte Essen. Medizinische Untersuchung und Impfungen wurden später allgemeiner Standard, und man ging dazu über, die Teilnehmer für sich selbst kochen zu lassen.[48] Die Menschen wohnten meist in einfachen, dem Publikum nicht zugänglichen Behausungen und durften teilweise den Zoo oder das Ausstellungsgelände nicht verlassen.[49]

Herkunft und Stereotype

Das Plakat zur Völkerschau der Aschantis 1887 im Jardin d'Acclimatation in Paris wirbt mit halbnackten Schwarzen Menschen (Plakat von 1887)

Nach der ersten Völkerschau der Lappländer 1875 organisierte Carl Hagenbeck 1877 eine erste Schau mit Schwarzen Menschen: eine afrikanische Tierschau, die von vierzehn als Nubier beworbenen Afrikanern begleitet wurde.[50] Auch die Nubier-Schau reiste durch zahlreiche europäische Hauptstädte und erlebte in ganz Europa einen großen Besucherandrang.[10] Nach diesen ersten Völkerschauen wurden Menschen verschiedener Kontinente und Regionen vornehmlich der kolonialisierten Welt angeworben.

In der Logik des kolonialistischen und rassenbiologischen Denkens wurden die ausgestellten Völker hierarchisiert und unterschiedlich entweder als Kulturvölker oder als primitive Urmenschen kategorisiert, die „entweder dem europäischen Schönheitsideal entsprachen oder aber als Vertreter des Typs ‚Urmensch‘ besonders abstoßend wirkten“.[28] Solche Stereotype der Völkerschauen lassen sich heute anhand der Plakate rekonstruieren, die das wichtigste Medium für die Bewerbung der Schauen waren.

Alexander Sokolowsky, Hagenbecks Assistent und ein Schüler Ernst Haeckels, konstruierte im Rahmen der Völkerschauen solche Hierarchien zwischen den Menschenrassen.[51] Zu den damals so bezeichneten Kulturvölkern zählten Araber, Inder und die Singhalesen. Plakate bewarben sie mit „geheimnisvollen Märchen aus 1001 Nacht“, Kamelkarawanen, Basaren und erotischen Bauchtänzerinnen.[28] Positiv konnotiert wurden auch die Indianer die viel kämpfen und um den Marterpfahl tanzen mussten,[35] sowie die Südseeinsulaner „als freundliche, liebenswürdige Wesen mit sonnigem Gemüt […], die tagtäglich nichts anderes taten, als zu singen, Hula zu tanzen und Feste zu feiern. Die Frauen aus dieser Gruppe erschienen oft mit freiem Oberkörper, nur mit Bastrock und Blumengirlanden bekleidet.“[28] Auch die nördlichen Völker wie die Kalmücken aus dem Gebiet zwischen Wolga und Don sowie Eskimos und Lappländer aus dem Polarkreis kulturell höher bewertet als Schwarze Menschen, darunter Aschanti, Nubier, Somali, Kamba oder die als Schwarzafrikaner bezeichneten Menschen aus dem südlichen Afrika sowie die als „Australneger“ bezeichneten Aborigines. Auf der untersten Stufe standen die sogenannten „Urmenschen“, beispielsweise die Feuerländer oder Fidschi-Insulaner, die von Anthropologen als „primitivste Wesen“ und als „Kannibalen“ beschrieben wurden.[52]

Vermeintliche Authentizität

Die Frage, ob die zur Schau gestellten Menschen bezüglich ihres Aussehens, ihrer Kleidung und der Inszenierung ihres Alltags oder der Schaukämpfe authentisch auftraten oder nicht, wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt. Dabei dominiert die zweite Deutung. In den „Eingeborenendörfern“ beispielsweise wäre nur suggeriert worden, das alltägliche Leben darzustellen: „Vorgeführt wurden Bräuche und Sitten, oft mussten die Menschen einen nur vorgeblichen Alltag nachspielen.“[29] Die ausgestellten Menschen hatten zudem in der Regel bei den Inszenierung der Schauen nichts mitzureden.[49] Anne Dreesbach hat zur Erklärung solcher Inszenierungsmuster der Völkerschauen einen „Stereotypenkreislauf“ vorgeschlagen: erstens würden durch Werbung und Plakate bereits verankerte Klischees aktiviert, um zweitens in der Inszenierung bestätigt zu werden und die Besucher drittens zur Bildung neuer Klischees anzuregen. Dabei wurde großer Wert darauf gelegt „Publikumserwartungen auf möglichst spektakuläre Weise zu erfüllen“. Dieses Inszenierungsmuster habe zur Folge gehabt, dass es bei der Planung einer Völkerschau gar nicht so sehr darum ging, Repräsentanten einer Volksgruppe so zu zeigen, wie sie wirklich lebten. Authentizität sei nur insofern von Bedeutung gewesen, als dass die Zuschauer die Präsentation für authentisch hielten.[28]

Nach Stefanie Wolter liegt hier der Schlüssel zur Erklärung des unerwarteten Erfolgs der ersten Völkerschau der Lappländer 1875.[30] Zur gleichen Zeit tourte bereits eine Gruppe Lappländer auf verschiedenen Jahrmärkten, die allerdings als Eskimos vermarktet worden wären. Die Lappländer seien zwar echt, die Schau aber nicht als authentisch wahrgenommen worden. Im Gegensatz dazu seien die erste Völkerschau von den Zuschauenden „als wahrheitsgetreue Abbilder des Lebens der jeweiligen Ausgestellten“ aufgefasst worden, wie sich in zahlreichen Berichten herauslesen lässt. In den Folgejahren gab es aber auch verschiedene erfolglose Völkerschauen, eben weil sie vom Publikum nicht für authentisch gehalten wurden.[35], wie beispielsweise Hagenbecks Hindu-Schau von 1878 oder die Bella-Coola-Schau von 1885/86. Wolter kritisiert zugleich die vorgeblich authentische Sicht auf die Ausgestellten, spricht sie „doch jedes Bewusstsein für ihre tatsächliche Situation ab“.[30]

Proteste der zur Schau gestellten Menschen

Vitrine: Opernglas in der Ausstellung „zurückGESCHAUT“ in Berlin-Treptow. (Foto von 2020)

Vereinzelt sind Proteste der zur Schau gestellten Menschen überliefert. Auf der von Mai bis Oktober 1896 dauernden Berliner Kolonialausstellung im Treptower Park setzte der zur afrikanischen Völkerschau gehörende etwa zwanzigjährige Kwelle Ndumbe (auch Bismarck Bell genannt) ein sichtbares Zeichen des Protests, indem er mit einem Opernglas die Zuschauenden beobachtete und damit ihren Voyeurismus kritisieren wollte.[15] Es gab auch viele zur Schau gestellten Menschen, die sich nicht vermessen ließen, von 103 Teilnehmern der Berliner Kolonialausstellung stimmten beispielsweise lediglich 83 zu und nur 31 ließen sich fotografieren.[53] Vereinzelt traten die zur Schau gestellten Menschen in Streik, wie auf der 1899 in Wien stattfindenden sogenannten Bischari-Schau.[35]

Veranstalter

Impresarios

Der heute kaum noch geläufige Begriff Impresario bezeichnete bis ins 19. Jahrhunderte den Besitzer oder Leiter von Theatern und anderer Veranstaltungsformaten, so auch die Veranstalter der Völkerschauen. Um 1870 nahm das Schaustellereiwesen und verschiedener Vergnügungsstätten in Europa einen enormen Aufschwung, worin auch die rasche Verbreitung und Popularisierung der Völkerschauen seit den 1870er Jahren begründet liegt.[54] Nach Phineas Taylor Barnum, der ab den 1840er Jahren in den USA das Format der Freak Shows etabliert hatte, war Carl Hagenbeck einer der einflussreichsten Impresarios, der das Format der Völkerschauen maßgeblich professionalisierte. Hagenbeck begann seine Karriere 1866 als Händler exotischer Tiere. Nach der Schau der Lappländer war für ihn klar, dass mit der Vorführung von Menschen aus entfernten Kulturen weitaus mehr zu verdienen war[35] und ab 1879 wurden die Völkerschauen zu seiner Haupteinnahmequelle.[55] Der Erfolg der meisten Völkerschauen lag also nicht vorrangig darin begründet, dass die Impresarios ein ideologisch-rassistisches Konzept oder Kolonialpropaganda vermitteln wollten, sondern in erster Linie an ihrem Profitstreben. Sie versuchten, die Völkerschauen so zu inszenieren, dass der Unterhaltungswert für das Publikum und somit die Einnahmen möglichst groß waren.[56] Zudem bemühte sich Hagenbeck um gute Kontakte zu Wissenschaftlern, die den Schauen einen seriösen Eindruck gaben und ihrerseits von der Untersuchungen und Vermessungen profitieren. Besonders engen Kontakt unterhielt er zum Anatom und Anthropologen Rudolf Virchow.[57]

Hagenbeck setzte auch auf die intensive Bewerbung der Schauen. Neben Plakatwerbung, Zeitungsannoncen und Rabattaktionen zog er mit den neu ankommenden Völkerschauen in großen Umzügen durch die Stadt, um dadurch ein großes Medienecho zu erzeugen. Wie wichtig die gute Vernetzung zur Presse war, machte bereits die Völkerschau der Lappländer 1875 deutlich. Die Schau war nur in Hamburg so erfolgreich, in Berlin aber, wo Hagenbeck noch nicht vernetzt war, waren die Besuchszahlen nur gering.[58]

Bekannte Impresarios aus anderen Länder waren beispielsweise Imre Kiralfy aus Großbritannien[59] oder William Frederick Cody alias Buffalo Bill aus den USA, der mit seiner Wild West Show mit Cowboys und Indianern unter freiem Himmel ein eigenes Ausstellungskonzept entwickelte. Die Show wurde zuerst in den USA, 1887 in London und danach in ganz Europa gezeigt.[28]

Welt- und Kolonialausstellungen

Seit den 1850er Jahren wurden regionale oder nationale Industrieausstellungen sowie die größer konzipierten Weltausstellungen zu einem wichtigen Instrument der Industrienationen Europas, Amerikas und Japan zur Repräsentation ihrer wirtschaftlichen Stärke. Diese Schauen wurden Ende des 19. Jahrhunderts von den imperialistischen Mächten oft verknüpft mit Kolonialausstellungen, in die auch Völkerschauen integriert wurden. Koloniale Themen nahmen auf den Weltausstellungen immer größeren Raum ein, und „die Auftritte lebender Menschen [wurden] zur beliebtesten Attraktion“.[60] Während es im Deutschen Reich nur drei Kolonialausstellungen gab, in denen Menschen zur Schau gestellt wurden, waren in Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien, Belgien und Japan diese Form der Völkerschauen verbreiteter.

In den Kolonialschauen wurde vorrangig die Zivilisierung der Menschen in den Kolonien in Szene zu setzen versucht, beispielsweise bei der Weltausstellung 1904 in St. Louis. Dort wurden im „Philippinischen Reservat“ 1200 Menschen zur Schau gestellt und in Gruppen unterschiedlicher „Anpassungsstufen“ an die Kolonialmacht inszeniert: „Der koloniale Fortschritt wurde anhand der Weiterentwicklung der ‚primitiven‘ Völker demonstriert, die sich in gut gekleidete und disziplinierte Polizeitruppen verwandelten“.[60]

Zuschauende

Über das Verhalten der Besucherinnen und Besucher der Völkerschauen gibt es zahlreiche Überlieferungen. Bereits die erste Völkerschau von Hagenbeck im Jahr 1875 erlebte einen großen Besucherandrang. Er notierte in seinen Erinnerungen: „Vom ersten Tage an war das Publikum geradezu enthusiasmiert […] Schon am frühen Morgen des Eröffnungstages begann das Zuströmen des Publikums, und trotz des großen Raumes, der zur Verfügung stand, nahm das Gedränge geradezu beängstigende Formen an“,[61] so dass die Polizei einschreiten musste.[62]

Für die Erklärung des Besucherandrangs gibt es verschiedene Ansätze wie ein „grenzenloser Voyeurismus“.[29] Dabei spielte in den ansonsten prüden Gesellschaften des ausgehenden Jahrhunderts die Inszenierung halbnackter oder in Einzelfällen auch nackter Menschen eine große Rolle. Klischees über die „sexuelle Verfügbarkeit schwarzer Frauen und Virilität schwarzer Männer“ waren weit verbreitet.[63] Dominika Czarnecka hob in ihrem Zeitschriftenartikel Black Female Bodies and the ‚White‘ View von 2020 die Sexualisierung der Körper Schwarzer Frauen als maßgeblichen Faktor für den Besucherandrang der Völkerschauen hervor.[64] Die Masse der Zuschauenden ist in verschiedenen Fällen auch übergriffig geworden. „Die dunklere Haut musste berührt und geprüft werden; erotisches Begehren überschritt Grenzen.“[35] Aus Paris ist überliefert, dass die Zuschauenden die ausgestellten Menschen mit Nahrungsmitteln und anderem bewarfen.[10]

Kritik an den Völkerschauen

Nach Anne Dreesbach gab es während der Hochphase der Völkerschauen eine „fast durchweg positive Reaktion“ der Zuschauenden: „Einer kleinen Zahl von kritischen, ablehnenden oder auch nur hinterfragenden Stimmen stehen Tausende und Abertausende von begeisterten Zuschauern gegenüber“.[33] Auch Nicolas Bancel, Pascal Blanchard und Sandrine Lemaire stellten in ihrem Artikel von 2000 in der Le Monde diplomatique fest: „Am erstaunlichsten war bei dieser rücksichtslosen Animalisierung gewiss die Reaktion des Publikums. In all den Jahren mit tagtäglichen Ausstellungen empörte sich kaum ein Journalist, Politiker oder Wissenschaftler über die vielfach katastrophalen sanitären Bedingungen, unter denen die ‚Eingeborenen‘ auf engem Raum zusammengepfercht waren.“[10]

Aus der Zeit, in der die Völkerschauen abgehalten wurden, gibt es nur punktuell überlieferte Kritik. Bereits 1872 wurde von der Münchener Polizeidirektion die Ausstellung eines „Indianers“ auf dem Oktoberfest untersagt, weil „derartige Schaustellungen […] der Menschenwürde zuwiderlaufen“.[65] In Wien kritisierte der Schriftsteller Peter Altenberg 1887 „die kommerzielle Vermarktung, die moralische Zulässigkeit der Schaustellungen, hinterfragte die Brauchtumsvorführungen, erkannte in den Tanzszenen einstudierte Nummern, und brandmarkte das Dorf als Herabwürdigung einer fremden Kultur.“[38] Als 1892 eine Darstellerin der Varieté-Schau „Amazonen aus Dahomey“ starb, wurde ihr Tod in einer Zeitung Münchener Post als Folge von „Geldmacherei“ in Völkerschauen kritisiert. Anlässlich ihrer Beisetzung kam es zu Tumulten.[66] Bei der Weltausstellung 1897 in der Nähe von Brüssel starben 70 der Kongolesen an Lungenentzündung. Als sich die Bevölkerung eines nahegelegenen Dorfes verweigerte, sie auf dem dortigen Friedhof zu beerdigen, kam es zum Skandal und es fanden für mehrere Jahre keine Völkerschauen mehr in Belgien statt.[67] In Japan löste die erste Zurschaustellung zur Schau gestellter Menschen aus den japanischen Kolonien 1903 in Osaka große Proteste aus.[68] Und anlässlich einer großen Indienschau 1926 im Berliner Zoo protestierte der „Verein der Inder in Zentral-Europa“. Auf der Ausstellung werde der Anschein erweckt, „das ganze indische Volk befinde sich auf dem Niveau von Tieren“, protestierten die Inder in einem Brief an die Reichskanzlei.[69]

Wissenschaftliche Legitimierung

Forschende verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, besonders der physischen Anthropologie und der Anatomie nutzten die zur Schau gestellten Menschen auch als Forschungsobjekte. Im Interesse der Forschung standen akribische Vermessungen und die Untersuchung „der Hautfarbe, der Haare, Augen bis hin zu den Zehennägeln“[38], außerdem auch die Anfertigung von Gipsabdrücken unter anderem auch von Sexualorganen.[70] Verstorbene Menschen wurden auch seziert, und ihre Leichname bzw. Skelette blieben oftmals im Besitz der Forschungsinstitute. Großes Interesse galt dabei den Schädeln sowie präparierten, also in Spiritus eingelegten Körperteilen. Der Münchner Anatom Theodor von Bischoff etwa spezialisierte sich etwa auf weibliche Geschlechtsorgane, die er sich beispielsweise 1882 von den in Zürich verstorbenen Kawesqar zusenden ließ.[71]

Wissenschaftler und Impresarios profitieren gegenseitig von der Zusammenarbeit. Die Völkerschauen nutzen der Wissenschaft insbesondere, weil statt aufwändiger und gefährlicher Reisen die Forschungen direkt vor Ort durchgeführt werden konnten. Hagenbeck verstand es im Gegenzug, durch die intensive Zusammenarbeit besonders mit der 1869 gegründeten Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte den Schauen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Deren Vorsitzender und bekannte Anatom Rudolf Virchow (1821–1902) regte seinerseits die Untersuchung der zur Schau gestellten Menschen an. Die Wissenschaftler erhofften sich „Erkenntnisse über die Menschheitsgeschichte, da sie annahmen, dass ‚Naturvölker‘ einer niedrigeren Entwicklungsstufe angehörten als ‚Kulturvölker‘ und somit den von Charles Darwin (1809–1882) gesuchten Missing Link zwischen Affe und Mensch darstellen könnten.“[28]

Die Impresarios brachten die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft direkten finanziellen Vorteil ein, da bei einer Völkerschau mit nachweislichem Bildungscharakter die Erlassung der Lustbarkeitssteuer von bis zu vierzig Prozent der Bruttoeinnahmen beantragt werden konnte. Nach 1900 nahm das wissenschaftliche Interesse an der Untersuchung der zur Schau gestellten Menschen ab.[28]

Ende der Völkerschauen

Das Ende der Völkerschauen in den verschiedenen Ländern, in denen sie gezeigt wurden, fällt zumeist in die 1930er Jahre. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Format insbesondere durch den Film immer weiter verdrängt, der in der Darstellung des „Fremden“ und „Exotischen“ in den 1950er und 1960er übrigens dieselben Klischees bediente wie zuvor die Völkerschauen. Der Tierpark Hagenbeck, der seit Anfang der 1930er Jahre keine Völkerschauen mehr zeigte, profitierte dabei vom Film, denn die Kulissen der Völkerschauen wurden jetzt als Filmset vermietet.[35] Auch der aufkommende Ferntourismus der 1950er Jahre trug zum Ende der Schauen bei.[56] Hinzu kam eine veränderte Haltung der europäischen Gesellschaften in den 1950er und 1960er Jahren, die aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs resultierte und zugleich mit dem Zerfall der europäischen Kolonialreiche und mit den Unabhängigkeitsbestrebungen der überseeischen Völker verbunden war.[72]

Auch wenn in den 1950er Jahren beispielsweise auf dem Oktoberfest in München die Völkerschauen wiederzubeleben versucht wurden, war das Interesse und der kommerzielle Erfolg nur noch gering. Die letzte große Zurschaustellung indigener Menschen fand 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel statt, auf der ein „kongolesisches Dorf“ errichtet wurde.[73] Kleinere Schauen sind gelegentlich bis die 1960er Jahre überliefert, beispielsweise in Zürich.[74]

Völkerschauen nach Ländern und Städten

Deutsches Reich

Im Deutschen Reich wurden seit der ersten Völkerschau der Lappländer 1875 bis 1940 etwa 400 Gruppen bei Völkerschauen gezeigt, die häufig auf Tournee durch mehrere Städte geschickt wurden.[28] Einige dieser Schauen wurden täglich von mehreren Zehntausend Besuchern gesehen, und an einzelnen Standorten erreichten die Schauen, die dort jeweils meist für einige Wochen gastierten, Besucherzahlen von über einer Million Menschen.[22] Fast alle der etwa 400 Schauen waren von Impresarios als kommerzielle Veranstaltungen geplant. Unter den etwa 50 Kolonialausstellungen, die zwischen 1896 und 1940 im Deutschen Reich gezeigt wurden, gab es nur drei mit einer Völkerschau, nämlich die Berliner Gewerbeausstellung 1896, in deren Rahmen auch die Berliner Kolonialausstellung im Treptower Park zu sehen war, die Kolonialausstellung 1928 in Stuttgart sowie die zwischen 1935 und 1940 gezeigte Deutsche Afrika-Schau. Die wichtigsten Veranstaltungsorte im Deutschen Reich waren Berlin und Hamburg,[56] außerdem unter anderem auch München, Köln, Leipzig oder Dresden.

Berlin

Der Berliner Zoo war anfangs die wichtigste Station auf Hagenbecks Tourneen, wo nach seinen Angaben täglich bis zu 100.000 Besucher zu den Völkerschauen kamen.[75] Insgesamt fanden im Berliner Zoo 25 Völkerschauen statt.[76] Auf der Berliner Kolonialausstellung 1896 im Treptower Park wurden mehr als hundert Menschen aus den deutschen Kolonien in Afrika fünfeinhalb Monate im „Togodorf“ und „Kamerundorf“ am Karpfenteich zur Schau gestellt,[77] die etwa 2 Millionen Besucher zählten. Auf einem Palisadenzaun rund um die Hütten waren Attrappen von Menschenköpfen aufgespießt.[75]

Hamburg

Carl Hagenbeck begann mit den Völkerschauen im 1874 eröffneten „Hagenbecks Thierpark“ am Neuen Pferdemarkt. Insgesamt fanden etwa 60 Völkerschauen in Hamburg statt.[78] Nachdem in den 1890er Jahren die Völkerschauen in vielen Städten des Deutschen Reiches immer weniger Umsätze einbrachten, konnte Hagenbeck 1908 durch die Gründung des Tierparks in Hamburg-Stellingen neue und immer größere und aufwändigere Formate der Völkerschauen entwickeln.[79]

München

In München fanden die meisten Völkerschauen im Rahmen des Oktoberfestes statt, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass der Tierpark Hellabrunn erst 1911 gegründet wurde.[80] In München dominierte Carl Gabriel ab den 1890er Jahren das dortige Schaustellergewerbe und auch die Zurschaustellung von Menschen. Friedrich Wilhelm Siebold veranstaltete zwischen 1930 und 1932 mehrere „Lippenneger“-Schauen auf dem Münchner Oktoberfest.[31] Die letzte Ausstellung auf dem Münchner Oktoberfest vor dem Zweiten Weltkrieg war 1931 Kanaken der Südsee von Hagenbeck.[28]

Köln

Zwischen 1878 und 1932 fanden im Kölner Zoo im Stadtteil Riehl sieben Völkerschauen statt. Marianne Bechhaus-Gerst erklärt die vergleichsweise geringe Zahl unter anderem mit der Konkurrenz der zahlreicheren Freak Shows, die in unmittelbarer Nähe des Zoos aufgeführt wurden.[39] Am Standort der heutigen Zoobrücke befand sich seinerzeit die sogenannte „Goldene Ecke“ Kölns mit einem ausgedehnten Vergnügungspark, wo beispielsweise die Amazonen von Dahomey öfters Station machten. Die letzte Völkerschau im Kölner Zoo war 1931 die Schau der Frauen mit Lippentellern, die zuvor in Hamburg, Berlin und München Station gemacht hatte.[81]

Leipzig

Im Leipziger Zoo fanden zwischen 1876 und 1931 40 Völkerschauen statt, bei denen insgesamt etwa 750 Personen zur Schau gestellt wurden. Anfangs gastierte Carl Hagenbeck mit seinen Schauen im Leipziger Zoo, ab 1888 organisierte der Leipziger Zoodirektor Ernst Wilhelm Pinkert eigene Schauen, die er ebenfalls auf Tournee schickte.[82] Eine kritische Auseinandersetzung mit den Völkerschauen und der Rolle Pinkerts und seines Nachfolgers Johannes Gebbing hat in Leipzig bisher kaum stattgefunden.[78] Auf der Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung Leipzig 1897 wurde ein „Eingeborenendorf“ gezeigt.

Dresden

Auch der Dresdner Zoo war seit den 1870er-Jahren ein wichtiger Veranstaltungsort der Völkerschauen. Das dortige Stadtmuseum konnte 65 solcher Veranstaltungen zwischen 1878 und 1934 nachweisen.[83]

Freiburg

In Freiburg fanden zwischen 1885 und 1914 vier Völkerschauen statt.[23]

Weitere Impresarios aus Deutschland

Hagenbecks Völkerschauen fanden im Deutschen Reich rasch verschiedene Nachahmer. Bedeutende Impresarios waren Eduard Gehring, Carl, Fritz und Gustav Marquardt, Willy Möller, Friedrich Wilhelm Siebold, die Firmen Ruhe und Reiche sowie Carl Gabriel.[31] Die Brüder Fritz und Carl Marquardt hielten sich selbst lange in Deutsch-Samoa auf und begannen von dort mit der Anwerbung indigener Menschen.[84]

Es gab auch zur Schau gestellte Menschen, die selbst Impresarios wurden. Ein bekanntes Beispiel war Nayo Bruce, der 1896 die Zurschaustellung einer Gruppe aus Togo bei der Berliner Gewerbeausstellung organisierte und in den folgenden Jahren mit der „Togo-Gruppe“ durch das Deutsche Reich tourte.[75]

Deutsches Kaiserreich (1871–1918)

Im Zuge des Erwerbs von Kolonien entwickelten die Kolonialverbände eine kritische und ablehnende Haltung zu den kommerziellen Völkerschauen der Impresarios. Die Schauen üben „einen schädlichen Einfluss auf die Ausgestellten aus, was das Verhältnis der ‚Eingeborenen‘ zu den Kolonialisten empfindlich schädigen“ und nützten nur den kommerziellen Interessen der Impresarios. Vor diesem Hintergrund ordnete die Reichsregierung unter Reichskanzler Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst 1901 per Runderlass das „Verbot zur Ausfuhr von Eingeborenen aus den Kolonien zum Zwecke der Schaustellung“ an.[85] Allerdings kamen zu dieser Zeit die meisten der zur Schau gestellten Menschen nicht mehr aus deutschen Kolonien.

Nationalsozialismus

In der Zeit des Nationalsozialismus fanden kaum noch kommerzielle Völkerschauen statt. Zwischen 1935 und 1940 tourte die sogenannte „Afrikaschau“ durch das Deutsche Reich. Seit 1933 wurde wieder eine intensivere Kolonialpropaganda betrieben, andererseits sahen Teile der Nationalsozialisten die Angehörigen indigener Völker als Bedrohung, da Völkerschauen „immer die Möglichkeit eines Kontaktes, einer Vermischung von ‚Schwarzen‘ und ‚Weißen‘, also einer ‚Rassenvermischung‘ boten.“[28] Im Jahr 1940 wurde ein generelles Auftrittsverbot für Schwarze Menschen erlassen.[86]

Frankreich

In Frankreich gab es bereits 1877 erste kleinere Völkerschauen im Jardin Zoologique d’Acclimatation in Paris. Im August 1877 sorgte eine afrikanische Tierschau, die von vierzehn als Nubier beworbene Afrikanern begleitet wurde, für großes Aufsehen.[87] Der Pariser Zoo konnte durch die Schauen seine Besucherzahl verdoppeln, die im selben Jahr die Millionengrenze erreichte. Aufgrund des Erfolges wurden zwischen 1877 und 1912 dreißig solcher ethnologischer Ausstellungen veranstaltet.[10] In Frankreich fanden Völkerschauen häufig im Zusammenhang von Welt- und Kolonialausstellungen statt. Auf der Pariser Weltausstellung von 1889 gab es neben der Einweihung des Eiffelturms als weitere Hauptattraktion in dem zum Jardin d’Acclimatation Anthropologique verwandelten früheren Jardin Zoologique d’Acclimatation, eine riesige Völkerschau des französischen Kolonialreichs.[10] Sie wurde von 32 Millionen besucht.[88] Eine letzte große bei Hagenbeck in Auftrag gegebene Völkerschau fand 1931 im Rahmen der Exposition coloniale internationale in Paris statt.[89]

Belgien

Im Rahmen der Weltausstellung 1897 in Brüssel wurde in Tervuren ein kongolesisches Dorf aufgebaut, in dem während der Ausstellung 267 Afrikaner lebten und die von über 1,1 Millionen Menschen besucht wurde. In nachgebauten Dörfern spielten sie Alltagsszenen nach. „Die Begeisterung des Publikums musste in Zaum gehalten werden. Auf Hinweisschildern war zu lesen: ‚Es ist verboten, die Schwarzen zu füttern, sie werden verpflegt‘.“[67] Als bei dieser Schau 70 der Kongolesen an Lungenentzündung starben und die Bevölkerung eines nahegelegenen Dorfes sich verweigerte, sie auf dem dortigen Friedhof zu beerdigen, kam es zum Skandal und die Teile der Presse übten Kritik an der Schau. In den folgenden Jahrzehnten wurden bei Kolonialausstellungen in Belgien deshalb kaum noch Menschen zur Schau gestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings fand in Brüssel auf der Expo 58 die letzte große Völkerschau statt, auf der mehrere hundert Kongolesen zur Schau gestellt wurden.[67]

Großbritannien

In Großbritannien fanden viele größere Völkerschauen im Rahmen von Industrie- und Weltausstellungen statt. 1899 zeigte die Greater Britain Exhibition 174 Schwarze Menschen aus Südafrika, die auf die Dörfer aufgeteilt wurden. Weitere solcher Schauen gab es bis in die 1930er Jahre. Bekannt wurde der Impresario Imre Kiralfy, der ab 1908 jährlich große Völkerschauen in White City mit einem Schwerpunkt auf den Orient zeigte.[59]

Österreich−Ungarn

In Wien fanden zwischen 1870 und 1910 über 50 Völkerschauen statt.[90] Die „Nubierkarawane“ 1878 war die erste Völkerschau in Österreich, die Carl Hagenbeck in der Rotunde im Prater aufführte. 1885 kam die „Singhalesen-Karawane“ nach Wien, wiederum veranstaltet von Hagenbeck.[35] In den folgenden Jahren wurden zahlreich „Eingeborenendörfer“ zur Schau gestellt. In den Jahren 1886, 1887 und 1897 gab es mit dem Thema „Aschantidorf“ weitere Völkerschauen, die im Zoo am Schüttel in Wien stattfanden.[38] 1910 wurde wiederum am Prater ein abessinisches Dorf errichtet. In Österreich hatte das Interesse an den Schauen zu dieser Zeit aber schon stark nachgelassen.[91]

Schweiz

Die Schweiz war nie Kolonialmacht, dennoch waren Völkerschauen zwischen 1879 und 1939 weit verbreitet und populär. In den Anfangsjahren machten zahlreiche kommerzielle Völkerschauen Station in der Schweiz. Später wurden die Schauen auch im Rahmen von Kolonialschauen mit „Eingeborenendörfern“ veranstaltet.[92]

Zürich

Rea Brändle hat für Zürich 65 Völkerschauen zwischen 1835 und 1960 nachgewiesen,[74] die allerdings zum großen Teil zu den Veranstaltungen auf Jahrmärkten und in Zirkussen zählen. Dennoch fanden in Zürich zahlreiche große Völkerschauen im engeren Sinne statt. Eine der ersten war 1882 die „Feuerländer“-Schau von Hagenbeck. Vier der Kawesqar aus Südchile, die 1881 nach Europa verschleppt und dann in verschiedenen Ländern vorgeführt wurden, verstarben in Zürich, als sie im Februar 1882 im „Platte-Theater“ in Fluntern gezeigt wurden. Eine weitere Angehörige der Gruppe war schon auf der Reise nach Zürich gestorben. Schlechte Unterkünfte, strapaziöse Reisen und mangelhafte Ernährung führten zu Krankheiten. Von den elf Kawesqar kehrten nur vier lebend nach Chile zurück. Überreste der fünf Toten, die im Anthropologischen Institut der Universität gelagert wurden, wurden 2010 in Chile beerdigt.[93] 1885 erregte „Carl Hagenbecks anthropologische-zoologische Singhalesen-Ausstellung“ große Aufmerksamkeit.[29]

Basel

Der Basler Zoo war Veranstaltungsort von 21 Völkerschauen.[94] Die erste Schau der „Nubier-Karawane“ von Hagenbeck 1879 zeigte fünfzehn Männer aus Ägypten, daneben zahlreiche Tiere der Region. „Das Ausstellen exotisierter Menschen war für den seit der Gründung defizitären Zoo eine wichtige Einnahmequelle. Während der kurzen Anwesenheit einer Völkerschau von zwei bis drei Wochen verzeichnete der Zoo durchschnittlich zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent aller Besucherinnen und Besucher eines gesamten Jahres.“[95] 1899 fand mit der „Bischari-Karawane“ die vorerst letzte Schau in Basel statt, danach fanden von 1922 bis 1935 sechs weitere Schauen statt. Die letzte Schau von 1935 zeigte die „aussterbenden Lippennegerinnen aus Zentral-Afrika“.[95]

Genf

Auf der Schweizerischen Landesausstellung im Sommer 1896 in Genf wurden im Village noir 230 Sudanesen zur Schau gestellt.

Italien

In Italien setzten die Völkerschauen erst in den 1890er Jahren ein. Bei der Esposizione Nazionale in Palermo 1891/92 wurden Menschen aus der neu gegründeten Kolonie Eritrea in einem „Eingeborenendorf“ zur Schau gestellt.[96] In den Jahren bis 1914 fanden zahlreiche von Impresarios organisierte Schauen statt, die zuvor bereits durch verschiedene andere Länder getourt waren. Daneben gab es weiterhin Kolonialschauen, wie die Weltausstellung in Mailand 1906 oder die Exposizione Internatzionale 1911 in Turin, für die sogar zwei separate „Eingeborenendörfer“ der Eritreer und Somali errichtet wurden. Im faschistischen Italien gab es Bestrebungen, die Schauen immer größer anzulegen und damit die Kolonialpolitik und imperialen Ansprüche zu legitimieren, zugleich gab es aber deutlich weniger Schauen als vor dem Ersten Weltkrieg. Die letzte große Kolonialausstellung 1940 in Neapel wurde nur einen Monat nach ihrer Eröffnung wegen der Kriegserklärung Italiens an Frankreich und Großbritannien abgebrochen.[97]

Spanien

Aus Spanien sind zwischen 1887 und 1927 sechs größere Völkerschauen überliefert. Die erste war die staatlich organisierte Exhibición General de las Islas Filipinas 1897 in Madrid, auf der unter anderem ein „Eingeborenendorf“ der Igorot ausgestellt wurde. Nach Willen der Veranstalter sollten keine „Wilden“ gezeigt, sondern deutlich gemacht werden, „dass manche ‚Eingeborene‘ aufgrund des wohltätigen Einflusses des spanischen Protektorats ‚zivilisiert‘ werden und als Arbeitskräfte […] eingesetzt werden konnten“.[98] Weitere Schauen waren eine Zurschaustellung von Aschanti 1897 in Barcelona, Valencia und Madrid, von Inuit 1900 in Madrid und Barcelona, 1913 und 1925 in Tibidabo sowie 1929 im Rahmen der Exposición Iberoamericana in Sevilla. Obwohl es noch weitere kleinere Schauen gab, waren die Völkerschauen in Spanien nicht so populär wie in anderen europäischen Ländern. Eine besondere Rolle kommt in Spanien der Kirche zu, der eine aktive Rolle als Mitveranstalter der Schauen zukam.[99]

USA

In den USA fanden größere Zurschaustellungen indigener Menschen zwischen 1876 und 1909 statt. Besonders die Inuit wurden „unter abscheulichen Bedingungen zur Schau gestellt. In Chicago mussten sie mitten im Sommer in Robbenfelle gehüllt auftreten. In Buffalo zwang man sie, in einem Tiergehege zu leben, bis ihr Dorf fertig gebaut war“.[49] Es gab verschiedene „Eingeborenendörfer“ mit Schwarzen Menschen, beispielsweise das Dahomey-Dorf in Chicago 1893. Die Menschen wurden als „Wilde“ inszeniert und in einem Führer zur Ausstellung war zu lesen: Die Gewohnheiten dieser Leute sind abstoßend. Sie fressen wie Tiere und weisen alle Merkmale der niedrigsten Stufe der Menschenfamilie auf.[100] Eine ähnliche Ausstellung fand 1901 unter dem Namen Darkest Africa statt. In den USA wurden einige besonders große Schauen gezeigt. Auf der World’s Columbian Exposition in Chicago 1893 waren 17 „Eingeborenen“-Dörfer zu sehen.[101] Im Jahr 1904 wurden auf der Weltausstellung in St. Louis etwa 1.200 Filipinos ausgestellt, die in verschiedenen Dörfern nach Entwicklungsstufen ihrer „Zivilisierung“ gezeigt wurden.

Japan

In Japan standen Völkerschauen in Zusammenhang zu den großen Industrie- und Weltausstellungen, die hier seit 1877 stattfanden und die Position Japans als Kolonialmacht legitimieren sollten. 1903 fand in Osaka eine große Industrieausstellung statt, auf der in einem „Anthropologischen Pavillon“ und einem „Taiwan−Pavillon“ erstmals Menschen zur Schau gestellt wurden. Im „Anthropologischen Pavillon“ wurden 31 Personen gezeigt: „Sieben Ainu aus Hokkaido, ein ‚roher Barbar‘ und zwei ‚gargekochte Barbaren‘, zwei ‚Eingeborene‘ aus Taiwan, zwei Okinawesen, zwei Koreaner, zwei Malaysier, drei Chinesen, sieben Inder, ein Javanese, ein ottomanischer Türke und ein Bewohner der Insel Sansibar“.[102] Auch im Taiwan-Pavillon wurden „rohe Barbaren“ (gemeint waren taiwanesische Ureinwohner) zur Schau gestellt. Sie mussten „in einem nachgebildeten Urwald stehen und so tun, als hantierten sie bei einem religiösen Ritual mit abgeschlagenen menschlichen Köpfen“.[102] Gegen die Völkerschau wurde scharfe Kritik laut. Nach Protesten von Seiten Chinas, Koreas und Okinawa wurden diese Personen aus dem „Anthropologischen Pavillon“ entfernt. Überhaupt gab es in der Bevölkerung Osakas eine „deutliche Ablehnung der Schaustellung indigener Bevölkerungsgruppen“.[68] Dennoch wurden in Japan besonders in der Zeit von 1914 bis zum Zweiten Weltkrieg regelmäßig Kolonialschauen mit Zurschaustellungen indigener Menschen veranstaltet.

Weitere Länder und Städte

Außer in den hier aufgelisteten Ländern fanden Völkerschauen auch noch in Dänemark, Norwegen, Schweden, den Niederlanden, Portugal und in Kanada statt, außerdem in den Städten Prag und Budapest (damals beide zu Österreich-Ungarn).[103]

Rezeption

Debatten zu den Völkerschauen und das Koloniale Erbe

Ehemaliges Eingangstor Tierpark Hagenbeck von 1907 (Foto von 2011)

Obwohl die Völkerschauen ein Massenphänomen waren, haben sie nur wenige materielle Überlieferungen hinterlassen, wie beispielsweise das Eingangstor im Tierpark Hagenbeck, auf dem zwei kriegerisch inszenierte Menschenfiguren Bezug auf die Völkerschauen nehmen. Im Zuge der Debatten um das koloniale Erbe und den Postkolonialismus wurde seit den 2010er Jahren in Deutschland in verschiedenen lokalen Kontexten über die Völkerschauen debattiert.

Augsburg

So geriet zum Beispiel der Augsburger Zoo im Juni 2005 in die öffentliche Diskussion, nachdem er eine viertägige Veranstaltung mit dem Titel „African Village“ angekündigt hatte.[104]

Berlin

Der Berliner Zoo setzt sich in einer kleinen Dauerausstellung im Antilopenhaus kritisch mit den Völkerschauen und der Rolle Ludwig Hecks, der von 1932 bis 1945 Berliner Zoodirektor war, auseinander.[78]

Hamburg

Andernorts wurde die Entfernung von Denkmälern und Statuen, die Streichung von Straßen- und Schulnamen namensgebender Personen diskutiert. In Hamburg beispielsweise wurde 2020 eine Petition zur Entfernung der Hagenbeck-Statue und der Umbenennung der Hagenbeck-Straße gestartet.[105]

Zürich

Außerdem gab es Initiativen, der zur Schau gestellten Menschen zu erinnern. Beispielsweise veranlasste die Universität 2010 die Überführung von fünf Skeletten der 1882 verstorbenen „Feuerländer“, die im dortigen Anthropologischen Institut lagerten.[106]

Museen und Ausstellungen

Die Ausstellung „zurückGESCHAUT“ über die Kolonialausstellung 1896 wurde 2017 im Museum Treptow in Berlin eröffnet[75] und ist „eine der ersten Dauerausstellungen zur deutschen Geschichte von Kolonialismus, Rassismus und Widerstand“.[15] Im Jahr 2021 zeigte das Königliche Museum für Zentral-Afrika in Tervuren bei Brüssel die Sonderausstellung „Zoo Humain“.[73] Im November 2023 wurde im Stadtmuseum Dresden die Ausstellung „Menschen(an)Schauen“ eröffnet.[83]

Dokumentarfilm und Podcast

Dokumentarfilm
  • „Die Wilden“ in den Menschenzoos. 92 Minuten. Regie: Bruno Victor-Pujebet, Pascal Blanchard. Produktion: Arte. Frankreich 2017.[107]
  • Menschen ausgestellt im Zoo – Das dunkle Kapitel Völkerschauen. Produktion: NDR. Deutschland 2021.[108]
Podcast

Literatur

  • Utz Anhalt: Tiere und Menschen als Exoten – Exotisierende Sichtweise auf das „Andere“ in der Gründungs- und Entwicklungsphase der Zoos. Hannover 2007.
  • Pascal Blanchard, Nicolas Bancel, Gilles Boëtsch, Éric Deroo, Sandrine Lemaire (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Les éditions du Crieur Public, Hamburg 2012, ISBN 978-3-9815062-0-4, darin:
    • Guido Abbattista, Nicola Labanca: Völkerschauen bei Kolonialausstellungen im liberalen und faschistischen Italien. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 362–374.
    • Bilddokumente – Menschenzoos und Völkerschauen. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 264–293.
    • Pascal Blanchard, Nicolas Bancel, Gilles Boëtsch, Éric Deroo, Sandrine Lemaire: Einleitung. MenschenZoos: Schaustellung „exotischer“ Menschen im Westen. In: Dies. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 10–64.
    • Gilles Boëtsch, Pascal Blanchard: Die Hottentottische Venus: A Freak is born. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 78–90.
    • Albert Gouaffo: Prinz Dido aus Kamerun im wilhelminischen Deutschland. Ausgestellt und vom künftigen Kaiser Wilhelm II empfangen. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 296–303.
    • Jean-Pierre Jacquemin: Kongolesen im „imperialen“ Belgien. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 346–352.
    • Herman Lebovics: Die Menschenzoos der Internationalen Kolonialausstellung in Paris, 1931. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 392–400.
    • John MacKenzie: Imperiale Ausstellungen in Großbritannien. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 335–345.
    • Patrick Minder: Menschen-Zoos in der Schweiz. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 313–321.
    • Arnaud Nanta: Kolonialausstellungen und ethnische Hierarchien im modernen Japan. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 322–334.
    • Miranda Neus Moyano: Menschenschauen in Spanien: Kolonialismus und Massenkultur. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 375–391.
    • Peter Plener: Völkerschauen in Österreich−Ungarn. Ashantees in Budapest und Wien, 1895−1897. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 304–312.
    • Robert Rydell: Afrikaner in Amerika. Afrika-Dörfer bei internationalen Ausstellungen in Amerika (1893-1901). In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 353–361.
    • Caroline Schmidt-Gross: Tropenzauber um die Ecke: Völkerschauen bei Hagenbeck. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 172–178.
    • William H. Schneider: Völkerschauen im Zoologischen Garten von Paris. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 179–188.
    • Hilke Thode-Arosa: Hagenbecks Europatourneen und die Entwicklung der Völkerschauen. In: Pascal Blanchard u. a. (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 160–171.
  • Dominika Czarnecka: Black Female Bodies and the "White" View. In: East Central Europe, Jg. 47, 9. November 2020, ISSN 0094-3037, S. 285–312.
  • Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung „exotischer“ Menschen in Deutschland 1870–1940. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-593-37732-2.
  • Gabi Eissenberger: Entführt, verspottet und gestorben – Lateinamerikanische Völkerschauen in deutschen Zoos. Verlag für Interkulturelle Kommunikation, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-88939-185-0.
  • Haug von Kuenheim: Carl Hagenbeck. Ellert & Richter, Hamburg 2007, ISBN 978-3-8319-0182-1.
  • Susann Lewerenz: Die Deutsche Afrika-Schau (1935–1940). Rassismus, Kolonialrevisionismus und postkoloniale Auseinandersetzungen im nationalsozialistischen Deutschland. Frankfurt/New York 2005. ISBN 3-593-37732-2
  • Hilke Thode-Arora: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Die Hagenbeckschen Völkerschauen. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-593-34071-2.
  • Hilke Thode-Arosa: Die Brüder Fritz und Carl Marquardt. Völkerschau-Impresarios und Ethnogrphica-Händler In: Dies. (Hg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. Hirmer-Verlag, München 2014, ISBN 978-3-7774-2237-4, S. 47–57.
  • Stefanie Wolter: Die Vermarktung des Fremden. Exotismus und die Anfängen des Massenkonsums. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-593-37850-3.

Regionale Fallstudien

Commons: Völkerschau – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Völkerschau – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Menschenzoo – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Liste von Völkerschauen

  • Clemens Radauer: Germany (Liste von Völkerschauen im Deutschen Reich, zahlreiche unkommentierte Fotografien). Online unter: Humanzoos.net, ohne Datum, abgerufen am 3. Februar 2024.

Online−Beiträge

Zeitungsartikel

Einzelnachweise

  1. Jean-Pierre Jacquemin: Kongolesen im „imperialen“ Belgien. Hamburg 2012, S. 347.
  2. a b c Bilddokumente – Menschenzoos und Völkerschauen (ohne Verfasser). Hamburg 2012, S. 264 f.
  3. „Exposition Universelle d'Anvers 1894 – Groupe de Congolaise“ (Weltausstellung in Antwerpen – Gruppe von Kongolesen), Foto von Charles Bernhoeft, 1894.
  4. Der Begriff Völkerschau wird Artikel durchgehend kursiv gesetzt, um einer sprachlichen Distanzierung Ausdruck zu geben.
  5. a b Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 319 f.
  6. Solche Begriffe werden im Artikel durchgehend in Anführungszeichen gesetzt, um einer sprachlichen Distanzierung Ausdruck zu geben.
  7. Pascal Blanchard, Nicolas Bancel, Gilles Boëtsch, Éric Deroo, Sandrine Lemaire (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012.
  8. Umfassend zum Forschungsstand Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 320–326, und Manuel Armbruster: „Völkerschauen“ um 1900 in Freiburg i. Br Online unter: Freiburg-postkolonial.de, 5. August 2011, abgerufen am 3. Februar 2024, S. 6 ff.
  9. Hilke Thode-Arora: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Die Hagenbeckschen Völkerschauen. Frankfurt am Main 1989.
  10. a b c d e f g Nicolas Bancel, Pascal Blanchard, Sandrine Lemaire: Menschenzoos als Instrument der Kolonialpropaganda. In: Le Monde diplomatique, 11. August 2000, S. 16 f., abgerufen am 3. Februar 2024.
  11. Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung „exotischer“ Menschen in Deutschland 1870-1940. Frankfurt am Main 2005.
  12. Stefanie Wolter: Die Vermarktung des Fremden. Exotismus und die Anfänge des Massenkonsums. Frankfurt am Main 2005.
  13. Stefanie Wolter: Die Vermarktung des Fremden. Frankfurt am Main 2005, S. 82 f.
  14. Zahlreiche solcher Fotos finden sich auf der Seite von Clemens Radauer: Human Zoo (Liste von Völkerschauen in verschiedenen Ländern). Online unter: Humanzoos.net, ohne Datum, abgerufen am 3. Februar 2024, die dort zumeist unkommentiert gezeigt werden.
  15. a b c Josephine Kuban: Wer schaut hier wen an? Die Ausstellung „zurückGESCHAUT“ im Museum Treptow in Berlin. Online unter: Visual History, 28. Juni 2021, abgerufen am 1. Februar 2024.
  16. a b Pascal Blanchard, Nicolas Bancel u. a.: Menschenzoos: Schaustellungen „extotischer“ Menschen im Westen. Hamburg 2012, S. 13 ff.
  17. Stefanie Wolter: Die Vermarktung des Fremden. Frankfurt am Main 2005, S. 86 f.
  18. Gilles Boëtsch, Pascal Blanchard: Die Hottentottische Venus: A Freak is born. Hamburg 2012, S. 79.
  19. Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 38 f.
  20. Stefanie Wolter: Die Vermarktung des Fremden. Frankfurt am Main 2005, S. 90 f.
  21. Vielfach wird in der Literatur die Jahresangabe 1874 angegeben. Die gemeinhin als Ursprung der Völkerschauen geltende Zurschaustellung der sechs Personen zählenden „Lappländer“-Familie mit ihren Rentieren in „Hagenbecks Thierpark“ begann aber im September 1875, s. Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 44; hier wird auch die als Initialzündung von Hagenbecks Völkerschauen geltende Idee von Heinrich Leutemann, einen Rentiertransport von Lappländern begleiten zu lassen, auf August 1875 datiert. Siehe außerdem als Quelle: Hamburgischer Correspondent. 21. September 1875, S. 10: „Die in Hagenbecks Handelsmenagerie seit einigen Tagen zu Gaste sich befindende Lappländer-Familie […]“
  22. a b c Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 79.
  23. a b c Manuel Armbruster: „Völkerschauen“ um 1900 in Freiburg i. Br. Online unter: Freiburg-postkolonial.de, 5. August 2011, abgerufen am 3. Februar 2024.
  24. Gabi Eissenberger: Entführt, verspottet und gestorben. Frankfurt am Main 1996, S. 213.
  25. Pascal Blanchard, Nicolas Bancel u. a.: Menschenzoos: Schaustellungen „extotischer“ Menschen im Westen. Hamburg 2012, S. 28 ff.
  26. Diese Zahl wird sowohl in der Ausstellung „Zoo humain“ im Brüsseler Afrika-Museum, s. Joachim Heinz: Der Tod im Museumsdorf. Online unter: Domradio, 4. Januar 2022, abgerufen am 4. Februar 2024, als auch in der Dokumentation „Die Wilden“ in den Menschenzoos. (s. Dokumentarfilme und Reportagen) angegeben.
  27. Stefanie Wolter: Die Vermarktung des Fremden. Frankfurt am Main 2005, S. 104 ff.
  28. a b c d e f g h i j k l m n o Anne Dreesbach: Kolonialausstellungen, Völkerschauen und die Zurschaustellung des "Fremden". Online unter: Europäische Geschichte Online, 17. Februar 2017, abgerufen am 31. Januar 2024.
  29. a b c d Marc Tribelhorn: Menschenzoos. Online unter: NZZ, 23. Dezember 2013, abgerufen am 3. Februar 2024.
  30. a b c d Stefanie Wolter: Die Vermarktung des Fremden. Frankfurt am Main 2005, S. 102–104.
  31. a b c Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 50–55.
  32. Stefanie Wolter: Die Vermarktung des Fremden. Frankfurt am Main 2005, S. 98.
  33. a b c Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 11 f.
  34. Pascal Blanchard, Nicolas Bancel u. a.: Menschenzoos: Schaustellungen „extotischer“ Menschen im Westen. Hamburg 2012, S. 32.
  35. a b c d e f g h i Sabine Scholl: Vorgeführt und ausgestellt im Menschenzoo. Online unter: Der Standard, 3. Januar 2020, abgerufen am 31. Januar 2024.
  36. Günter H. W. Niemeyer: Hagenbeck. Geschichte und Geschichten. Hamburg 1972, S. 215 ff.
  37. Albert Gouaffo: Prinz Dido aus Kamerun im wilhelminischen Deutschland. Hamburg 2012, S. 296 f.
  38. a b c d e Christa Hager: Nackt müsst ihr sein natürlich. Online unter: Wiener Zeitung, ohne Datum, abgerufen am 31. Januar 2024.
  39. a b c Marianne Bechhaus-Gerst: Inszenierte Exotik – Völkerschauen in Köln. Köln, Weimar, Wien 2013, S. 149 f.
  40. Hilke Thode-Arora: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Frankfurt am Main 1989, S. 59–67.
  41. Hilke Thode-Arora: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Frankfurt am Main 1989, S. 41.
  42. Gabi Eissenberger: Entführt, verspottet und gestorben. Frankfurt am Main 1996, S. 87 f.
  43. Gabi Eissenberger: Entführt, verspottet und gestorben. Frankfurt am Main 1996, S. 145–149.
  44. Rea Brändle: Wildfremd, hautnah. Völkerschauen und ihre Schauplätze in Zürich 1880–1960. Zürich 1995, S. 19 ff.
  45. Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 8. November 1881, zitiert nach Gabi Eissenberger: Entführt, verspottet und gestorben. Frankfurt am Main 1996, S. 153 f.
  46. Gabi Eissenberger: Entführt, verspottet und gestorben. Frankfurt am Main 1996, S. 156 f.
  47. Gabi Eissenberger: Entführt, verspottet und gestorben. Frankfurt am Main 1996, S. 162–171.
  48. a b Hilke Thode-Arosa: Hagenbecks Europatourneen und die Entwicklung der Völkerschauen. Hamburg 2012, S. 165 ff.
  49. a b c d Robert Rydell: Afrikaner in Amerika. Hamburg 2012, S. 353 ff.
  50. William H. Schneider: Völkerschauen im Zoologischen Garten von Paris. Hamburg 2012, S. 179.
  51. Utz Anhalt: Im Menschenpark. Online unter: taz, 3. Mai 2007, abgerufen am 4. Februar 2024.
  52. Umfassend zur Typologisierung der zur Schau gestellten Menschen: Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 135–149.
  53. Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 292.
  54. Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 40 ff.
  55. Utz Anhalt: Tiere und Menschen als Exoten. Hannover 2007, S. 327.
  56. a b c Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 13 ff.
  57. Gabi Eissenberger: Entführt, verspottet und gestorben. Frankfurt am Main 1996, S. 45 f.
  58. Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 127.
  59. a b John MacKenzie: Imperiale Ausstellungen in Großbritannien. Hamburg 2012, S. 338 ff.
  60. a b Emily S. Rosenberg: Transnationale Strömungen in einer Welt, die zusammenrückt. In: dies. (Hg.): C.H. Beck/Harvard UP: Geschichte der Welt, Bd. 5: 1870–1945. Weltmärkte und Weltkriege. C.H. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-64105-3, S. 815–998, hier S. 901 f.
  61. Carl Hagenbeck: Von Tieren und Menschen. Berlin 1908, S. 83, zitiert nach: Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 44.
  62. Caroline Schmidt-Gross: Tropenzauber um die Ecke: Völkerschauen bei Hagenbeck. Hamburg 2012, S. 172.
  63. Peter Plener: Völkerschauen in Österreich−Ungarn. Hamburg 2012, S. 306.
  64. Dominika Czarnecka: Black Female Bodies and the "White" View. In: East Central Europe, Jg. 47, 9. November 2020, S. 285–312.
  65. Münchener Gemeinde-Zeitung, Jg. 1 (1872), Nr. 27 vom 4. Juli 1872, S. 204.
  66. Marco Wedig: So rassistisch waren Völkerschauen in München. Online unter: Süddeutsche Zeitung: 13. November 2017, abgerufen am 10. Februar 2024.
  67. a b c Jean-Pierre Jacquemin: Kongolesen im „imperialen“ Belgien. Hamburg 2012, S. 348.
  68. a b Arnaud Nanta: Kolonialausstellungen und ethnische Hierarchien im modernen Japan. Hamburg 2012, S. 330.
  69. Michael Bienert: Blinder Fleck der Erinnerungskultur: So wird die Geschichte kolonialer Völkerschauen aufgearbeitet In: Tagesspiegel, 10. August 2020, abgerufen am 3. Februar 2024.
  70. Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 280–285.
  71. Gabi Eissenberger: Entführt, verspottet und gestorben. Frankfurt am Main 1996, S. 163.
  72. Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 316 f.
  73. a b Joachim Heinz: Der Tod im Museumsdorf. Online unter: Domradio, 4. Januar 2022, abgerufen am 4. Februar 2024.
  74. a b Rea Brändle: Wildfremd, hautnah. Völkerschauen und ihre Schauplätze in Zürich 1880–1960. Zürich 1995, S. 160–166.
  75. a b c d Michael Bienert: Schwarzer Stolz im Treptower Park. Online unter: Text der Stadt.de, ohne Datum, abgerufen am 31. Januar 2024.
  76. Anja Sokolow: Die dunklen Seiten des Berliner Zoos. Online unter: Märkische Allgemeine, 1. Dezember 2016, abgerufen am 18. Februar 2024.
  77. Ursula Trüper: Afrika in Berlin – Die Deutsche Colonial-Ausstellung 1896 im Treptower Park. Online unter: DHM, ohne Datum, abgerufen am 25. Januar 2024.
  78. a b c Colin Goldner: Menschenzoos. Online unter: Humanistischer Pressedienst, 28. Juli 2020, abgerufen am 22. Februar 2024.
  79. Hilke Thode-Arora: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Frankfurt am Main 1989, S. 34–39.
  80. Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 82.
  81. Marianne Bechhaus-Gerst: Inszenierte Exotik – Völkerschauen in Köln. Köln, Weimar, Wien 2013, S. 151 f.
  82. Zoo Leipzig. Online unter: Leipzig Postkolonial, ohne Datum, abgerufen am 18. Februar 2024.
  83. a b Ausstellung in Dresden: "Völkerschauen" und ihre Nachwirkungen In: MDR, ohne Datum, abgerufen am 18. Februar 2024.
  84. Hilke Thode-Arosa: Die Brüder Fritz und Carl Marquardt. München 2014, S. 47–57.
  85. Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 269 f.
  86. Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 306–313.
  87. William H. Schneider: Völkerschauen im Zoologischen Garten von Paris. Hamburg 2012, S. 179.
  88. John MacKenzie: Imperiale Ausstellungen in Großbritannien. Hamburg 2012, S. 337.
  89. Herman Lebovics: Die Menschenzoos der Internationalen Kolonialausstellung in Paris, 1931. Hamburg 2012, S. 392 f.
  90. Werner Michael Schwarz: Anthropologische Spektakel. Zur Schaustellung „exotischer“ Menschen. Wien 2001, S. 223 ff.
  91. Peter Plener: Völkerschauen in Österreich−Ungarn. Hamburg 2012, S. 309.
  92. Patrick Minder: Menschen-Zoos in der Schweiz. Hamburg 2012, S. 313 f.
  93. Sascha Renner: Das Ende einer 129 Jahre langen Reise. Online unter: UZH News, 12. Januar 2010, abgerufen am 3. Februar 2024, und Giorgio Scherrer Ein Indigener aus Chile sucht in Zürich Versöhnung. Online unter: NZZ, 21. Juli 2010, abgerufen am 19. Februar 2024.
  94. Balthasar Staehelin: Völkerschauen im Zoologischen Garten Basel 1879–1935. S. 35.
  95. a b Völkerschauen im Zoo Basel. Online unter: Zoo Basel, ohne Datum, abgerufen am 4. Februar 2024.
  96. Guido Abbattista, Nicola Labanca: Völkerschauen bei Kolonialausstellungen im liberalen und faschistischen Italien. Hamburg 2012, S. 364 f.
  97. Guido Abbattista, Nicola Labanca: Völkerschauen bei Kolonialausstellungen im liberalen und faschistischen Italien. Hamburg 2012, S. 372 f.
  98. Miranda Neus Moyano: Menschenschauen in Spanien: Kolonialismus und Massenkultur. Hamburg 2012, S. 376 ff.
  99. Miranda Neus Moyano: Menschenschauen in Spanien: Kolonialismus und Massenkultur. Hamburg 2012, S. 390 f.
  100. Robert Rydell: Afrikaner in Amerika. Hamburg 2012, S. 356 f.
  101. Balthasar Staehelin: Völkerschauen im Zoologischen Garten Basel. Basel 1993 S. 27.
  102. a b Arnaud Nanta: Kolonialausstellungen und ethnische Hierarchien im modernen Japan. Hamburg 2012, S. 325 f.
  103. Clemens Radauer: Human Zoo (Liste von Völkerschauen in verschiedenen Ländern). Online unter: Humanzoos.net, ohne Datum, abgerufen am 3. Februar 2024.
  104. Sonja Zekri: Skandal im Zoo. Das ist kein afrikanisches Dorf, sondern ein African Village. Online unter: Süddeutsche Zeitung, 17. Mai 2005, abgerufen am 4. Februar 2024.
  105. Vanessa Wohlrath: Diskussion um rassistische Denkmäler und Statuen. Online unter: NDR, 17. Juni 2020, abgerufen am 4. Februar 2024.
  106. Sascha Renner: Das Ende einer 129 Jahre langen Reise. Online unter: UZH News, 12. Januar 2010, abgerufen am 3. Februar 2024, und Peter Burghardt: Reste des Menschenzoos. Online unter: Süddeutsche Zeitung, 17. Mai 2010, abgerufen am 4. Februar 2024.
  107. "Die Wilden" in den Menschenzoos (Frankreich 2017) Online unter: Arte, abgerufen am 1. Februar 2024.
  108. Menschen ausgestellt im Zoo – Das dunkle Kapitel Völkerschauen. Online unter: NDR, 26. Oktober 2021, abgerufen am 1. Februar 2024.

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