Sechs Fugen über den Namen BACH

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Musikalisches Motiv aus den Tönen B-A-C-H

Die Sechs Fugen über den Namen BACH für Orgel oder Pianoforte mit Pedal op. 60 sind eine Komposition von Robert Schumann. Sie wurden 1845 komponiert und 1846 veröffentlicht. Alle sechs Stücke beginnen ihre Themen mit den Tönen B-A-C-H, der traditionsreichen musikalischen Chiffrierung des Namens von Johann Sebastian Bach. Sie werden heute überwiegend auf der Orgel musiziert, da sich Pedalklaviere, mit denen zur Zeit Schumanns im Klavierbau experimentiert wurde, nicht durchsetzen konnten.

Durch das gemeinsame Entstehungsjahr und die Bestimmung für ein Tasteninstrument mit Pedal steht op. 60 in engem Zusammenhang mit zwei anderen Werken Schumanns, den Studien für den Pedalflügel op. 56 und Skizzen für den Pedalflügel op. 58. Auch diese Werke werden heute meist auf Orgeln gespielt, aber nur die Sechs Fugen op. 60 sind laut Originaltitel ausdrücklich für die Orgel bestimmt.

Entstehung

Von der zweiten Jahreshälfte 1843 an erlebte Schumann eine Schaffenskrise, in der sein Komponieren fast völlig versiegte. Er hielt seine bisherige Kompositionsweise für zu subjektiv, zu sehr von der Improvisation am Klavier ausgehend und zu wenig durchdacht.[1] Zu den Impulsen, die ihm 1845 einen Ausweg aus dieser Krise wiesen, gehörte die intensive Beschäftigung mit den Werken Johann Sebastian Bachs und mit dem Studium von Kontrapunkt und Fuge, also mit überlieferten klassischen Kompositionstechniken und Formen. Zugleich war Schumann fasziniert von der Orgel und vom Klavierspiel mit Pedal: Er spielte wiederholt an Orgeln und mietete im April 1845 für das häusliche Spiel ein Klavierpedal.[2] Damit nahm er Anteil an zeitgenössischen Experimenten im Klavierbau, mit denen eine orchestrale Erweiterung des Klavierklangs angestrebt wurde.[3]

Zu den Ergebnissen dieser Studien gehört neben den Vier Fugen für Klavier op. 72 die Gruppe der drei Werke (op. 56, op. 58, op. 60) für Pedalflügel bzw. Orgel. Sie sind die ersten genuinen Kompositonen für Pedalflügel: Mit dem Jahr ihrer Komposition, 1845, kann man den Beginn einer eigentlichen Literatur für dieses Instrument ansetzen.[4] Die Sechs Fugen über den Namen BACH wurden zwischen März und November 1845 komponiert und zwischen März und Juni 1846 noch einmal überarbeitet. Sie erschienen im November 1846 im Verlag Whistling in Leipzig.

Das Interesse an Bach, an der Fugenkomposition und an der Orgel teilte Schumann mit seinem Umfeld. Sowohl die Kontrapunkt- als auch die Orgelstudien betrieben Robert und Clara Schumann zugleich und im Austausch miteinander. Auch bei Clara Schumann erwuchs daraus eine Veröffentlichung: 1845 erschienen ihre Drei Präludien und Fugen für Klavier op. 16.[2] Ebenfalls 1845 veröffentlichte Felix Mendelssohn Bartholdy seine Orgelsonaten op. 65, die auf Schumanns Arbeit an den Sechs Fugen anspornend gewirkt haben mögen und stellenweise Ähnlichkeiten mit ihnen aufweisen.[5]

Stilistik

Die sechs Stücke sind weitgehend traditionell gearbeitete Fugen, die in vielen Merkmalen dem spätbarocken Stil der Bachzeit folgen: Sie haben eine vordefinierte Stimmenzahl, nutzen herkömmliche Techniken wie Umkehrung und Engführung ihrer Themen und, besonders in der 2. Fuge, auch typisch barocke Figurationen. Zugleich werden die Stücke aufgrund gewisser formaler Freiheiten, besonders in den Schlusssteigerungen, und aufgrund der großen Kontraste, die Schumann trotz des immer gleichen Anfangsmotivs zwischen ihnen schafft, allgemein auch als romantische Charakterstücke gedeutet.[6]

Für Schumann bestand zwischen der Wahl einer strengen, traditionellen Form und einer individuellen Ausdrucksqualität der Musik kein Widerspruch. Er schätzte an den Fugen seines Vorbilds Bach besonders, dass diese sich nicht in der Erfüllung der akademischen Regeln erschöpfen:

„Die meisten der Bachschen Fugen sind aber Charakterstücke höchster Art, zum Teil wahrhaft poetische Gebilde, deren jedes seinen eigenen Ausdruck, seine besonderen Lichter und Schatten verlangt.“

Robert Schumann: Etüden für Pianoforte (1838)[7]

Auch in einer Rezension, die Schumann über Felix Mendelssohns Präludien und Fugen op. 35 schrieb, wird sein Ideal deutlich:

„Kurz, es sind nicht allein Fugen, mit dem Kopf und nach dem Rezept gearbeitet, sondern Musikstücke, dem Geiste entsprungen und nach Dichterweise ausgeführt.“

Robert Schumann: Museum (1837)[8]

In der Literatur ist man sich einig, dass auch Schumanns Fugen selbst diese Verbindung von strenger Form und lebendigem Ausdruck verwirklichen. Sie werden daher oft als "Charakterfugen" bezeichnet.

Form

Charakterisierung der sechs Fugen

Themen der sechs Fugen, jeweils beginnend mit den Tönen B-A-C-H

Obwohl alle sechs Stücke mit denselben Tönen, nämlich dem berühmten BACH-Motiv, beginnen, kontrastieren sie stark miteinander. Schon das BACH-Motiv selbst wird unterschiedlich rhythmisiert, in der 4. Fuge zusätzlich durch die unkonventionelle Wahl der Oktavlagen abgewandelt, und jeweils verschieden fortgesetzt. Auch im weiteren Verlauf hat jedes Stück ein sehr eigenes Profil.

1. Fuge: Langsam – Nach und nach schneller und stärker (4/2-Takt, B-Dur)

2. Fuge: Lebhaft (3/4-Takt, B-Dur)

3. Fuge: Mit sanften Stimmen (4/4-Takt, g-Moll)

4. Fuge: Mäßig, doch nicht zu langsam (4/4-Takt, B-Dur)

5. Fuge: Lebhaft (6/8-Takt, F-Dur)

6. Fuge: Mäßig, nach und nach schneller (4/2-Takt, B-Dur)

Zyklische Anlage

Nicht nur durch das BACH-Motiv, sondern auch durch weitere motivische Übereinstimmungen sind die Stücke miteinander verbunden. Ihre Abfolge weist in den Tempi (1. und 6. Fuge: langsamer Beginn, dann Steigerung bis zum sehr schnellen Tempo; 2. und 5. Fuge schnell, 3. und 4. Fuge ruhig) eine deutliche Symmetrie auf. Auch die Tonartenfolge unterstreicht, dass die sechs Stücke als Zyklus konzipiert sind. Sie bilden miteinander eine Dramaturgie aus, die an die mehrsätzige Form einer Sonate oder Sinfonie angelehnt scheint. Nach Tempo, Tonart und Charakter entspräche darin die 1. Fuge einer langsamen Einleitung, die 2. Fuge dem Hauptsatz, die 3. und 4. Fuge einem langsamen Satz, die 5. Fuge dem Scherzo und die 6. Fuge dem Finale.[9]


(Beleg Schmeding)[10]

Rezeption

Schumann selbst schätzte die Sechs Fugen sehr hoch ein. Gegenüber seinem Verleger Friedrich Whistling nannte er sie "eine Arbeit, von der ich glaube, dass sie meine anderen vielleicht am längsten überleben wird." [11]

Mit der Verwendung des BACH-Motivs reiht sich Schumann in eine umfangreiche Tradition ein. Unter den vielen weiteren Werken mit diesem Motiv findet sich speziell in Max Regers Fantasie und Fuge über BACH op. 46 ein deutlicher Bezug auf die erste Fuge aus Schumanns Zyklus. Mit dieser zeigt Regers Fuge auffällige Übereinstimmungen. Das betrifft nicht nur den historisierende Gestus und die Anlage als Steigerungsfuge, die über einen längeren Zeitraum nach und nach schneller und lauter wird. Auch Details wie die Tonart, die Fünfstimmigkeit und die Einsatzreihenfolge der Stimmen sind gleich, und sogar die Gestaltung des Themas aus dem BACH-Motiv ähnelt sich.[12]

Wie die ganze romantische Orgelmusik wurden auch Schumanns Stücke in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg weniger geschätzt. Werner Korte rechnete sie einem „Ermüdungsprozess der Schumannschen Schöpferkräfte“ zu. [1]

Die Gruppe der drei Werke Schumanns für Pedalklavier oder Orgel steht in der Geschichte der Klavier- und Orgelmusik ein wenig am Rand, denn weder komponierte Schumann nach 1846 noch einmal für diese Instrumente, noch entstand für den Pedalflügel ein breites Repertoire anderer Komponisten. Die Stücke gelten allgemein als singulärer, aber dennoch gewichtiger Beitrag zum Repertoire.[13][1]

Diskographie (Auswahl)

Alle im Folgenden genannten Einspielungen umfassen jeweils die komplette Werkgruppe für Tasteninstrument mit Pedal: Studien op. 56, Skizzen op. 58, Fugen op. 60.

Einspielungen an Orgeln:

Einspielung am Pedalflügel:

  • Robert Schumann: Gesamtwerk für Pedalflügel. Martin Schmeding, Pleyel-Flügel (ca. 1847) mit Pleyel-"Pedalier separé" (ca. 1890, für die Aufnahme restauriert), Ars, 2004.

Sechs Fugen über den Namen BACH: Noten und Audiodateien im International Music Score Library Project

Literatur

  • Arnfried Edler: Sechs Fugen über BACH für Orgel oder Pedalflügel op. 60. In: Helmut Loos (Hrsg.): Robert Schumann : Interpretationen seiner Werke. Band 1. Laaber-Verlag, Laaber 2005, ISBN 3-89007-447-2, S. 380–385.
  • Ulrike Kranefeld: Werke für Pedalflügel und Orgel. In: Ulrich Tadday (Hrsg.): Schumann-Handbuch. Metzler und Bärenreiter, Stuttgart / Weimar und Kassel 2006, ISBN 978-3-476-01671-3, S. 294–299.
  • Burkhard Meischein: „Nach Dichterweise ausgeführt“. Robert Schumanns Werke für Orgel oder Pedalklavier. In: Herrmann J. Busch, Michael Heinemann (Hrsg.): Zur deutschen Orgelmusik des 19. Jahrhunderts. 3., aktualisierte Auflage. Dr. J. Butz, Sankt Augustin 2006, ISBN 3-928412-03-5, S. 175–182.

Einzelnachweise

  1. a b c Werke für Pedalflügel oder Orgel. Robert-Schumann-Forschungsstelle e.V., abgerufen am 9. September 2023 (deutsch, Werkeinführung zur Neuen Schumann-Gesamtausgabe).
  2. a b Meischein S. 176 ff.
  3. Kranefeld S. 295 (=Edler-Zitat 1989)
  4. Schmeding s. 141 f.
  5. Klaus Peter Richter: Die stockende Zeit. In: Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hrsg.): Musik-Konzepte. Sonderband Robert Schumann I. Edition Text + Kritik, München 1981, ISBN 978-3-88377-070-3, S. 180 ff.
  6. Meischein S. 179 f.
  7. Robert Schumann: Schriften über Musik und Musiker. Hrsg.: Josef Häusler (= Universal-Bibliothek. Band 2472). Reclam, Stuttgart 1997, ISBN 978-3-15-002472-0, S. 145.
  8. Robert Schumann: Schriften über Musik und Musiker. Hrsg.: Josef Häusler (= Universal-Bibliothek. Band 2472). Reclam, Stuttgart 1997, ISBN 978-3-15-002472-0, S. 114.
  9. Meischein S. 180
  10. Martin Schmeding: Der Pedalflügel – instrumentale Revolution oder Sackgasse der musikalischen Evolution? In: Ars Organi. 58. Jahrgang, Heft 3, 2010, S. 152.
  11. zitiert nach Herrmann J. Busch: Schumann, Robert. In: Hermann J. Busch, Matthias Geuting (Hrsg.): Lexikon der Orgel : Orgelbau, Orgelspiel, Komponisten und ihre Werke, Interpreten. Laaber Verlag, Laaber 2007, ISBN 978-3-89007-508-2, S. 695.
  12. Meischein S. 181
  13. Meischein S. 181