Wolfgang G. Stock

Wolfgang G. Stock (2021)

Wolfgang G. Stock (* 5. November 1953 in Osnabrück) ist ein deutscher Informationswissenschaftler.

Leben

Stock studierte von 1974 bis 1979 Informationswissenschaft, Philosophie, Psychologie und Sozialwissenschaft an der Universität Düsseldorf und an der Ruhr-Universität Bochum. Seine Dissertation über die empirische Erhebung von Informationsflüssen in der Wissenschaft wurde von Norbert Henrichs vom Düsseldorfer Studiengang Informationswissenschaft betreut. In der Input-Redaktion des Philosophie-Informationssystems der Düsseldorfer Universität, PHILIS, fand er zwischen 1979 und 1981 seine ersten Berufserfahrungen.

1981 ging er nach Graz und arbeitete in der Forschungsstelle von Rudolf Haller beim Aufbau der Datenbank zur Österreichischen Philosophie mit. Bis 1989 war er an mehreren Projekten des österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung sowie der Gesellschaft für Information und Dokumentation (GID) beteiligt. Zwischen 1985 und 1995 sammelte er Erfahrungen in der Informationspraxis. Er arbeitete beim ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München und leitete dort die Arbeitsgruppe Information und Dokumentation. Parallel war er im European Economic Research and Advisory Consortium (ERECO) in Brüssel tätig.

Ende 1992 habilitierte er an der Grazer Karl-Franzens-Universität. 1995 erhielt er einen Ruf auf die Professur für Informationswissenschaft und Wissenschaftstheorie der Fachhochschule Köln. Im Jahre 2003 übernahm er als Nachfolger von Norbert Henrichs den Lehrstuhl für Informationswissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er leitete die Abteilung für Informationswissenschaft bis Juli 2019. In den Wintersemestern 2019/20 und 2020/21 wurde er Gastprofessor der Karl-Franzens-Universität Graz.

Forschung

Sein wissenschaftliches Werk umfasst rund 350 Publikationen; thematisiert werden vornehmlich Information Retrieval, Wissensrepräsentation, Informetrie und Szientometrie, Social Media, Informationsmärkte, Informationskompetenz und Smart Cities. In seiner Grazer Zeit arbeitet er zu empirischen Methoden, um Philosophie und Philosophiegeschichte quantitativ erfassen zu können.[1] Resultat ist u. a. eine umfassende Bibliographie nebst informetrischer Verdichtung der Themen der Grazer Schule, einer bedeutenden Richtung der Philosophie und Psychologie in Österreich.[2] In München geht es vor allem um Wirtschaftsinformationen,[3] um Europas Weg in die Informationsgesellschaft,[4] Ungarns Stand der Informationswirtschaft[5] und um praktische Aspekte bei der Produktion der CD-ROM WISO.[6]

Die wissenschaftlich ertragreichsten Perioden sind in Köln und insbesondere später in Düsseldorf[7]. Sein meistzitiertes Werk ist das gemeinsam mit Mechtild Stock verfasste Handbook of Information Science,[8] das vornehmlich in Information Retrieval und Wissensrepräsentation einführt.

„Smarte“ Städte haben zwar als Grundlage eine entwickelte Informations- und Kommunikationstechnik, darüber hinaus sind alle Formen von Wissen, also implizites wie explitizes, digital oder analog gespeichertes, in solchen Städten wesentlich.[9] Besonderes Augenmerk beim Aufbau von Wissensgesellschaften legt er auf Städte in der Golfregion,[10] vor allem in Katar.[11]

Bei der Social-Media-Forschung liegt ein Schwerpunkt auf Beschreibung und Analyse von Live-Streaming-Diensten, vor allem in Kooperation mit Katrin Scheibe, Franziska Zimmer und Kaja J. Fietkiewicz.[12] Hierbei wird mit den „cyber-social relations“[13] eine neue Form zwischenmenschlicher Beziehungen neben den sozialen und parasozialen Relationen beschrieben.[14]

Die Vermittlung von Informationskompetenz, Medienkompetenz und digitaler Kompetenz sollte umfassend in der Schule erfolgen;[15] gefordert wird – gemeinsam mit Maria Henkel – hierzu ein eigenes Schulfach.[16]

Szientometrische und informetrische Forschungen durchziehen die ganze Laufbahn Stocks. Schon seine Dissertation[17] war eine empirische informetrische Arbeit. Publikationen und Zitationen bilden zwar die Basis für die Evaluation von Forschungsleistung und -einfluss, die Basis ist allerdings sehr problematisch, da mitunter nicht einmal eindeutig geklärt ist, was denn überhaupt die Zählbasis ist.[18] Es zeigt sich, dass das rein quantitative Vorgehen bei Bibliometrie und Szientometrie auf sehr schwachen Grundlagen aufbaut.[19]

Zusammen mit Eugene Garfield präsentiert er ein Programm zur Analyse direkter Zitationsbeziehungen,[20] gemeinsam mit Christian Schlögl untersucht er die Informetrie wissenschaftlicher Zeitschriften,[21] mit Frank Linde die Märkte digitaler Informationen,[22] mit Katrin Scheibe, Franziska Zimmer und Mechtild Stock den Umgang der Social-Media-Nutzer mit Fake News[23] und mit Agnes Mainka und Kaja J. Fietkiewicz den Einsatz von Social Media im eGovernment.[24] Social Media und auch die nutzerseitige Akzeptanz von Social-Media-Plattformen ist stark kulturabhängig, wie Katsiaryna S. Baran und Stock am Beispiel von Facebook und VKontakte zeigen können.[25] Mit Lisa Beutelspacher erstellt er eine Plattform für Blended Learning in der Hochschullehre,[26] die u. a. annotierte Verfilmungen von Vorlesungen beinhaltet.

Bei den Informationsmärkten, also den Märkten für Software und digitalen Content, sind die Optionen zum Bezahlen äußerst vielfältig. Zudem sind durchaus mehrere Player beim Zahlen involviert, außer den Kunden u. a. auch Internetunternehmen, Influencer sowie Werbetreibende. Das Spektrum der „Währungen“ reicht von kostenfreien Freemium-Gütern über das Zahlen mit Geld, dem Zahlen mit Aufmerksamkeit (z. B. bei Google), dem Zahlen mit personenbezogenen Daten (z. B. bei Facebook) bis zum Zahlen mit der Loyalität gegenüber Live-Streamern (etwa bei Twitch) oder Influencern (bei Diensten der Social Media). Streamer- sowie Influencerdienste haben mit der sog. Wanghong-Wirtschaft insbesondere in China einen neuen Wirtschaftsbereich fundiert.[27]

Der Rolle von Tagging in Social Media widmet er sich gemeinsam mit Isabella Peters,[28] die Erstellung von Tag-Clustern wird mit Kathrin Knautz und Simone Soubusta vorangetrieben,[29] das Retrieval von emotional geladenen Dokumenten, vor allem Videos und Fotos, verwirklichen Knautz und Tobias Siebenlist,[30] Forschungen zu Recommendersystemen bei Streamingdiensten[31] sowie zum H-Index geschehen gemeinsam mit Isabelle Dorsch.[32] Ausflüge in die Bibliothekswissenschaft betreffen offene Innovationen in der Bibliothekswelt[33] sowie detaillierte Beschreibungen zukunftsweisender Bibliotheken in Doha[34] und Singapur.[35] Abgesehen von einigen eher theoretisch orientierten Studien – etwa zu Begriffen und semantischen Relationen[36] – sind Stocks Forschungen empirisch orientiert, wobei teilweise sogar Modelle abgeleitet werden können, so das Information-Service-Evaluation (ISE)-Modell mit Laura Schumann[37] oder das Modell für das Informationsverhalten auf Live-Streaming-Services mit Zimmer und Scheibe.[38]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Stock, W. G. (1989). Datenbank „Grazer Schule“. Eine Spezialdatenbank im Bereich der Philosophie- und Psychologiegeschichte. Zeitschrift für philosophische Forschung, 43, 347-364.
  2. Stock, M., & Stock, W. G. (1990). Psychologie und Philosophie der Grazer Schule. Eine Dokumentation zu Werk und Wirkungsgeschichte von Alexius Meinong, Stephan Witasek, Rudolf Ameseder, Vittorio Benussi, Ernst Schwarz, Wilhelm M. Frankl und France Veber. Amsterdam, Atlanta, GA: Rodopi. (Internationale Bibliographie zur österreichischen Philosophie; Sonderband; Studien zur österreichischen Philosophie; Suppl. Vol. 3). 2 Bände. 1.445 S.
  3. Stock, W. G. (1995). Elektronische Informationsdienstleistungen und ihre Bedeutung für Wirtschaft und Wissenschaft. München: ifo Institut für Wirtschaftsforschung. (ifo Studien zur Innovationsforschung; 3). 220 S.
  4. Stock, W. G. (1995). Europas Weg in die Informationsgesellschaft. ifo Schnelldienst, Nr. 6, 15-28.
  5. Stock, W. G. (1994). Ungarns Informationswirtschaft. Eine Momentaufnahme im Herbst 1993. München: ifo Institut für Wirtschaftsforschung. (ifo Studien zur Ostforschung; 15). XI, 115 S.
  6. Striefler, H. G., Thomsen, H., & Stock, W. G. (1994). Wirtschaftsinformationen auf CD-ROM: die WISO II. ifo Schnelldienst, Nr. 7, 39-43.
  7. Stock, W. G. (2023). Informationswissenschaftliche Forschung in Düsseldorf (1968 – 2023). In A. Imeri, K. Scheibe, & F. Zimmer (Hrsg.), Informationswissenschaft im Wandel. Wissenschaftliche Tagung 2022 (IWWT22) (pp. 18-73). Glückstadt, Germany: Hülsbusch.
  8. Stock, W. G., & Stock, M. (2013). Handbook of Information Science. Berlin, Boston, MA: De Gruyter Saur. IX, 901 S.
  9. Stock, W. G. (2011). Informational cities. Analysis and construction of cities in the knowledge society. Journal of the American Society for Information Science and Technology, 62(5), 963-986.
  10. Kosior, A., Barth, J., Gremm, J., Mainka, A., & Stock, W. G. (2015). Imported expertise in world-class knowledge infrastructures: The problematic development of knowledge cities in the Gulf region. Journal of Information Science Theory and Practice, 3(3), 17-44.
  11. Gremm, J., Barth, J., Fietkiewicz, K. J., & Stock, W. G. (2018). Transitioning Towards a Knowledge Society. Qatar as a Case Study. Cham, Switzerland: Springer Nature. XVII, 244 pp.
  12. Scheibe, K., Fietkiewicz, K. J., & Stock, W. G. (2016). Information behavior on social live streaming services. Journal of Information Science Theory and Practice, 4(2), 6-20.
  13. Scheibe, K., Zimmer, F., Fietkiewicz, K. J., & Stock, W. G. (2022). Interpersonal relations and social actions on live streaming services: A systematic review on cyber-social relations. In Proceedings of the 55th Hawaii International Conference on System Sciences (pp. 3349-3358). Honolulu, HI: HICSS (ScholarSpace).
  14. Stock, W. G., Scheibe, K., Fietkiewicz, K. J., & Zimmer, F. (2022). Cyber social interactions: Information behavior in between social and parasocial interactions. Journal of Information Science Theory and Practice, 10(3), 15-23.
  15. Gust von Loh, S., & Stock, W. G. (Hrsg.) (2013). Informationskompetenz in der Schule. Ein informationswissenschaftlicher Ansatz. Berlin, Boston, MA: De Gruyter Saur. 297 S.
  16. Henkel, M., & Stock, W. G. (2019). Vermittlung von Informationskompetenz, Medienkompetenz und digitaler Kompetenz als Schulfach. In S. Lin-Klitzing, D. Di Fuccia, & T. Gaube (Hrsg.), Schulische Bildung im Zeitalter der digitalen Transformation. Konsequenzen für das Gymnasium? (pp. 88-103). Bad Heilbrunn, Germany: Klinkhardt.
  17. Stock, W. G. (1980). Wissenschaftliche Informationen – metawissenschaftlich betrachtet. Eine Theorie der wissenschaftlichen Information. München: Minerva Publ. Saur XVII, 147 S.
  18. Stock, W. G. (2001). Publikation und Zitat. Die problematische Basis empirischer Wissenschaftsforschung. Köln: Fachhochschule Köln; Fachbereich Bibliotheks- und Informationswesen. (Kölner Arbeitspapiere zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft; 29). 50 S.
  19. Stock, W. G., Dorsch, I., Reichmann, G., & Schlögl, C. (2023). Counting research publications, citations, and topics: A critical assessment of the empirical basis of scientometrics and research evaluation. Journal of Information Science Theory and Practice, 11(2) 37-66.
  20. Garfield, E., Paris, S. W., & Stock, W. G. (2006). HistCite: A software tool for informetric analysis of citation linkage. Information – Wissenschaft und Praxis, 57(8), 391-400.
  21. Schlögl, C., & Stock, W. G. (2004). Impact and relevance of LIS journals: A scientometric analysis of international and German-language LIS journals: Citation analysis versus reader survey. Journal of the American Society for Information Science and Technology, 55, 1155-1168.
  22. Linde, F., & Stock, W. G. (2011). Informationsmarkt. Informationen im I-Commerce anbieten und nachfragen. München: Oldenbourg. XVI, 589 S.
  23. Zimmer, F., Scheibe, K., Stock, M., & Stock, W. G. (2019). Fake news in social media: Bad algorithms or biased users? Journal of Information Science Theory and Practice, 7(2), 40-53.
  24. Fietkiewicz, K. J., Mainka, M., & Stock, W. G. (2017). eGovernment in cities of the knowledge society. An empirical investigation of Smart Cities’ governmental websites. Government Information Quarterly, 34(1), 75-83.
  25. Baran, K. S., & Stock, W. G. (2016). “Blind as a bat”: Users of Social Networking Services and their biased quality estimations in TAM-like surveys. In K. Knautz & K. S. Baran (Eds.), Facets of Facebook: Use and Users (pp. 266-285). Berlin, Germany, Boston, MA: De Gruyter Saur. (Knowledge & Information. Studies in Information Science).
  26. Beutelspacher, L., & Stock, W. G. (2011). Construction and evaluation of a blended learning platform for higher education. In Kwan, R., McNaught, C., Tsang, P., Wang, F.L., & Li, K.C. (Eds.), Enhanced Learning through Technology. Education Unplugged: Mobile Technologies and Web 2.0. International Conference, ICT 2011, Hong Kong, China, July 11-13, 2011. Proceedings (pp. 109-122). Berlin, Heidelberg: Springer (Communications in Computer and Information Science; 177).
  27. Stock, W. G.: Payment on information markets. In: D. R. Raban, & J. Włodarczyk (Hrsg.): The Elgar Companion to Information Economics. Edward Elgar, Cheltenham, UK / Northampton, MA 2014, S. 339–363.
  28. Peters, I., & Stock, W. G. (2007). Folksonomy and information retrieval. In Joining Research and Practice: Social Computing and Information Science. Proceedings of the 70th ASIS&T Annual Meeting Milwaukee, WI.
  29. Knautz, K., Soubusta, S., & Stock, W. G. (2010). Tag clusters as information retrieval interfaces. In Proceedings of the 43th Annual Hawaii International Conference on System Sciences, January 5-8, 2010 (10 pp.). Washington, DC: IEEE Computer Society.
  30. Knautz, K., Neal, D. N., Schmidt, S., Siebenlist, T., & Stock, W. G. (2011). Finding emotional-laden resources on the World Wide Web. Information, 2(1), 217-246.
  31. Gutzeit, J., Dorsch, I., & Stock, W. G. (2022). Giving and following recommendations on video-on-demand services. In Proeedings of the 55th Hawaii International Conference on System Sciences (pp. 3339-3348). Honolulu, HI: HICSS (ScholarSpace).
  32. Kamrani, P., Dorsch, I., & Stock, W. G. (2020). Publikationen, Zitationen und H-Index im Meinungsbild deutscher Universitätsprofessoren. Beiträge zur Hochschulforschung, 42(3), 78-98.
  33. Henkel, M., Ilhan, A., Mainka, A., & Stock, W. G. (2018). Open innovation in libraries. In Proceedings of the 51st Hawaii International Conference on System Sciences, January 3 – 6, 2018, Waikoloa Village (pp. 4151-4160). Honolulu, HI: HICSS (ScholarSpace).
  34. Henkel, M., Barth, J., Gremm, J., & Stock, W. G. (2018). Qatar National Library as part of a countrywide knowledge infrastructure. In LIS2018. International Conference on Library and Information Science. Bangkok, Thailand, August 8-10. Vol. 1, No. 1 (pp. 163-190). Taipeh, Taiwan: International Business Academics Consortium.
  35. Dresel, R., Henkel, M., Scheibe, K., Zimmer, F., & Stock, W. G. (2020). A nationwide library system and its place in knowledge society and smart nation: The case of Singapore. Libri, 70(1), 81-94.
  36. Stock, W. G. (2010). Concepts and semantic relations in information science. Journal of the American Society for Information Science and Technology, 61(10), 1951-1969.
  37. Schumann, L., & Stock, W. G. (2014). The Information Service Evaluation (ISE) model. Webology, 11(1), Art. 115, 1-20.
  38. Zimmer, F., Scheibe, K., & Stock, W. G. (2018). A model for information behavior research on social live streaming services (SLSSs). In G. Meiselwitz (Ed.), Social Computing and Social Media. Technologies and Analytics. 10th International Conference, SCSM 2018, Held as Part of HCI International 2018, Las Vegas, NV, USA, July 15-20, 2018, Proceedings, Part II (pp. 429-448). Cham, Switzerland: Springer (Lecture Notes in Computer Science; 10914).