Queer

Queer [ˈkwɪɹ] bezeichnet als Adjektiv Dinge, Handlungen oder Personen, die von der Norm abweichen; ursprünglich drückte es meist eine negative Einstellung zu der Abweichung oder dem Abweichler aus (Konnotation).

„‚queer‘ bedeutet im amerikanischen Englisch so viel wie ‚seltsam, sonderbar, leicht verrückt‘, aber auch ‚gefälscht, fragwürdig‘; als Verb wird es gebraucht für ‚jemanden irreführen, etwas verderben oder verpfuschen‘, substantivisch steht es z. B. für ‚Falschgeld‘. Umgangssprachlich ist queer ein Schimpfwort für Homosexuelle, spielt also mit der Assoziation, dass Homosexuelle so was wie Falschgeld sind, mit der die straight world, die Welt der ‚richtigen‘ Frauen und Männer, arglistig getäuscht werden soll.“

Sabine Hark: Queer Intervention S. 103. In: Feministische Studien 11, Heft 2 (1993), S. 103–109

Neubewertung

Das Wort wurde im englischen Sprachraum – ebenso wie das Wort „schwul“ im deutschen – als Schimpfwort gebraucht, mit dem vornehmlich Schwule, aber auch andere, die von den heteronormativen Regeln abweichen, bedacht wurden. Im Laufe der 1980er und 1990er Jahre, vor allem im Zuge des Act-Up-Aktivismus während der Aids-Krise, gelang es den so Bezeichneten jedoch, dieses Wort im öffentlichen Diskurs einer Neubewertung (Englisch reclaiming) zu unterziehen, politisch positiv zu besetzen und als sogenanntes Geusenwort zu benutzen. Das Wort bleibt aber im englischsprachigen Raum umstritten und individuelle Meinungen zum Wort sind oft polarisiert. Die beiden Wörter gay und queer werden in Großbritannien häufig als Schimpfwort benutzt.[1]

Queer steht heute sowohl für die gesamte Bewegung als auch für die einzelnen ihr angehörenden Personen. Es ist eine Art Sammelbecken, unter dem sich außer Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Intersexuellen, Transgendern, Asexuellen und BDSMlern auch heterosexuelle Menschen, welche Polyamory praktizieren, und viele mehr zusammenschließen. Eine Besonderheit von Queer im Vergleich zu Identitäten wie lesbisch oder schwul ist, dass die Betonung auf der eigenen von der Heteronormativität abweichenden Geschlechtsrollen-Präsentation und/oder Geschlechtsidentität und/oder Lebensform liegt und die Geschlechtsidentität des anderen eine geringere Rolle spielt.

Verbindend wirkt dabei die Überzeugung, dass der Zwang zur Heteronormativität aufgelöst gehört, und dass es Menschen erlaubt werden sollte, ihre Leben und Sexualleben mit unterschiedlichen Vorstellungen, sexuellen Identitäten und Geschlechtsidentitäten in Frieden leben zu dürfen.

Politik und Theorie

Gemäß der Bedeutung des Verbs to queer, was soviel wie „vereiteln, unterlaufen“ bedeutet, wird sowohl im täglichen Leben und in politischen Aktionen als auch auf theoretischer Ebene (siehe auch: Queer-Theorie) versucht, die restriktiven Diskurse der Gesellschaft zu durchbrechen und sich der Einteilung in normale und nicht normale Lebens- und Begehrensformen zu widersetzen.

Die Queer-Bewegung wird auch als Queer Nation bezeichnet – in Anlehnung an das nordamerikanische Konzept der indigenen Minderheitsnation.

Mit der politischen Bewegung gelangte das Wort auch in den deutschen Sprachraum, wird dort aber oft lediglich als Äquivalent für lesbisch und schwul gebraucht.

Medien

In den USA strahlte der Fernsehsender Bravo bis Oktober 2007 eine Unterhaltungssendung mit dem Titel Queer Eye (etwa: Die etwas andere Sicht) aus. In der Sendung versuchten Schwule Häuser, Wohnräume, Aussehen und Kleidung anderer Leute nach ihren Vorstellungen zu deren Vorteil umzugestalten. Ebenfalls queer im Namen trägt die britische Serie Queer as Folk sowie deren bekanntere gleichnamige US-Kanadische Neuverfilmung.

In Deutschland gab es von 1998 bis 2002 Queer als überregionale schwul-lesbische Monatszeitung. Nach dem Konkurs des Kölner Unternehmens blieb nur noch die Onlineausgabe, eine Mischung aus Magazin und Nachrichtenportal.

Literatur

  • Stephan Moebius: Die soziale Konstituierung des Anderen. Grundrisse einer poststrukturalistischen Sozialwissenschaft nach Lévinas und Derrida. Campus, Frankfurt/New York 2003, ISBN 3-593-37268-1: Das Buch behandelt die Ethik und Identität der Queer-Bewegung, die immer nur provisorisch und im Neudifferenzieren bestehen; nach Moebius handelt es sich um eine „Identität im Sinn der différance“.
  • Bawer, Bruce (Hrsg.): Beyond Queer. Challenging Gay Left Orthodoxy. New York 1996. ISBN 0-684-82766-2: Das Buch ist eine Sammlung von Aufsätzen zur Kritik an der Queer-Bewegung.
  • Anke Engel: Verqueeres Begehren, in: Hark, Grenzen, 1996, 73-95.
  • Annamarie Jagose: Queer Theory. Eine Einführung. Querverlag, Berlin 2001. ISBN 3-89656-062-X: In dem Buch führt die Autorin umfassend in die Queer Theory ein.
  • Melanie Groß / Gabriele Winker (Hg.): Queer- | Feministische Kritiken neoliberaler Verhältnisse. Münster 2007. ISBN 978-3-89771-302-4

Einzelnachweise

  1. Young children 'learn homophobia', BBC News, 14. Juni 2006

Siehe auch

Portal: Homo- und Bisexualität – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Homo- und Bisexualität
Portal: BDSM und Fetisch – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema BDSM und Fetisch