Pushback (Grenze)

Als Push-Back (englisch für zurückschieben; alternative Schreibweise: Pushback) wird das Zurückdrängen von Migranten von den Grenzen ihres Ziel- oder Transitlandes bezeichnet. Dies wird in vielen Fällen als illegal betrachtet. Die Rechtsprechung hierzu ist aber noch nicht abschließend geklärt. Der Ausdruck gilt als umstritten. „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ wählte Pushback zum Unwort des Jahres 2021 und monierte, der Begriff verharmlose das Vorgehen, Flüchtende am Wahrnehmen ihres Grundrechtes aus Asyl zu hindern.

Einordnung

Im Zusammenhang mit den EU-Außengrenzen bedeutet Push-Back das (häufig gewaltsame) Zurückdrängen aus dem Schengen-Raum durch die jeweilige Grenzpolizei. Es ist umstritten, in welchen Fallkonstellationen dies legal bzw. illegal ist.[1][2][3][4]

In Deutschland wird diese Formulierung im Zusammenhang mit Aktionen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex oder Grenzpolizeieinheiten der europäischen Länder gebraucht.[5] Die Debatte dreht sich dabei um die Frage, ob eine Zurückweisung an einer EU-Außengrenze (zuweilen auch an einer -Innengrenze, z. B. von Deutschland oder Österreich) bereits die Verletzung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung bedeutet oder nicht.

Während das Push-Back in Australien gängige Praxis im Umgang mit Bootsflüchtlingen ist, ist es in Europa rechtlich stark umstritten.[6][7] EU-Recht und die Genfer Flüchtlingskonvention beinhalten ein Zurückweisungsverbot.[8]

Vom Push-Back abzugrenzen ist das Pull-Back, bei dem Flüchtlinge an der Ausreise aus ihrem Heimatland gehindert oder nach Ausreise ohne vorheriges Asylverfahren umgehend wieder in ihre Herkunftsländer rückverbracht werden.[9][10]

Im Zuge der Migrationskrise an der Grenze zwischen Belarus und der Europäischen Union verabschiedete das Parlament Polens Maßnahmen, die nach Ansicht mehrerer Organisationen Pushback erlauben. Dazu gehört das unmittelbare Zurückführen über die illegal übertretene Grenze auf Beschluss des örtlichen Grenzschutzchefs.[11][12] Nach dem Parlamentsbeschluss können Grenzschützer nach polnischem Recht selbst entscheiden, ob sie den Schutzsuchenden die Chance auf einen Asylantrag gewähren.[13]

Rechtliche Einordnung

Es gibt noch keine abschließende Entscheidung in allen Fallkonstallationen. Eine Reihe von Verfahren zu Push-Backs interpretiert diese jeweils als illegal, solange insbesondere ohne Prüfung und Möglichkeit der legalen Asyl-Beantragung das sogenannte Refoulement-Verbot missachtet wird. Dies ist aber nicht schrankenlos, und daher auch nicht jeder Pushback illegal.[14]

Fallberichte (2017, 2020–2021)

Bereits im Jahr 2017 beklagte die Menschenrechtsorganisationen Pro Asyl regelmäßig Push-Backs an den EU-Außengrenzen.[15]

Im Zuge einiger als „Grenzschutzmaßnahmen“ ausgewiesener Vorfälle in der Ägäis wurden von der griechischen Küstenwache Boote mit Migranten von der griechischen Küste in Richtung Türkei gedrängt bzw. mit Seilen weggezogen. Dabei wurden Außenbordmotoren von Schlauchbooten beschädigt, um die Schiffe manövrierunfähig zu machen. Zudem wurden Migranten mit Waffen bedroht. Die Europäischen Grenzschutzagentur Frontex war in einigen Fällen in die Vorkommnisse verwickelt, ohne diese zu verhindern.[16] Von März 2020 bis April 2021 hat die griechische Küstenwache bei Frontex-Einsätzen 132 Flüchtlingsboote in türkische Gewässer zurückgebracht.[17]

Der kroatischen Polizei wurden Push-Backs an der bosnisch-kroatischen Grenze vorgeworfen. Auf Videos war mehrfach zu sehen, wie Flüchtlinge beim Versuch, nach Kroatien zu gelangen, geschlagen und zurückgedrängt wurden. Das kroatische Innenministerium bestreitet dies und warf NGOs vor, sie wollten die Republik Kroatien diskreditieren und die Tatsache anzweifeln, dass Kroatien das Recht habe, seine Grenzen zu schützen. Mit dieser Argumentation hatten kroatischen Behörden auch auf frühere Gewaltvorwürfe reagiert.[18]

Das Zurückschleppen von Libanesen, die sich nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch ihres Landes nach der Explosionskatastrophe in Beirut 2020 mit Booten über Zypern Zutritt zur EU verschaffen wollten,[19] wurde – trotz zwischenstaatlicher Vereinbarungen zwischen Zypern und der Regierung des Libanon – durch die Europäische Union verboten.[20]

Im Jahr 2021 wurden systematische unter massiver Gewaltanwendung vorgenommene Push-backs durch kroatische und griechische Grenzbeamte dokumentiert. Misshandlungen fanden auch in der Form statt, dass Flüchtlinge in Rettungsflößen auf dem Meer ausgesetzt wurden. Diese Pushbacks wurden teilweise von vermummten Polizisten in Zivilkleidung vorgenommen.[21][8] Im Juli 2021 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Pushback eines türkischen Journalisten, der 2016 nach Bulgarien geflohen und innerhalb von 24 Stunden zurück an die Türkei übergeben worden war. Dem Journalisten wurden 15.000 Euro Schadenersatz zugesprochen.[22]

Während der Migrationskrise an der Grenze zwischen Belarus und der Europäischen Union führten polnische Grenzbeamte Flüchtlinge, die die Grenze übertreten hatten, auf die belarussische Seite zurück.[13][23]

Untersuchungen

Kurz nachdem Mitte Januar 2021 Ermittlungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) gegen Frontex wegen Belästigung, Fehlverhalten und Migranten-Pushbacks bekannt geworden waren,[24] gründete das Europäische Parlament am 29. Januar 2021 die Arbeitsgruppe Frontex Scrutiny Working Group (FSWG).[25] Die FSWG soll ähnlich einem Untersuchungsausschuss Informationen dazu sammeln, ob Frontex Grundrechte einhält, sowie zum internen Prozedere beim Umgang mit Beschwerden.[24] Parallel zur Initiative des Parlaments hat die EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly die Arbeit an einem Bericht zum Umgang von Frontex mit Grundrechtsbeschwerden aufgenommen.[26]

Folgende Weblinks schildern die Situation aus Sicht von Flüchtlingsorganisationen:

Einzelnachweise

  1. Daniel Thym: Zurückweisung erlaubt – „Pushbacks“ in der Ägäis. In: faz.net. 7. April 2021, abgerufen am 29. Oktober 2021.
  2. Matthias Lehnert: Pushbacks sind illegal – und zwar immer. In: Verfassungsblog. 13. Mai 2021, abgerufen am 19. Mai 2021.
  3. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: „Push-Backs“ an der türkisch-griechischen Grenze im Lichte des Völkerrechts. In: Wissenschaftlicher Dienst - Bundestag. Abgerufen am 31. März 2020.
  4. Menschenrechtliche Grenzen für Pushbacks – und der weitergehende Schutz nach EU-Sekundärrecht. Abgerufen am 21. Oktober 2021.
  5. Maximilian Popp, Steffen Lüdke, Emmanuel Freudenthal, Giorgos Christides: Verbrechen im Mittelmeer – Frontex in illegale Pushbacks von Flüchtlingen verwickelt. In: Spiegel Online. 23. Oktober 2020, abgerufen am 25. Oktober 2020.
  6. Flüchtlingspolitik – Spanien darf illegale Migranten direkt nach Marokko zurückschicken. In: zeit.de. 13. Februar 2020, abgerufen am 16. Februar 2020.
  7. Sam Jones: European court under fire for backing Spain's express deportations. In: theguardian.com. 12. Februar 2020, abgerufen am 30. November 2020 (englisch).
  8. a b Giorgos Christides, Bashar Deeb, Klaas van Dijken, Alexander Epp, Steffen Lüdke: Wie eine Schattenarmee an Europas Grenzen Flüchtlinge misshandelt. In: Der Spiegel. 6. Oktober 2021, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 8. Oktober 2021]).
  9. Lena Riemer: From push-backs to pull-backs: The EU’s new deterrence strategy faces legal challenge. Netzwerk Flüchtlingsforschung vom 16. Juni 2018, abgerufen am 5. Februar 2021.
  10. Tineke Strik: Pushback policies and practice in Council of Europe member States. (PDF; 445 kB) Europarat-Bericht zu Push-Backs in der EU, vorläufige Fassung. In: reliefweb.int. 2019, abgerufen am 25. Januar 2021 (englisch).
  11. Janita Hämäläinen: Polnische Grenze zu Belarus: Geflüchtete werden mit aller Härte zurückgewiesen. In: Der Spiegel. 19. Oktober 2021, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 19. Oktober 2021]).
  12. Poland passes legislation allowing migrant pushbacks at border. 14. Oktober 2021 (reuters.com).
  13. a b Jürgen Dahlkamp, Christina Hebel, Muriel Kalisch, Steffen Lüdke, Maximilian Popp: Belarus: So funktioniert Alexander Lukaschenkos perfider Menschenschmuggel. In: Der Spiegel. 12. November 2021, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 19. November 2021]).
  14. EGMR, N.D. und N.T. gegen Spanien, Urteil vom 13. Februar 2020
  15. Grenzkontrollen in der EU: Flüchtlinge illegal abgewiesen? In: taz.de. 25. Januar 2017, abgerufen am 14. Januar 2018.
  16. Heiner Hoffmann: Illegale Frontex-Pushbacks – Deutsche Bundespolizisten verwickelt. In: tagesschau.de. 28. November 2020, abgerufen am 5. Februar 2021.
  17. Maximilian Popp, Steffen Lüdke, Giorgos Christides: Pushbacks in der Ägäis – Mehr als hundert Flüchtlingsboote bei Frontex-Einsätzen zurückgestoßen. In: Spiegel Online. 10. April 2021, abgerufen am 10. April 2021.
  18. Srdjan Govedarica, Andrea Beer: Gewalt gegen Flüchtlinge – Kroatiens Regierung unter Druck. In: tagesschau.de. 19. November 2020, abgerufen am 19. November 2020.
  19. Libanon – Zypern weist Flüchtlinge ab. In: sueddeutsche.de. 8. September 2020, abgerufen am 29. Oktober 2020.
  20. Marcel Leubecher: EU-Asylreform – „Rückführung ist keine Raketenwissenschaft“. Interview mit EU-Migrationskommissarin Ylva Johansson. In: welt.de. 27. Oktober 2020, abgerufen am 12. November 2020.
  21. Kroatischer Innenminister gibt Misshandlungen von Flüchtlingen zu – Polizisten suspendiert. In: Spiegel Online. 8. Oktober 2021, abgerufen am 8. Oktober 2021.
  22. Mathias Fiedler: Wählen und Quälen. In: jungle.world. 14. Oktober 2021, abgerufen am 18. Oktober 2021.
  23. Florian Hassel: Pushback. Abgerufen am 19. November 2021.
  24. a b EU-Parlament macht mit neuer Arbeitsgruppe Druck auf Frontex. In: dpa vom 29. Januar 2021.
  25. Frontex’s alleged violations to be probed by new permanent scrutiny group. In: left.eu. 29. Januar 2021, abgerufen am 20. Oktober 2021 (englisch).
  26. Paul Vorreiter: Europäische Grenzschutzagentur in der Kritik – Wusste Frontex von illegalen Pushbacks? In: Deutschlandfunk vom 2. Februar 2021, abgerufen am 5. Februar 2021.