Gen

Schematische Darstellung eines Gens auf einem DNA-Strang. Der Abschnitt der Doppelhelix auf der DNA zeigt ein eukaryotisches Gen, das Introns und Exons enthält, und im Hintergrund den zu einem Chromosom kondensierten DNA-Strang

Ein Gen ist ein Abschnitt auf der Desoxyribonukleinsäure (DNA), der die Grundinformationen zur Herstellung einer RNA enthält. Das oft daraus entstehende Protein prägt durch seine Funktion ein oder mehrere Merkmal(e). Allgemein werden Gene daher auch als Erbanlage oder Erbfaktor bezeichnet, ein Träger von Erbinformation. Durch Reproduktion kann diese Information an die Nachkommen weitergegeben werden.


Aufbau

Auf molekularer Ebene besteht ein Gen aus zwei unterschiedlichen Komponenten:

  1. Einem DNA-Abschnitt, von dem durch Transkription eine einzelsträngige RNA-Kopie hergestellt wird
  2. alle zusätzlichen DNA-Abschnitte, die an der Regulation dieses Kopiervorgangs beteiligt sind.

Gene kodieren nicht nur die mRNA, aus der dann die Proteine translatiert werden, sondern auch die rRNA und die tRNA sowie weitere RNAs, die andere Aufgaben in der Zelle haben, beispielsweise bei der Proteinbiosynthese oder der Genregulation.

Ein Gen, welches ein Protein kodiert, enthält eine Beschreibung der Aminosäure-Sequenz eines Proteins. Diese Beschreibung liegt in einer chemischen Sprache vor, nämlich im genetischen Code in Form der Nukleotid-Sequenz der Desoxyribonukleinsäure (im internationalen wissenschaftlichen Sprachgebrauch DNA abgekürzt, deutsch auch DNS). Die einzelnen 'Kettenglieder' (Nukleotide) der DNA stellen - in Dreiergruppen (Tripletts) zusammengefasst - die 'Buchstaben' des genetischen Codes dar. Der codierende Bereich, also alle Nukleotide, die direkt an der Beschreibung der Aminosäuresequenz beteiligt sind, wird als offener Leserahmen bezeichnet. Ein Nukleotid besteht aus einem Teil Phosphat, einem Teil Desoxiribose(Zucker) und einer Base. Eine Base ist entweder Adenin, Thymin, Guanin oder Cytosin.

Die Erforschung des Aufbaus und der Funktion und Vererbung von Genen ist Gegenstand der Genetik. Die Erforschung der Gesamtheit aller Gene eines Organismus ist Sache der Genomik (engl. genomics). Demgegenüber bezeichnet man als Genom allerdings die Gesamtheit der DNA, also Gene plus nichtkodierende Bereiche.

Die DNA, welche die Gene enthält, ist bei Lebewesen mit Zellkern (Eukaryonten) zu Chromosomen kondensiert (zusammengefasst).

Gene können mutieren, sich also spontan oder durch Einwirkung von außen (beispielsweise durch Radioaktivität) verändern. Diese Veränderungen können an verschiedenen Stellen im Gen erfolgen. Demzufolge kann ein Gen nach einer Reihe von Mutationen in verschiedenen Zustandsformen vorliegen, die man Allele nennt.

Eine DNA-Sequenz kann auch mehrere überlappende Gene enthalten. Durch Genduplikation verdoppelte Gene können sequenzidentisch, trotzdem aber unterschiedlich reguliert sein und damit zu unterschiedlichen Aminosäuresequenzen führen, wären also keine Allele.

Schematische Darstellung des Aufbaus eines Gens. Beschreibung im Text

In der Zeichnung wird der Aufbau eines typischen eukaryotischen Gens dargestellt. Es enthält (in diesem Fall) sechs Introns und sieben Exons. Vor der Transkriptionseinheit liegen regulatorische Elemente wie zum Beispiel Enhancer oder Promotor. Die prä-mRNA wird in einem Reifungsprozess Prozessierung zur mRNA modifiziert. Die mRNA enthält neben dem direkt proteincodierenden Offenen Leserahmen noch untranslatierte Bereiche, den 5' untranslatierten Bereich (5' UTR) und den 3' untranslatierten Bereich (3' UTR).

Geschichte

1854 begann Gregor Mendel, die Vererbung von Merkmalen bei Erbsen zu untersuchen. Er schlug als erster die Existenz von Faktoren vor, die von Eltern auf die Nachkommen übertragen werden. Bei seinen Kreuzungsversuchen beschrieb er, dass Merkmale voneinander unabhängig vererbt werden können, sowie dominante und rezessive Merkmale. Er entwickelte die Hypothese, dass es homo- und heterozygote Zustände geben kann und legte damit die Grundlage für die Unterscheidung zwischen Genotyp und Phänotyp. Der Name "Gen" wurde 1909 von dem Dänen Wilhelm Johannsen geprägt.

Thomas Hunt Morgan begann 1910 mit Kreuzungsversuchen an Drosophila melanogaster. Er konnte als erster zeigen, dass Gene auf Chromosomen liegen und später, dass sie an bestimmten Stellen auf den Chromosomen liegen. 1928 wies Frederick Griffith in dem als "Griffiths Experiment" bekannt gewordenen Versuch zum ersten mal nach, dass Gene von Organismen auf andere übertragen werden können. Der von ihm nachgewiesene Vorgang war die Transformation.

1941 zeigten George Wells Beadle und Edward Lawrie Tatum, dass Mutationen in Genen für Defekte in Stoffwechselwegen verantwortlich sind, was zeigte, dass spezifische Gene spezifische Proteine kodieren. Diese Erkenntnisse führten zur "Ein-Gen-ein-Enzym-Hypothese". Oswald Avery, Collin Macleod und Maclyn McCarty zeigten 1944, dass die DNA die genetische Information enthält. 1953 wurde die Struktur der DNA von James D. Watson and Francis Crick, basierend auf den Arbeiten von Rosalind Franklin, entschlüsselt.

1969 gelang Jonathan Beckwith als erstem die Isolierung eines einzelnen Gens.

Genetische Variation und genetische Variabilität

Als genetische Variation bezeichnet man das Auftreten von genetischen Varianten (Allele, Gene oder Genotypen) bei individuellen Lebewesen. Sie entsteht durch Mutationen, aber auch durch Vorgänge bei der Meiose, durch die Erbanlagen der Großeltern unterschiedlich auf die Geschlechtszellen verteilt werden.

Genetische Variabilität ist dagegen die Fähigkeit einer gesamten Population, Individuen mit unterschiedlichem Erbgut hervorzubringen. Hierbei spielen nicht nur genetische Vorgänge, sondern auch Mechanismen der Partnerwahl eine Rolle. Die genetische Variabilität spielt eine entscheidende Rolle für die Fähigkeit einer Population, unter veränderten Umweltbedingungen zu überleben und stellt einen wichtigen Faktor der Evolution dar.

Organisation von Genen

Bei allen Lebewesen codiert nur ein Teil der DNA für definierte Proteine. Die übrigen Teile der DNA sind für die Genregulation notwendig, beispielsweise für die Regulation des alternativen Splicings), oder bei höheren Lebewesen, für die Architektur der Chromosomen wichtig (beispielsweise im Heterochromatin). Bei eukaryotischen Genen wird zwischen Protein codierenden Exons und nicht codierenden Introns unterschieden.

Im Allgemeinen haben Gene einen bestimmten Genort auf einem bestimmten Chromosom. Um diesen Genort zu finden, kann man eine Kartierung durchführen. Dabei nutzt man aus, dass es im Zuge der Meiose durch das Crossing over zu einer Rekombination der väterlichen und mütterlichen Chromosomen kommen kann. Auch sind durch Mutationen Wechsel auf ein ganz anderes Chromosom möglich. Daher kann man einander entsprechende Gene, so genannte Homologe, die beim Menschen auf einem bestimmten Chromosom liegen, bei Mäusen auf einem anderen Chromosom finden.

Nicht selten stehen benachbarte Gene in funktionellem Zusammenhang. So sind etliche der Gene auf dem das Geschlecht bei Säugetieren bestimmenden Y-Chromosom für die Ausprägung der sekundären männlichen Geschlechtsmerkmale zuständig. Gene, deren Proteine ähnliche Funktion haben, können aber auch auf verschiedenen Chromosomen liegen.

Genaktivität und Regulation

Gene sind dann "aktiv", wenn ihre Information in RNA umgeschrieben wird, d.h. die Transkription stattfindet. Je nach Funktion des Gens entsteht also mRNA, tRNA oder rRNA. In der Folge kann also, muss aber nicht zwingend, bei mRNA aus dieser Aktivität auch ein Protein translatiert werden.

Zellen regulieren die Aktivität einzelner Gene über eine Vielzahl von Kontrolmechanismen. Ein Weg ist die Steuerung über die Rate ihrer Transkription in RNA. Ein anderer Weg ist der Abbau der mRNA, bevor sie beispielsweise über siRNA translatiert wird. An dieser Stelle können auch Pseudogene in die Kontrolle der Aktivität über siRNA eingreifen.

Kurzfristig erfolgt die Genregulation durch Bindung und Ablösung von Proteinen, so genannten Transkriptionsfaktoren, an spezifische Bereiche der DNA, die so genannten "regulatorischen Elemente". Langfristig wird dies über Methylierung oder das "Verpacken" von DNA-Abschnitten in Histonkomplexe erreicht.

Auch die regulatorischen Elemente der DNA unterliegen der Variation. Der Einfluss von Änderungen in der Genregulation einschließlich der Steuerung des alternativen Splicings dürfte vergleichbar mit dem Einfluss von Mutationen proteincodierender Sequenzen sein. Mit klassischen genetischen Methoden - durch Analyse von Erbgängen und Phänotypen - sind diese Effekte in der Vererbung normalerweise nicht voneinander zu trennen. Lediglich die Molekularbiologie kann hier Hinweise geben.

Siehe auch: Genexpression

Besondere Gene

RNA-Gene in Viren

Obwohl bei allen zellbasierten Lebensformen Gene als DNA-Abschnitte vorliegen, gibt es einige Viren, deren genetische Information in Form von RNA vorliegt. RNA-Viren befallen eine Zelle, die dann sofort mit der Produktion von Proteinen direkt nach Anleitung der RNA beginnt; eine Transkription von DNA nach RNA entfällt. Retroviren hingegen übersetzen ihre RNA bei der Infektion in DNA, und zwar unter Mitwirkung des Enzyms Reverse Transkriptase.

Pseudogene

Als Gen im engeren Sinne bezeichnet man in der Regel eine Nukleotid-Sequenz, die die Information für ein Protein enthält, das unmittelbar funktionsfähig ist. Pseudogene stellen dagegen Genkopien dar, die kein funktionelles Protein in voller Länge codieren. Oftmals sind diese durch Genduplikationen entstanden und/oder durch Mutationen, welche sich in der Folge ohne Selektion auch im Pseudogen akkumulieren (anhäufen), und ihre ursprüngliche Funktion verloren haben. Einige scheinen dennoch eine Rolle bei der Regulierung der Genaktivität zu spielen. Das menschliche Genom enthält etwa 20.000 Pseudogene.

Springende Gene

Sie werden auch als Retrotransposons bezeichnet und sind mobile Erbgutabschnitte, die sich innerhalb der DNA einer Zelle frei bewegen können. Aus ihrem angestammten Ort im Erbgut schneiden sie sich selbst aus und fügen sich an einer beliebig anderen Stelle wieder ein. Biologen um Fred Gage vom Salk Institute in La Jolla (USA) haben nachgewiesen, dass diese springenden Gene nicht nur wie bislang angenommen in den Zellen der Keimbahn vorkommen, sondern auch in Nerven-Vorläuferzellen aktiv sind.

Typische Genomgrößen und Genanzahl

Organismen oder andere biologische Systeme Anzahl Gene Basenpaare
Pflanzen >50000 >1011
Mensch ~24800 3x109
Fliegen 12000 1.6x108
Pilze 6000 1.3x107
Bakterien 500-6000 107
Mycoplasma genitalium 500 106
DNA-Viren 10-300 5000-200.000
RNA-Viren 1-25 1000-23.000
Viroide 0 150-400
Prionen 0 0

Literatur

  • Jaroslav Krizenecky: Gregor Johann Mendel, 1822-1884; Texte und Quellen zu seinem Wirken und Leben. In: Lebensdarstellungen deutscher Naturforscher 11, Barth, Leipzig 1965
  • Benjamin Lewin: (2002) Molekularbiologie der Gene. ISBN 3827413494
  • Genes. ISBN 0131439812 (englisch)
  • Inge Kronberg: Welche Gene machen den Menschen zum Menschen? In: Biologie in unserer Zeit 34(4), S. 206 - 207 (2004), ISSN 0045-205X

Kritik:

  • Wolfram Henn: Warum Frauen nicht schwach, Schwarze nicht dumm und Behinderte nicht arm dran sind. Der Mythos von den guten Genen. (2004)

Siehe auch

Gentherapie, Homöobox, Erbkrankheit, Das egoistische Gen, Wilhelm Johannsen Vorlage:Wiktionary1

Weblinks