Rückumlaut

Als Rückumlaut bezeichnet man die Abwesenheit des Umlauts im Präteritum und im Partizip II bei schwachen Verben mit Umlaut im Präsens. So heißt es im Präsens zwar es brennt (/e/ ist umgelautetes /a/), im Präteritum jedoch es brannte. Dieser Erscheinung gab Jacob Grimm den Namen Rückumlaut, da er folgende Entwicklungen annahm:

  1. brennen gehört zu den sogenannten jan-Verben, deren Infinitive bis ins frühe Althochdeutsche auf -jan geendet hatten: germ. *brannjan. Da das zu /i/ vokalisierte /j/ auch in Präteritum und Partizip regelmäßig eine Umlautung des Wurzelvokals /a/ zu /e/ bewirkte (siehe Primärumlaut), ist ein /e/ in allen Formen zu erwarten (und bei einer Vielzahl von schwachen Verben auch tatsächlich vorhanden).
  2. Doch schon in den ältesten deutschen Überlieferungen finden sich die Formen brennenbranta. Jacob Grimm schloss daraus, dass der Umlaut nach Ausfall des /i/ wieder beseitigt wurde, und kam so auf den Namen Rückumlaut für das Fehlen des Umlautes in den Formen des Präteritums und des Partizips Perfekt.

Heute geht man davon aus, dass der /i/-Laut in den Vergangenheitsformen und den flektierten Formen des Partizips lang- und mehrsilbiger Verben zumindest im Oberdeutschen schon vor der Umlautung weggefallen war, weswegen der Ausdruck Rückumlaut diachron gesehen irreführend ist. Infolge dialektaler Unterschiede und vielfacher Analogiebildung erscheinen bereits im Alt- und Mittelhochdeutschen bei zahlreichen Verben Nebenformen mit und ohne Umlaut. Der Rückumlaut betrifft neben Verben mit Präsensstammvokal /e/ < /a/ (Primärumlaut) auch solche mit /æ/ < /â/, /œ/ < /ô/, /üe/ < /uo/, was wegen der bei diesen Lauten erst im Mittelhochdeutschen allmählich aufkommenden Umlautbezeichnung in früheren Texten nicht ohne weiteres ersichtlich ist. Im Neuhochdeutschen zeigen schließlich nur noch wenige Verben Rückumlaut (brennen, denken, kennen, nennen, rennen, senden, wenden).

Rückumlautende Verben im Mittelhochdeutschen

Inf. präs. 1./3. sg. ind. prät. Partizip II Bedeutung Anmerkungen
âhten/æhten âhte ‚ächten’ ebenso: durchæhten, verâhten
ankern/enkern gankert/genkert ‚ankern, verankern‘
annæmen annâmte ‚annehmen‘
antern/entern anterte ‚nachahmen‘
antwürten/-werten antwurte/-warte geantwurt ‚antworten, verantworten; übergeben‘ ebenso: geantwerten
arcwænen/-wânen arcwânde garcwânet ‚argwöhnen, verdächtigen‘
atzen/etzen atzte geetzt ‚speisen, weiden, nähren‘ 
bâren/bæren bârte gebâret/gebæret ‚auf die Bahre legen‘
gebâren/gebæren gebârte gebâret ‚sich benehmen, gebaren‘
belden gebalt ‚erkühnen‘
bennen bante ‚vor Gericht laden‘ ebenso: verbennen
blüejen blüete/bluote geblüet/gebluot ‚blühen‘ ebenso: erblüejen, geblüejen
blüemen blüemte/bluomte geblüemet/gebluomt ‚mit Blumen schmücken‘ ebenso: volblüemen
blenden blante geblendet/geblant ‚blenden, verblenden, verdunkeln‘
enbœren enbôrte enbœret/enbôrt ‚erheben‘ ebenso: erbœren, gebœren
brennen brante gebrennet/gebrant ‚anzünden, verwüsten’
denken dâhte gedâht ‚denken’
effen afte/efte geaffet/geeffet ‚zum Narren machen, täuschen’
engen/angen ancte/engte geenget ‚einengen, beengen’
ergern/argern geargert/geergert ‚verschlechtern, verschlimmern’
ermen armte ‚arm machen‘
füeren fuorte gefüeret/gefuort ‚führen‘
grüezen gruoʒte gegrüeʒet/gegruoʒt ‚anreden, grüßen‘
hengen hancte gehenget/gehanct ‚hangen lassen; gestatten; nachjagen‘
hœren hôrte gehœret/gehôrt ‚hören‘
lenden/lenten lendete/lante gelendet/gelant ‚landen; vollbringen, beenden, heimkehren‘
lœsen lôste gelœset/gelôst ‚lösen‘
merwen/merren/marren marte gemerret/gemart ‚halten, hindern; anbinden‘
nemnen/nemmen/nennen nande genemmet/genant ‚nennen; ausrufen, preisen‘
pfenden pfante gepfendet/gepfant ‚pfänden; berauben, befreien‘
rennen rante/rennete gerant ‚laufen machen, reiten’
retten ratte gerettet/gerat ‚retten’
rüemen ruomde gerüemet/geruomt ‚rühmen‘
senden sande/sante gesendet/gesant ‚schicken, senden; hetzen‘
stellen/stallen stalte gestellet/gestalt ‚stellen; trachten, tun, vollbringen‘
trenken trancte getrenket/getranct ‚tränken; betrunken machen; ertränken‘
trennen trande getrennet/getrant ‚schneiden, trennen, spalten‘
trœsten trôste getrœstet/getrôst ‚trösten‘
vellen valte gevellet/gevalt ‚fallen lassen, fällen; niederwerfen, töten‘
vestenen/vesten vaste gevestet/gevast ‚befestigen, festsetzen; bestätigen; gefangen nehmen‘
wænen wânde gewænet/gewânt ‚wähnen, meinen‘
bewæren bewârte bewæret/bewârt ‚beweisen‘
wenden wante/wande gewendet/gewant ‚anrühren, umwenden; hindern‘
zellen zelte/zalte gezelt/gezalt ‚zählen’

Literatur