Ein treuer Diener seines Herrn

Daten
Titel: Ein treuer Diener seines Herrn
Gattung: Drama
Originalsprache: Deutsch
Autor: Franz Grillparzer
Erscheinungsjahr: entstanden im Herbst 1826; Erstpublikation 1830
Uraufführung: 28. Februar 1828
Ort der Uraufführung: Burgtheater, Wien
Personen
  • König Andreas von Ungarn
  • Gertrude, seine Gemahlin
  • Bela, beider Kind
  • Herzog Otto von Meran, der Königin Bruder
  • Bancbanus
  • Erny, seine Frau
  • Graf Simon, Bruder des Bancbanus
  • Graf Peter, Ernys Bruder
  • der Hauptmann des königlichen Schlosses
  • zwei Edelleute von Herzog Ottos Gefolge
  • mehrere Hauptleute
  • ein königlicher Kämmerer
  • ein Arzt
  • eine Kammerfrau der Königin
  • Ernys Kammerfrau
  • zwei Diener des Bancbanus
  • zwei Diener der Königin
  • ein Soldat

Ein treuer Diener seines Herrn ist ein Drama von Franz Grillparzer. Es gilt als sein "persönlichstes" Stück.[1]

Quellen und Anregungen

Da Grillparzer ursprünglich ein Drama über Königin Gisela geplant hatte, die als „Deutsche“ von den Ungarn Ablehnung erfährt, spricht einiges dafür, dass es die Figur der Gertrude war, die Grillparzer ursprünglich an dem Bánk-bán-Stoff interessierte, die Probleme einer Königin, die als Deutsche in einem Land lebt, dessen Einwohnerschaft ihrem Volk feindlich gesinnt ist. Bei der Entscheidung für den Bancbanus-Stoff dürfte ausschlaggebend gewesen sein, dass Grillparzer in Gertrude eine im Vergleich mit Gisela wesentlich zwiespältigere Figur sah und sich mit ihrem Bruder, der in eine Beziehung zu einer adligen Ungarin verwickelt ist, ein weiteres interessantes Motiv fand. Weiter finden sich Parallelen zum Lucrezia-Stoff in der Beziehung zwischen Erny und Bancbanus bzw. Erny und Otto. Auch Ernys Selbstmord könnte durch Lucrezias Selbstmord angeregt sein.[2]

Der historische Stoff

Der historische Bánk bán, recte Bárkalán nembéli Bánk (gestorben nach 1228), war ein einflussreicher Adliger im Königreich Ungarn in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts. 1208 und 1209 sowie 1217 ist er als Ban von Slawonien nachgewiesen, um 1212/1213 außerdem als Palatin und um 1221/1222 als königlicher Richter. Außerdem war er in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts Gspán von mehreren Grafschaften. In einer Sage, die in der Literatur und darstellenden Kunst des 19. Jahrhunderts einige Male gestaltet wurde, ist er der (fiktive) Mörder der ungarischen Königin Gertrude (getötet 1213), wobei seine Tat mit der Verführung bzw. dem Tod seiner Ehefrau begründet wird. Die Königin ist gewöhnlich an dieser Tragödie, die einer ihrer Brüder verursacht hat, mehr oder weniger mitschuldig. József Katona gestaltete diesen Stoff in seiner Tragödie Bánk bán, die 1858 ins Deutsche übersetzt wurde. Nach dieser Tragödie entstand das Libretto von Béni Egressy für die ungarische „Nationaloper“ Bánk bán von Ferenc Erkel, die 1861 uraufgeführt wurde. Grillparzer dürfte diese Werke nicht gekannt haben, ob er sie irgendwie beeinflusst hat, ist nicht geklärt.

Inhaltsangabe

Nach dem Tod seines besten Freundes hat der alternde Adelige Bancbanus, Palatin und Vertrauter des ungarischen König Andreas, dessen letzten Wunsch erfüllt und dessen Tochter Erny geheiratet, um ihr Schutz zu bieten. Herzog Otto von Meran, der Bruder der Königin Gertrude, stellt der noch jungen Frau offen nach. Die Königin, die ihrem Bruder sehr zugetan ist, möchte, als ihr Mann auf einen Kriegszug muss, dass dieser und nicht Bancbanus die Herrschaft über das Königreich während seiner Abwesenheit übernimmt. Doch König Andreas lehnt ab und macht Bancbanus zu seinem Statthalter. Während seiner Abwesenheit spitzt sich die Lage zu, da Otto weiterhin versucht, Erny zu verführen. Als Bancbanus seine Frau schließlich vom Hof abreisen lassen will, versucht Otto das durch eine Entführung, die von seiner Schwester letztlich möglich gemacht wird, zu verhindern. Doch Erny entzieht sich dieser durch Selbstmord. Da ihr Bruder und der Bruder von Bancbanus ihren Tod rächen wollen, kommt es in der Folge zum Aufstand gegen die Königin und ihren Bruder und zum Bürgerkrieg. Dennoch steht Bancbanus loyal zur Königin und ihren Sohn und sucht die beiden zusammen mit Otto zu schützen. Allerdings kann er die Tötung der Königin, die ihren Bruder um jeden Preis zu retten versucht, nicht verhindern. Als König Andreas unerwartet zurückkehrt, findet er sein Land im Aufruhr vor, doch da das Volk für Bancbanus Partei ergreift, gelingt es diesem, in letzter Minute doch eine Versöhnung zwischen den einzelnen Parteien zu vermitteln und den König von einer Begnadigung für die Aufständischen zu überzeugen. Eine Rangerhöhung, die ihm der König aus Dankbarkeit anbietet, lehnt er jedoch ab und zieht sich auf sein Schloss zurück, um dort seine Frau zu betrauern, nachdem er sich noch als einzige Gunst ausbedungen hat, dem Königskind die Hand küssen zu dürfen.[3]

Zur Handlung

Aufbau, Form und Sprache des Dramas orientieren sich an spanischen geistlichen Spielen der Barockzeit.[4] Wie dort erhält der Held im ersten Akt die Aufgabe, das Reich und die Familie des Königs zu schützen. In den folgenden drei Akten gilt es diese Aufgabe zu erfüllen, im fünften Akt „prüft“ der König die Leistung seines „getreuen“ Dieners.[5]

Das Stück zeigt, dass es nicht gerade einfach ist, ein „treuer Diener seines Herrn“ zu sein. Es geht in dem Stück nicht um (blinden) Gehorsam, sondern um Verantwortung. Bancbanus übernimmt die Aufgabe, den König und dessen Regierung zu vertreten, eher unwillig, er selbst hat sich keineswegs darum bemüht, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen. Aber der König wollte es, er hat eingewilligt und diese Aufgabe übernommen. So schwer es ihm auch gemacht wird, Bancbanus steht zu dem, wozu er sich verpflichtet hat. Er ist kein treuer Diener im Sinn von Gehorsam, sondern ein Mann, der zu Verpflichtungen, die er übernommen hat, steht. Diese Verantwortung nimmt er tatsächlich sehr ernst.[6] Grillparzer selbst befürchtete allerdings, dass sein Stück missverstanden werden könnte. Die Treue im Titel meint keinen (Kadaver-)Gehorsam oder Servilismus, sondern es geht um Treue in der Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft. Dienen ist bei Grillparzer Selbstverzicht und Anerkennung einer überzeitlichen sakralen Ordnung.[7] Eine solche Sichtweise dürfte gerade im 21. Jahrhundert doch sehr fremd sein.

Figurencharakteristik

Die Beziehungen der Figuren zueinander sind hochinteressant, dies betrifft vor allem die Beziehung zwischen den Eheleuten Erny und Bancbanus, aber auch zwischen Gertrude und ihrem Bruder Otto. Das Trauerspiel enthält mit dem Titelhelden und der Figur der Königin zwei von Grillparzers abgründigsten Charakteren.

  • Bancbanus ist, auch mit Blick auf die Entstehungszeit, ein ungewöhnlicher Held: ein alter, nicht sonderlich attraktiver Mann, dazu ein rechter Pedant (siehe z. B. die Gerichtsszene, wo er großen Wert darauf legt, wo sein Stuhl zu stehen hat), stellenweise zeigt er aber auch einen etwas eigenen Humor, wenn er z. B. zu Beginn, als Otto und seine Kumpane vor seiner Wohnung grölen und Steine gegen die Fenster werfen, diese öffnen lässt, damit wenigstens die Fensterscheiben heil bleiben oder wenn er König Andreas den Tod seiner Königin mitteilt, indem er meint, sie würde gerade seine (tote) Frau besuchen. Sein Pflichtbewusstsein und seine Fähigkeit, seine eigenen Gefühle zurückzustellen, mag aus heutiger Sicht befremdend sein, dennoch gibt ihm Grillparzer Größe und Würde.[5]
  • Ironischerweise sind der alte Bancbanus und die junge Erny Grillparzers einziges Ehepaar, das tatsächlich so etwas wie Glück gefunden hat. Erny, jung und schön und ein wenig impulsiv, ist ihrem Ehemann in kindlicher Verehrung zugetan. Mit der zunehmenden Verfolgung durch Otto wirkt sie überfordert. Zwar ist sie eindeutig nicht in ihn verliebt oder an einer sexuellen Beziehung mit ihm interessiert, doch bei einem seiner Verführungsversuche zeigt sich, dass sie seine vordergründig erotische Faszination durchaus anspricht[8][5]
  • Herzog Otto ist ein Lüstling und Schwächling mit fragwürdigen Verhaltensweisen, die als „weiblich“ besetzt sind (z. B. Selbstmorddrohungen). Als die Rebellion ausbricht, agiert er als würdeloser Feigling, der ohne Bedenken Schwester und Neffen opfern würde, um sein Leben zu retten. Nichtsdestoweniger deutet sich in seiner Wirkung auf Erny an, dass er offensichtlich über ein attraktives Äußeres verfügt. Gemildert wird sein fragwürdiger Charakter allerdings in Ansätzen dadurch, dass er einen recht unreifen Eindruck macht.
  • Königin Gertrude verfügt über jene „männlichen“ Eigenschaften wie Tatkraft und Mut, an denen es ihrem Bruder eindeutig mangelt. Sie versucht ihre „Abhängigkeit“ als Frau dadurch zu kompensieren, dass sie ihr „Wunschhandeln“ auf ihren Bruder überträgt, auf den auch ihr Hauptaugenmerk ausgerichtet ist. Letztlich ist es ihre psychische Abhängigkeit von ihm, die nicht nur den Tod von Erny, sondern auch ihren eigenen verursacht. Ein nach ihm geworfener Dolch kostet ihr das Leben.

Symbolik

  • Im ersten Akt bilden die Wohnung von Bancbanus und das königliche Schloss zwei voneinander abgegrenzte Räume, in denen die Handlung ihren Anfang nimmt. Durch ihre innere Gegensätzlichkeit wird die Grundspannung fühlbar, erscheint das Schloss doch nicht als Sitz des Königs, sondern als das Dominium von Herzog Otto und seiner Schwester.[2]
  • Bancbanus rettet später den Thronfolger, in dem er ihn mit seinem Umhang bedeckt.[9]
  • Die Szene, in der er sein Schwert gegen die rebellischen Adeligen zieht, die eigentlich seine Leute sind, und dabei zusammenbricht, versinnbildlicht einerseits seine Machtlosigkeit als Einzelperson, andererseits aber auch die Ohnmacht von Gewaltanwendung überhaupt.[10]

Rezeption

1825 wurde Grillparzer vorgeschlagen, für die bevorstehende Krönung der Kaiserin Karoline Auguste zur Königin von Ungarn ein Festspiel zu schreiben, was er jedoch ablehnte, nachdem der von ihm vorgeschlagene historische Stoff zur ungarischen Geschichte behördlicherseits auf Missfallen stieß. Nach seiner Deutschlandreise[2] begann Grillparzer im Herbst 1826 jedoch mit der Niederschrift des auf diesem Stoff basierenden Dramas. Er wollte dieses Werk zunächst Johann Wolfgang von Goethe widmen, unterließ dies aber, vielleicht aus Selbstzweifel.

Die Uraufführung von Ein treuer Diener seines Herrn, in Gegenwart von Kaiser Franz I., am 28. Februar 1828 war offensichtlich ein Erfolg.[11] Wenig später wurde das Stück aber stillschweigend aus dem Spielplan entfernt, nachdem sich Grillparzer geweigert hatte, es dem Kaiser zu verkaufen, der so weitere Aufführungen und den Druck zu verhindern versuchte[12][13] 1830 wurde das Trauerspiel erstmals im Verlag Wallishausser in Wien publiziert.

Ein treuer Diener seines Herrn gehört zu jenen Stücken von Franz Grillparzer, die auch in Österreich kaum aufgeführt wurden. Eine Ausnahme war die Aufführung am Wiener Volkstheater unter der Direktion von Emmy Werner im Jahr 1995 mit Michael Rastl als Bancbanus und Franziska Stavjanik als Gertrude, die allerdings kein wirklicher Erfolg war.[14]

Ausgaben

Sekundärliteratur

  • Kindlers Neues Literaturlexikon. Studienausgabe. Band 6, München 1988, S. 903f.
  • Herbert W. Reichert: The Characterization of Bancbanus in Grillparzer's „Ein Treuer Diener Seines Herrn“. In: Studies in Philology. Vol. 46, No. 1, Jan 1949, S. 70–78.

Einzelnachweise

  1. E. Brenner: Deutsche Literaturgeschichte. 13. Auflage. Verlag Leitner & Co., Wunsiedel / Wels / Zürich 1952, S. 152.
  2. a b c grillparzer.at
  3. Kindlers Neues Literaturlexikon. Studienausgabe. Band 6, München 1988, S. 903f.
  4. Kindlers Neues Literaturlexikon. Studienausgabe. Band 6, München 1988, S. 904.
  5. a b c Anregungen dazu bei E. Brenner: Deutsche Literaturgeschichte. 13. Auflage. Verlag Leitner & Co., Wunsiedel / Wels / Zürich 1952, S. 152.
  6. Heinrich Laube: Nachwort. In: Franz Grillparzer: Sämtliche Werke: Fünfter und sechster Band: Das goldene Vließ, König Ottokars Glück und Ende, Ein treuer Diener seines Herrn. 2016, S. 255.
  7. Kindlers Neues Literaturlexikon. Studienausgabe. Band 6, München 1988, S. 904.
  8. Kindlers Neues Literaturlexikon. Studienausgabe. Band 6, München 1988, S. 903.
  9. Kindlers Neues Literaturlexikon. Studienausgabe. Band 6, München 1988, S. 903 und S. 904.
  10. Kindlers Neues Literaturlexikon. Studienausgabe. Band 6, München 1988, S. 903 und S. 904.
  11. E. Brenner: Deutsche Literaturgeschichte. 13. Auflage. Verlag Leitner & Co., Wunsiedel / Wels / Zürich 1952, S. 152 geht dagegen von einem Misserfolg aus.
  12. Annemarie Stauß: Schauspiel und nationale Frage. Kostümstil und Aufführungspraxis im Burgtheater der Schreyvogel- und Laubezeit. Tübingen 2011, ISBN 978-3-8233-6557-0, S. 192.
  13. Kindlers Neues Literaturlexikon. Studienausgabe. Band 6, München 1988, S. 903.
  14. emmywerner.at