Venezianische Ospedali

Venezianische Ospedali waren soziale Einrichtungen in Venedig, die neben karitativen Zwecken der musikalischen Ausbildung ihrer weiblichen Zöglinge dienten. Sie gelten als Vorläufer der Konservatorien des 19. Jahrhunderts.

Die vier großen venezianischen Ospedali (= Ospedali Grandi), das Ospedale della Pietà, das Ospedale degl'Incurabili, das Ospedale di Santa Maria dei Derelitti und das Ospedale di San Lazzaro dei Mendicanti waren wie die Bruderschaften Teil eines karitativen Netzwerks, das vielfältige Fürsorgeleistungen für Bedürftige der Stadt erbrachte. Drei der Ospedali sind aus Hospizen hervorgegangen, wie sie zunächst von den Ritterorden, später von religiösen Ordensgemeinschaften betrieben wurden, und in denen Kranke gepflegt, Arme versorgt und Pilger und Reisende untergebracht werden konnten. Das Ospedale della Pietà wurde 1344 als Waisenhaus und Heim für Findlinge (= esposti) gegründet.

Guardi:Konzert mit einem Mädchenorchester, 1782

Seit dem 16.Jahrhundert bis zum Ende der Republik waren die vier Ospedali neben dem Chor des Markusdoms Zentren des Musiklebens in Venedig und europaweite Attraktion für Musiker und Reisende. Die ausschließlich aus Musikerinnen bestehenden cori trugen durch ihre Präsenz an der täglichen Liturgie der Ospedali-Kirchen, durch ihre Sonn- und Feiertagskonzerte und ihre Mitwirkung bei Staatsakten wie den zahlreichen Dogenprozessionen, wesentlich zur Selbstinszenierung und Propaganda der Serenissima als einzigartiges und unerreichtes Zentrum von Kultur und Luxus in Europa bei.

Historischer Hintergrund

Eine intensive Pflege geistlicher Musik ist in Venedig mit Beginn des 14. Jahrhunderts belegt. Als erster Organist am Markusdom ist 1316 ein Mistro Zuchetto belegt, dem bereits mehrere Orgeln für die Begleitung der Liturgie zur Verfügung standen. [1] Zeitgleich mit der Expansionspolitik Venedigs auf das Festland zu Beginn des 15. Jahrhunderts erlebte das Musikleben der Stadt einen einzigartigen Aufschwung. Musik begleitete die christlichen Feste und die mit ihnen verbundenen Staatsauftritte von Doge und Signoria. 1527 kam der Flame Adrian Willaert nach Venedig, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1562 das Amt eines Kapellmeisters am Markusdom bekleidete. Komponisten aus ganz Europa kamen nach Venedig, um von Willaert lernen, der wesentlich am Entstehen der Venezianischen Schule und ihren musikalischen Innovationen wie der Doppelchörigkeit beteiligt war.

Mit der Erfindung des Notendrucks mit beweglichen Lettern durch Ottaviano dei Petrucci Ende des 15. Jahrhunderts setzte in Venedig, dem damaligen Zentrum des Buchdrucks, eine reiche Produktion von Musikalien ein, und machte eine schnelle und weitreichenden Verbreitung der in Venedig entstandenen neuen Musik möglich.

Musik war in Venedig seit dem 15. Jahrhundert bis zum Ende der Republik allgegenwärtig. Feierlich begangen und mit Musik begleitet wurden neben den christlichen Hochfesten die Namenstage der Schutzheiligen der Stadt, dazu zählten außer dem Apostel Markus der Heilige Theodor und die Jungfrau Maria, sowie die Feste der vielen Kirchenpatrone. Laut Baldauf-Berdes musste an über über 200 Tagen im Jahr eines Heiligen gedacht werden. In der Zeit, als sich die vier Ospedali als musikalische Zentren herausbildeten, waren in Venedig neben 26 Kirchenfesten 84 Staatsaktionen zu beachten. Für die festlichen Ereignisse, wie die Krönung eines Dogen, die jährliche Vermählung des Dogen mit dem Meer, komponierten die Maestri am Markusdom Motetten und Psalmenvertonungen.

Willaert hatte am Markusdom Sonntagskonzerte eingeführt, was bald auch von den so genannten Cori - Orchester und Chor - der Ospedali nachgeahmt wurde und zu einer Attraktion für Venedigtouristen wurde. [2]

1637 eröffnete mit dem Teatro San Cassiano das erste Opernhaus, [3] 1678 gab es bereits sechzehn Opernhäuser und damit einen enormen Bedarf an geschulten Stimmen.


Ospedale di San Lazzaro dei Mendicanti

Guardi: Kanal, Ospedale und Kirche dei Mendicanti, um 1780

San Lazzaro dei Mendicanti ist das älteste der vier venezianischen Ospedali. Es geht zurück auf ein Hospiz für Leprakranke in der Nähe von San Trovaso. 1224 zog das Hospiz um auf die gleichnamige Insel San Lazzaro. Benannt war es nach Lazarus, dem Patron der Leprakranken und den Mendicanti, dem Bettelorden der Dominikaner, die damals das Haus betrieben.

Als die Mendicanti Anfang des 17. Jahrhunderts nach Venedig zurückkehrten, errichteten sie auf dem weiträumigen Gelände hinter der Scuola Grande di San Marco, das der Große Rat 1565 erworben hatte, ein Hospital. Ab 1601 begann man, sich auch verwaister Kinder anzunehmen, sie zu erziehen und auszubilden, bis das Haus schließlich ein reines Waisenhaus wurde. 1604 nahm man erstmals 12 Mädchen auf, die als Sängerinnen ausgebildet wurden. In kurzer Zeit entwickelte sich das Mendicanti zu einer der vier großen Venezianischen Ospedali. 1704 hatte der coro, Sängerinnen und die Instrumentalistinnen, 60 Mitglieder, 1761 war die Anzahl auf 70 angestiegen.

Mit Ende der Republik wurde das Haus geschlossen, 1806 als Militärkrankenhaus genutzt und ab 1819 als allgemeines Krankenhaus geführt. [4]. Heute gehört das Gebäude zum Komplex des Ospedale Civile SS. Giovanni e Paolo di Venezia.

Die Kirche von San Lazzaro dei Mendicanti wurde zwischen 1601 und 1631 nach einem Entwurf von Vincenzo Scamozzi erbaut. Die Fassade, entworfen von Giuseppe Sardi, basiert auf einer Scamozzi zugeschrieben Skizze.[5]

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Ospedale degl'Incurabili

Ospedale degli'Incurabili, Zattere

Um 1496 gab es die ersten Syphilis-Fälle in der Stadt, 1530 kam in Venedig Fracastoros Gedicht über die Syphilis heraus zu einem Zeitpunkt, als das Ausmaß der Infektion nicht mehr zu übersehen war. Maria Grimani, Maria Malipiero und weitere Frauen aus der venezianischen Oberschicht, die dem Oratorium der göttlichen Liebe und Gaetano da Thiene nahestanden, erwarben ein Grundstück am Zattere, um dort Unterkünfte für die „unheilbar Erkrankten“, die Incurabili, einzurichten. Nach dem Rückzug der Theatiner aus Venedig nahmen sich die Jesuiten des Hauses an, unter ihnen Franz Xaver. Unterkunft und medizinische Versorgung der Kranken wurde durch einen Fonds finanziert. [8] 1522 erfolgte die erste Visitation durch den Dogen Antonio Grimani, ein Zeichen für die Kontrolle des Ospedale durch die Staatsmacht.

Im gleichen Jahr erhielt das Incurabili die pästliche Erlaubnis, die Messe zu feiern, 1525 ernannte Clemens VII. das Ospedale di Messer Gesù delli Incurabili zu einem Arcispedale, der gleiche Rang wie ihn auch das päpstliche Santo Spirito in Sassia in Rom einnahm. Auf Initiative des Papstes wurden zwei Clarissen als Priorinnen eingesetzt. Die Wertschätzung des Ospedale durch den Papst förderte den Spendenfluss für das Incurabili. Ab 1531 nahm man auch ehemalige Prostituierte auf und 16 Mädchen aus Adel und Bürgertum, deren Eltern keine standesgemäße Erziehung finanzieren konnten

Nach 1565 erbaute Sansovino eine neue Kirche für das Incurabili, die im 19. Jahrhundert abgerissen wurde. Sansovino errichtete einen Kirchenraum, der mit seiner flachen Decke aus Holz und drei übereinanderliegenden Balkonen speziell für die Erfordernisse des mehrchorigen Gesangs geeignet war und wegen seiner guten Akustik berühmt war. [9]

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Ospedale Santa Maria dei Derelitti – Ospedaletto

In der Folge der Kriegswirren in Oberitalien, der Ausplünderung der Landbevölkerung durch marodierende kaiserliche Truppen und die folgende Hungersnot, nahm die Zahl der Mittellosen, die nach Venedig strömten, dramatisch zu. Auf Anregung des Senats wurde 1527 das Ospedale Santa Maria dei Derelitti (derelitti it. = die Verlassenen) wegen seinen vergleichsweise bescheidenen Dimensionen Ospedaletto genannt, im Stadtteil Castello gegründet, um sich dieser Notleidenden anzunehmen. Arbeiter des Arsenals errichteten zunächst auf dem Gelände bei Santi Giovanni e Paolo provisorische Unterkünfte. Der Patriarch von Venedig, Gerolamo Querini, förderte das Projekt, indem er den Bau eines Oratoriums erlaubte und dem Ospedaletto das Recht zugestand, Ablässe zu vergeben, was zur Sicherung der Finanzierung beitrug. [11] Ausgerichtet war das Ospedaletto zunächst auf die Aufnahme von 50 Knaben und 125 Mädchen, die entweder Vollwaisen waren oder deren Väter sich für die venezianische Flotte verpflichtet hatten. Außerdem wurden dort Kranke gepflegt und Pilger für maximal drei Tage aufgenommen. 1570 war die Zahl der Insassen auf 600 gestiegen, was zu einer Erweiterung des Hospizgeländes von 1571 bis 1582 führte.

1574 wurde mit dem Bau der Kirche begonnen, seit 1575 ist dort ein Mädchenchor nachgewiesen. Die einschiffige Kirche mit einer flachen hölzernen Decke zeichnet sich durch einen auffallend großen Balkon mit Orgel über dem Altar mit reichlich Platz für Chor und Orchester aus. 1670-74 erbaute Baldassare Longhena die barock-prunkvolle Fassade, mit Plastiken, Pilastern, Masken und Girlanden üppig dekoriert. Finanziert wurde die Fassade von dem Kaufmann Bartolomeo Cargnoni, dessen Büste in einer Muschelnische über dem Portal angebracht ist. Flankiert wird er von vier Atlanten, die mit ihren Stulpenstiefeln, Pilgermänteln und Jakobsmuscheln auf die Funktion des Ospedale als Pilgerherberge hinweisen.

Zwischen 1662 und 1667 wurde der so genannte „Vierjahreszeiten-Hof“ angebaut, der den Waisenmädchen vorbehalten war. 1776 kam ein kleiner Konzertsaal hinzu [12], mit einem Rokoko-Deckenfresko, das den Triumph der Musik darstellt. Ein Fresko von Jacopo Guarana und Agostino Mengozzi Colonna gegenüber dem Eingang stellt Apollo dar wie er mit dem Geigenbogen ein Mädchenorchester dirigiert, das die neuen Musen verkörpert. Gespielt wird die Oper "Antigone" von Pasquale Anfossi, der mit zusammengerollter Partitur im Hintergrund die Aufführung überwacht. Anfossi war von 1772-82 maestro di cappella. [13]

Das Ospedaletto wird heute teilweise als Altenpflegeheim bzw. als Krankenhaus genutzt.

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Einzelnachweise

  1. Allgemeine musikalische Zeitung. Jg. 34. 1832. S. 280.
  2. Baldauf-Berdes 1996. S. 223-24.
  3. Teatro di San Cassiano: from 1637-1718
  4. gli ospedali
  5. San Lazzaro die Mendicanti. Vicenzo Scamozzi, Antonio Sardi, Francesco Contin 1601-31; Gemälde von Canaletto, 1780/90
  6. Julie Anne Sadie: Companion to Baroque Music. Berkeley 1998. S. 35
  7. [1]
  8. http://en.wikisource.org/wiki/Page:A_Dictionary_of_Music_and_Musicians_vol_4.djvu/825]
  9. Huse, Wolters S. 106.
  10. [2]
  11. Ellero, G.: L'Ospedale die derelitti ai Santi Giovanni er Paolo in: Arte e Musica. 1978. S. 9-22.
  12. [ http://www.visit-venice-italy.com/music/ospedaletto_music_room.htm Abbildung
  13. Psalmendatenbank, Ospedale Santa Maria dei Derelitti
  14. Nick Rossi, Talmage Fautleroy: Domenico Cimarosa. S. 84

Literatur

  • Helen Geyer, Wolfgang Osthoff: Musik an den venezianischen Ospedali/Konservatorien vom 17. bis zum frühen 19.Jahrhundert/La Musica negli Ospedali/Conservatori veneziani fra Seicento e inizio. Rom 2004.
  • Joan Whittemore, Jane Baldauf-Berdes: A guide to Ospitali Research. Pendagron Press 2011. ISBN: 978-1576471746
  • Norbert Huse, Wolfgang Wolters: Venedig. Die Kunst der Renaissance: Architektur, Skulptur, Malerei 1460- 1590. 2. Aufl. München 1998.
  • Baldauf-Berdes, Jane: Women Musicians of Venice. Musical Foundations, 1525-1855, Rev. ed. Oxford 2004.
Enthält eine Liste der an den Ospedali tätigen Musiker und eine umfangreiche Bibliografie.
  • Diana Buchmann: Anmerkungen zur Musik an den venezianischen Ospedali im 17. und 18. Jahrhundert. 2001. [7]
  • Pier Giuseppe Gillio:L' Attività musicale negli Ospedali di Venezia nel Settecento.Florenz 2006.
  • Laura Moretti: Dagli Incurabili alla Pietà: Le Chiese degli Ospedali Grandi di Venezia tra Architettura e Musica, Florenz 2008.
  • Alison Curzio: Venice's Ospedali Grandi: Music and Culture in the 17th and 18th Centuries. Nota Bene: Canadian Undergraduate Journal of Musicology Vol 3. Issue 1.