„Müngstener Brücke“ – Versionsunterschied

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Als weiterer Mythos ist die angebliche Fehlberechnung der Brücke durch den Baumeister Anton von Rieppel und deren vermeintliche Folgen überliefert. Während in einer Variante davon gesprochen wird, dass eine Hälfte der von beiden Seiten zugleich gebauten Brücke wieder abgerissen werden musste, da sie nicht in der Mitte zusammenpassten, wird in der anderen Legende berichtet, dass von Rieppel bei Nachberechnungen irrtümlicherweise feststellte, dass die Hälften sich nicht zusammenfügen lassen oder die fertige Brücke den Belastungen nicht standhalten würde und sich aus Scham darüber von der unfertigen Brücke in den Tod stürzte. Beide Legenden sind nachweislich der vorhandenen Unterlagen falsch, werden aber bis heute [[Kolportage|kolportiert]]. Alle Berechnungen waren ausweislich der bei MAN archivierten Konstruktionszeichnungen und -berechnungen von Anfang an korrekt und Anton von Rieppels Leben endete auf natürliche Weise, 30 Jahre nach planmäßiger Vollendung der Brücke, nach schwerer Krankheit.
Als weiterer Mythos ist die angebliche Fehlberechnung der Brücke durch den Baumeister Anton von Rieppel und deren vermeintliche Folgen überliefert. Während in einer Variante davon gesprochen wird, dass eine Hälfte der von beiden Seiten zugleich gebauten Brücke wieder abgerissen werden musste, da sie nicht in der Mitte zusammenpassten, wird in der anderen Legende berichtet, dass von Rieppel bei Nachberechnungen irrtümlicherweise feststellte, dass die Hälften sich nicht zusammenfügen lassen oder die fertige Brücke den Belastungen nicht standhalten würde und sich aus Scham darüber von der unfertigen Brücke in den Tod stürzte. Beide Legenden sind nachweislich der vorhandenen Unterlagen falsch, werden aber bis heute [[Kolportage|kolportiert]]. Alle Berechnungen waren ausweislich der bei MAN archivierten Konstruktionszeichnungen und -berechnungen von Anfang an korrekt und Anton von Rieppels Leben endete auf natürliche Weise, 30 Jahre nach planmäßiger Vollendung der Brücke, nach schwerer Krankheit.


Anlässlich des 120. Jahrestags der Brückeneröffnung verfasste der Universitätsprofessor und Inhaber des Lehrstuhls für Tragkonstruktionen an der [[RWTH Aachen]], [[Martin Trautz]], einen Aufsatz zu dem Gerücht und kam durch intensives Quellenstudium außerhalb der mutmaßlich bereinigten MAN-Archive und denen der Süddeutschen Brückenbauanstalt in Gustavsburg zu dem Schluss, dass tatsächlich eine Fehlkonstruktion vorgelegen habe, die vertuscht wurde.<ref name="kob">Stefan M. Kob; ''Der verschwundene Ingenieur''. Artikel in der [[Westdeutsche Zeitung|Westdeutschen Zeitung]] vom 30. Juli 2022</ref> Tatsächlicher Konstrukteur der Brücke und Urheber des Fehlers war seiner Ansicht nach auch nicht Anton von Rieppel, sondern mutmaßlich [[Bernhard Bilfinger (Ingenieur)|Bernhard Rudolf Bilfinger]] (1829-1897), der Vater von Karl und [[Paul Bilfinger]]. Nach den Recherchen von Martin Trautz war von Rieppel zu sehr in der Führung des MAN-Konzerns eingebunden um selbst in der Konstruktion tätig zu sein. Auch der offizielle Mitkonstrukteur und Statikprofessor [[Wilhelm Dietz]] von der Universität München war zu sehr im akademischen Betrieb mit Lehre und dem Schreiben wissenschaftlicher Literatur eingebunden, um stark beteiligt gewesen zu sein. Von ihm stammt auch nur ein einziges Fachbuch zu der Brücke, das sieben Jahre nach der Eröffnung veröffentlicht wurde. Zudem ist eine Mitarbeit an anderen Brücken nicht bekannt. Weitere genannte Ingenieure waren zu unerfahren.<ref name="trautz">Martin Trautz; ''[https://trako.arch.rwth-aachen.de/cms/TRAKO/Forschung/Bautechnikgeschichte/~ryah/Der-verschwundene-Ingenieur/ Der verschwundene Ingenieur]''; Forschungsprojekt Baugeschichte am Lehrstuhl für Tragkonstruktionen; RWTH Aachen.</ref>
Anlässlich des 120. Jahrestags der Brückeneröffnung verfasste der Universitätsprofessor und Inhaber des Lehrstuhls für Tragkonstruktionen an der [[RWTH Aachen]], [[Martin Trautz]], einen Aufsatz zu dem Gerücht und kam durch intensives Quellenstudium außerhalb der mutmaßlich bereinigten MAN-Archive und denen der Süddeutschen Brückenbauanstalt in Gustavsburg zu dem Schluss, dass tatsächlich eine Fehlkonstruktion vorgelegen habe, die vertuscht wurde.<ref name="kob">Stefan M. Kob; ''Der verschwundene Ingenieur''. Artikel in der [[Westdeutsche Zeitung|Westdeutschen Zeitung]] vom 30. Juli 2022</ref> Tatsächlicher Konstrukteur der Brücke und Urheber des Fehlers war seiner Ansicht nach auch nicht Anton von Rieppel, sondern mutmaßlich [[Bernhard Bilfinger (Ingenieur)|Bernhard Rudolf Bilfinger]] (1829-1897), der Vater von Bernhard Karl und [[Paul Bilfinger]]. Nach den Recherchen von Martin Trautz war von Rieppel zu sehr in der Führung des MAN-Konzerns eingebunden um selbst in der Konstruktion tätig zu sein. Auch der offizielle Mitkonstrukteur und Statikprofessor [[Wilhelm Dietz]] von der Universität München war zu sehr im akademischen Betrieb mit Lehre und dem Schreiben wissenschaftlicher Literatur eingebunden, um stark beteiligt gewesen zu sein. Von ihm stammt auch nur ein einziges Fachbuch zu der Brücke, das sieben Jahre nach der Eröffnung veröffentlicht wurde. Zudem ist eine Mitarbeit an anderen Brücken nicht bekannt. Weitere genannte Ingenieure waren zu unerfahren.<ref name="trautz">Martin Trautz; ''[https://trako.arch.rwth-aachen.de/cms/TRAKO/Forschung/Bautechnikgeschichte/~ryah/Der-verschwundene-Ingenieur/ Der verschwundene Ingenieur]''; Forschungsprojekt Baugeschichte am Lehrstuhl für Tragkonstruktionen; RWTH Aachen.</ref>


Aufgrund des Fehlens hinreichender mathematischer Modellen war die Berechnung [[Statische Bestimmtheit|statisch unbestimmter]] Gitterkonstruktionen mit Unsicherheiten versehen und konnte nur durch Treffen von Annahmen geschätzt werden. Aus diesem Grunde blieben die Brückenbauer der MAN-Werkstätten Gustavsburg lange Zeit bei altbewährten Konstruktionsmethoden, was die Firma gegenüber mutigeren Konkurrenzfirmen wie ''[[August Benckiser|Eisenwerke und Maschinenfabrik Gebr. Benckiser]]'' ins Hintertreffen gerieten ließ und 1884 zur vorläufigen Schließung führte. Der dort seit 1876 angestellte Anton von Rieppel stellte zusammen mit Professor Wilhelm Dietz das Unternehmen wieder neu auf, womit er sich für einen Posten in der MAN-Konzernzentrale empfahl. Mit dem Wechsel wurde von MAN-Direktor [[Friedrich Hensolt]] am 1. November 1888 der langjährig erfahrene Brückenkonstrukteur Bernhard Bilfinger als Erster Technischer Direktor in die MAN-Werkstätten Gustavsburg berufen, der zuvor 39 Jahre bei Gebrüder Benckiser führend tätig war. Auch dessen Sohn Karl wurde schon im Jahr zuvor als Zweiter Technischer Direktor ins Unternehmen geholt. Diese führten die erfolgreichen, bei Benckiser entwickelten modernen Konstruktionsmethoden ein, die zuvor von Anton von Rieppel, ab 1887 in Nachfolge von Hensolt nun selbst Konzernchef von MAN, lange Zeit abgelehnt wurden.<ref name="trautz" />
Aufgrund des Fehlens hinreichender mathematischer Modellen war die Berechnung [[Statische Bestimmtheit|statisch unbestimmter]] Gitterkonstruktionen mit Unsicherheiten versehen und konnte nur durch Treffen von Annahmen geschätzt werden. Aus diesem Grunde blieben die Brückenbauer der MAN-Werkstätten Gustavsburg lange Zeit bei altbewährten Konstruktionsmethoden, was die Firma gegenüber mutigeren Konkurrenzfirmen wie ''[[August Benckiser|Eisenwerke und Maschinenfabrik Gebr. Benckiser]]'' ins Hintertreffen gerieten ließ und 1884 zur vorläufigen Schließung führte. Der dort seit 1876 angestellte Anton von Rieppel stellte zusammen mit Professor Wilhelm Dietz das Unternehmen wieder neu auf, womit er sich für einen Posten in der MAN-Konzernzentrale empfahl. Mit dem Wechsel wurde von MAN-Direktor [[Friedrich Hensolt]] am 1. November 1888 der langjährig erfahrene Brückenkonstrukteur Bernhard Rudolf Bilfinger als Erster Technischer Direktor in die MAN-Werkstätten Gustavsburg berufen, der zuvor 39 Jahre bei Gebrüder Benckiser führend tätig war. Auch dessen Sohn Bernhard Karl wurde schon im Jahr zuvor als Zweiter Technischer Direktor ins Unternehmen geholt. Diese führten die erfolgreichen, bei Benckiser entwickelten modernen Konstruktionsmethoden ein, die zuvor von Anton von Rieppel, ab 1887 in Nachfolge von Hensolt nun selbst Konzernchef von MAN, lange Zeit abgelehnt wurden.<ref name="trautz" />


Der wieder einsetzende Erfolg der folgenden Konstruktionen der Glücksburger Brückenbauer gab den beiden Bilfingers recht - Sohn Karl war später auch für die Projektierung des Gerüsts der [[Wuppertaler Schwebebahn]] und dem Bau der [[Grünentaler Hochbrücke]] verantwortlich -, führte aber gerade deshalb vermutlich zur Verstimmung von Rieppels, weil ihm dieser Erfolg an gleicher Position nicht vergönnt war. Nach Ansicht von Trautz verrechnete sich Bilfinger aber bei der Konstruktion der Müngstener Brücke. Ein Indiz sieht er in den Umständen, dass sich die Eröffnung anderthalb Jahre verzögerte. Auch geben Bauberichte Hinweise darauf, dass Brücken- und Bogenteile nicht passten und daher zurück gebaut werden mussten. Dies ging über das Maß hinaus, welches damals aufgrund der fehlenden exakten Berechnungen als improvisierte Anpassungsarbeiten üblich war, bei denen während des Baus durch zusätzliche Elemente Temperatureinflüsse, Höhenunterschiede und Passungen korrigiert wurden. Letztlich sollen diese Fehler den gesamten Bogenbau der Brücke substantiell betroffen haben.<ref name="trautz" />
Der wieder einsetzende Erfolg der folgenden Konstruktionen der Glücksburger Brückenbauer gab den beiden Bilfingers recht - Sohn Bernhard Karl war später auch für die Projektierung des Gerüsts der [[Wuppertaler Schwebebahn]] und dem Bau der [[Grünentaler Hochbrücke]] verantwortlich -, führte aber gerade deshalb vermutlich zur Verstimmung von Rieppels, weil ihm dieser Erfolg an gleicher Position nicht vergönnt war. Nach Ansicht von Trautz verrechnete sich Berhard Rudolf Bilfinger aber bei der Konstruktion der Müngstener Brücke. Ein Indiz sieht er in den Umständen, dass sich die Eröffnung anderthalb Jahre verzögerte. Auch geben Bauberichte Hinweise darauf, dass Brücken- und Bogenteile nicht passten und daher zurück gebaut werden mussten. Dies ging über das Maß hinaus, welches damals aufgrund der fehlenden exakten Berechnungen als improvisierte Anpassungsarbeiten üblich war, bei denen während des Baus durch zusätzliche Elemente Temperatureinflüsse, Höhenunterschiede und Passungen korrigiert wurden. Letztlich sollen diese Fehler den gesamten Bogenbau der Brücke substantiell betroffen haben.<ref name="trautz" />


Das Projekt, das angesichts der [[Gustave Eiffel|Eiffel]]-Brücken [[Ponte Maria Pia|Maria-Pia]] in [[Porto]] oder [[Garabit-Viadukt|Garabit]] über die [[Truyère|Tuyère]] auch als eine Frage des nationalen Stolzes gesehen wurde, durfte aber nicht scheitern. Hierin und der Missgunst von Rieppels soll auch der Grund liegen, weswegen die MAN Firmenarchive um die komplette Beteiligung der Bilfingers an dem Projekt und sogar um die gesamte langjährige Tätigkeit in Glücksburg vollständig bereinigt wurden. Einzig in einer Todesanzeige wurde Bilfinger von MAN „''als eine der wertvollsten Stützen unseres Unternehmens''“ bezeichnet und seine Tätigkeit als „''langjähriger technischer Direktor“'' gewürdigt. Dies geschah aber ohne Nennung des Vornamens, so dass nicht klar erkennbar wurde, welcher Bilfinger gemeint war. Auch den Arbeitern blieb natürlich der Rückbau nicht verborgen, was auch die Gerüchteküche nährte.<ref name="trautz" />
Das Projekt, das angesichts der [[Gustave Eiffel|Eiffel]]-Brücken [[Ponte Maria Pia|Maria-Pia]] in [[Porto]] oder [[Garabit-Viadukt|Garabit]] über die [[Truyère|Tuyère]] auch als eine Frage des nationalen Stolzes gesehen wurde, durfte aber nicht scheitern. Hierin und der Missgunst von Rieppels soll auch der Grund liegen, weswegen die MAN Firmenarchive um die komplette Beteiligung der Bilfingers an dem Projekt und sogar um die gesamte langjährige Tätigkeit in Glücksburg vollständig bereinigt wurden. Einzig in einer Todesanzeige wurde Bernhard Rudolf Bilfinger von MAN „''als eine der wertvollsten Stützen unseres Unternehmens''“ bezeichnet und seine Tätigkeit als „''langjähriger technischer Direktor“'' gewürdigt. Dies geschah aber ohne Nennung des Vornamens, so dass nicht klar erkennbar wurde, welcher Bilfinger gemeint war. Auch den Arbeitern blieb natürlich der Rückbau nicht verborgen, was auch die Gerüchteküche nährte.<ref name="trautz" />


Aus Briefwechseln zwischen den Söhnen Karl und Paul Bilfinger lässt sich schließen, dass Bernhard Bilfinger von seinem Posten als Direktor enthoben wurde und ersetzt wurde. Mit der Degradierung und Tilgung Bilfingers aus der Konstruktionsgeschichte konnte Anton von Rieppel drei Dinge erreichen: Die Revision der von ihm ungeliebten Personalentscheidung Hensolts, die Vertuschung von berechtigten Zweifeln an der hochmodernen Brückentechnologie durch verhängnisvolle Berechnungsfehler und die Selbstdarstellung als Konstrukteur der Müngstener Brücke.<ref name="trautz" />
Aus Briefwechseln zwischen den Söhnen Bernhard Karl und Paul Bilfinger lässt sich schließen, dass Bernhard Rudolf Bilfinger von seinem Posten als Direktor enthoben wurde und ersetzt wurde. Mit der Degradierung und Tilgung Bilfingers aus der Konstruktionsgeschichte konnte Anton von Rieppel drei Dinge erreichen: Die Revision der von ihm ungeliebten Personalentscheidung Hensolts, die Vertuschung von berechtigten Zweifeln an der hochmodernen Brückentechnologie durch verhängnisvolle Berechnungsfehler und die Selbstdarstellung als Konstrukteur der Müngstener Brücke.<ref name="trautz" />


Bernhard Bilfinger starb tatsächlich kurz nach seiner Degradierung im Alter von 68 Jahren, offiziell an einem Schlaganfall. Ob dies tatsächlich der Fall war oder ein Zusammenbruch oder Suizid ursächlich für den Tod waren ist ungeklärt. Hierin liegt wohl auch der Ursprung des kolportierten Todes des Brückenkonstrukteurs im überlieferten, sich mutmaßlich als wahr herausgestellten Mythos.<ref name="trautz" />
Bernhard Rudolf Bilfinger starb tatsächlich kurz nach seiner Degradierung im Alter von 68 Jahren, offiziell an einem Schlaganfall. Ob dies tatsächlich der Fall war oder ein Zusammenbruch oder Suizid ursächlich für den Tod waren ist ungeklärt. Hierin liegt wohl auch der Ursprung des kolportierten Todes des Brückenkonstrukteurs im überlieferten, sich mutmaßlich als wahr herausgestellten Mythos. Sein Sohn Bernhard Karl wechselte im Anschluss in das Unternehmen seines Bruders Paul.<ref name="trautz" />


== Brückenpark ==
== Brückenpark ==

Version vom 30. Juli 2022, 13:46 Uhr

Müngstener Brücke
Müngstener Brücke
Müngstener Brücke
Offizieller NameMüngstener Brücke (bis 1918: Kaiser-Wilhelm-Brücke)
ÜberführtBahnstrecke Solingen–Remscheid
Querung vonWupper
OrtSolingen, Remscheid (Nordrhein-Westfalen)
Unterhalten durchDB Netz
KonstruktionBogenbrücke
Gesamtlänge465 m
Längste Stützweite170 m
Höhe107 m
Baukosten2.646.386,25 Mark
Baubeginn26. Februar 1894
Fertigstellung21. März 1897
Eröffnung15. Juli 1897
PlanerAnton von Rieppel
Lage
Koordinaten51° 9′ 38″ N, 7° 8′ 0″ OKoordinaten: 51° 9′ 38″ N, 7° 8′ 0″ O
Müngstener Brücke (Nordrhein-Westfalen)
Müngstener Brücke (Nordrhein-Westfalen)

Die Müngstener Brücke (ehemals Kaiser-Wilhelm-Brücke) ist die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands. Sie überspannt zweigleisig zwischen den Städten Remscheid und Solingen in 107 Metern Höhe das Tal der Wupper in unmittelbarer Nähe des Haltepunkts Solingen-Schaberg.

Die stählerne Bogenbrücke ist Teil der Bahnstrecke Solingen–Remscheid. Diese wird im Regelbetrieb von der S-Bahn-Linie S 7 der S-Bahn Rhein-Ruhr, genannt Der Müngstener, befahren.

Bis zum Ende der Monarchie im Jahre 1918 trug das Bauwerk den Namen Kaiser-Wilhelm-Brücke, zu Ehren Kaiser Wilhelms I. Danach wurde die Brücke nach der nahegelegenen Siedlung Müngsten benannt, die heute wüst liegt.

Geschichte

Bau

Konstruktionszeichnung
Kaiser-Wilhelm-Brücke 1912
Ansicht von Süden

Im Jahr 1893 wurde mit den Vorarbeiten am Bauplatz begonnen, die Eisenbahnbrücke daraufhin 1897 als Stahlbau (unter Verwendung von Thomasflusseisen)[1] vom MAN Werk Gustavsburg fertiggestellt. Erste Entwürfe für eine Bogenbrücke an dieser Stelle zwischen den beiden Städten gehen auf das Jahr 1889 zurück. Die sechs Gerüstpfeiler haben eine maximale Höhe von 69 Meter. Die Mittelöffnung des Überbaues, die die Talsohle überspannt, hat eine mittlere Stützweite von 170 Metern, die anschließenden Öffnungen solche von 30 Metern und 45 Metern. Über dem Bogen sind zur Abstützung der Gerüstbrücke Pendelstützen angebracht. Die Gesamtlänge der Stahlkonstruktion beträgt 465 Meter. Es wurden Stahlprofile mit einem Gesamtgewicht von 5.000 Tonnen verbaut und 950.000 Niete geschlagen.

Der Hauptbogen der Brücke wurde erstmals im Verfahren des freien Vorbaus errichtet. Damit ist gemeint, dass die beiden Bogenhälften ohne weitere Gerüste bis zum Bogenschluss fertiggestellt wurden und gewissermaßen selbst die Funktion eines Krans für die weitere Montage hatten. Das Verfahren zeichnet sich durch einen geringen Aufwand bei der Herstellung aus, die statische Berechnung aller Belastungen ist jedoch aufwändig. Der Bogen selbst ist dreifach statisch unbestimmt gelagert, was ebenfalls eine erhebliche Materialeinsparung mit sich bringt. Auch hier ist der Materialaufwand niedriger als beim statisch bestimmten Bogen mit drei Gelenken, jedoch wird der Bogen zusätzlich durch im Bauwerk verbleibende Wärmeausdehnungen belastet. Damit unterscheidet sich die Müngstener Brücke vom optisch sehr ähnlichen Garabit-Viadukt in der Auvergne in Frankreich.

Der Ingenieur Anton von Rieppel (1852–1926) war Vorstandsvorsitzender der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG (M. A. N.). Sein Name ist auf der Gedenktafel verzeichnet, die auf Betreiben des Vereins Deutscher Ingenieure und der MAN am Fuß der Brücke errichtet wurde.

Anfangs war nur ein Gleis auf der Brücke geplant, doch die damalige Königliche Eisenbahndirektion Elberfeld schätzte den zu erwartenden Verkehr zwischen Remscheid und Solingen so hoch ein, dass die Planung auf zwei Gleise abgeändert wurde. 1890 hat der preußische Landtag bereits die erforderliche Bausumme von fünf Millionen Mark genehmigt. Die Luftlinienentfernung zwischen beiden Städten beträgt acht Kilometer, vor dem Bau der Müngstener Brücke jedoch belief sich die Entfernung auf der Schiene auf 42 Kilometer. Der erste Spatenstich erfolgte am 26. Februar 1894. Um die Baumaterialien heranzuschaffen, wurden die Gleise von beiden Städten schon bis zur Baustelle verlegt. Insgesamt 1.400 Kilogramm Dynamit und 1.600 Kilogramm Schwarzpulver wurden benötigt, um die erforderlichen Sprengungen auszuführen.

Eine Gedenktafel unterhalb der Müngstener Brücke erinnert an die Bauleute

Die Fertigstellung des Rohbaus (Brückenschluss) fiel auf den 21. März 1897, am darauf folgenden Tag wurde während des Richtfestes der letzte der rund 950.000 auf der Baustelle gesetzten Niete geschlagen. Die offizielle Einweihungsfeier der Brücke fand am 15. Juli 1897 statt.[2] Kaiser Wilhelm II. kam jedoch zu dieser Veranstaltung nicht persönlich, sondern schickte als Abgesandten seinen Vertreter Prinz Friedrich Leopold von Preußen. An der Einweihung nahmen außerdem die Minister Johannes von Miquel und Karl von Thielen teil.[3] Der Kaiser selbst besuchte die Brücke am 12. August 1899, also erst zwei Jahre später. Eine Gedenktafel unter der Brücke erinnert noch heute daran.

Betrieb und Nachweise

1937 wurde die Brücke zum zweiten Mal gestrichen. Eine Sprengung im April 1945 konnte verhindert werden. 1948 wurden Kriegsschäden ausgebessert. Anfang der 1960er Jahre wurde die gesamte Brücke instand gesetzt, gelockerte Niete wurden ausgewechselt und die Steigleitern gesichert. 1978 gab es einen Teil-Neuanstrich.[4]

Dieseltriebwagen der Baureihe 628 auf der Müngstener Brücke

Aufgrund von Lagerschäden ordnete das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) Anfang April 2010 eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 10 km/h, ein Begegnungsverbot und eine Gewichtsbeschränkung auf leichte Triebwagen an. Bereits am 15. März 2010 wurde der Güterverkehr auf der Brücke aus demselben Grund untersagt.[5] Das EBA hatte die Bahn aufgefordert, bis zum 30. September 2010 die Standsicherheit der Brücke nachzuweisen und die Lager auf beiden Seiten der Brücke auszuwechseln.[6] Weiter wurde die Auflage erteilt, bis zum 30. September 2010 eine neue statische Berechnung vorzulegen, die die vorhandenen Mängel und den Substanzverzehr durch Rost berücksichtigt. Andernfalls drohte das EBA an, die Brücke zum 1. Oktober 2010 zu sperren.[7] Die Deutsche Bahn kündigte Mitte Mai 2010 an, bis zum Herbst die Statik der Brücke neu zu berechnen,[8] die defekten Brückenlager und geschwächten Teile über einen Zeitraum von fünf Jahren zu sanieren und die Brücke über die kommenden zehn Jahre abschnittsweise mit Rostschutzfarbe zu streichen.[9]

Detail der rostenden Stahlkonstruktion

Zwischen dem 27. und 29. September 2010 fanden Messfahrten statt, um die in den Vormonaten neu berechnete Statik zu überprüfen.[10] Am Abend des 19. November 2010 sperrte DB Netz die Brücke.[11] Per Bescheid vom 23. November 2010 ordnete das EBA die vorübergehende Stilllegung der Brücke an.[12] Der Personenverkehr zwischen Solingen-Mitte und Remscheid-Güldenwerth wurde nun mit Bussen als Schienenersatzverkehr abgewickelt.

Schon in den Jahren davor hatte der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) als zuständiger Aufgabenträger für die Regionalbahn Der Müngstener regelmäßig bei DB Netz nach dem Zustand der Anlage gefragt, da sich das Rostproblem zusehends dramatisiert hatte. Die Auskünfte der Deutschen Bahn sind dabei über Jahre hinweg falsch gewesen. Nach geltendem Eisenbahnrecht hat der Aufgabenträger dem Infrastrukturbetreiber gegenüber allerdings keinen Rechtsstand, so dass der VRR nicht in der Lage war, juristische Schritte einzuleiten.[13][14]

Jährlich investiert die Deutsche Bahn rund 400.000 € in die Instandhaltung des Bauwerks.[6] Am 31. Januar 2011 teilte die Deutsche Bahn mit, dass die Müngstener Brücke für 30 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren komplett saniert werden soll. Damit soll die Brücke für mindestens weitere 25 bis 30 Jahre dem Personenverkehr zur Verfügung stehen.[15]

Zwei Züge von Abellio begegnen sich auf der Müngstener Brücke

Anfang Mai 2011 wurde bekannt, dass die Brücke für den Zugverkehr freigegeben sei, aber trotzdem nicht von den auf der Regionalbahn-Linie eingesetzten Schienenfahrzeugen der DB-Baureihe 628 befahren werden dürfe. Die Deutsche Bahn gab in ihrem Genehmigungsantrag an das Eisenbahnbundesamt eine Gesamtmasse der Züge von 69,9 Tonnen und eine Achslast von 10,0 Tonnen an. Das Eisenbahnbundesamt genehmigte eine Befahrung mit einer Höchstmasse von 72 Tonnen. Allerdings stellte sich bei Testfahrten heraus, dass die Züge eine höhere Achslast als 10,0 Tonnen haben, so dass sie die Brücke nicht befahren dürfen. Abgesehen davon beziehen sich diese Werte auf die Dienstmasse der Baureihe 628 ohne Fahrgäste.[16] Ende Juni wurden neuerliche Nachweise erbracht. Vom 27. Juni 2011 an wurde die Müngstener Brücke nach dann mehr als sieben Monaten Sperrzeit wieder für die Regionalbahn RB 47 eröffnet,[17] allerdings stand ab dem 7. Juli 2012 eine neuerliche Sperre nach den bisherigen Plänen an. Nach einer vorübergehenden Betriebserlaubnis bis 2014 durch das zuständige EBA betrug das zulässige Maximalgewicht 90 Tonnen bei unveränderter Gesamt-Achslast von 72 Tonnen. Seit Ende 2013 werden neue Triebwagen des neuen Betreibers Abellio Rail NRW eingesetzt, für den die bisherige Kapazität nicht ausreicht. Die Triebwagen haben nur sechs statt bisher acht Achsen und weisen somit eine hohe Einzellast auf.[18]

Die Brücke sollte bis 2015/16 saniert werden. Die geschätzten Kosten, die von der Deutschen Bahn getragen werden, betragen 30 Millionen Euro.[19] So kündigte die Deutsche Bahn längere Sperrungen an, nämlich vom 7. Juli 2012 bis zum 19. August 2012, vom 6. Oktober 2012 bis zum 21. Oktober 2012, sowie vom 1. April 2013 bis zum 3. November 2013.[20] Weil während der Bauarbeiten Probleme mit den Kopfplatten entdeckt wurden, konnte der Termin für das Ende der Sperrung am 3. November nicht eingehalten werden. Es gab die Ankündigung, die Brücke sei nunmehr bis Juni 2014 gesperrt.[21] Auch diesen Termin konnte DB Netz nicht halten und verschob die Wiedereröffnung um ein weiteres halbes Jahr, so dass die Brücke erst zum Fahrplanwechsel am 14. Dezember 2014 freigegeben werden konnte.[22][23] Die Fahrbahnteile der Brücke wurden entfernt und durch neue ersetzt. Durch Schweißen statt Nieten wurden rund 100 Tonnen Gewicht eingespart.[24]

Nach einer weiteren Sperrung von drei Wochen im Juli 2015, bei der unter anderem 28 Rollenlager ausgetauscht wurden, ist die Brücke ab dem 27. Juli 2015 wieder freigegeben. Bis 2018 wurde die Brücke umfangreich unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes saniert und ertüchtigt. Es sind neue Stahllitzenanker in die Fundamente eingelassen worden. Ergänzende Stahlteile wurden in die Konstruktion der Brücke als Verstärkung eingebaut. Mit diesen Maßnahmen kann die Brücke wieder Fahrzeuge mit bis zu 21 Tonnen Achslast aufnehmen. Die Brücke wurde komplett gesandstrahlt und mit einem 4-fachen Neuanstrich versehen. Außerdem wurden neue Steigleitern und (als LOS III) wieder neue Revisionseinrichtungen (Besichtigungswagen) eingebaut. Seit Dezember 2018 kann auch der Güterverkehr wieder über die Brücke rollen.[25] Davon unabhängig zogen sich die weiteren Renovierungsarbeiten aber in die Länge.[26]

Weltkulturerbe

Seit einigen Jahren gibt es Bemühungen, die Brücke als Weltkulturerbe anerkennen zu lassen.[27][28] Die Bewerbung erfolgte inzwischen mit fünf weiteren Europäischen Brücken zusammen.[29][30]

Mythen, Anekdoten und Erwähnenswertes

Datei:DPAG-1997-MuengstenerBruecke.jpg
100 Jahre Müngstener Brücke – Briefmarke von 1997
Das Innere des Hauptträgers vom Solinger Widerlager aus gesehen

Der Bau der Brücke stellte zum Ende des 19. Jahrhunderts eine Ingenieursleistung dar, die in ihrer hochtechnisierten Konstruktion und Realisierung im starken Kontrast zur Erlebniswelt des Großteils der staunenden Bevölkerung stand. Schnell entstanden im Zusammenhang mit dem Bauwerk Mythen und Legenden, die sich bis in die heutigen Tage in zahlreichen Köpfen als wahre Geschichten (siehe auch Moderne Sage) erhalten haben. Eine dieser Legenden ist die des goldenen Niets, der angeblich als letzter geschlagen, aber bis heute nicht gefunden wurde.

Auch Kaiser Wilhelm II.
war 1899 an der Brücke

Obwohl die Brücke Kaiser-Wilhelm-Brücke getauft wurde, kam Kaiser Wilhelm II. nicht zur feierlichen Einweihung. Gerüchten zufolge boykottierte er den Festakt aus Verstimmung darüber, dass die Brücke nicht zu seinen Ehren, sondern anlässlich des hundertsten Geburtstages seines Großvaters Wilhelms I. benannt wurde. Kaiser Wilhelm II. besuchte die Brücke erst am 12. August 1899, zur Erinnerung an seine Visite ist unterhalb der Brücke eine Tafel angebracht.

Anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Brücke wurde der Verhüllungskünstler Christo von einem Remscheider Bürger während seines Aufenthaltes in Bonn zur Präsentation der Verhüllung des Berliner Reichstags gebeten, die Brücke mit rostfarbenem Tuch zu verkleiden. Er lehnte aber mit der Begründung ab, er mache keine Sache zweimal. Er habe in Paris den Pont Neuf verhüllt. Auch auf den Einwand, dass es sich beim Pont Neuf um eine Steinbrücke in einer Stadt, bei der Müngstener Brücke aber um eine Stahlbrücke mitten im Grünen handle, reagierte er abweisend. Es steht allerdings zu vermuten, dass die Konstruktion der Brücke einer Verhüllung auf Grund der zusätzlich zu erwartenden Windlasten nicht standgehalten hätte.

In der Folge Peter will über den Bach der Sendung Löwenzahn ist die Brücke kurz zu sehen, wird aber nicht namentlich genannt. In Wim Wenders’ Film Pina tanzt eine Tänzerin auf der Wiese unterhalb der Brücke. 2011 wurde live von der Brücke der Wetterbericht des ARD Morgenmagazins gesendet.

Bis 2011 wurden umfangreiche Instandhaltungsarbeiten durchgeführt, die eine neuerliche Freigabe durch das Eisenbahn-Bundesamt nötig machten. Irrtümlich wurde im Genehmigungsantrag das Leergewicht der Züge (72 t) statt des Gesamtgewichts (80 t) eingetragen. Folglich wurde der Betrieb auch nur für leere Züge frei gegeben. Bis zur Klärung mussten die Fahrgäste Busersatzverkehr nutzen und die Züge fuhren ohne sie über die Brücke.[31]

Mögliche Fehlkonstruktion und Zweifel an der Urheberschaft Anton von Rieppels

Als weiterer Mythos ist die angebliche Fehlberechnung der Brücke durch den Baumeister Anton von Rieppel und deren vermeintliche Folgen überliefert. Während in einer Variante davon gesprochen wird, dass eine Hälfte der von beiden Seiten zugleich gebauten Brücke wieder abgerissen werden musste, da sie nicht in der Mitte zusammenpassten, wird in der anderen Legende berichtet, dass von Rieppel bei Nachberechnungen irrtümlicherweise feststellte, dass die Hälften sich nicht zusammenfügen lassen oder die fertige Brücke den Belastungen nicht standhalten würde und sich aus Scham darüber von der unfertigen Brücke in den Tod stürzte. Beide Legenden sind nachweislich der vorhandenen Unterlagen falsch, werden aber bis heute kolportiert. Alle Berechnungen waren ausweislich der bei MAN archivierten Konstruktionszeichnungen und -berechnungen von Anfang an korrekt und Anton von Rieppels Leben endete auf natürliche Weise, 30 Jahre nach planmäßiger Vollendung der Brücke, nach schwerer Krankheit.

Anlässlich des 120. Jahrestags der Brückeneröffnung verfasste der Universitätsprofessor und Inhaber des Lehrstuhls für Tragkonstruktionen an der RWTH Aachen, Martin Trautz, einen Aufsatz zu dem Gerücht und kam durch intensives Quellenstudium außerhalb der mutmaßlich bereinigten MAN-Archive und denen der Süddeutschen Brückenbauanstalt in Gustavsburg zu dem Schluss, dass tatsächlich eine Fehlkonstruktion vorgelegen habe, die vertuscht wurde.[32] Tatsächlicher Konstrukteur der Brücke und Urheber des Fehlers war seiner Ansicht nach auch nicht Anton von Rieppel, sondern mutmaßlich Bernhard Rudolf Bilfinger (1829-1897), der Vater von Bernhard Karl und Paul Bilfinger. Nach den Recherchen von Martin Trautz war von Rieppel zu sehr in der Führung des MAN-Konzerns eingebunden um selbst in der Konstruktion tätig zu sein. Auch der offizielle Mitkonstrukteur und Statikprofessor Wilhelm Dietz von der Universität München war zu sehr im akademischen Betrieb mit Lehre und dem Schreiben wissenschaftlicher Literatur eingebunden, um stark beteiligt gewesen zu sein. Von ihm stammt auch nur ein einziges Fachbuch zu der Brücke, das sieben Jahre nach der Eröffnung veröffentlicht wurde. Zudem ist eine Mitarbeit an anderen Brücken nicht bekannt. Weitere genannte Ingenieure waren zu unerfahren.[33]

Aufgrund des Fehlens hinreichender mathematischer Modellen war die Berechnung statisch unbestimmter Gitterkonstruktionen mit Unsicherheiten versehen und konnte nur durch Treffen von Annahmen geschätzt werden. Aus diesem Grunde blieben die Brückenbauer der MAN-Werkstätten Gustavsburg lange Zeit bei altbewährten Konstruktionsmethoden, was die Firma gegenüber mutigeren Konkurrenzfirmen wie Eisenwerke und Maschinenfabrik Gebr. Benckiser ins Hintertreffen gerieten ließ und 1884 zur vorläufigen Schließung führte. Der dort seit 1876 angestellte Anton von Rieppel stellte zusammen mit Professor Wilhelm Dietz das Unternehmen wieder neu auf, womit er sich für einen Posten in der MAN-Konzernzentrale empfahl. Mit dem Wechsel wurde von MAN-Direktor Friedrich Hensolt am 1. November 1888 der langjährig erfahrene Brückenkonstrukteur Bernhard Rudolf Bilfinger als Erster Technischer Direktor in die MAN-Werkstätten Gustavsburg berufen, der zuvor 39 Jahre bei Gebrüder Benckiser führend tätig war. Auch dessen Sohn Bernhard Karl wurde schon im Jahr zuvor als Zweiter Technischer Direktor ins Unternehmen geholt. Diese führten die erfolgreichen, bei Benckiser entwickelten modernen Konstruktionsmethoden ein, die zuvor von Anton von Rieppel, ab 1887 in Nachfolge von Hensolt nun selbst Konzernchef von MAN, lange Zeit abgelehnt wurden.[33]

Der wieder einsetzende Erfolg der folgenden Konstruktionen der Glücksburger Brückenbauer gab den beiden Bilfingers recht - Sohn Bernhard Karl war später auch für die Projektierung des Gerüsts der Wuppertaler Schwebebahn und dem Bau der Grünentaler Hochbrücke verantwortlich -, führte aber gerade deshalb vermutlich zur Verstimmung von Rieppels, weil ihm dieser Erfolg an gleicher Position nicht vergönnt war. Nach Ansicht von Trautz verrechnete sich Berhard Rudolf Bilfinger aber bei der Konstruktion der Müngstener Brücke. Ein Indiz sieht er in den Umständen, dass sich die Eröffnung anderthalb Jahre verzögerte. Auch geben Bauberichte Hinweise darauf, dass Brücken- und Bogenteile nicht passten und daher zurück gebaut werden mussten. Dies ging über das Maß hinaus, welches damals aufgrund der fehlenden exakten Berechnungen als improvisierte Anpassungsarbeiten üblich war, bei denen während des Baus durch zusätzliche Elemente Temperatureinflüsse, Höhenunterschiede und Passungen korrigiert wurden. Letztlich sollen diese Fehler den gesamten Bogenbau der Brücke substantiell betroffen haben.[33]

Das Projekt, das angesichts der Eiffel-Brücken Maria-Pia in Porto oder Garabit über die Tuyère auch als eine Frage des nationalen Stolzes gesehen wurde, durfte aber nicht scheitern. Hierin und der Missgunst von Rieppels soll auch der Grund liegen, weswegen die MAN Firmenarchive um die komplette Beteiligung der Bilfingers an dem Projekt und sogar um die gesamte langjährige Tätigkeit in Glücksburg vollständig bereinigt wurden. Einzig in einer Todesanzeige wurde Bernhard Rudolf Bilfinger von MAN „als eine der wertvollsten Stützen unseres Unternehmens“ bezeichnet und seine Tätigkeit als „langjähriger technischer Direktor“ gewürdigt. Dies geschah aber ohne Nennung des Vornamens, so dass nicht klar erkennbar wurde, welcher Bilfinger gemeint war. Auch den Arbeitern blieb natürlich der Rückbau nicht verborgen, was auch die Gerüchteküche nährte.[33]

Aus Briefwechseln zwischen den Söhnen Bernhard Karl und Paul Bilfinger lässt sich schließen, dass Bernhard Rudolf Bilfinger von seinem Posten als Direktor enthoben wurde und ersetzt wurde. Mit der Degradierung und Tilgung Bilfingers aus der Konstruktionsgeschichte konnte Anton von Rieppel drei Dinge erreichen: Die Revision der von ihm ungeliebten Personalentscheidung Hensolts, die Vertuschung von berechtigten Zweifeln an der hochmodernen Brückentechnologie durch verhängnisvolle Berechnungsfehler und die Selbstdarstellung als Konstrukteur der Müngstener Brücke.[33]

Bernhard Rudolf Bilfinger starb tatsächlich kurz nach seiner Degradierung im Alter von 68 Jahren, offiziell an einem Schlaganfall. Ob dies tatsächlich der Fall war oder ein Zusammenbruch oder Suizid ursächlich für den Tod waren ist ungeklärt. Hierin liegt wohl auch der Ursprung des kolportierten Todes des Brückenkonstrukteurs im überlieferten, sich mutmaßlich als wahr herausgestellten Mythos. Sein Sohn Bernhard Karl wechselte im Anschluss in das Unternehmen seines Bruders Paul.[33]

Brückenpark

Die Müngstener Brücke, darunter der neue Brückenpark

Im Rahmen der Regionale 2006, eines Strukturförderprogramms des Landes Nordrhein-Westfalen, entstand unter der Müngstener Brücke bis zum Jahr 2006 ein Park mit einer Auenlandschaft. Hauptattraktion ist eine handbetriebene Schwebefähre, mit der Passanten die Flussseite wechseln können. Außerdem gibt es im Park verteilt eine Reihe stählerner Plattformen, auf denen themenspezifische Rätsel und deren Lösungen zu lesen oder zu hören sind. Die geschaffenen Angebote sollten das Gelände unter dem Bauwerk für Touristen attraktiver machen und für die Einwohner der umliegenden Städte zum Naherholungsgebiet werden. Tatsächlich hat nach Eröffnung die Besucheranzahl zugenommen.

Brückensteig

Der Brückensteig ist eine geführte, etwa zweieinhalbstündige Gruppen-Tour über den Brückenbogen der Müngstener Brücke in bis zu 100 Meter Höhe.[34]

Müngstener Brückenfest

Jährlich am letzten Oktoberwochenende wird das Müngstener Brückenfest gefeiert. Bis zum Jahr 2010 konnten die Besucher in historischen Dampfzügen über die Brücke fahren. Danach wurde dieses aufgrund der Statikprobleme verboten. Nach einer Brückenstatiküberprüfung der DB AG 2017 wurde das Dampfloküberfahrverbot gelockert. Spätestens ab Oktober 2017 zum Brückenfest dürfen erstmals seit 2010 wieder leichte kleine Dampflokomotiven die Brücke befahren.[35]

Umfeld der Brücke

In der Nähe der Müngstener Brücke stehen am Remscheider Hang nahe dem Stadtteil Reinshagen ein Aussichtspavillon, der nach dem Finanzier August Diederichs Diederichstempel benannt wurde, sowie im Solinger Stadtteil Burg die Napoleonsbrücke auf dem Fußweg von dem Parkplatz Solinger Straße (Bundesstraße 229 und Landesstraße 74).

Einige hundert Meter westlich der Müngstener Brücke gibt es kurz vor dem Bahnhof Solingen-Schaberg im Ortsteil Schaberg die Windfelner Brücke, die die Bundesstraße 229 überquert. Von dort aus hat man einen guten Ausblick auf den „Remscheider Stadtkegel“.

Siehe auch

Literatur

  • Adolf von Berg: Die Thalbrücke bei Müngsten und die Strecke Remscheid – Solingen. Remscheid 1997 ISBN 3-923495-43-9.
  • Ralf Bendig: Müngstener Brücke wird 100. In: Eisenbahn Magazin. Nr. 6/1997. Alba Publikation GmbH & Co KG, München Juni 1997, S. 26–31.
  • W. Dietz/ Vereinigte Maschinenfabrik Augsburg und Maschinenbaugesellschaft Nürnberg A.-G., Werk Nürnberg (Hrsg.): Die Kaiser Wilhelm-Brücke über die Wupper bei Müngsten im Zuge der Eisenbahnlinie Solingen-Remscheid. Julius Springer, Berlin 1905.
  • Anton Rieppel: Die Thalbrücke bei Müngsten. VDI-Verlag, Düsseldorf 1986, ISBN 3-18-400762-6.
  • Bernhard Sieper: Die Müngstener Brücke. Born-Verlag, Wuppertal-Elberfeld.
  • Dirk Soechting: Die Eisenbahnbrücke bei Müngsten über die Wupper. Sutton Verlag; Erfurt 2005. ISBN 978-3-89702-892-0.
  • Karl Friedrich Walbrach: Der Schöpfer der Müngstener Brücke – Anton von Rieppel vor 150 Jahren geboren. In: Jahrbuch für Eisenbahngeschichte 34 (2002), S. 77–84.
  • Karl Friedrich Walbrach: Die Müngstener Brücke. Umland, Vorgeschichte, Bau und Rettung. In: Jahrbuch für Eisenbahngeschichte 36 (2004), S. 33–76.
  • Zeno Pillmann: Sanierungsfall über dem Wuppergrund. In: Eisenbahn Magazin. Nr. 4/2016. Alba Publikation GmbH & Co KG, April 2016, ISSN 0342-1902, S. 34–41.

Film

  • Enno Hungerland, Werner Kubny: Der goldene Niet, 45 Min, WDR + Werner Kubny Filmproduktion 1993[36]
Commons: Müngstener Brücke – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Die neue Straßenbrücke über den Niagara-Fluss.Zeitschrift des oesterr(eichischen)/österreichischen Ingenieur- und Architekten-Verein(e)s, Jahrgang 1899, S. 468 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/zia
  2. Die höchste Brücke der Welt. In: Bukowinaer Post, 21. September 1897, S. 3 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/bup
  3. Die höchste Brücke der Welt. In: Reichspost, 21. Juli 1897, S. 11 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/rpt
  4. So entstand die Müngstener Brücke. In: eisenbahn-Magazin, Heft 4, München 2016, S. 37
  5. Solingen: Schleichtempo angeordnet (Memento vom 20. September 2010 im Internet Archive). In: Rheinische Post (Onlineausgabe), 8. April 2010
  6. a b Peter Berger: Bahn-Sanierungsstau: Müngstener Brücke droht die Sperrung. 29. Mai 2010, abgerufen am 9. Dezember 2021 (deutsch).
  7. zp/pp: EBA sperrt Müngstener Brücke – RB-Leistung an Abellio. In: Eisenbahn-Revue International 1 (2011), S. 6.
  8. Deutsche Bahn kündigt Reparatur der Müngstener Brücke an. In: Remscheider General-Anzeiger, 14. Mai 2010
  9. Stefan Hennigfeld: DB Netz will Müngstener Brücke sanieren. Eisenbahnjournal Zughalt.de, 26. Mai 2010, abgerufen am 28. Mai 2010.
  10. DB Mobility Logistics AG (Hrsg.): Messfahrten auf Müngstener Brücke erfolgreich beendet. Presseinformation vom 30. September 2010.
  11. Stefan Hennigfeld: Müngstener Brücke gesperrt – Busverkehr eingerichtet. Eisenbahnjournal Zughalt.de, 19. November 2010, abgerufen am 19. November 2010.
  12. Bescheid zur Müngstener Brücke erhalten. Deutsche Bahn AG (Pressemeldung), 23. November 2010, abgerufen am 23. November 2010.
  13. Stefan Hennigfeld: Müngstener Brücke: Der Aufgabenträger braucht einen Rechtsstand. Eisenbahnjournal Zughalt.de, 5. Mai 2011, abgerufen am 14. Dezember 2011.
  14. Stefan Hennigfeld: Die Müngstener Brücke im VRR: Von Ursachen und Konsequenzen. Eisenbahnjournal Zughalt.de, 11. Juni 2012, abgerufen am 11. Juni 2012.
  15. Andreas Tews: Sanierung für 30 Millionen Euro?, in: Solinger Tageblatt (Onlineausgabe) vom 1. Februar 2011, gesehen 21. Januar 2018
  16. Bahnposse: Müngstener Brücke bleibt gesperrt. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 9. Dezember 2021]).
  17. Jürgen Eikelberg: Müngstener Brücke darf wieder mit Regionalbahnen befahren werden. Eisenbahnjournal Zughalt.de, 21. Juni 2011, abgerufen am 21. Juni 2011.
  18. Stefan Hennigfeld: Horst Becker fordert Sanierung der Müngstener Brücke. Eisenbahnjournal Zughalt.de, 6. August 2011, abgerufen am 6. August 2011.
  19. Müngstener Brücke: Bahn sagt die vollständige Sanierung zu – ohne Güterverkehr. 17. Januar 2012.
  20. Hans-Peter Meurer: Müngstener Brücke wird ab 7. Juli komplett gesperrt. rga, 4. Juni 2012, abgerufen am 4. Juni 2012.
  21. Martin Oberpiller: Müngstener Brücke bis Juni 2014 gesperrt? rga, 12. September 2013, abgerufen am 11. Oktober 2013.
  22. Gerhard Schattat/Jörn Tüffers: Müngstener Brücke bis Dezember gesperrt. Solinger Tageblatt (Onlineausgabe), 8. Mai 2014, abgerufen am 21. Januar 2018.
  23. Endspurt auf der Müngstener Brücke. RP Online, 3. Dezember 2014, abgerufen am 3. Dezember 2014.
  24. Höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands ist wieder befahrbar - ingenieur.de. 15. Dezember 2014, abgerufen am 8. Februar 2022 (deutsch).
  25. Müngstener Brücke auf bauprojekte.deutschebahn.com
  26. Brückensanierung zieht sich weiter in die Länge. In: RP Online, 27. Dezember 2019
  27. RP ONLINE: Remscheid: Letzte Hürde zum Kulturerbe. 10. Mai 2012, abgerufen am 9. Dezember 2021.
  28. Müngstener Brücke als UNESCO Weltkulturerbe, die Müngstener Brücke. Abgerufen am 9. Dezember 2021.
  29. Klingenstadt Solingen - Die Müngstener Brücke auf dem Weg zum Welterbe. Abgerufen am 9. Dezember 2021.
  30. Klingenstadt Solingen - Welterbe-Bewerbung: Die Brücken. Abgerufen am 9. Dezember 2021.
  31. Leere Züge über die Brücke, Artikel auf www.rp-online.de vom 30. April 2011 (Link geprüft am 28. Juli 2019)
  32. Stefan M. Kob; Der verschwundene Ingenieur. Artikel in der Westdeutschen Zeitung vom 30. Juli 2022
  33. a b c d e f Martin Trautz; Der verschwundene Ingenieur; Forschungsprojekt Baugeschichte am Lehrstuhl für Tragkonstruktionen; RWTH Aachen.
  34. Beschreibung des Brückensteigs; abgerufen am 25. Juni 2022.
  35. rp-online.de: Bahn gibt Brücke für Dampfloks frei
  36. Produktionen II. Abgerufen am 7. November 2021.