Grundrechte (Österreich)

In Österreich befinden sich die Grundrechte nicht, wie in vielen anderen Staaten, geschlossen in einem Gesetz, sondern sind – wie die gesamte österreichische Bundesverfassung – auf zahlreiche Gesetze verteilt. Dabei werden einzelne Gesetze, oder auch nur einzelne Paragraphen in Verfassungsrang gesetzt.

Das Wort „Grundrecht“ wird dabei selten verwendet. Beispielsweise spricht das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz von „verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten“, das Staatsgrundgesetz von „allgemeinen Rechten“. Im Stufenbau der Rechtsordnung bilden die Grundrechte subjektiv-öffentliches Recht, das dem Einzelnen durch eine Rechtsvorschrift im Verfassungsrang eingeräumt ist. Dadurch sind viele Grundrechte nicht explizit ausformuliert.

Mehrere verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte in den einzelnen Gesetzen überschneiden sich teilweise in ihrem Schutzbereich (beispielsweise: Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens Art 8 EMRK mit Grundrecht auf Datenschutz und Schutz des Briefgeheimnisses und Schutz des Fernmeldegeheimnisses aus dem StGG) oder kommen terminologisch überhaupt doppelt vor (beispielsweise: Freiheit der Meinungsäußerung: Art 13 StGG und Art 10 EMRK; Vereins- und Versammlungsfreiheit: Art 12 StGG und Art 11 EMRK) – beide durch Übernahme der gesamten Europa-Menschenrechtskonvention und Erhebung in den Verfassungsrang.

Rechtsquellen

Die folgende Liste gibt eine Auswahl und Übersicht über die wichtigsten Gesetze zu Grundrechten in historischer Abfolge. Früher verankerte Rechte sind beim einzelnen Gesetz nicht wiederholt, ebenso diejenigen, die später neukundgemacht wurden, diese stehen bei der aktuellen Rechtsquelle.

Gesetz zum Schutze des Hausrechts

Hauptartikel: Gesetz zum Schutze des Hausrechts

In diesem schon 27. Oktober 1862 erlassenen Gesetz zum Schutz des Hausrechts gegen Übergriffe der Organe der öffentlichen Gewalt ist geregelt, wann eine Hausdurchsuchung durchgeführt werden darf und wann nicht, ergo die Person davor geschützt ist. Es beruht auf § 10 Grundrechtspatent 1849 und wurde zu einem Bestandteil des Staatsgrundgesetzes 1867 erklärt (Art. 9) und gilt bis heute so.

Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger

In diesem Gesetz, das einen Teil der Dezemberverfassung von 1867 bildete und auf der Märzverfassung von 1849 (einschließlich Grundrechtspatent) aufbaute, und 1918 in den Rechtsbestand der Republik übernommen wurde, befinden sich einige der wichtigsten Grundrechte:

Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye

Der Vertrag vom 10. September 1919 regelte die Bedingungen für eine Schaffung der Republik und ist als Völkerrecht bis heute verbindlich.

Bundes-Verfassungsgesetz

Dieses Gesetz (B-VG) vom 10. November 1920 bildete die Basis der Ersten Republik Österreich und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in Kraft gesetzt.

Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich

Dieser Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, gegeben zu Wien am 15. Mai 1955 (Langtitel) schloss die Besatzungszeit ab.

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1951 trat in Österreich am 3. September 1958 in Kraft. Als völkerrechtlicher Vertrag wurde sie generell transformiert und ist als self-executing unmittelbar anwendbar. Die neu eingeführten Grundrechte sind:

Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

1. Protokoll vom 20. März 1952, ebenfalls 1958 mitratifiziert.

Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

Dieses Protokoll vom 16. September 1963 trat 1969 in Kraft. Neu entstandene Grundrechte sind:

Bundesgesetz über den Schutz personenbezogener Daten

Im DSG befindet sich seit 1978 das Grundrecht auf Datenschutz (§ 1), das jedermann einen Anspruch auf Geheimhaltung personenbezogener Daten gibt. Das Recht hat als einziges Grundrecht in Österreich unmittelbare Drittwirkung.

Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe

Dieses Protokoll vom 28. April 1983, mit dem die Todesstrafe in Friedenszeiten abgeschafft wurde, trat in Österreich am 1. März 1985 in Kraft. Abgeschafft wurde die Todesstrafe in Österreich im ordentlichen Verfahren aber bereits 1787 von Joseph II. (gültig bis 1795), dann in der Ersten Republik (gültig bis 1934) und schließlich endgültig im Jahr 1950. In diesem Jahr fand auch die letzte Hinrichtung durch österreichische Behörden in Österreich statt. Im Jahr 1968 wurde die Todesstrafe in Österreich auch aus dem Standrecht abgeschafft.

Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit

Hauptartikel: Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit

Dieses Gesetz von 1988[1] regelt nochmals ausdrücklich, wann jemand festgenommen oder angehalten werden darf und wann nicht, ergo die Person davor geschützt ist. Das Gesetz vom 27. Oktober 1862 zum Schutze der persönlichen Freiheit wurde 1867 zu einem Bestandteil des Staatsgrundgesetzes und galt als solches bis 1988.

Protokoll Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe

Dieses Protokoll vom 3. Mai 2002, mit dem die Todesstrafe gänzlich, also zu Friedens- als auch zu Kriegszeiten abgeschafft wurde, trat am 1. Mai 2004 in Kraft (rückwirkend, kundgemacht 2005). Damit wurde die Abschaffung 1968 völkerrechtlich verbindlich.

Europäische Grundrechte-Charta

Die Grundrechte-Charta, 2000 proklamiert, aber erst am 1. Dezember 2009 mit dem Vertrag von Lissabon in Kraft gesetzt, übernimmt, da sie als Basis für eine gemeinsame europäische Verfassung gedacht war, im Wesentlichen die Grundrechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und bindet sie in das Recht der Europäischen Union ein. Sie ist nach Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union rechtlich ausdrücklich als gleichrangig mit diesem Vertrag bezeichnet.

Im Erkenntnis vom 14. März 2012 erklärte der Verfassungsgerichtshof, dass die Grundrechtecharta für Österreich zu jenen Normen gehöre, die von ihm als Maßstab für die Verfassungskonformität österreichischen Rechts herangezogen würden, entgegenstehende generelle Normen würden aufgehoben.[2] Das wurde als Grundsatzentscheidung und „Meilenstein in der Entwicklung der Grundrechte-Judikatur“ interpretiert.[3]

Weitere wichtige Grundrechte

Durchsetzung der Grundrechte

Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit

Mit einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof kann eine Person Erkenntnisse und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte, die Grundrechte verletzen, anfechten.

Voraussetzungen dafür sind (kumulativ):

  • Beschwerdeführer ist Grundrechtsträger
  • Erhebung innerhalb von 6 Wochen nach Zustellung der letztinstanzlichen Entscheidung

Voraussetzungen (alternativ):

  • Behauptung des Beschwerdeführers durch die Entscheidung in seinem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht verletzt zu sein
  • Behauptung des Beschwerdeführers durch die Entscheidung wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinem Recht verletzt zu sein
  • Behauptung des Beschwerdeführers durch die Entscheidung wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (auch Staatsvertrages) in seinem Recht verletzt zu sein
  • Behauptung des Beschwerdeführers durch die Entscheidung wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinem Recht verletzt zu sein
  • Behauptung des Beschwerdeführers durch die Entscheidung wegen Anwendung eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinem Recht verletzt zu sein

Die Beschwerde ist als schriftlicher Antrag mit bestimmten Inhaltserfordernissen (§ 15 VfGG) durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt (§ 17 Abs. 2 VfGG) einzubringen. Es ist eine Eingabengebühr von 220 Euro zu entrichten (§ 17a Z 1 VfGG). Es besteht die Möglichkeit der Verfahrenshilfe (§§ 63 ff ZPO iVm § 35 Abs. 1 VfGG).

Bis zum Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 am 1. Jänner 2014 waren im Rahmen der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit nicht die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, sondern die in letzter Instanz ergangenen Bescheide der Verwaltungsbehörden anfechtbar. Im Jahre 2010 gab es insgesamt 2685 (1800 aus dem Jahre 2010, 885 aus den Vorjahren 2007, 2008, 2009) anhängige Beschwerdeverfahren. 1738 wurden davon im Jahr 2010 erledigt, 947 blieben ins Jahr 2011 anhängig.[4]

Normenkontrollverfahren

Verletzt ein Gesetz oder eine Verordnung ein Grundrecht, so kann dies durch Normenkontrollverfahren aufgegriffen werden. Zur Verfügung stehen:

  • Prüfung über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen (Art 139 B-VG)
  • Prüfung über die Gesetzwidrigkeit von Kundmachungen über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages) (Art 139a B-VG)
  • Prüfung über die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes (Art 140 B-VG)
  • Prüfung über die Rechtswidrigkeit von Staatsverträgen (Art 140a B-VG)

Erwähnenswert ist, dass auch eine einzelne Person unter bestimmten Voraussetzungen ein Normenkontrollverfahren beantragen kann (Individualantrag).

Im Jahre 2010 gab es insgesamt 268 (208 aus dem Jahre 2010, 60 aus den Vorjahren 2007, 2008, 2009) anhängige Gesetzesprüfungsverfahren und 249 (170 aus dem Jahre 2010, 79 aus den Vorjahren 2007, 2008, 2009) anhängige Verordnungsprüfungsverfahren. 103 Gesetzesprüfungsverfahren wurden im Jahr 2010 erledigt, 165 blieben ins Jahr 2011 anhängig. 110 Verordnungsprüfungsverfahren wurden im Jahr 2010 erledigt, 139 blieben ins Jahr 2011 anhängig. Es gab beim Verordnungsprüfungsverfahren 38 erledigte Individualanträge, beim Gesetzesprüfungsverfahren 30.[5]

Siehe auch: Normenkontrollverfahren

Grundrechtsbeschwerde

Die Grundrechtsbeschwerde steht nach Erschöpfung des Instanzenzuges jeder Person zu, die in ihrem Grundrecht auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung verletzt wird. Die Beschwerde ist nicht zulässig bei der Verhängung und den Vollzug von Freiheitsstrafen und vorbeugenden Maßnahmen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen. Es entscheidet der Oberste Gerichtshof (§ 1 GRBG).

Im Jahre 2010 wurden 75 Grundrechtsbeschwerden erledigt. 3 davon waren berechtigt.[6]

Ordentliche Gerichtsbarkeit

Verletzt ein Urteil im Zuge eines Zivil- oder Strafverfahrens ein Grundrecht, kann die betroffene Person den VfGH nicht anrufen. Eine „Urteilsbeschwerde“ existiert nicht. Der betroffenen Person bleibt nur der ordentliche Rechtsweg nach der Zivilprozessordnung oder der Strafprozessordnung bis zum Obersten Gerichtshof übrig, der dann die Grundrechtswidrigkeit prüft.

Individualbeschwerde

In letzter Instanz kann auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gemäß Art 34 und 35 EMRK von jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personengruppe mit einer Beschwerde, in der eine Grundrechtsverletzung behauptet wird, befasst werden. Es dürfen aber nur Grundrechte der EMRK und der Zusatzprotokolle verletzt sein.

Siehe auch: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Literatur

Einzelnachweise

  1. Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit RIS, abgerufen am 15. November 2020
  2. Erkenntnis U 466/11 (Memento vom 23. Juli 2012 im Internet Archive) Randzahl 43 auf S. 13–14. (abgerufen am 6. Mai 2012).
  3. Verfassungsgerichtshof: Verfassungsrichter heben EU-Grundrechte in den Verfassungsrang (Memento des Originals vom 10. Januar 2021 im Internet Archive), Wiener Zeitung, 4. Mai 2012. Abgerufen am 10. Januar 2021 
  4. Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes 2010 (Memento vom 23. Juli 2012 im Internet Archive) (PDF; 5,1 MB). Website des Verfassungsgerichtshofes. Abgerufen am 26. September 2011.
  5. Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes 2010 (Memento vom 23. Juli 2012 im Internet Archive) (PDF; 5,1 MB). Website des Verfassungsgerichtshofes. Abgerufen am 26. September 2011.
  6. Tätigkeitsbericht des Obersten Gerichtshofes 2010 (PDF; 424 kB). Website des Obersten Gerichtshofes. Abgerufen am 17. September 2019.