Großer Preis von Frankreich 1907

Rennsieger Felice Nazzaro
Otto Salzer im Mercedes 120 PS
Die Boxenanlage. Im Bild der Corre-La Licorne von Joseph Collomb (#C1) und der Renault AK von Ferenc Szisz (#R1)

Der zweite, nach heutiger Zählweise X.[1] Große Preis von Frankreich (X Grand Prix de l’Automobile Club de France) fand am 2. Juli 1907 auf einem Straßenkurs bei Dieppe statt. Das Rennen wurde gemäß einer Verbrauchsformel (maximal 30 l Benzin pro 100 km Renndistanz) über 10 Runden à 76,989 km ausgetragen, was einer Gesamtdistanz von 769,889 km entsprach.

Sieger wurde Felice Nazzaro auf Fiat.

Rennen

Trotz des französischen Erfolgs und der breiten öffentlichen Aufmerksamkeit, die der Grand Prix von 1906 hervorgerufen hatte, war im Anschluss Kritik aufgekommen, die vor allem das Austragungsformat betraf. Das Rennen wurde insgesamt als zu lang empfunden und zu lange Startintervalle dafür verantwortlich gemacht, dass es kaum zu direkten Kämpfen zwischen den Wagen auf der Strecke gekommen war. Insbesondere war der Ausgang des Rennens als zu sehr von der Reifenfrage abhängig empfunden worden, zumal dieser Effekt noch dadurch verstärkt worden war, dass nur der Fahrer und sein Mechaniker am Auto hatten arbeiten dürfen.

All das sollte mit der Neuauflage 1907 verbessert werden, zudem hatte man mit dem Badeort Dieppe einen für das Publikum und insbesondere für Gäste und Teilnehmer aus Großbritannien und Belgien wesentlich leichter erreichbaren Austragungsort gewählt, der obendrein auch noch einen gewissen „Glamourfaktor“ bot. Bei nur 6 Franc Eintritt war der Ort tagelang von festlichem Trubel erfüllt.

Weniger glücklich war die Auswahl einer neuen Rennformel. An die Stelle des bisherigen Maximalgewichts von 1000 kg trat nun eine Verbrauchsformel, bei der den Teilnehmern des Grand Prix pro 100 km gefahrener Strecke 30 l Benzin zugestanden wurden. Ziel war, die Entwicklung der Rennwagen mehr in Richtung des alltäglichen Gebrauchs und somit insgesamt zu ausgewogeneren und weniger überzüchteten Konstruktionen zu lenken. Letztlich war damit die Absicht verbunden, den Ausgang der Rennen weniger abhängig von den Reifen zu machen. Allerdings waren im Grand Prix von 1906 fast alle Teilnehmer schon locker unter dieser Treibstoffmenge geblieben, darunter der siegreiche Renault von Szisz. Deswegen gab es für die Konstrukteure nur wenig Anlass zu gravierenden Änderungen und die meisten Hersteller traten wieder mit ihren bewährten „Eintonnern“ an. Aufgrund des Wegfalls der Gewichtsbegrenzung machten jedoch viele von der Möglichkeit Gebrauch, die Chassis gegenüber dem Vorjahr zusätzlich zu verstärken.

Nur einige neue Teams brachten etwas Vielfalt ins Feld, allen voran der einzige US-amerikanische Hersteller-Vertreter John Walter Christie. Sein von ihm selbst entwickelter Wagen mit Frontantrieb war der leichteste im Feld und hatte dennoch mit einem quer über der Vorderachse eingebauten Vierzylinder von beinahe 20 l Hubraum den größten jemals in einem Grand-Prix-Wagen eingesetzten Motor. Um die größtmögliche Zylinderbohrung zu erzielen, waren die Zylinder in einer noch recht unüblichen V-Form angeordnet. Vier von Porthos aus Frankreich, Weigel aus Großbritannien und Dufaux aus der Schweiz eingesetzte Achtzylinder muteten dagegen schon beinahe wieder konventionell an.

Insgesamt schickten 16 Hersteller aus sieben Ländern zusammen 37 Wagen auf die über zehn Runden führende Gesamtdistanz von 769,83 km, davon allein 24 Rennwagen der zehn französischen Fabrikate. Unter diesen befanden sich auch die drei Wagen von Clément-Bayard, obwohl Albert Clément, der Sohn des Firmengründers Adolphe Clément, im Vorfeld des Rennens bei Probefahrten auf der Strecke tödlich verunglückt war, ebenso wie der Darracq-Fahrer Marius Pin. Nachdem Aquila Italiana kurz vor dem Rennen noch zurückgezogen hatte, vertrat Fiat allein die jetzt erstmals auch bei einem Grand Prix obligatorischen Nationalfarben Italiens. Neben den bereits genannten Wagen aus Großbritannien, der Schweiz und den USA komplettierten aus Deutschland wiederum Mercedes sowie Germain aus Belgien mit je einem Drei-Wagen-Team das Feld.

Parallel zum Grand Prix wurde auf demselben Kurs ein weiteres Rennen ausgetragen, der Coupe de la Commission Sportive, bei dem der Treibstoffverbrauch sogar auf 15 l pro 100 km begrenzt war, führte allerdings nur über sechs Runden und war mit nur neun Teilnehmern sehr schwach besetzt. Sieger wurde ein gewisser de Langhe auf Darracq.

Im Hauptrennen der Grand-Prix-Wagen übernahm Louis Wagner auf Fiat zunächst die Führung, aber die Abstände zu den Verfolgern blieben relativ gering, sodass sich lange Zeit alle drei Fiat-Fahrer ebenso wie das gesamte Darracq-Team sowie zwei Lorraine-Dietrich und ein Renault Siegchancen ausrechnen konnten. In der vierten Runde musste Wagner jedoch mit Motorproblemen aufgeben, wodurch Arthur Duray auf Lorraine-Dietrich die Führung übernahm. In der vorletzten Runde hatte er sechs Minuten Vorsprung auf die beiden verbleibenden Fiat-Fahrer Felice Nazzaro und Vincenzo Lancia, doch dann fiel auch er mit einem Lagerschaden im Getriebe aus. Nachdem schließlich auch Lancia noch in der letzten Runde durch einen Kupplungsdefekt ausgeschieden war, lautete die Reihenfolge im Ziel Nazzaro auf Fiat mit insgesamt 6:46:33 Stunden Fahrzeit und einem Schnitt von 113,621 km/h, 6:37 Minuten vor Vorjahressieger Szisz auf Renault, dahinter mit 18:32 Minuten Rückstand Paul Baras auf Brasier. Keiner der Teilnehmer war dabei in ernsthafte Nöte mit dem Treibstoffvorrat gekommen. Von anfänglich 231 l, die jedem Teilnehmer zugestanden hatten, befanden sich in Nazzaros Fiat am Ende noch 11, im Darracq von Victor Rigal sogar noch 42 l. Insgesamt erreichten 17 Wagen das Ziel, davon 12 aus französischer Produktion. Die französischen Wagen belegten außerdem die Plätze zwei bis neun, aber der Sieg ging zum ersten Mal nach Italien. Fiat hatte damit nach der Targa Florio und dem Kaiserpreisrennen auch das dritte bedeutende Rennen der Saison und somit Rennen aller drei geltenden Rennformeln gewonnen.

Ergebnisse

Meldeliste

TeamNr.FahrerInfoChassisMotorReifen
Italien 1861 Fabbrica d’Automobili Aquila0A1Italien 1861 A. PichatDNA⁠aAquila ItalianaAquila Italiana 11.2L I4
Dritte Französische Republik Automobiles Brasier0B1Dritte Französische Republik Jules BarillierBrasierBrasier 12.0L I4
0B2Dritte Französische Republik Paul Baras
0B3Dritte Französische Republik Paul Bablot
Dritte Französische Republik Société Francaise des Automobiles Corre0C1Dritte Französische Republik Pierre d’HespelDNSCorre-La LicorneCorre-La Licorne 10.6L I4
0C1Dritte Französische Republik Joseph Collomb
Dritte Französische Republik Société A Darracq0D1Dritte Französische Republik René HanriotDarracqDarracq 14.3L I4
0D2Dritte Französische Republik Gustave Caillois
0D3Dritte Französische Republik Marius PinDNSb
0D3Dritte Französische Republik Victor Rigal
Italien 1861 Fiat SpA0F1Italien 1861 Vincenzo LanciaFiat 130 HPFiat 16.3L I4
0F2Italien 1861 Felice Nazzaro
0F3Dritte Französische Republik Louis Wagner
Deutsches Reich Daimler-Motoren-Gesellschaft0M1Belgien Camille JenatzyMercedes 120 PSMercedes 15.3L I4
0M2Deutsches Reich Otto Salzer
0M3Dritte Französische Republik Victor Hémery
Dritte Französische Republik Société General des Automobiles Porthos0P1Dritte Französische Republik Emile StrickerPorthosPorthos 10.9L I8
Dritte Französische Republik Renault Frères0R1Osterreich-Ungarn Ferenc SziszRenault AQRenault 12.9L I4
0R2Dritte Französische Republik „Edmond“DNSc
0R2Dritte Französische Republik Henri Farman
0R3Dritte Französische Republik Claude Richez
Vereinigtes Konigreich Weigel Motors0W1Vereinigtes Konigreich Algernon Lee GuinnessDNSWeigelWeigel 12.7L I8
0W1Vereinigtes Konigreich Gregor Laxen
0W2Vereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich D. M. WeigelDNS
0W2Vereinigtes Konigreich Pryce Harrison
Dritte Französische Republik Établissements Clément-Bayard0BC1Dritte Französische Republik Pierre GarcetClément-BayardClément-Bayard 12.9L I4
0BC2Dritte Französische Republik Albert ClémentDNSd
0BC2Dritte Französische Republik Jean Alézy
0BC3Vereinigte Staaten 48 Elliott Shepard
Schweiz Marchand et Dufaux0DM1Schweiz Frederic DufauxMarchandDufaux 14.7L I8
Dritte Französische Republik Societé Gobron-Brillie0GB1Dritte Französische Republik Louis RigollyGobron-BrilliéGobron-Brillie 13.6L I4 Gegenkolben
Belgien Ateliers Germain0GE1Belgien Claude PerpèreGermainGermain 5.4L I4
0GE2Belgien Henri Degrais
0GE3Belgien François-Marie Roch-Brault
Dritte Französische Republik Société Lorraine des anciens Éts. De Dietrich & Cie0LD1Dritte Französische Republik Arthur DurayLorraine-Dietrich Type FXLorraine-Dietrich 17.3L I4
0LD2Dritte Französische Republik Henri Rougier
0LD3Dritte Französische Republik Fernand Gabriel
Dritte Französische Republik Automobiles Motobloc0MB1Belgien Louis PierronMotobloc Type PMotobloc 12.0L I4
0MB2Dritte Französische Republik Claude Page
0MB3Dritte Französische Republik Jean-Pierre Courtade
Dritte Französische Republik Automobiles Panhard et Levassor0PL1Vereinigte Staaten 48 George HeathPanhardPanhard & Levassor 15.5L I4
0PL2Dritte Französische Republik Hubert Le Blon
0PL3Dritte Französische Republik Lucas Dutemple
Vereinigte Staaten 48 Front Drive Motor Co0WC1Vereinigte Staaten 48 John Walter ChristieChristieChristie 19.6L V4
a 
Auto auf dem Antransport beschädigt.
b 
Tödlicher Unfall im Training.
c 
Krankheitsbedingt durch Henri Farman ersetzt.
d 
Tödlicher Unfall im Training.

Startreihenfolge

Die Teilnehmer wurden in der Reihenfolge F1 – C1 – D1 – LD1 – P1 – DM1 – BC1 – MB1 – R1 – GE1 – PL1 – WC1 – M1 – W1 – GB1 – (A1) – B1 – F2 – D2 – LD2 usw. einzeln in festen Zeitabständen ins Rennen geschickt.

Rennergebnis

Pos.FahrerKonstrukteurRundenStoppsZeitStartSchnellste RundeAusfallgrund
01Italien 1861 Felice NazzaroItalien 1861 Fiat106:46:33,0 h
02Osterreich-Ungarn Ferenc SziszDritte Französische Republik Renault10+ 6:37,6 min
03Dritte Französische Republik Paul BarasDritte Französische Republik Brasier10+ 18:32,6 min
04Dritte Französische Republik Fernand GabrielDritte Französische Republik Lorraine-Dietrich10+ 25:06,0 min
05Dritte Französische Republik Victor RigalDritte Französische Republik Darracq10+ 26:03,4 min
06Dritte Französische Republik Gustave CailloisDritte Französische Republik Darracq10+ 29:25,6 min
07Dritte Französische Republik Jules BarillierDritte Französische Republik Brasier10+ 41:21,0 min
08Dritte Französische Republik Pierre GarcetDritte Französische Republik Clément-Bayard10+ 47:44,0 min
09Vereinigte Staaten 48 Elliott ShepardDritte Französische Republik Clément-Bayard10+ 53:23,2 min
10Dritte Französische Republik Victor HémeryDeutsches Reich Mercedes10+ 1:38:52,0 h
11Dritte Französische Republik Jean-Pierre CourtadeDritte Französische Republik Motobloc10+ 2:02:00,6 h
12Dritte Französische Republik Paul BablotDritte Französische Republik Brasier10+ 2:26:26,6 h
13Dritte Französische Republik Claude RichezDritte Französische Republik Renault10+ 2:44:19,4 h
14Belgien Henri DegraisBelgien Germain10+ 3:04:03,4 h
15Belgien François-Marie Roch-BraultBelgien Germain10+ 3:24:12,0 h
16Dritte Französische Republik Joseph CollombDritte Französische Republik Corre-La Licorne10+ 3:38:23,7 h
17Belgien Claude PerpèreBelgien Germain10+ 4:07:09,0 h
Italien 1861 Vincenzo LanciaItalien 1861 Fiat9DNFKupplungsschaden
Deutsches Reich Otto SalzerDeutsches Reich Mercedes9DNFFelgenring gebrochen
Dritte Französische Republik Arthur DurayDritte Französische Republik Lorraine-Dietrich8DNF37:59,8 minGetriebe
Dritte Französische Republik Lucas DutempleDritte Französische Republik Panhard8DNFAusfall
Belgien Camille JenatzyDeutsches Reich Mercedes7DNFFelgenring nicht montierbar
Belgien Louis PierronDritte Französische Republik Motobloc7DNFAusfall
Schweiz Frederic DufauxSchweiz Marchand7DNFAusfall
Dritte Französische Republik Henri FarmanDritte Französische Republik Renault7DNFAusfall
Dritte Französische Republik René HanriotDritte Französische Republik Darracq6DNFMotorschaden
Dritte Französische Republik Henri RougierDritte Französische Republik Lorraine-Dietrich5DNFAusfall
Dritte Französische Republik Louis RigollyDritte Französische Republik Gobron-Brillié5DNFAusfall
Vereinigtes Konigreich Pryce HarrisonVereinigtes Konigreich Weigel5DNFAusfall
Dritte Französische Republik Claude PageVereinigtes Konigreich Motobloc5DNFAusfall
Dritte Französische Republik Emile StrickerDritte Französische Republik Porthos4DNFLenkungsschaden
Belgien Jean AlézyDritte Französische Republik Clément-Bayard4DNFAusfall
Vereinigte Staaten 48 John Walter ChristieVereinigte Staaten 48 Christie4DNFAusfall
Dritte Französische Republik Louis WagnerItalien 1861 Fiat4DNFSteuerstange
Vereinigtes Konigreich Gregor LaxenVereinigtes Konigreich Weigel3DNFRad verloren
Dritte Französische Republik Hubert Le BlonDritte Französische Republik Panhard3DNFFahrer verletzt
Vereinigte Staaten 48 George HeathDritte Französische Republik Panhard1DNFMotorschaden

Literatur

  • Robert Dick: Mercedes and Auto Racing in the Belle Epoque 1895–1915, MacFarland & Co, Jefferson, 2005, ISBN 0-7864-1889-3 (englisch)
  • Adriano Cimarosti: Autorennen – Die Grossen Preise der Welt, Wagen, Strecken und Piloten von 1894 bis heute, Hallwag AG, Bern, 1986, ISBN 3-444-10326-3
  • Paul Sheldon with Yves de la Gorce & Duncan Rabagliati: A Record of Grand Prix and Voiturette Racing, Volume 1 1900–1925, St. Leonard´s Press, Bradford, 1987, ISBN 0-9512433-0-6 (englisch)
  • Karl Ludvigsen: Classic Grand Prix Cars – The front-engined Formula 1 Era 1906–1960, Sutton Publishing, Stroud, 2000, ISBN 0-7509-2189-7
  • Hodges, David: A–Z of Grand Prix Cars, The Crowood Press, Ramsbury, 2001, ISBN 1-86126-339-2
Commons: Großer Preis von Frankreich 1907 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise/Anmerkungen

  1. Das erste als Grand Prix de l’ACF organisierte Rennen fand 1906 statt. In den 1920er Jahren wurden jedoch rückwirkend auch den „großen“ Stadt-zu-Stadt-Rennen der Frühzeit zwischen 1895 und 1903 dieser Titel verliehen, obwohl das Gründungsdatum des ACF sogar erst nach dem Rennen Paris–Bordeaux–Paris 1895 liegt. Durch diese Zählweise wurde die Veranstaltung von 1906 nachträglich zum offiziell neunten Grand Prix de l’A.C.F