Würzburger Schlüssel

Der Würzburger Schlüssel ist ein Ordnungssystem psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen, das 1930 entwickelt wurde und die deutsche 'Reichsirrenstatistik' von 1901 ersetzte.[1] Das System wurde vom Deutschen Verein für Psychiatrie entwickelt, von 1930 bis 1932 in psychiatrischen Kliniken getestet und anlässlich dessen Jahresversammlung, die am 24. Januar 1933 in Würzburg stattfand, in Deutschland eingeführt.[2] Es wurde maßgeblich von Karl Bonhoeffer, dem Berliner Ordinarius für Psychiatrie und Leiter der Nervenklinik der Charité mitgestaltet und stützte sich auf statistische Erhebungen des Krankenbestandes seiner Klinik. Es wurde ausdrücklich zu Zwecken der Kostenkalkulierung in der Anstaltspsychiatrie entworfen.[3]

Würzburger Schlüssel von 1933[1][4]
1. Angeborene und früh erworbene Schwachsinnszustände (Idiotie und Imbezilität)
a ohne nachweisbare Ursache
b infolge von nachgewiesenen Gehirnschädigungen
c Kretinismus
2. Psychische Störungen nach Gehirnverletzungen (Gehirnerschütterung und -quetschung)
a akute traumatische Psychosen (Kommotionspsychosen)
b traumatische Folgezustände (epileptische Wesensveränderungen usw.)
3. Progressive Paralyse
4. Psychische Störungen bei Lues cerebri, Tabes und Lues latens
5. Encephalitis epidemica
6. Psychische Störungen des höheren Lebensalters
a arteriosklerotische Formen (einschl. der gemeinen Hypertonie)
b präsenile Formen (depressive und paranoide Bilder)
c senile Formen
d andere Formen (Alzheimer, Pick usw.)
7. Huntingtonsche Chorea
8. Psychische Störungen bei anderen Hirnkrankheiten (Tumor, multiple Sklerose usw.)
9. Psychische Störungen bei akuten Infektionen, bei Erkrankungen innerer Organe, bei Allgemeinerkrankungen und Kachexien ("Symptomatische Psychosen" im engeren Sinne)
a bei Infektionskrankheiten (einschl. Chorea minor)
b bei Erkrankungen innerer Organe, Allgemeinerkrankungen und Gastrointestinalerkrankungen, Diabetes, Urämie und Eklampsie, Anämie, Karzinose, Pellagra usw.
c bei Basedow, Myxödem, Tetanie und anderen endokrinen Erkrankungen
d symptomatische Psychosen im Puerperium und während der Laktation
10. Alkoholismus
a Rauschzustände
b chronischer Alkoholismus (Eifersuchtswahn usw.)
c Delirium tremens und Halluzinose
d Korsakowsche Psychose (Poliencephalitis haemorrhagica)
11. Suchten (Morphinismus, Kokainismus usw.)
12. Psychische Störungen bei anderen Vergiftungen: Schlafmittel, Blei, Quecksilber, Arsen, Schwefelkohlenstoff, Kohlenmonoxyd usw.
13. Epilepsie
a ohne nachweisbare Ursache
b symptomatische Epilepsie (soweit nicht in einer anderen Gruppe aufzuführen)
14. Schizophrener Formenkreis
15. Manisch-depressiver Formenkreis
a manische und depressive Phasen
b hyperthyme, dysthyme und zyklothyme Konstitution
16. Psychopathische Persönlichkeiten
17. Abnorme Reaktionen
a paranoische Reaktionen und paranoische Entwicklungen (Querulantenwahn u. ä.)
b depressive Reaktionen, welche nicht unter 15a fallen
c Haftreaktionen
d Rentenneurosen
e andere psychogene Reaktionen
f induzierte Irresein
18. Psychopathische Kinder und Jugendliche (bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres)
19. ungeklärte Fälle
20. Nervenkrankheiten ohne psychische Störungen
21. Nicht nervenkrank und frei von psychischen Abweichungen

Einzelnachweise

  1. a b A. Dörries, J. Vollmann: [Medical and ethical problems in the classification of psychiatric disorders. The "Wurzburger Schlussels" of 1933]. In: Fortschritte Der Neurologie-Psychiatrie. Band 65, Nr. 12, Dezember 1997, ISSN 0720-4299, S. 550–554, doi:10.1055/s-2007-996362, PMID 9451567 (nih.gov [abgerufen am 13. Juni 2020]).
  2. Würzburger Schlüssel – WürzburgWiki. Abgerufen am 13. Juni 2020.
  3. Stephanie Neuner: Politik und Psychiatrie: Die staatliche Versorgung psychisch Kriegsbeschädigter in Deutschland 1920–1939 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 197) - PDF Free Download. Vandenhoeck & Ruprecht, 2011, abgerufen am 16. Juni 2020 (ISBN 9783647370200).
  4. Nitsche, P.: Irrenstatistik des Deutschen Vereins für Psychiatrie für das Jahr 1932. In: Allg. Z. Psychiat. Nr. 102, 1934, S. 377–387.