Tytus Woyciechowski

Tytus Woyciechowski, um 1875

Tytus Sylwester Woyciechowski (* 31. Dezember 1808 in Lemberg, Galizien, Kaisertum Österreich; † 23. März 1879 in Poturzyn, Weichselland, Russisches Kaiserreich)[1] war ein polnischer politischer Aktivist, Landwirt und Kunstmäzen. Er war einer der engsten Freunde Frédéric Chopins.[2][3]

Lebenslauf

Denkmal zur Erinnerung an den Besuch Chopins auf Woyciechowskis Landgut in Poturzyn 1830

In seiner Jugend war Woyciechowski ein Schul- bzw. Studienkollege Chopins am Warschauer Lyceum, darüber hinaus häufiger Gast der Familie Chopin. Er hatte wie Chopin bei Vojtěch Živný Klavierunterricht.[4] Tytus studierte dann allerdings Jura an der Universität Warschau. Chopin sprach ihn in seinen Briefen oft mit „Mein liebstes Leben“ an, schrieb ihm leidenschaftliche und zum Teil auch erotische[5] Liebeserklärungen:[6][7]

„Wie immer, so auch jetzt, trage ich deine Briefe bei mir. Wie glücklich werde ich sein, wenn ich im Mai ausserhalb der Stadtmauern wandle und an meine bevorstehende Reise denke, deinen Brief hervorzuziehen und mich zu vergewissern, dass du mich liebst, – oder zumindest auf die Handschrift dessen zu schauen, den ich nur lieben kann.“

Frédéric Chopin: Brief an Tytus Woyciechowski, Warschau, 27. März 1830.[8][9]

„Ich gehe mich waschen. Küsse mich jetzt nicht, denn ich habe mich noch nicht gewaschen. Du? Auch wenn ich mich mit byzantinischen Ölen einreiben würde, würdest Du mich nicht küssen, es sei denn, ich würde Dich auf magnetische Art dazu zwingen. Es gibt irgendeine Kraft in der Natur. Heute wirst Du davon träumen, dass Du mich küsst!“

Frédéric Chopin: Brief an Tytus Woyciechowski, Warschau, 4. September 1830.[10][11][12]

Der amerikanisch-polnische Historiker Adam Zamoyski widerspricht jedoch in seiner Chopin-Biografie, dass es ein romantisches Verhältnis zwischen Woyciechowski und Chopin gegeben habe: „[…] solche Formulierungen waren – und sind [es] bis zu einem gewissen Grad auch heute noch – im Polnischen durchaus üblich, es sind simple Floskeln ohne konkrete Bedeutung. Auch die Spuren kindischer Erotik in den Briefen sind, für sich genommen, kaum von Belang. Geprägt durch die romantische Bewegung in der Kunst und Literatur, begünstigte der Geist jener Jahre extreme Gefühlsäußerungen und verherrlichte transzendente Freundschaft.“[13]

Chopin widmete Woyciechowski eines seiner Frühwerke, die Variationen op. 2 über das Duett Là ci darem la mano aus Mozarts Oper Don Giovanni, wofür dieser sich handschriftlich auf der Titelseite des Autografs mit „J’accepte avec plaisir“ („Ich akzeptiere mit Vergnügen“) bedankte.[14][15] Außerdem komponierte er für ihn den Walzer Des-Dur op. 70,3.[16] Im Sommer 1830 besuchte Chopin Woyciechowski für zwei Wochen auf dessen Anwesen in Poturzyn, das dieser von seiner Mutter geerbt hatte.

Gedenktafel in Poturzyn. Chopin besuchte Woyciechowski dort auf dessen Hof.

„Ich will Dir ehrlich sagen, dass ich mit Freuden an das alles zurückdenke – Deine Felder haben eine gewisse Sehnsucht in mir hinterlassen, – die Birke vor den Fenstern will mir nicht aus dem Sinn. Jene Arbaletta [Armbrust]! – Wie romantisch! Ich erinnere mich an die Arbaletta, deretwegen Du mich so geplagt hast, – für alle meine Sünden.“

Frédéric Chopin: Brief an Titus Woyciechowski, Warschau, 21. August 1830.[17]

Woyciechowski begleitete Chopin während seiner Reise nach Österreich 1830, bis er vom Novemberaufstand erfuhr und nach Warschau zurückkehrte, um an den Kämpfen teilzunehmen. Obwohl Chopin und Woyciechowski einander nach 1830 nie mehr persönlich begegneten, setzten sie ihre Korrespondenz fort.[16]

Woyciechowski widmete sich fortan primär der Landwirtschaft. Er gilt als einer der Vorreiter bei der Einführung von Fruchtfolge oder Felderwirtschaft in Polen. 1847 gründete er eine der ersten Zuckerfabriken des Landes. Von 1861 bis 1862 war er aktives Mitglied der Weißen Partei, die an dem gescheiterten Aufstand vom Januar 1863 beteiligt war.

Woyciechowski starb 70-jährig auf seinem Landsitz. Seine Sammlung von Memorabilia an Chopin wurde durch einen Brand im Jahre 1914 vernichtet. Dazu gehörten ein Klavier der Firma Buchholtz, auf dem Chopin gespielt und komponiert hatte, Kopien seiner Kompositionen (Klaviervariationen zu vier Händen, geschrieben auf 17 Seiten und mit einer Fuge endend, sowie ein Kontretanz), Chopins Briefe an Tytus Woyciechowski und ein Stift in Form einer Säule, mit Kopf und Sockel aus Gold und einem Schaft aus farbigem Mosaik. Der mit den Initialen von T. W. verzierte Sockel diente gleichzeitig als Siegel. Eine Karte mit der Widmung Chopins befand sich in einem besonderen Etui.[18]

Das Herrenhaus der Familie zu Poturzyn wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstört.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. E. G. Baur, siehe Literatur.
  2. Michel Larivière: Homosexuels et bisexuels célèbres. Le dictionnaire. Delétraz, Paris 1997, ISBN 2-911110-19-6, S. 99 f.
  3. Moritz Weber: Spätes Outing. Chopin war schwul – und niemand sollte davon erfahren. In: srf.ch. 7. Dezember 2020, abgerufen am 4. April 2022.
  4. Fryderyk Chopin – Information Centre – Wojciech Żywny – Biography. In: en.chopin.nifc.pl. The Fryderyk Chopin Institute, archiviert vom Original am 26. November 2020; abgerufen am 4. April 2022 (englisch).
  5. Alan Walker: Fryderyk Chopin. A life and times. Macmillan, New York 2018, ISBN 1-250-23482-4, S. 157 f.
  6. Fryderyk Chopin – Information Centre – Chopin’s letters. In: en.chopin.nifc.pl. The Fryderyk Chopin Institute, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 19. November 2020.@1@2Vorlage:Toter Link/en.chopin.nifc.pl (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  7. Gesine Baur: Chopin oder die Sehnsucht. 3., durchges. Auflage. München 2009, ISBN 978-3-406-59056-6, S. 536.
  8. David Frick: Chopin’s polish letters. The Fryderyk Chopin Institute, Warsaw 2016, ISBN 978-83-64823-19-0, S. 148 f.
  9. Krystyna Kobylańska (Hrsg.): Fryderyk Chopin. Briefe. Henschelverlag, Berlin 1983, S. 76.
  10. David Frick: Chopin’s polish letters. The Fryderyk Chopin Institute, Warsaw 2016, ISBN 978-83-64823-19-0, S. 174 f.
  11. Krystyna Kobylańska (Hrsg.): Fryderyk Chopin. Briefe. Henschelverlag, Berlin 1983, S. 89.
  12. Fryderyk Chopin – Information Centre – Chopin’s letters. In: en.chopin.nifc.pl. The Fryderyk Chopin Institute, archiviert vom Original am 22. November 2020; abgerufen am 4. April 2022.
  13. Adam Zamoyski: Chopin der Poet am Piano. 1. Auflage. München 2010, ISBN 978-3-570-58015-8.
  14. Frédéric Chopin: „Là ci darem la mano“: Varié pour le piano-forté avec accompagnement d’orchestre dedié à Mr. Titus Woyciechowski. Oeuvre 2. In: digital.onb.ac.at. Österreichische Nationalbibliothek, abgerufen am 3. April 2022.
  15. Frédéric Chopin: Korespondencja Fryderyka Chopina. Hrsg.: Zofia Helman. Band 1. Wydawnictwa Uniwersytetu Warszawskiego, Warszawa 2009, ISBN 978-83-235-0481-8, S. 619.
  16. a b Fryderyk Chopin – Information Centre – Chopin’s letters. In: en.chopin.nifc.pl. The Fryderyk Chopin Institute, archiviert vom Original am 28. September 2015; abgerufen am 4. April 2022.
  17. Krystyna Kobylańska (Hrsg.): Fryderyk Chopin. Briefe. Henschelverlag, Berlin 1983, S. 84.
  18. Frédéric Chopin: Korespondencja Fryderyka Chopina. Hrsg.: Zofia Helman. Band 1. Wydawnictwa Uniwersytetu Warszawskiego, Warszawa 2009, ISBN 978-83-235-0481-8, S. 622.
  19. Claudia Niebel auf info-netz-musik. 10. Juli 2011, abgerufen am 4. April 2022.