Richard Wetz

Richard Wetz (* 26. Februar 1875 in Gleiwitz (Schlesien), † 16. Januar 1935 in Erfurt) war ein deutscher Komponist, Kapellmeister, Musikpädagoge und Musikschriftsteller. Er gehört mit seinem kompositorischen Werk zu den herausragenden Persönlichkeiten der deutschen Spätromantik. Als Lehrer wirkte er besonders prägend auf die Thüringer Musikgeschichte.

Leben

1875-1906: Jugend und Wanderjahre

Richard Wetz entstammte einer Kaufmannsfamilie aus dem oberschlesischen Gleiwitz. Er erhielt früh Unterricht am Klavier und erprobte sich autodidaktisch im Komponieren kleinerer Klavierstücke und Lieder. Nach eigenen Aussagen fasste Wetz im Alter von 13 Jahren schließlich den Entschluss, sein Leben der Musik zu widmen. Nach bestandenem Abitur ging er 1897 nach Leipzig um am dortigen Konservatorium zu studieren. Nach nur 6 Wochen brach Wetz allerdings sein Studium wieder ab und zog es vor, sich von Richard Hofmann, dem damaligen Leiter der Leipziger Singakademie, für ein halbes Jahr Privatunterricht geben zu lassen. Zur gleichen Zeit nahm er an der Leipziger Universität daneben unter anderem Studien der Philosophie, Psychologie und Literaturwissenschaft auf. Vor allem letzteres erwies sich auch für seine spätere Komponistenlaufbahn als wichtig, nahmen ja Dichter wie Friedrich Hölderlin, Heinrich von Kleist und besonders Johann Wolfgang von Goethe von da an besonderen Einfluss auf Wetz´ Gedankenwelt. Ebenfalls wurde er Anhänger der philosophischen Ideen Arthur Schopenhauers. Im Herbst 1899 verlässt Richard Wetz Leipzig und zieht nach München. Dort beginnt er ein weiteres Mal, Musik zu studieren. Sein Lehrer ist Ludwig Thuille; bei ihm schulte er sich seine kontrapunktischen Fähigkeiten. Bereits 1900 zieht es Wetz allerdings wieder fort: nach Stralsund, wo ihm durch Unterstützung Felix Weingartners eine Anstellung als Theaterkapellmeister verschafft wurde. Nach einigen Monaten befindet er sich in gleicher Funktion in Barmen (heute zu Wuppertal), kurze Zeit später (ohne Anstellung) wieder in Leipzig. Hier bildete er sich in musikhistorischer Hinsicht auf eigene Faust weiter, indem er Partituren klassischer Komponisten genauso eifrig studiert wie diejenigen modernerer Verfasser. Seine wichtigsten Leitsterne für die Zukunft werden ihm Anton Bruckner und Franz Liszt.

1906-1935: Ein Meister in der Provinz

Erfurt um 1900

Im Jahr 1906 wurde Richard Wetz als Leiter des dortigen Musikvereins nach Erfurt berufen. Er fand großen Gefallen an der Stadt und blieb dort bis an sein Lebensende wohnhaft. Von seinen kompositorischen Arbeiten hatte Wetz bisher fast ausschließlich Klavierlieder veröffentlicht, sich aber auch zweimal an der Form der Oper versucht. Zu beiden Werken (Judith und Das ewige Feuer) schrieb der Komponist selbst das Libretto. Der Einakter Das ewige Feuer wurde 1907 in Hamburg und Düsseldorf aufgeführt, beide Male mit wenig Erfolg. Diesen allerdings erlangte Wetz schon ein Jahr später umso größer mit seiner Kleist-Ouvertüre op. 16, welche Arthur Nikisch in Berlin dirigierte. In den folgenden Jahren widmete Wetz sich, neben seiner Tätigkeit im Musikverein und dem Unterricht am Thüringer Landeskonservatorium Erfurt (1911-1921, Komposition und Musikgeschichte), verstärkt dem Dirigat von diversen Chören (neben der Erfurter Singakademie, 1914/15 dem Riedelschen Gesangverein in Leipzig und seit 1918 auch dem Engelbrechtschen Madrigalchor), sowie der Komposition von Chormusik a-capella und mit Orchesterbegleitung. Unter diesen sind besonders der Gesang des Lebens op. 29, Hyperion op. 32 und eine Vertonung des Dritten Psalms (op. 37) zu nennen. Diese stellen allerdings nur die Vorstufe zu seinen späteren Hauptwerken dar: 1917 vollendet Wetz, der im Jahr zuvor Dozent (Professor ab 1920) für Musikgeschichte und Komposition an der Großherzoglichen (seit 1919 Staatlichen) Hochschule für Musik in Weimar geworden war, seine erste Symphonie (c-Moll op. 40). Die Symphonien Nr. 2 A-Dur op. 47 und Nr. 3 B-Dur op. 48 folgen 1919 und 1922. Parallel dazu arbeitet der Komponist an seinen zwei Streichquartetten (f-Moll op. 43 und e-Moll op. 49). Anschließend widmed er sich wieder der Arbeit an Chorwerken: Es entstehen das Requiem h-Moll op. 50 und das Weihnachtsoratorium auf alt-deutsche Gedichte op. 53, seine wohl bedeutendsten Kompositionen. Auch als Musikschriftsteller wird Wetz aktiv und verfasst Monografien über seine verehrten Vorbilder Bruckner (1922) und Liszt (1925) sowie den gleichermaßen hochgeschätzten Ludwig van Beethoven (1927). In der Mitte der 20er Jahre organisiert und leitet er in Erfurt mehrfach Musikfeste, bei denen er auch eigene Kompositionen zur Aufführung bringt. 1928 wird Wetz, gleichzeitig mit Igor Stravinsky, zum Auswärtigen Mitglied der Preußischen Akademie der Künste ernannt. Kurze Zeit später ereilt ihn der Ruf an die Berliner Musikhochschule, den er, mittlerweile zu einem der erfolgreichsten Kompositionslehrer im mitteldeutschen Raum avanciert, jedoch zu Gunsten seiner Ämter in Erfurt und Weimar ausschlägt. Die letzten Jahre seines Lebens widmete sich der Komponist allerdings verstärkt seinem Schaffen. Als letztes größeres Werk vollendet er 1933 sein Violinkonzert h-Moll op. 57. Bereits stark durch eine Erkrankung der Bronchien beeinträchtigt, die er sich durch übermäßiges Rauchen zugezogen hatte, entwarf Wetz mit ungebrochenem Schaffensdrang noch Skizzen zu einem Fragment gebliebenen Oratorium Liebe, Leben, Ewigkeit nach Texten Goethes, mit dem er seinem Lieblingsdichter ein Denkmal setzen wollte. Eine vierte Symphonie, die er ebenfalls noch zu schreiben gedachte, blieb unausgeführt. Richard Wetz starb am 16. Januar 1935 in Erfurt, noch keine 60 Jahre alt. Seinem Testament zufolge sollten die Fragmente des Goethe-Oratoriums von dem Komponisten Werner Trenkner, den Wetz als seinen bedeutendsten Schüler betrachtete, vollendet werden. Allerdings scheiterte dieses Unterfangen an Rechtsstreitigkeiten.

Post mortem

"Meiner Musik geht es merkwürdig: wo sie erklingt, ergreift sie aufs tiefste; aber es wird ihr selten Gelegenheit dazu gegeben" (Richard Wetz, 1932). Nach seinem Tode geriet Wetz schnell in Vergessenheit. Die rasanten Entwicklungen der Musikgeschichte waren über ihn, den traditionsbewussten Spätromantiker, hinweggegangen. Dass der Komponist das Leben im provinziellen Erfurt stets den großen Musikmetropolen vorgezogen hatte, er außerdem nie dazu zu bewegen war, Auftragskompositionen anzufertigen, die eventuell seinen Bekanntheitsgrad hätten vergrößern können, tat ein Übriges dazu, Wetz und sein Schaffen dem Interesse der breiteren Öffentlichkeit zu entrücken. Zwar wurde 1943 in seiner Geburtsstadt Gleiwitz eine Richard-Wetz-Gesellschaft gegründet und einige Konzertführer erwähnten bis in die 90er Jahre hinein (kurz) die unbestreitbar hohe Qualität seiner Kompositionen, doch konnte dies alles nicht verhindern, dass Richard Wetz nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Fußnote der Musikgeschichte herabsank. Erst in jüngster Zeit beginnt man, wieder auf sein Schaffen aufmerksam zu werden. Besonders in seiner Wahlheimat Erfurt wird Wetz wieder zunehmend gewürdigt. So wurde zum Beispiel im September 2003 im Rahmen der Erfurter Kirchenmusiktage das Requiem des Komponisten unter der Leitung von George Alexander Albrecht zum ersten Mal seit 60 Jahren wieder aufgeführt.

Stil

Komponist im Abseits

Betrachtet man das Leben von Richard Wetz, so ist es nicht verwunderlich, dass ihn bereits 1929 "Riemanns Musiklexikon" als „ein[en] nicht leicht einzuordnende[n] Einzelgänger" erwähnt. Er stand relativ wenig in Kontakt mit anderen Komponisten und neuartige Errungenschaften von Altersgenossen, genannt seien Arnold Schönberg, Maurice Ravel oder auch Franz Schreker, ließen ihn völlig kalt. Wetz noch am nächsten in der geistigen Haltung verwandt waren weitere Bewahrer der Traditionen des 19. Jahrhunderts, so Hans Pfitzner oder Franz Schmidt. Auch war er nach eigenen Aussagen beim Komponieren auf eine vertraute Umgebung angewiesen: "Ich kann nur bei mir zuhause komponieren. Weder in einer Sommerfrische noch während längeren Besuchen habe ich je etwas geschaffen"; so der Komponist über sich selbst. Aussagen wie diese erklären zum Beispiel, warum Wetz erst in Erfurt begann, sich verstärkt der Komposition von Symphonien und größeren Chorwerken zu widmen, aber auch, warum er später alle Angebote für lukrativere Arbeitsplätze ausschlug.

Kompositorische Entwicklung

Die an Isolation grenzende Abgeschiedenheit vom Hauptstrom des deutschen Musiklebens der damaligen Zeit erlaubte es Wetz, sich ganz auf die Entwicklung seines eigenen Personalstiles zu konzentrieren:

Wie bereits erwähnt verfasste der Komponist in seiner Frühzeit beinahe nur Lieder; und dieser Gattung ist er auch bis zu seinem Tode treugeblieben, sodass den bei weitem größten Teil seines Schaffens Liedkompositionen darstellen. Somit kann Wetz als einer der wichtigsten Liedmeister seiner Generation gelten. Maßgebend auf diesem Gebiet waren für ihn vor allem die entsprechenden Werke von Franz Schubert, Liszt und Hugo Wolf. Besonders Liszt beeinflusste stark die harmonische Tonsprache des frühen Wetz, wenngleich bereits hier letzterer deutlich eigene Wege einschlägt. Diese erste Schaffensperiode kulminiert in den zwei Opernwerken des Komponisten. Auch auf orchestralem Gebiet hatte er sich mit der Kleist-Ouvertüre, einem vom tragischen Schicksal des von ihm hochverehrten Dichters inspirierten Werk, erfolgreich versucht.

In den am Anfang von Wetz´ Erfurter Jahren komponierten Chorwerken tritt der Einfluss Liszts allmählich zurück. Vor allem Anton Bruckner ist es nun, welcher den Komponisten vorrangig beeinflussen sollte. Wetz versucht jedoch nicht, Bruckners Tonsprache zu kopieren, was sich schon daran zeigt, dass sich kein stilistischer Bruch zwischen diesen Kompositionen und früheren Arbeiten ergibt. Viel mehr lernt Wetz bei Bruckner den Sinn für organisches Wachsen der Musik und klare Formstrukturen, ohne jedoch wirklich seine ins Monumentale strebende Melodik und Harmonik zu übernehmen. Hinsichtlich dessen bleibt Wetz eine eher introvertierte und äußerst feinfühlige Komponistennatur. Auf dieser Basis bauen die drei kurz hintereinander entstandenen Symphonien auf. Man kann sie als erste vollgültige Manifeste für den nun gänzlich errungenen Meisterstil des inzwischen über 40-jährigen Komponisten ansehen. Alle drei gehören sie zu den gelungensten Beispielen der Gattung Symphonie im spätromantischen Stil. Auch für Wetz´ Abgeschiedenheit vom übrigen Musikbetrieb legen sie Zeugnis ab: So endet die erste Symphonie zum Beispiel in der Anfangstonart c-Moll, ohne (wie dies auch Bruckner tat) sich ins helle Dur aufzulösen; ein Einfall wie er für den damaligen Zeitgeist nicht gerade typisch war. Die gleichzeitig entstandenen Streichquartette sind den Symphonien im Gestus verwandt, jedoch, den kammermusikalischen Mitteln entsprechend, mehr nach innen gewandt als diese.

In den späteren Werken verfeinerte Richard Wetz seinen Stil zunehmends. Insgesamt macht sich eine verstärkte Hinwendung zur Polyphonie bemerkbar, am ausgeprägtesten wohl in dem Orgelstück Passacaglia und Fuge op. 55 von 1930. Auch der Einfluss Bruckners wird nun eher rückläufig. Beeindruckende späte Meisterwerke ihrer Genres stellen das Requiem und das Weihnachtsoratorium dar. Das einsätzige Violinkonzert weist die wohl kühnste Formanlage im Gesamtwerk des Komponisten auf und ist darin durchaus dem ebenfalls einsätzigen Violinkonzert Pfitzners vergleichbar, welches überdies in der gleichen Tonart (h-Moll) steht. Krankheit und Tod haben die weitere Entwicklung des Komponisten Richard Wetz vorzeitig abbrechen lassen, nichtsdestotrotz bleibt er "eines der großen und unverkennbaren Talente der deutschen Spätromantik" (Reinhold Siez in "Die Musik in Geschichte und Gegenwart", Ausgabe 1968).

Werke

Opern

  • Das ewige Feuer (Libretto: Richard Wetz)
  • Judith (Libretto: Richard Wetz)

Chorwerke

  • Traumsommernacht op. 14 für Frauenchor und Orchester
(Aufnahme: Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Werner Andreas Albert, 2004, cpo)
  • Gesang des Lebens op. 29 für Knabenchor und Orchester
(Aufnahme: Staatsphilharmonie und Landesjugendchor Rheinland-Pfalz, Werner Andreas Albert, 2001, cpo)
  • Chorlied aus Oedipus auf Colonos op. 31 für gemischten Chor und Orchester (nach Sophokles)
  • Hyperion op. 32 für Bariton, gemischten Chor und Orchester (nach Hölderlin)
(Aufnahme: Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Werner Andreas Albert, 2004, cpo)
  • Der dritte Psalm op. 37 für Bariton, gemischten Chor und Orchester
  • Kreuzfahrerlied op. 46 für gemischten Chor (nach Hartmann von Aue)
  • Requiem h-Moll op. 50 für Sopran, Bariton, gemischten Chor und Orchester
(Aufnahme: Marietta Zumbült, Mario Hoff, Dombergchor Erfurt, Philharmonischer Chor Weimar, Thüringisches Staatsorchester Weimar, George Alexander Albrecht, 2003, cpo)
  • Ein Weihnachts-Oratorium auf alt-deutsche Gedichte op. 53 für Sopran, Bariton, gemischten Chor und Orchester
  • Liebe, Leben, Ewigkeit, Oratorienfragment (nach Goethe)
  • Crucifixus für vier- bis sechsstimmigen Chor

Orchesterwerke

  • Kleist-Ouvertüre op. 16
(Aufnahme: Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Werner Andreas Albert, 1999, cpo)
  • Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 40
(Aufnahme: Philharmonisches Orchester Krakau, Roland Bader, 1994, cpo)
(Aufnahme: Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Werner Andreas Albert, 1999, cpo)
  • Symphonie Nr. 3 B-Dur op. 48
(Aufnahme: Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Werner Andreas Albert, 2001, cpo)
(Aufnahme: Berlin SO, Erich Peter, 1981, Sterling)
  • Violinkonzert h-Moll op. 57
(Aufnahme: Ulf Wallin (Violine), Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Werner Andreas Albert, 2004, cpo)

Kammermusik

  • Sonate für Violine solo op. 33
  • Streichquartett Nr. 1 f-Moll op. 43
  • Streichquartett Nr. 2 e-Moll op. 49

Orgelmusik

  • Passacaglia und Fuge d-Moll op. 55
(Aufnahme: "Wachet auf, ruft uns die Stimme", Silvius von Kessel spielt symphonische Orgelmusik, 2000, Motette) [neben Werken von Duruflé, Liszt und Reger]
(Aufnahme: "Orgelland Niederlausitz Vol.1", Lothar Knappe, 2003, H'ART)

Klaviermusik

  • Romantische Variationen über ein Originalthema op. 42

Lieder

  • Wiegenlied op. 5 Nr. 3
  • Die Muschel op. 9 Nr. 2
  • Fünf Lieder für eine hohe Singstimme mit Pianofortebegleitung op. 10
  • Fünf Gesänge für mittlere Stimme mit Pianofortebegleitung op. 20
  • weitere über 100 Klavierlieder

Schriften

  • Anton Bruckner. Sein Leben und Schaffen, 1922
  • Franz Liszt, 1925
  • Beethoven. Die geistigen Grundlagen seines Schaffens, 1927

Literatur

  • G. Armin: Die Lieder von Richard Wetz. Leipzig 1911
  • E. L. Schellenberg: Richard Wetz. Leipzig 1911
  • H. Polack:, Richard Wetz. Leipzig 1935
  • E. Peter und A. Perlick: Richard Wetz als Mensch und Künstler seiner Zeit. (= Veröffentlichung der Forschungsstelle Ostmitteleuropa; A 28)

Weblinks

[1] - kurze Vorstellung des Komponisten mit Bildern und Werkverzeichnis

[2] - englischsprachiger Artikel von Eric Schissel in "Musicweb UK"

[3] - kurze Vorstellung von Richard Wetz auf der Webseite seiner Wahlheimatstadt Erfurt