Dachbodenorgel

Dachbodenorgel in Kronburg mit Blindprospekt und Schallöffnungen

Der Begriff Dachbodenorgel (gelegentlich auch Tonhallenorgel) bezeichnet eine besondere Aufstellungsform von Pfeifenorgeln in einer eigens dafür errichteten Kammer über dem Raum, welchen sie beschallen sollen.

Aufstellungsprinzip und Abgrenzung

Schematische Skizze einer typischen Kirche mit Dachbodenorgel (unten vergrößerte Darstellung)
Außenansicht der Orgelkammer in Kastel (Saarland). Im hinteren Bereich erkennt man die zur besseren Schallreflexion abgeschrägte Decke. Die Orgelkammer ist heute leer

Dachbodenorgeln sind nahezu ausschließlich in der Phase der Spätromantik im Orgelbau zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet worden. Der Unterschied zu gewöhnlichen Fernwerken, welche ebenfalls in dieser Zeit sehr beliebt waren, besteht darin, dass sich Dachbodenorgeln gänzlich oberhalb der Kirchendecke befinden, während bei Fernwerken nur ein Teilwerk der Orgel über der Decke Aufstellung findet, um einen Echo-Effekt zu erzielen. Der Schallaustritt erfolgt über einen Durchbruch in der Kirchendecke, oft mit einem Gitter kunstvoll verziert. In den Schallaustritt sind in der Regel auch Schwelljalousien eingebaut, wodurch die gesamte Orgel schwellbar ist. Aufgrund der zusätzlich schallisolierenden Kirchendecke ist die Schwellwirkung tendenziell intensiver als bei herkömmlichen Schwellwerken, weshalb die dynamische Bandbreite bei Dachbodenorgeln größer ist als bei vergleichbaren Instrumenten, die sich im selben Raum befinden. Dieser Effekt kann noch verstärkt werden, wenn innerhalb der Orgelkammer ein Manual als weiteres Schwellwerk ausgebaut ist. Durch diese gestaffelte Schwellwirkung lässt sich die Lautstärke selbst bei vollem Werk auf ein Minimum reduzieren und stufenlos regeln.

Der ausschlaggebende Vorteil einer Dachbodenorgel bestand darin, dass selbst bei beengten Emporenverhältnissen verhältnismäßig große romantische Orgeln mit zahlreichen Registern in der 8’-Lage realisiert werden konnten. Dachbodenorgeln finden sich nahezu ausnahmslos in kleinen bis mittelgroßen katholischen Dorf- oder Klosterkirchen im süd- und westdeutschen Raum, welche nicht selten mit einer Doppelempore ausgestattet sind. Mit der konventionellen Aufstellung einer Orgel auf der Empore oder in der Brüstung wären dort jeweils nur kleinere Instrumente möglich gewesen.

Darüber hinaus ist eine gewisse Häufung von Dachbodenorgeln in der östlichen Bodenseeregion entlang der heutigen Landesgrenzen von Baden-Württemberg und Bayern festzustellen. Hier war die Firma Gebr. Späth aus Ennetach der häufigste Hersteller von Dachbodenorgeln.[1]

Des Weiteren entsprach die große Bandbreite der Dynamik und der Einsatz eines Generalschwellers der in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschenden Vorstellung einer spätromantischen Orgel.

Ein Nachteil dieser Aufstellungsform ist, dass diese optisch kaum mehr als Orgeln zu erkennen sind. Bis auf den Spieltisch und die Schallöffnungen in der Decke weist nichts auf die Existenz einer Pfeifenorgel hin. In manchen Fällen findet man auch einen Blindprospekt aus stummen Orgelpfeifen auf der Empore, wie beispielsweise in Kronburg, wo das Gehäuse der Vorgängerorgel erhalten blieb.

Nachwirkung

Aufgrund der fortschreitenden Orgelbewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprachen viele Dachbodenorgeln nicht mehr den neuen Klangvorstellungen und wurden oft vernachlässigt und ersetzt. In einigen Fällen wurden die Dachbodenorgeln später auf die Emporen versetzt, so geschehen in Kastel oder Wachstedt. In anderen Fällen, wie etwa in Bösenreutin und Kronburg, wurde nur der Spieltisch entsorgt und eine kleine Pfeifen- bzw. Digitalorgel als Ersatz auf der Empore beschafft. Da das Pfeifenwerk in der Orgelkammer in diesen Fällen nicht angetastet wurde, war es z. B. in Bösenreutin im Jahr 2013 möglich, die Dachbodenorgel zu restaurieren und wieder in Betrieb zu nehmen.[2][3] Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass die folgende Liste unvollständig ist und möglicherweise weitere in Vergessenheit geratene Dachbodenorgeln in Deutschland existieren. Des Weiteren ist es möglich, dass einige der hier unter nicht erhalten aufgelisteten Orgeln doch noch im stillgelegten Zustand existieren.

Erhaltene Dachbodenorgeln in Deutschland

OrtGebäudeBildOrgelbauerBaujahrManualeRegisterBemerkungen
Alme (Brilon)St. LudgerusAnton Feith1938II/P171963 durch Wilhelm Friedrich Stegerhoff im Zuge der Kirchenerweiterung tiefgreifend umgebaut und um ein Register erweitert. Da der Anbau der Kirche höher ist als das alte Kirchenschiff und die Orgel nun mit einem Prospekt direkt in diesen hineinspricht, handelt es sich im strengen Sinne nicht mehr um eine typische Dachbodenorgel.
BösenreutinSt. NikolausBehler & Waldenmaier1913II/P16 (17)1989 stillgelegt, 2013 restauriert durch Freiburger Orgelbau Späth.[3]
DipbachSt. ÄgidiusWillibald Siemann1926II/P161963 durch Gustav Weiß im Zuge der Kirchenerweiterung tiefgreifend umgebaut. Da der Anbau der Kirche höher ist als das alte Kirchenschiff und die Orgel (Siemann, Opus 428) nun durch eine Wandöffnung direkt in diesen hineinspricht, handelt es sich im strengen Sinne nicht mehr um eine typische Dachbodenorgel.[4]
DonaustettenSt. LaurentiusAlbert Reiser1926II/P9 (10)spielbar erhalten[5]
ErshausenSt. JohannesstiftAnton Feith1931II/P10 (11)Im guten Zustand original erhalten.[6]
Hamm-HerringenHeilig KreuzAnton Feith1928II/P14 (16)1956 durch Stockmann umgebaut und auf III/26 erweitert: I. Manual- und Pedalwerk auf die Empore hinter neuen Prospekt umgesetzt, das II. Manual verblieb als Fernwerk auf dem Dachboden.[7]
HasbergSt. Ottilia
H. Koulen & Sohn1904II/P16 (17)spielbar erhalten[4]
Giebichenstein (Halle/Saale)St. NorbertAnton Feith1927II/P22unspielbar erhalten; stillgelegt, 1989 Orgelneubau durch Sauer auf der Empore
Heiligenbronn (Schramberg)Klosterkirche St. GallusGebr. Späth Orgelbau1928II/P24 (25)2010 restauriert durch Orgelbau Link.[8] Manualwerke getrennt schwellbar. Größte erhaltene Dachbodenorgel in Deutschland.[9]
Hiltensweiler (Tettnang)St. DionysiusGebr. Späth Orgelbau1931II/P20 (21)[9]
KronburgHeiligste DreifaltigkeitGebr. Späth Orgelbau1925II/P10Zurzeit stillgelegt, Restaurierung geplant.[10] Prospekt und Teile der Vorgängerorgel befinden sich auf der Empore.[9][4]
Unterbrunn (Gauting)St. LaurentiusWillibald Siemann1913II/P21 (23)[4][11]
WackersbergSt. NikolausWillibald Siemann1920II/P15 (16)[4][12]
WachstedtSt. MichaelAnton Feith1923II/P172006 Umsetzung der Orgel auf die Empore in ein neues neugotisches Gehäuse durch Orgelbau Brode. Sonst original erhalten. Auch die Kammer auf dem Dachboden sowie die originalen Schwelljalousien sind erhalten, wenn auch heute ohne Funktion.[13]
WiesenbadFriedenskapelleGebr. Jehmlich1916II/P15Stillgelegt.[14]

Ehemalige Dachbodenorgeln in Deutschland

OrtGebäudeBildOrgelbauerBaujahrManualeRegisterBemerkungen
Allmendingen (Württemberg)Mariä HimmelfahrtGebr. Späth Orgelbau1914II/P161963 ersetzt durch einen Neubau der Firma Späth.[9]
Aspertsham (Schönberg)St. Johannes der TäuferGeorg Glatzl1933II/P? (19)Multiplexsystem/Transmissionsorgel aus etwa sechs oder sieben Grundreihen. 2006 vollständig entsorgt und ersetzt durch ein gebrauchtes Kubak-Positiv.[4][15][16]
BierlingenSt. MartinusGebr. Späth Orgelbau1910II/P11[9]
Burghausen (Wasserlosen)Mariä Geburt und St. ValentinGebr. Späth Orgelbau1913II/P10[9]
DeuchelriedSt. PetrusGebr. Späth Orgelbau1936II/P15[9]
Dortmund-BrackelSt. ClemensPaul Faust1929II/P161983 durch Neubau von Siegfried Sauer unter teilweiser Verwendung des Pfeifenwerks ersetzt
Dortmund-SyburgSt. PeterPaul Faust1930II/P161945 im Krieg zerstört; elektrische Trakturen, 18 Koppeln und Spielhilfen; Abnahme durch Gerard Bunk
EickelbornSt. Antonius Einsiedler????
Eutingen im GäuSt. StephanusGebr. Späth Orgelbau1928II/P241967 ersetzt durch Neubau von Späth, op. 839 (II/24)[9]
Frenz (Inden)St. NikolausAnton Feith1924II/P191946 auf die Empore umgesetzt, 1999 ersetzt durch neubau Tzschöckel.
Frickenhausen (Mellrichstadt)St. GeorgWillibald Siemann1920II/P16Neubau: Hoffmann 1986[4]
FuldaMutterhaus der Barmherzigen SchwesternGebr. Späth Orgelbau1937II/P10[9]
GrünmettstettenSt. KonradGebr. Späth Orgelbau1935II/P17[9]
HasenweilerMariä GeburtGebr. Späth Orgelbau1913II/P151996 ersetzt durch eine neue Orgel von Hermann Weber im alten Gabler-Gehäuse (1748).[9]
Illerbeuren (Kronburg)Mariä HimmelfahrtGebr. Späth Orgelbau1925II/P15fast gleichzeitig mit Kronburg erbaut[9], ersetzt durch Neubau von Johannes Rohlf
Kastel (Nonnweiler)St. WilfridusGebr. Späth Orgelbau1926II/P161970 durch Mayer auf die Empore versetzt; 1996 ersetzt durch eine neue Orgel der Firma Hugo Mayer Orgelbau.[9][17] Das nebenstehende Bild ist eine Fotomontage des ursprünglichen Zustandes.
KirchbierlingenSt. MartinusGebr. Späth Orgelbau1914II/P16[9]
Mühlhausen (Schwenningen)St. GeorgGebr. Späth Orgelbau1900II/P8ursprünglich auf der Empore errichtet, erst 1925 durch Späth auf den Dachboden versetzt.[18] 2006 Aufstellung einer gebrauchten Orgel mit 9 Registern durch Klaus Grüble (Kerpen).[19]
MulfingenSt. KilianGebr. Späth Orgelbau1914II/P17[9]
Nagelsberg (Künzelsau)St. JakobusAlbert Reiser1927II/P9ersetzt durch Positiv von Reiser aus den 1970er Jahren[20]
Neukirch (Bodenseekreis)Maria RosenkranzköniginGebr. Späth Orgelbau1914II/P11[9]
SchnetzenhausenSt. Peter und PaulGebr. Späth Orgelbau1930II/P10[9]
SeuversholzSt. NikolausJ.F. Bittner1903II/P?[4]
Siggen (Argenbühl)St. SebastianGebr. Späth Orgelbau1923II/P10[9]
TafertsweilerSt. UrbanGebr. Späth Orgelbau1912II/P12[9]
UnterankenreuteMariä HimmelfahrtGebr. Späth Orgelbau1933II/P16[9]
Welschen EnnestSt. Johannes BaptistAnton Feith1927II/P?1958 umbgebaut und an der Querschiffwand im Kirchenraum aufgehängt. 2002 ersetzt durch Neubau Mebold.
WohmbrechtsSt. GeorgH. Koulen & Sohn1904II/P14[4]
ZwickauKatharinenkircheGebr. Jehmlich1929III/P56Die Orgel befand sich nur teilweise auf dem Dachboden! Hauptwerk und Pedal waren in einem konventionellen Gehäuse auf der Empore aufgestellt, die beiden Schwellwerke befanden sich über dem Gewölbe. Das Instrument wurde in den 1960er Jahren aufgegeben, die Schallöffnungen sind jedoch noch heute zu sehen.
Commons: Dachbodenorgeln – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Kategorie Dachbodenorgel auf Organindex.de
  2. Behler-&-Waldenmaier-Orgel in Bösenreutin.
  3. a b Beschreibung der Restaurierung in Bösenreutin auf der Website von Freiburger Orgelbau Späth.
  4. a b c d e f g h i Michael Bernhard, Orgeldatenbank Bayern (2009)
  5. Die Reiser-Dachbodenorgel in Donaustetten auf Ulmer-Orgeln.de
  6. Beschreibung der Dachbodenorgel in Ershausen.
  7. Beschreibung der (Teil-)Dachbodenorgel in Hamm-Herringen.
  8. Bericht über die Restaurierung der Dachbodenorgel Heiligenbronn im Schwarzwälder Bote (19. Oktober 2010)
  9. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t Vergleiche Opusliste Späth
  10. „Dachbodenorgel“ soll wieder erklingen. In: Allgäuer Zeitung. Abgerufen am 5. Dezember 2023.
  11. Die Dachbodenorgel Unterbrunn auf Organindex.de
  12. Die Dachbodenorgel Wackersberg auf Organindex.de
  13. Feith-Orgel in Wachstedt auf der Website von Orgelbau Brode
  14. Beschreibung der Friedenskapelle Wiesenbad mit Erwähnung der Dachbodenorgel.
  15. Bericht über die neue Kubak-Orgel in Aspertsham
  16. Schönberg (Oberbayern)/Aspertsham, St. Johannes der Täufer – Organ index, die freie Orgeldatenbank. Abgerufen am 19. Mai 2023.
  17. Die ehemalige Dachbodenorgel von Kastel auf Organindex.de
  18. Vergleiche Opusliste Späth; dort fehlerhaft dem Ort Mühlhausen (Lkr. Biberach) zugeordnet
  19. Kirchengemeinde St. Georg mit St. Anna. Abgerufen am 19. Mai 2023.
  20. Orgeln – Seelsorgeeinheit Künzelsau. Abgerufen am 19. Mai 2023 (deutsch).