Lesbische und schwule Chöre

Lesbische und schwule Chöre sind Gesangschöre, deren Mitglieder durch ihre homosexuelle Orientierung zusammengefunden haben. Seit Ende der 1970er Jahre hat sich international und in Deutschland eine Vielzahl lesbischer und schwuler Chöre formiert und im Laufe der Zeit ein eigenes Genre der Chormusik entwickelt.

Es hat sich eine große Bandbreite von Organisationen herausgebildet, was Größe, Zusammensetzung und musikalische Ausrichtung der Gruppen betrifft. Es gibt Quartetts oder Doppel-Quartetts, bis hin zu Chören mit 40 bis 50 Mitgliedern. Es bestehen rein lesbische, schwule oder gemischte (schwul / lesbisch bzw. homosexuell / heterosexuell) Gruppen. Im Allgemeinen sind die Mitglieder homosexuell. Dabei sind heterosexuelle Mitglieder durchaus nicht ausgeschlossen, wohl aber selten anzutreffen. Auch die musikalische Leitung der Gruppen hat häufig eine lesbische Frau oder ein schwuler Mann inne.

Geschichte

Im Jahr 1971 gründete die Komponistin Roberta Kossa in New York den Chor Women Like Me, der vor allem Werke von Kossa aufführte und bis 1980 bestand.[1] Im Jahre 1975 formierte Catherine Roma (geboren 1948) mit mehreren lesbischen Aktivistinnen in Philadelphia den feministisch orientierten Anna Crusis Women's Choir.[2] In Los Angeles gründete Sue Fink Anfang 1976 den Los Angeles Community Women's Chorus.[1] Der erste offen schwule Chor war der Gotham Male Chorus, der sich 1977 in New York bildete. Der Chor nimmt seit 1979 auch Frauen auf und heißt seither Stonewall Chorale. Er war damit auch der erste gemischt schwul-lesbische Chor der USA.[3]

Historisch betrachtet hatte der San Francisco Gay Men's Chorus (SFGMC) besonderen Einfluss. Er traf sich am 30. Oktober 1978 zu seiner ersten Probe. Das erste Konzert fand am 27. November dieses Jahres statt, im Rahmen einer Trauerfeier für den Politiker Harvey Milk, der an diesem Tag ermordet worden war.[4] 1981 bereiste der SFGMC große Teile der USA, und in vielen Städten bildeten sich im Nachklang dieser Reise neue schwule Chöre.[1] 2019 wurde über die Geschichte des SFGMC der Dokumentarfilm Gay Chorus Deep South veröffentlicht. Ein internationaler Dachverband ist die 1982 ebenfalls in den USA ins Leben gerufene Gay and Lesbian Association of Choruses (Gala Choruses).

In den 1980er Jahren gründeten sich auch in Europa die ersten Gruppen. Bereits 1980 bildete sich in Hamburg unter Leitung von Corny Littmann und des damaligen Kirchenorganisten Gunter Schmidt der Hamburger Tuntenchor.[5] LEGATO, der Dachverband der lesbischen und schwulen Chöre und Gesangsensembles Europas wurde 1997 gegründet.[6]

Schwuler Chor RosaCavaliere aus Berlin, bei einem Auftritt 2005 in Leeuwarden, Niederlande

Zu den frühen schwulen Chören in Europa zählte auch Noot aan de Man aus Amsterdam, der sich 1982 gründete. Der Chor besteht nicht mehr.[7] Im gleichen Jahr wurde in Köln der Chor Triviatas gegründet.[8] Darauf folgten viele weitere lesbische und schwule Chöre.

Die Chöre sind wichtige Integrationsorte innerhalb der lesbisch-schwulen Community. Sie bieten einen Raum, in dem die Mitglieder sowohl ihre musikalischen Interessen verfolgen können, als auch vor Ressentiments und Vorurteilen gegenüber Homosexuellen geschützt sind und sich frei und unverstellt bewegen können. Dies spielte vor allem zu Beginn der homosexuellen Chorbewegung eine wichtige Rolle, mit der zunehmenden gesellschaftlichen Emanzipation tritt der musikalische Aspekt zunehmend in den Vordergrund.

Unterschiede zu vorwiegend heterosexuellen Chören

Lesbische und schwule Chöre unterscheiden sich teilweise durch das Repertoire, insbesondere aber durch die Art der Präsentation von den traditionellen Formen des Chorgesanges. Lieder werden oft zu thematischen Programmen oder Musicals zusammengestellt und mit mehr oder weniger aufwendigen Choreographien auf der Bühne präsentiert. Hier besteht eine enge Verwandtschaft zur musikalischen Revue der 1920er/1930er Jahre. Kostüme werden oft aufwendig selbst hergestellt; Liedvorträge können mit Conferencen oder kurzen Theaterszenen abwechseln.

Musikrichtungen

Die überwiegende Mehrzahl der Gruppen singt A cappella oder mit Klavierbegleitung. Auch Rhythmusinstrumente werden gerne eingesetzt. Darüber hinaus ist eine Begleitung durch Band oder Orchester nur selten gegeben. Hinsichtlich der musikalischen Stilrichtungen wird die gesamte Bandbreite der zeitgenössischen und im weitesten Sinne klassischen Musik abgedeckt.

Chorwerke der Renaissance und des Barock gehören dazu, ebenso wie romantische Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Franz Schubert und Robert Schumann. Zum Repertoire gehören deutsche Schlager der 1920er/1930er Jahre und der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Häufig werden auch aktuelle Rock- und Popsongs gecovert.

Oft werden Lieder umgetextet, um politische, humoristische oder auch erotische Anspielungen und Aussagen einzubauen.

Chorfestivals

Es gibt mehrere nationale, europäische wie auch internationale schwul-lesbische Chorfestivals. In Deutschland gibt es zwei Festivals, für Süddeutschland das süddeutsche schwul-lesbisch-queere Chorfestival sowie Nordakkord[9] für die nördliche Hälfte Deutschlands. Das europäische Festival nennt sich Various Voices[10][11], begann 1985 unter dem Namen Homo cantat und wird veranstaltet von den Legato-Chören.[12]

Die Festivals werden von verschiedenen Chören aus der schwulen lesbischen Chor-Szene veranstaltet. Sie finden in der Regel alle zwei Jahre und teilweise unter wechselnden Namen statt. Das Festival-Programm umfasst typischerweise Begrüßungsveranstaltungen, gemeinsames Straßensingen, verschiedenste Workshops (z. B. Stimmbildung, Bühnenpräsenz oder Stadtführungen) sowie mehrere öffentliche Konzerte der teilnehmenden Chöre.

Süddeutsches Schwul-Lesbisch-Queeres Chorfestival

Name Austragungsort Austragungsjahr
ChoriRosa[13] Freiburg im Breisgau 1996
Kreisch[14] Karlsruhe 1998
Südluscht[15] Stuttgart 2000
Schreiline[16] Frankfurt am Main 2002
Kreisch[17] Karlsruhe 2004
Monaccord[18] München 2006
Südluscht[19] Stuttgart 2008
Schreiline[20][21] Frankfurt 2010
SaarQueerele[22] Saarbrücken 2012
Sirena[23][24] Nürnberg 2013
Queertakte[25][26] Mainz 2015
Südakkord[27] Bern 2017
Kreisch[28] Karlsruhe 2019
Monaccord[29] München 2022
Schreiline[30] Frankfurt am Main 2025

Nordakkord

Austragungsort Austragungsjahr
Münster 2011
Hamburg 2013
Leipzig 2015
Köln 2017
Berlin 2019
Bremen 2022
Hamburg 2024

Various Voices

Austragungsjahr Austragungsort Anmerkung
25.05. – 26.05.1985 Köln (Deutschland) 4 Chöre aus 4 Ländern
1986 Amsterdam (Niederlande) 4 Chöre aus 4 Ländern
1987 Stockholm (Schweden) 4 Chöre aus 4 Ländern
21.05. – 22.05.1988 Berlin (Deutschland) 14 Chöre aus 5 Ländern, zum ersten Mal auch mit Lesbenchören
11.05. – 14.05.1989 London (UK) 14 Chöre aus 5 Ländern
15.05. – 18.05.1991 Hamburg (Deutschland) 14 Chöre aus 5 Ländern
20.05. – 23.05.1993 Zürich (Schweiz) 14 Chöre aus 5 Ländern
25.05. – 27.05.1995 Groningen (Niederlande) 36 Chöre aus 8 Ländern mit 800 Sängern, zum ersten Mal unter dem Namen Various Voices
16.05. – 18.05.1997 München (Deutschland) 54 Chöre aus 9 Ländern mit 1300 Sängern
20.05. – 26.05.2001 Berlin (Deutschland) 70 Chöre aus 10 Ländern mit 1500 Sängern
03.05. – 08.05.2005 Paris (Frankreich) 56 Chöre aus 10 Ländern mit 1350 Sängern
01.05. – 04.05.2009 London (UK) 59 Chöre aus 14 Ländern mit 1700 Sängern
13.06. – 16.06.2014 Dublin (Irland) 76 Chöre aus 16 Ländern mit 2500 Sängern[31]
09.05. – 13.05.2018 München (Deutschland) 100 Chöre aus 19 Ländern mit 2700 Sängern
14.06. – 18.06.2023 Bologna (Italien) 105 Chöre aus 20 Ländern mit 3300 Sänger*innen
24.06. – 28.06.2026 Brüssel (Belgien)

Siehe auch

Literatur

  • Catherine Roma: Women's Choruses. In: George Haggerty, Bonnie Zimmerman (Hrsg.): Encyclopedia of lesbian and gay histories and cultures. Band 1, Taylor & Francis, 2000, S. 166–167.
  • Legato e. V. – Lesbians and Gays Singing Together, Dachverband der lesbischen und schwule Chöre Europas

Einzelnachweise

  1. a b c Paul Attinello: Choruses and Bands. 2002, Version: 15. Juli 2004, In: Claude J. Summers (Hrsg.): glbtq: An Encyclopedia of Gay, Lesbian, Bisexual, Transgender, and Queer Culture.
  2. Catherine Roma interviewed by Joyce Follet (Memento des Originals vom 13. August 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.smith.edu, 19. und 20. Juni 2005, Sophia Smith Collection, Smith College, Northampton, Massachusetts (108 Seiten pdf, englisch; 466 kB)
  3. Homepage Stonewall Chorale
  4. Vita des Chores
  5. Liebe Schrillgänse. In: Der Spiegel. Nr. 29, 1981, S. 150–152 (online13. Juli 1981).
  6. Satzung des Vereines LEGATO
  7. Protokoll der Legato-Mitgliederversammlung vom 10. Januar 2004 in Bern, Jahr der Auflösung unbekannt, ca. 2003.
  8. Die Bundesrepublik 1970–1990 (Memento des Originals vom 23. Juni 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.csgkoeln.de, Chronik zur Geschichte der (männlichen) Homosexualität in Köln, CSG e.V. Köln
  9. Nordakkord Webseite
  10. Various Voices (Memento des Originals vom 10. Juni 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.legato-choirs.com
  11. Various Voices auf LEGATO Webseite (Memento des Originals vom 10. Juni 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.legato-choirs.com
  12. Legato Webseite
  13. rosanote.de
  14. schrillmaenner.de (Memento des Originals vom 10. Januar 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.schrillmaenner.de
  15. Tunten aus Amsterdam. In: Stuttgarter Zeitung. 5, Juni 2000.
  16. LSVD Pressespiegel@1@2Vorlage:Toter Link/www.lsvd.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2019. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  17. Badische Neueste Nachrichten, 14. Juni 2004, Schwul-lesbisches Chöretreffen im Karlsruher Tollhaus (Memento des Originals vom 24. September 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.schrillmaenner.de
  18. Monaccord Webseite (Memento des Originals vom 18. Februar 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.monaccord.de
  19. Südluscht Webseite
  20. LSVD Webseite (Memento vom 8. Juni 2015 im Webarchiv archive.today)
  21. inqueery.de
  22. SaarQueerele Webseite
  23. Sirena Webseite
  24. 10. Süddeutsches lesbisch-schwules Chörefestival
  25. Queertakte Webseite
  26. Queertakte in Mainz: Schwul-lesbische Chöre bringen Festival vom Schloss in die Innenstadt (Memento vom 10. September 2017 im Internet Archive) In: Allgemeine Zeitung. 6. Juni 2015.
  27. Bern 2017 suedakkord.org.
  28. Kreisch Festivalseite. 23. Juni 2019, abgerufen am 23. Juni 2019.
  29. Monaccord 2022 Webseite
  30. Liederliche Lesben
  31. Filmdokumentation (Memento des Originals vom 9. April 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/vimeo.com Dublin 2014 (Passwort: gloria2015)