Benutzer:Gustav von Aschenbach/Die Philosophie des Grauens

Lovecraft beschrieb den pseudomythologischen Hintergrund seiner Geschichten: Sie alle hätten das legendäre oder sagenhafte Fundament, die Erde sei "einst von einer anderen Rasse bewohnt..., die bei der Ausübung schwarzer Magie stürzte und vertrieben wurde, aber draußen weiterlebt, jederzeit bereit, diese Erde wieder in Besitz zu nehmen."[1]

Elemente, die mit gewisser Penetranz auftreten, sind das Necronomicon und sein Verfasser, der wahnsinnige Araber Abdul Alhazred, die "Unaussprechlichen Kulte" des Deutschen von Junzt, Ludwig Prinns "De Vermis Mysteriis", die vielen Namen der Monstren (Die Ziege mit den tausend Jungen, Cthulhu...).

Viele von Lovecraft beeinflusste Autoren übernahmen Teile dieses Cthulhu-Mythos und verarbeiteten sie in eigenen Werken. Dies führte bei Clark Ashton Smith zu einigen durchaus originellen Ergebnissen, während August Derleth, Gründer des Verlages Arkham House in seinen eher epigonalen Texten letztlich nicht überzeugen konnte.

Das Schicksal der Helden

An den Grenzbereichen der Dimensionen kann das Grauen bisweilen eindringen und die Helden schockieren, wahnsinnig werden lassen oder gar töten. Die verschrobenen, oberflächlich gezeichneten Wissenschaftler und Privatgelehrten nähern sich ihm schrittweise mit einer Mischung aus Angst und vielleicht erotisch grundierter Faszination.

Die Angst vor dem Unbekannten

In seinem Essay Supernatural Horror in Literature differenziert er in der Vorbemerkung zwischen unterschiedlichen Formen des Unheimlichen. Ausgehend von seiner Grundannahme, die stärkste und älteste Form menschlicher Angst sei die vor den Unbekannten,[2]arbeitet er die Elemente des "kosmischen Grauens" heraus, mit der er andere, konventionelle Gespenstergeschichten abgrenzt. "Die wahre unheimliche Geschichte enthält mehr als nur heimlichen Mord...Eine gewisse Atmosphäre atemloser und unerklärlicher Furcht vor äußeren, unbekannten Kräften muß präsent sein...eime unheilvollle und spezielle Aufhebung oder Unterwerfung jener festen Naturgesetze, welche unsere einzige Sicherheit vor den Angriffen des Chaos und der Dämonen des unerforschten Weltalls sind."[3] Die Angst vor dem Unbekannten anderer Dimensionen, das Grauen vor den kosmischen Finsternissen betrifft nicht nur Kinder, die sich immer vor der Dunkelheit fürchten, sondern jeden, der bereit ist, sich für die "vererbten Impulse" zu öffnen. Er wird erzittern, sobald er an die verborgenen Welten denkt, die "in den Abgründen zwischen den Sternen pulsieren."[4]

Mittel und Weltbild

In seinen besten Erzählungen gelang es Lovecraft, den Leser in eine bedrohliche Sphäre zu versetzen. Die Spannung entsteht, indem der neugierige Erzähler und der sich mit ihm identifizierende Leser schrittweise immer tiefer in die Welt des Bösen gezogen wird, eben des Bösen, dem er sich schließlich gleichsam lustvoll hingibt. In der „Vereinigung“ mit dem Grauenvollen, das anfangs noch als widerlich geschildert wird, ist nach Ansicht Rein A. Zondergelds die erotische Komponente Lovecrafts spürbar, der ein gehemmter Eremit gewesen sei.[5] In diesen Texte vermochte er die Schrecken und Monstren mit gleichsam wissenschaftlicher Präzision zu schildern. Folgerichtig vertrat er ein mechanistisches und deterministisches Weltbild.

Zwei wesentliche Elemente lassen sich herausarbeiten: Er begriff das Universum als ein von ewigen Gesetzen regiertes System, in dem alles kausal verbunden ist, so dass es weder Zufall noch einen freien Willen geben kann.

Alles Dasein ist für ihn materieller Natur. Nichtstoffliche Entitäten, Seele, Geist sind unmöglich. Die mit den Namen Albert Einstein verbundene Anschauung, Materie als From der Energie zu begreifen, widersprach dem nicht, sondern war für ihn "die Trumpfkarte des Materialismus, zeige sich doch, dass Materie...in Wirklichkeit genau das ist, wofür man den Geist hmmer hielt." Dies führte ihn auch zur Aufgabe jeglicher Religion, die für ihn mit wissenschaftlichen Grundsätzen nicht mehr erklärtbar erschien. [6]

Stil- und Niveaufragen

Wenn es um die literarische Qualität seiner Texte geht, werden Fragen der Vielschichtigkeit, des Subtextes, der Charakterzeichnung, der Tiefe und vor allem des Stils aufgeworfen. Kritiker bemängeln seine Neigung, viele und extreme Adjektive zu verwenden.

Für Rein A. Zondergeld etwa schwelgt der von einer Adjektiv-Sucht gekennzeichnete Stil in „obsoleten Ausdrücken und Archaismen“ und kann nur selten überzeugen. Häufig lasse diese Sprache das Grauen ins Lächerliche umschlagen.[7]

Jörg Drews hingegen hält trotz der bisweilen fragwürdigen Konstruktion vieler Geschichten den Stil für sehr unterhaltsam: Wenn in der Kurzgeschichte Pickmans Modell „hündische Wesen...mit der Beschaffenheit von zähem Schleim und grauem, warm zerfließenden Gummi“[8] in die irdische Realität eindringen, bleibe „kein Auge trocken.“[9] An Figuren und Bildern wie „namenlos seelenzermürbender Leichengestank“, „nebelzerkauten Friedhöfen“ mit „verfluchte(n) unheilige(n) Gesichter(n),“ die „mit der Schmierigkeit des tiefsten Höllensumpfes“ blicken würden, habe man seine Freude.[10]

Fritz Leiber wiederum spricht von „wissenschaftlich-realistischen“ Elementen und späteren Veränderungen seines Stils. In seinem Frühwerk habe Lovecraft sich einer wohltönenden lyrischen Prosa bedient und Adjektive „nahezu byzantinisch“ verwendet. Obwohl er im Laufe der Zeit zu einer neutraleren Darstellungweise überging, vermochte er die Neigung, das Geschehen auf diese Weise plastisch auszumalen, nie völlig überwinden.[11]

In diesem Zusammenhang unterscheidet Leiber drei Techniken ("Kunstgriffe") Lovecrafts: Die Bestätigung, ein Begriff, den er Henry Kuttner verdanke, die (Schluss-)Klimax und die damit verbundene orchestrierte Prosa.

Weil der Leser den verborgenen Grund der bedrohlichen Mysterien ahnt, die sich später offenbaren, kommt es nicht zu einer Überraschung, sondern der lange erwarteten und endgültigen Überzeugung. In Erzählungen wie Die lauernde Furcht oder der berühmten Kurzgeschichte Der Außenseiter verwendet Lovecraft zwar das Modell der überraschenden Enthüllung, ging später aber zunehmend dazu über, den eindringlicheren Typus der Bestätigung zu verwenden.[12]

Damit ist die Schlussklimax verbunden, indem der erwartete Höhepunkt mit dem letzten Satz zusammenfällt. So verdichtet sich das Grauen am Ende in Sätzen wie „Aber bei Gott, Eliot, es war eine Blitzlichtaufnahme nach dem Leben...“ in Pickmans Modell oder „Es war sein Zwillingsbruder - aber dem Vater ähnlicher als er“ aus dem Grauen von Dunwich.[13]

Mit seiner orchestrierten Prosa schließlich verstärt Lovecraft den Schlusseffekt, indem er Sätze und manchmal ganze Absätze wiederholt und ihnen „kräftige“ Adverbien, Adjektive und Redewendungen hinzufügt, vergleichbar mit dem dichter und lauter werdenden Orchestereinsatz in einer Sinfonie.[14]

Einzelnachweise

  1. Zit. nach Jörg Drews, Howard Phillips Lovecraft, The rats in the walls, in: Kindlers Neues Literatur-Lexikon, Bd. 10, München, 1990, S. 623
  2. H.P. Lovecraft, Die Literatur des Grauens, Edition Phantasia, Linkenheim 1985, S. 19
  3. H.P. Lovecraft, Die Literatur des Grauens, Edition Phantasia, Linkenheim 1985, S. 22
  4. H.P. Lovecraft, Die Literatur des Grauens, Edition Phantasia, Linkenheim 1985, S. 19
  5. Rein A. Zondergeld, Lovecraft, Howard Phillips, in: Lexikon der phantastischen Literatur, Suhrkamp, Phantastische Bibliothek, Frankfurt 1983, S. 161
  6. Sunand Tryambak Joshi, H.P.Lovecraft, Leben und Denken, in: Über H. P. Lovecraft, Franz Rottensteiner (Hrsg), Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, S. 24
  7. Rein A. Zondergeld, Lovecraft, Howard Phillips, in: Lexikon der phantastischen Literatur, Suhrkamp, Phantastische Bibliothek, Frankfurt 1983, S. 160
  8. H.P. Lovecraft, Pickmans Modell, in Cthulhu, Geistergeschichten, Phantastische Bibliothek, Band 19, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972, S. 26
  9. Jörg Drews, Vier Rezensionen, in: Über H. P. Lovecraft, Franz Rottensteiner (Hrsg), Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, S. 201
  10. Jörg Drews, Vier Rezensionen, in: Über H. P. Lovecraft, Franz Rottensteiner (Hrsg), Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, S. 202
  11. Fritz Leiber jr., Ein literarischer Kopernikus, in: Über H. P. Lovecraft, Franz Rottensteiner (Hrsg), Phantastische Bibliothek, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, S. 51
  12. Fritz Leiber jr., Ein literarischer Kopernikus, in: Über H. P. Lovecraft, Franz Rottensteiner (Hrsg), Phantastische Bibliothek, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, S. 52
  13. H.P. Lovecraft, Das Grauen von Dunwich, in Cthulhu, Geistergeschichten, Phantastische Bibliothek, Band 19, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972, S. 192
  14. Fritz Leiber jr., Ein literarischer Kopernikus, in: Über H. P. Lovecraft, Franz Rottensteiner (Hrsg), Phantastische Bibliothek, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, S. 53