„Wunder Jesu“ – Versionsunterschied

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===Totenerweckungen===
===Totenerweckungen===
Die Berichte von Wiedererweckungen Sterblicher nehmen unter den Wundertexten eine Sonderstellung ein:
Diese Berichte nehmen eine Sonderstellung ein.
*Mk 5,21ff.35-43: Tochter des Synagogenvorstehers [[Jairus]]
*Mk 5,21ff.35-43: Tochter des Synagogenvorstehers [[Jairus]]
*Lk 7,11-17: Jüngling zu [[Nain]]
*Lk 7,11-17: Jüngling zu [[Nain]]
*Joh 11,1-45: [[Lazarus]] in [[Bethanien]]
*Joh 11,1-45: [[Lazarus]] in [[Bethanien]]
Darin finden sich Motive der Exorzismen - Heilung gegen Widerstände (Mk 5,40; Joh 11,38), durch wortmächtige Anrede (Mk 5,41; Lk 11,14; Joh 11,43) - mit Zügen der Therapien - Heilung auf eigene Initiative Jesu (Lk 7,13f; Joh 11,11) oder auf Bitte von Betroffenen (Joh 11,20.32), Rettung aus verzweifelter Not (ebd., v.33) - vereint. In allen drei Texten spielt das Glaubensmotiv eine besondere Rolle. Bei Lukas führt das Wunder zum gemeinsamen Lobpreis Gottes ohne Hervorhebung Jesu (Lk 7,16). Markus hebt die Überwindung des Unglaubens der Zeugen hervor (Mk 5,35-39.42). Dieses Thema führt Johannes breit aus und verbindet es mit einem der ''Ich bin''-Worte Jesu und christologischen Exkurs (Joh 11,25ff). Seine Demonstration der ''Herrlichkeit Gottes'' (Joh 11,40) führt zur Polarisierung zwischen Anhängern (v.45) und Feinden (v.46ff) und löst deren Todesbeschluss aus (v.53).


==Zeitgenössische Analogien==
==Zeitgenössische Analogien==

Version vom 14. August 2006, 12:19 Uhr

Die Wunder Jesu stehen im Zentrum der Überlieferung von den Taten Jesus von Nazarets im Neuen Testament (NT). Berichte über Wunder, die an Jesus geschahen, sind dagegen Thema besonders im Umfeld seiner Taufe und Auferstehung. Auch einige später entstandene Apokryphen wie das Kindheitsevangelium nach Thomas berichten von Jesuswundern.

Wunder Jesu werden Jesu eigene Wundertaten bilden besonders in den Evangelien einen Hauptbestandteil der Verkündigung von ihm und über ihn. Sie sind Gegenstand einer intensiven historisch-kritischen Debatte in der Leben-Jesu-Forschung, die versucht, unglaubwürdige und glaubwürdige Züge der urchristlichen Überlieferung zu unterscheiden. Sie sind auch ein zentrales Thema für die hermeneutische Problematik der öffentlichen kirchlichen Predigt, die die Botschaft Jesu für vom naturwissenschaftlichen Denken geprägte Menschen verständlich zu machen sucht.

Wundertypen im Neuen Testament

Exorzismen

Besonders das Markusevangelium berichtet von Jesu Auftreten gleich zu Beginn, er habe Dämonen ausgetrieben. Ihm folgen die übrigen Evangelien mit zum Teil ähnlichen, abgewandelten Exorzismus-Berichten.

  • Mk 1,21-28: der Besessene in der Synagoge von Kafarnaum
  • Mk 3,11-12: die Geister verkünden den Gottessohn
  • Mk 3,22-30: Jesu Heilkraft ist Anlass für Anfeindung durch Jerusalemer Schriftgelehrte
  • Mk 5,1-20: Heilung des Besessenen aus Gerasa (Mt 8,28-34; Lk 8,26-39)
  • Mk 7,26-30: Fernheilung der Tochter einer Ausländerin
  • Mk 9,14-29: Heilung des epileptischen Knaben
  • Mt 9,32-34: Heilung eines Stummen
  • Mt 12,22: Heilung eines Blinden und Stummen (Lk 11,14: eines Stummen) als Anlass für ein Streitgespräch
  • Mt 17,14-21: Heilung des schlafwandlerischen Knaben

Die Exorzismen finden alle in Galiläa oder Judäa, nicht aber in Jerusalem statt. Sie betrafen vor allem Menschen mit unheilbaren Krankheiten, die man sich damals als „Besessenheit“ durch eine fremde Macht erklärte. Typische Züge dieser Berichte sind: Der Mensch ist dem Dämon völlig ausgeliefert, dieser redet durch ihn. Es findet ein unsichtbarer Kampf zwischen Jesus und dem bösen Geist auf dem „Gebiet" des Kranken statt, bei dem Jesus siegt. Die Dämonen erkennen in Jesus den Sohn Gottes, den sie fürchten und verkünden müssen (Mk 1,24.34). Sie sind auch noch nach der Austreibung gefährlich und suchen sich einen Ort, um „hineinzufahren“ (Mk 5,12f; Mt 12,43ff).

Anders als Austreibungen der antiken Umwelt berichtet das NT von Jesus jedoch keinerlei Rituale – z.B. Geheimwissen, Beherrschung fremder dämonischer Sprache, Magie, gewalttätiges Vorgehen – , mit denen er den Dämon besiegt. Seine „Waffe“ ist allein die befehlende unwiderstehliche Anrede; damit wollen die NT-Berichte wesentlich Gottes Gegenwart in Jesus verkünden, da dieser über Gottes eigene Macht verfüge.

Die Exorzismen sind oft eingebettet in öffentliche Lehrrede Jesu. Sie sind Anlass für Streitgespräche mit Schriftlehrern und Gegnern Jesu über seinen angeblichen Bund mit Beelzebub (Mk 3,22-30) oder Jüngerbelehrung über die unreinen Geister (Mt 12,43ff). Sie bewegten auch nichtchristliche Heiltäter, im „Namen Jesu“ zu heilen (Mk 9,38f). Sie lösten in Judäa, wo man nichts von Jesu Herkunft wusste, offenbar Gerüchte aus, wonach er wiedergeborene Elija sei (Mk 6,14f): Nach Gerd Theißen handelte es sich hier um eine nicht von Christen erfindbare alte Tradition, da für sie Johannes der Täufer, nicht Jesus, der wiedergeborene Prophet der Endzeit war (Mk 9,13; Mt 11,14). Demnach hätten die Wunder schon Jesu Zeitgenossen beeindruckt und seien nicht nur von Jesu Anhängern überliefert worden.[1]

Die Exorzismusberichte sind im erzählerischen Rahmen mit der sonst von Jesus bekannten Verkündigung des Reiches Gottes verbunden. Dieses realisiert sich nach Mt 12,28; Lk 11,20 - einem der Logienquelle zugewiesenen Jesuswort - in ihnen bereits:

Wenn ich durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja Gottes Reich schon zu euch gekommen.

Dies könne, so G. Theißen, nicht nur aus nachösterlicher Gemeindesituation erklärt, sondern müsse im Kern auf den historischen Jesus zurückgeführt werden. Er habe in dem Bewusstsein agiert, an der Schwelle einer neuen Welt zu stehen, in der das Böse bereits besiegt ist (Lk 10,18; Mt 12,28f).[2]

Die Exorzismen sind Heilwunder; aber die Berichte akzentuieren ihre öffentliche Wirkung. Durch sie verbreitet sich die Kunde von Jesus rasch „im ganzen galiläischen Land“ (Mk 1,28), später auch in anderen Gegenden (Mk 3,8). Zugleich wuchs mit ihnen die Skepsis und Ablehnung Jesu. Auf welcher Kraft sie beruhen, war offenbar schon zu seinen Lebzeiten umstritten.

Jesu Antwort auf die Messiasfrage des inhaftierten Täufers - Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten? - verwies summarisch auf prophetische Verheißungen, die seine Heilwunder verwirklichten (Mt 11,1-6):

Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.

Hier fehlt ein direkter Hinweis auf die Vertreibung böser Geister, die im Tanach nicht überliefert ist. Der Hinweis auf das, was in Jesu Gegenwart geschah, ließ offen, wer er ist. Verlangt wird hier kein Glaube an den Gottessohn, sondern nur:

Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

Die sich daraus ergebenden Missionsprobleme könnten auch erklären, dass dieser Wundertyp bei den von Markus abhängigen Synoptikern Matthäus und Lukas weniger oft erscheint und im Johannesevangelium ganz fehlt, das sonst gerade die Auseinandersetzung um Jesu Vollmacht mit seinen Gegnern betont.

Heilwunder

Anders als die Exorzismen geschehen andere Heilwunder Jesu ohne Kampf mit der dämonischen Fremdmacht als aktive oder passive Übertragung einer wunderbaren Energie von Jesus auf die kranke Person. Diese oder ihre Angehörigen bitten nicht selten selber darum; er berührt sie oder sie ihn - sogar ohne sein Wissen. Dazu gehören:

  • Mk 1,30: Heilung der Schwiegermutter des Simon Petrus durch Handberührung
  • Mk 1,40ff: Heilung des Aussätzigen durch Handausstrecken und Wortbefehl
  • Mk 2,1-12: Heilung des Gichtbrüchigen durch Sündenvergebung
  • Mk 5,25-34: Heilung der Frau mit Blutfluss durch Berühren des Gewandes Jesu und Freispruch
  • Mk 6,54ff: Heilungssummarium am Westufer des Sees Genezareth
  • Mk 7,31-37: Heilung des Taubstummen in der Dekapolis
  • Mk 8,22-26: Heilung des Blinden von Bethsaida mit Speichel
  • Mk 10,46-52: Heilung des Blinden am Ortsausgang von Jericho
  • Lk 7,1-10: Fernheilung des Knechtes eines römischen Offiziers in Kafarnaum

Einige dieser Berichte stellen sich die Heilkraft als eine Art Aura Jesu vor, die jeden, der ihn berührt, erfasst. Andere setzen voraus, dass er diese Kraft - meist durch Handauflegen - in freier Entscheidung selbst weitergab. Wieder andere gehen davon aus, dass er wie ein Arzt Heilmethoden anwandte, die schrittweise die Heilung bewirkten. Ausgeführt wird aber nur das Heilen durch Speichel und Handauflegen.

In vielen dieser Berichte spielt auch das Glaubensmotiv eine Rolle, das auch außerhalb von Wunderberichten vorkommt, z.B. im Jesuswort vom bergeversetzenden Glauben (Mk 11,22ff par.). Der Zuspruch Dein Glaube hat dich gerettet findet sich nur in Jesuswundern, nicht in der antiken Umwelt. Dort ist der Glaube an den Wundertäter Folge der erfahrenen Wunderwirkung, hier geht er dieser voraus und ist selbst Teil der Heilung.

Geschenkwunder

Hier bewirkt ein Wunder Jesu eine Gabe - Nahrung - an eine Gruppe von Menschen in einer Notlage, aber ohne dass er darum gebeten wurde:

  • Mk 6,35-44: Speisung der 5.000 (par: Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-13)
  • Mk 8,1-9: Speisung der 4.000 (Dublette)
  • Lk 5,1-11: der wunderbare Fischzug
  • Joh 2,1-11: die Wandlung von Wasser in Wein in Kana.

Die meisten dieser Berichte sind durch Züge der Verkündigung Jesu wie die Gastmähler und die Abendmahlsüberlieferung angeregt und greifen zugleich Motive wie die wunderbare Brotvermehrung auf, die aus dem Tanach von Elischa bekannt war (2Kön 4,42ff), um sie zu überbieten. Die breite Streuung, Doppelung und Steigerung der Geschichte von der Massenspeisung in den Evangelien zeigt, dass sie von Urchristen schon früh erzählt wurde. Sie ist gedanklich verbunden mit Jesuszusagen wie Lk 6,21:

Selig seid ihr, die ihr hier hungert; denn ihr sollt satt werden.

Auch die Zukunftsvision eines großen Festmahls aller Völker (Jes 25,6ff), die in Jesusworten wie Mt 8,11 anklingt, kann diese Wundererzählung beeinflusst haben. Die Betonung des Sattwerdens durch Teilen des Wenigen, was zum Leben da ist, verweist auch auf die - eventuell schon vorausgesetzte - Praxis der Jerusalemer Urgemeinde, allen Besitz besonders mit den Bedürftigen zu teilen (Apg 2,45f).

Rettungswunder

Hier geschieht eine wunderbare Rettung von Menschen, vor allem Anhängern Jesu, aus verzweifelter Not, verursacht von Naturgewalten.

  • Mk 4,35-41: die Stillung des Seesturms: Jesus ist der schützende Passagier, der von der Not nicht betroffen erscheint, aber die Rettung bewirkt (vgl. das Gegenbild dazu: die Geschichte von Jona und dem Wal im Buch Jona)
  • Mk 6,45ff: der Seewandel: Jesus erscheint als von außen eingreifende göttliche Gestalt.

Beide Naturwunder haben Analogien in der antiken Umwelt: Die Fähigkeit zum Gehen auf dem Wasser und zum Bändigen von Wind und Wellen galt als Zeichen göttlicher Macht. Indem diese Berichte Jesus solche Fähigkeiten zuschreiben, setzen sie für G. Theißen ein Wissen von seiner Auferstehung implizit schon voraus und seien daher nur als nachösterliche Dichtung erklärbar.[3]

Normenwunder

Hier soll ein Wunder eine Regel, ein Gebot Gottes oder ein ethisches Verhalten begründen und bekräftigen. Während solche Wunderberichte in der Umwelt oft und meist für eine Normverschärfung vorkamen, sind sie in der synoptischen Jesusüberlieferung selten und demonstrieren dann gerade eine Normentschärfung:

  • Mk 3,1-6: Heilung des Menschen mit der verdorrten Hand am Schabbat.

Hier wird die Norm, das Einhalten der Sabbatruhe, zugunsten der Lebensrettung außer Kraft gesetzt. Damit handelte Jesus so wie die „liberale" Toraschule des Hillel, die den Bruch des Sabbatgebots zur Lebensrettung bereits vorher erlaubt hatte. Deutlicher als diese bekräftigt Jesus diese Erlaubnis aber durch entsprechendes eigenes demonstratives Handeln. Auch den Jüngern erlaubte er diesen Bruch laut Mk 2,23ff (Ährensammeln am Sabbat).

  • Mk 11,12ff: die Verfluchung des Feigenbaums.

Dies ist das einzige im NT von Jesus berichtete „Strafwunder“: Es trifft anders als Strafwunder im Tanach (z.B. 2Kön 2,23f) oder späterer urchristlicher Überlieferung (z.B. Apg 5,1ff) keine Menschen und wird bei Markus (11,20-26) in enge positive Beziehung zur Gebetserhörung und Sündenvergebung gebracht.

Totenerweckungen

Diese Berichte nehmen eine Sonderstellung ein.

Zeitgenössische Analogien

Jesu Wundertaten wurden in der religionsgeschichtlichen Forschung seit dem 19. Jahrhundert mit ähnlichen antiken Wunderberichten verglichen. Dabei wurden verschiedene damals typische „Modelle“ an ihn herangetragen.

Heilende Götter

Religion und Medizin waren in der Antike nicht getrennt: Von den Kultorten zahlreicher verschiedener Götter gingen im Glauben des Hellenismus Heilkräfte aus. Priester und Ärzte arbeiteten dort oft Hand in Hand.

Ein schon seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. bekannter Wallfahrtsort war das Heiligtum des Gottes Asklepios in Epidauros. Dort entstand eine Art Kurzentrum, das Kranke von weither anzog und den, der es betrat, mahnte: Rein muss der sein, der in den weihrauchduftenden Tempel eintritt. Reinheit heißt: reine Gedanken haben.[4] In diesem Bereich galten besondere Regeln: Gebärende und Sterbende waren nicht zugelassen, der Verzehr von Opferfleisch verboten. Nach einer Serie von Ritualen erwarteten die weiß gekleideten Kranken im Schlaf die Heilung oder im Traum die Heilungsanweisung durch den Gott. Votivtafeln am Eingang kündeten von den Wundern, die dabei geschehen sein sollen.

Diese wurden hier einer entrückten sakralen Sphäre zugeordnet. Sie waren mit mühevollen Auflagen für den Geheilten, der die Reise dorthin auf sich genommen hatte, verbunden. Eben dieses Verständnis von Heilung als Absonderung vom Alltagsleben wies Jesus zurück, indem er sich selbst unter Einsatz seines Lebens gerade „Unreinen" und Ausgegrenzten zuwandte und diese ohne besondere Auflagen zur Rückkehr in die Gemeinschaft befähigte.

Der „göttliche Mensch“

Ludwig Bieler stellte 1936 die These auf, Jesus sei im NT nach dem allgemein in der Antike verbreiteten Bild des „göttlichen Menschen" (griech. theios aner), der über besondere Kräfte verfüge, stilisiert worden. Besonders Herrscher und berühmte Ärzte sollen über göttliche Heilkräfte verfügt haben.

Der jüdische Historiker Philo von Alexandria stellte Moses eventuell nach diesem Modell dar. Bekanntes außerbiblisches Beispiel ist der Wanderphilosoph Apollonios von Tyana († um 97), der im 1. Jahrhundert auftrat. Die von Philostratus verfasste Biografie aus dem 3. Jahrhundert berichtet von Wanderreisen, Exorzismen, einer Totenerweckung und einem Seucheneinhalt.

Dieser Vergleich lässt jedoch auch Jesu Besonderheit hervortreten, da die ihm zugeschriebenen Wunder nicht von einer gesellschaftlich hervorgehobenen Stellung, auch nicht durch freiwilligen Verzicht auf Wohlstand und Macht wie bei den kynischen Wanderphilosophen, bedingt waren und mit seiner Reich-Gottes-Verkündigung verbunden sind.

Der Magier

Ein Gegenmodell zum göttlich begabten Menschen war damals der Magier. Er wurde besonders im Judentum oft negativ als Scharlatan und Betrüger bewertet, der mit Satan im Bund stehe: Diese Sicht vertreten in den Evangelien bereits früh Jesu Gegner (Mk 3,22; Mt 27,63; Joh 7,12; 8,48 u.a.). Sie hat sich im Jesusbild des Talmud niedergeschlagen, der ihn gerade wegen seiner Wundertaten, die er als Tatsache voraussetzt, als Volksverführer zum Götzendienst (Dtn 13,2-6) betrachtet.

Morton Smith (Jesus der Magier 1981) vertrat unter Berufung auf solche Belegstellen die Hypothese, Jesus habe in Ägypten, wohin seine Familie nach seiner Geburt geflohen sein soll (Mt 2,13ff), eine regelrechte Ausbildung in magischen Praktiken erhalten, sei von Beelzebub besessen gewesen und habe sich beschwörend der Kräfte des toten Täufers Johannes bemächtigt (Mk 6,16). Damit habe er seine Exorzismen, aber auch andere wunderbare Taten wie Hellsehen, plötzliches Verschwinden, Rückzug in die Wüste, Weitergabe der Vollmacht zur Dämonenaustreibung, Weitergabe verzauberter Nahrung (im Abendmahl) und sogar schwarze Magie - indem er durch verzaubertes Brot den Satan in Judas Iskariot fahren ließ (Joh 13,27) - bewirken können. Er habe sich für einen Gottessohn im Sinne der Göttersöhne griechischer Zauberpapyri gehalten.

John Dominic Crossan verstand den Begriff Magie als bloßes Etikett der Gesellschaft, die Wunder mal positiv, mal negativ bewerte. Er sah in Jesu Wundertaten eine Art sozialen Protest gegen die Definitionsmacht der Herrschenden, die Gottes befreiender Macht nicht vertrauten und ihre Toradeutung zementieren wollten (Mk 3,6).[5]

G. Theißen gesteht zwar zu, dass ein Teil der urchristlichen Überlieferung magische Volksfrömmigkeit spiegelt; Jesus habe sich jedoch nicht als Magier, sondern als Prophet verstanden (Mk 6,4). Sein typischer, besonderer Zuspruch Dein Glaube hat dich gerettet zeige ein magischer Manipulation entgegengesetztes Vertrauen auf die autonome Eigenkraft des Geheilten, das auf der persönlichen Beziehung zu diesem beruhe und ihm neue Gemeinschaft mit seiner sozialen Umwelt ermögliche. Von Jesus seien fast keine ritualisierten magischen Praktiken überliefert; vielmehr habe er nach urchristlicher Überzeugung allein durch seine unableitbare, von Gott gegebene „Vollmacht" (griech. exousia) heilvoll handeln können. Dieses Charisma habe eben nicht überall „funktioniert“ (Mk 6,5). Auch dass er die an ihn herangetragene Forderung nach Beglaubigungswundern ablehnte (Mk 8,11f), passe nicht zu einem magischen Selbstverständnis. Besonders dass er seine Heilungen als Anbruch des Reiches Gottes verstanden habe, unterscheide ihn von Magiern, die bloß die Beherrschung der dämonischen Kräfte und isolierte Mirakel, aber keine endgültige Überwindung der Weltherrschaft des Bösen anstrebten.[6]

Der Charismatiker

Im Raum Palästinas gab es um die Zeitenwende verschiedene Rabbiner, von denen die Gabe, Wunder zu wirken, erzählt wurde. Im 1. Jahrhundert v. Chr. soll Honi Regen durch das Ziehen eines magischen Zauberkreises herbeigezaubert haben. Er und sein Enkel sind im Talmud die einzigen Juden, die Gott wie Jesus mit Abba (Papa, lieber Vater) anredeten. Ansonsten wurde Honi dort jedoch eher kritisch, von Josephus Flavius (Antiquitates Judaios 14,22-24) dagegen positiv beurteilt.

In Galiläa wirkte um 60-100 Hanina ben Dosa, Hauptvertreter des dortigen Chassidismus. Er lebte in freiwilliger Armut, hatte kein Interesse am Opferkult und legte wie Jesus die Tora mündlich aus (Halacha). Von ihm erzählt die rabbinische Tradition verschiedene Wunder:

  • zwei Fernheilungen durch Gebet
  • Macht über Dämonen
  • Immunität gegen Schlangenbiss.

Auch wurde er laut Talmud von Gott als mein Sohn bezeichnet (bTaan 3,8; vgl. Mk 1,11). Dieser Titel taucht besonders in den markinischen Exorzismen oft im Munde der Dämonen für Jesus auf. Honi, Hanina und Jesus wurden zudem mit dem Propheten Elija verglichen (Mk 8,28). Aus solchen Ähnlichkeiten schloss der jüdische Profanhistoriker Geza Vermes (Jesus der Jude 1973), Jesus sei in einem schon vorhandenen „charismatischen Milieu“ aufgewachsen, das ihn geprägt habe.

Doch von einer besonderen „Vollmacht“ und einer Endzeiterwartung dieser jüdischen Charismatiker berichtet die talmudische Tradition nichts; nicht sie, sondern Gott bewirkte dort ihre Wunder, um die sie beteten. Dass Jesu Wunder nicht aus seiner Umgebung oder Ausbildung erklärbar sind, wird dadurch unterstrichen, dass von Johannes dem Täufer und dem Apostel Jakobus, Jesu Bruder, im Gegensatz zu anderen Aposteln keine Wundertaten überliefert sind.

Der Zeichenprophet

In den Jahrzehnten vor der Zerstörung des zweiten Jerusalemer Tempels im Jahr 70 traten laut Josephus in Palästina einige Propheten auf, die besondere Zukunftszeichen ankündigten, aber selbst keine Wunder vollzogen:

  • Die Samaritaner lehnten den Jerusalemer Tempelkult ab. Um 36 versprach ein Prophet ihnen, sie würden die verschollenen Geräte ihres eigenen Tempels auf dem Berg Garizim wiederfinden. Mit dieser Erwartung war die Wiederherstellung des 722 v. Chr. untergegangenen Nordreichs Israel verknüpft.
  • Der Prophet Theudas sagte um 44 die Spaltung des Jordans voraus: Dieses dem Schilfmeerwunder (Ex 14) nachgestaltete Wunder ist im Tanach von Josua (Jos 3) und Elija (2Kön 2,8) überliefert. Es bedeutete symbolisch eine neue Gabe des Landes, also indirekt auch die Befreiung von Fremdherrschaft.
  • Ein weiterer, anonymer Prophet kündigte in der Regierungszeit des Prokurators Felix (52-60) einen neuen Exodus Israels durch Zeichen in der Wüste an.
  • Ein Ägypter sammelte Anhänger, führte sie an den Ölberg und verhieß ihnen den Einsturz der Mauern Jerusalems auf seinen Befehl hin (vgl. Apg 21,38).
  • Jesus ben Ananias trat um 62 in Jerusalem auf und kündigte monoton die Tempelzerstörung an, bis man ihn festnahm und den Römern auslieferte, die ihn laufen ließen.

Jesus kündigte das kommende Reich Gottes ebenfalls mit noch gegenwärtig zu erlebenden Zeichen an, vor allem der Tempelzerstörung (Mk 13,2), verbunden mit der Aufforderung zu einer Kultreform im Kontext seiner Vertreibung der Opfergeldhändler (Joh 2,19). Er wurde daher von seinen Gegnern mit jüdischen Zeichenpropheten wie Theudas verglichen; dessen Schicksal führte der berühmte Pharisäer Gamaliel im Sanhedrin an, um für die Freilassung der inhaftierten Apostel einzutreten (Apg 5,34-39).

Während die jüdischen Charismatiker Wunder wirkten, ohne eine Weltveränderung zu predigen, und die Propheten diese ohne eigene Wundertaten ankündigten, liegt Jesu Besonderheit gerade in der Verbindung von beidem.

Historisch-kritische Debatte

Während die Kirchenväter Jesu Wunder oft als Demonstration seiner Göttlichkeit auslegten, fragte schon der römische Philosoph und Christentumsgegner Celsus um 178 nach ihrer Besonderheit. Er stellte fest: Sicher habe ...vieles erst in der Erzählung der Jünger den Charakter des Wunderbaren erhalten...Aber nehmen wir einmal an, er [Jesus] habe diese Wunder vollbracht, ... er habe Kranke geheilt, Tote auferweckt und ... eine große Menge gespeist: Es gebe andere Wundermänner, die für wenig Geld noch größere Wunder anböten: Sie treiben Dämonen aus, blasen Krankheiten weg, beschwören Heroenseelen, zeigen kostbare Mahlzeiten..., die gar nicht wirklich vorhanden sind...Wenn diese Leute solche Dinge vollbringen können, müssen wir sie dann für Gottes Söhne halten?[7]

Seit der Aufklärung wurden die hier genannten Kriterien - Entstehung der Wunderberichte aus dem Glauben der Jesusanhänger und religionsgeschichtlicher Vergleich - in der Theologie selber wissenschaftlich ausformuliert. Dabei übernahm der Rationalismus zunächst die Prämisse, dass nur historisch sein könne, was naturwissenschaftlich möglich sei. Demgemäß erklärte etwa Carl Friedrich Bahrdt (1741-1792) die in den Wundern berichteten Vorgänge aus natürlichen, subjektiv fehlgedeuteten Ursachen: z.B. sei Jesus beim Seewandel im Nebel am Seeufer oder auf dort im Wasser liegenden Bauhölzern entlanggegangen und daher von den Jüngern für ein Gespenst gehalten worden, das auf dem Wasser gehen könne. Bei der Sturmstillung habe er die verängsteten Jünger angeherrscht: Schweigt still, was diese auf Wind und Wellen bezogen, die sich zufällig im selben Moment legten. Dies hätten die Jünger dann auf seinen „Befehl" zurückgeführt.

Auch Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761–1851) suchte nach im Text ungenannten Ursachen der Wunder, um diese vernünftig zu erklären: So hätten genügend Zuhörer bei der Massenspeisung Nahrungsvorräte bei sich gehabt. Jesus habe seine Nahrung mit seinen Jüngern geteilt und die übrigen Zeugen damit angeregt, ebenfalls ihre Vorräte mit den Mittellosen in ihrer Nähe zu teilen, so dass alle satt wurden.

Diese Erklärungsversuche setzen tatsächliche Ereignisse voraus, deuten aber das Wunderbare aus ihnen heraus. Albert Schweitzer (1875-1965) karikierte dies in seiner Geschichte der Leben-Jesu-Forschung 1906: Die Totenerweckungen solle man betiteln: „Jesus bewahrt davor, lebendig begraben zu werden", da es sich aus rationalistischer Sicht jeweils um Scheintote gehandelt habe.

David Friedrich Strauß (1808-1874) dagegen fasste die Wundergeschichten als gedichtete Mythen auf, die eine bestimmte Idee ausdrücken wollten: Sie seien zur Überbietung dessen, was im Alten Testament von den Propheten erzählt wurde, geschaffen worden, um Jesus als den verheißenen Messias darzustellen. Jesus habe Wunder selbst eher abgelehnt, aber an ihn herangetragene Erwartungen erfüllen müssen:

Sobald er einmal für einen Propheten galt..., - so traute man ihm auch Wunderkräfte zu, und sobald man sie ihm zutraute, traten sie sicher auch in Wirksamkeit.[8]

Er erklärte einen Teil der Heilwunder psychosomatisch, andere Wunder als absichtslos erdichtete Volkssagen, die auch ohne historische Basis einen religiösen Sinn hätten.

Für Rudolf Bultmann (Geschichte der synoptischen Tradition 1921) entstand ein Großteil der Wunderberichte erst nach Jesu Tod im Urchristentum; dabei seien hellenistische Motive auf Jesus übertragen worden. Das Weinwunder in Kana z.B. stamme aus dem Dionysoskult. Auch Martin Dibelius (Formgeschichte der Evangelien 1919) bewertete die meisten Wundertexte als späte Anpassung an Legenden der antiken Umwelt; Ludwig Bieler (Theios Aner 1936) konstruierte einen „göttlichen Menschen" als antiken Typos eines Wundertäters, nach dem auch die Figur Jesu gestaltet worden sei.

Damit verloren die Wundergeschichten ihren notwendigen Bezug zur „messianischen Idee" (Strauß), also dem Glauben an den Erlöser aller Menschen als Mitte des christlichen Glaubens. Sie galten nun nur noch als damaliges und heute entbehrliches Mittel, um die eigentliche Glaubensbotschaft auszudrücken: dass Gott durch Jesus an der Welt gehandelt habe und handeln wolle.

Referenzen

  1. Gerd Theißen, Der Historische Jesus S. 270
  2. G. Theißen, a.a.O. S. 266
  3. G. Theißen, a.a.O. S. 268
  4. Heinz Schmitz: Wenn Götter heilen. Das Heiligtum des Asklepios in Epidauros
  5. J.D. Crossan, Jesus S. 198-236
  6. G. Theißen, a.a.O. S. 276
  7. zitiert nach L. Goppelt, Theologie des Neuen Testaments S. 190
  8. zitiert nach G. Theißen, Historischer Jesus S. 261

Literatur

Historische Untersuchungen

  • Gerd Theißen: Urchristliche Wundergeschichten. Studien zum Neuen Testament Band 8, Gütersloh 1974
  • Gerd Theißen/Anette Merz: Der Historische Jesus. §10: Jesus als Heiler: die Wunder Jesu (S. 256-284) Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997, ISBN 352552143X
  • Geza Vermes: Jesus der Jude. Ein Historiker liest die Evangelien. Juedische Verlagsanstalt, 2002, ISBN 3934658911
  • Friedrich M. Fiederlein: Die Wunder Jesu und die Wundererzählungen der Urkirche. ISBN 3769805917

Antike Analogien

  • Ludwig Bieler: Theios aner. Das Bild des „göttlichen Menschen“ in der Antike. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1967, ASIN B0000BQ3JG

Theologie

  • Leonard Goppelt: Theologie des Neuen Testaments. §15: Die Wunderberichte und ihre Kritik; § 16: Der theologische Sinn der Wunder Jesu. (S. 189-206) UTB Vandenhoeck, Göttingen 1978, ISBN 3525032528
  • Rudolf Bultmann: Zur Frage des Wunders. In: Gesammelte Aufsätze, Ev. Verlagsanstalt Berlin 1973, S. 76-90

Predigt und Unterricht

  • Eugen Drewermann: Taten der Liebe. Meditationen über die Wunder Jesu. Herder, Freiburg 2002, ISBN 3451051362
  • Anton Steiner: Wunder Jesu. Bibelarbeit in der Gemeinde. Themen und Materialien. Benziger, 2001, ISBN 354526131X
  • Oekumenischer Arbeitskreis für Bibelarbeit: Wunder Jesu. Friedrich Reinhardt Verlag, 1987, ISBN 372450411X
  • Bibelgeschichten: Die Wunder Jesu /Der verschwenderische Sohn /Der gute Samariter (CD-ROM) Brunnenverlag, 2005, ISBN 3765585750
  • Siegfried Fietz: Steh auf - Die Wunder Jesu. Ein Singspiel. (CD) ABAKUS Musik, Hrsg.: Barbara Fietz, 2001, ISBN 3881243143
  • Elrose Hunter: Die Wunder Jesu. Francke-Buchhandlung, 1999, ISBN 3861224372