Whistleblower

Hinweisgeber oder Whistleblower (abgeleitet vom Englischento blow the whistle“, auf deutsch wörtlich etwa „die Pfeife blasen“, in Anlehnung an einen Schiedsrichter beim Sport, der mittels eines Trillerpfeifenpfiffs auf regelwidriges Verhalten hinweist[1]) ist jemand, der Missstände, illegales Handeln (z. B. Korruption, Insiderhandel) oder allgemeine Gefahren, von denen er an seinem Arbeitsplatz oder auch beispielsweise bei einer medizinischen Behandlung erfährt, an die Öffentlichkeit bringt.

Merkmale und Bedeutung

Es gibt vier Kriterien für Whistleblowing:

  1. Brisante Enthüllung: Ein Whistleblower enthüllt nicht tolerierbare Gefahren, Risiken und Fehlentwicklungen, Korruption, Verstöße gegen internationale Abkommen, die das friedliche Zusammenleben der Gesellschaft oder die Umwelt bedrohen.
  2. Selbstlose Motive: Er handelt nicht aus Eigennutz, sondern aus Sorge um das Wohlergehen der Mitmenschen und den Erhalt der Umwelt.
  3. Alarm schlagen: Er bringt Missstände an seinem Arbeitsplatz zur Diskussion. Wenn die Firma bzw. die Behörde nicht angemessen reagiert, geht er an die Öffentlichkeit.
  4. Bedrohung der Existenz: Er geht ein hohes Risiko ein, setzt seine berufliche Karriere oder gar seine Existenz aufs Spiel.

Whistleblower sind Dissidenten oder Hinweisgeber aus Gewissensgründen – Menschen, die in einem Akt der Zivilcourage unlautere Machenschaften von Regierungen, Verwaltungen oder Unternehmen an die Öffentlichkeit bringen, um diese Missstände zu unterbinden. Whistleblower setzen so nicht selten ihren Arbeitsplatz und ihr soziales Ansehen und ihren Ruf aufs Spiel. Sie werden sehr häufig Opfer von Mobbing-Attacken oder auch Denunziationskampagnen. Wer Staatsgeheimnisse an die Öffentlichkeit bringt, zum Beispiel Entsorgung von Atommüll im Meer, kommt unter Umständen ins Gefängnis. Wer Fehlverhalten großer Unternehmen, bei denen hohe Investitionen auf dem Spiel stehen, publik macht, muss auch mit hohen Schadenersatzforderungen und kriminellen Angriffen rechnen.

Dabei handelt der Whistleblower verantwortungsvoll und auch loyal, indem er sich beispielsweise mit seiner Firma identifiziert und an ihre Zukunft denkt. Er will sie zum Beispiel vor der Gefahr bewahren, angeklagt und zur Rechenschaft gezogen zu werden. Zur Eindämmung von Korruption und zur Sicherung des sozialen Friedens werden Whistleblower-Schutzgesetze dringend notwendig, sind aber wegen der Möglichkeiten moderner Technik bei skrupellosen Organisationen oft nicht ausreichend, sodass Whistleblower auf funktionierende Anonymität und Datenschutz-Mechanismen angewiesen sind.

USA und Großbritannien

In Großbritannien und den USA schützt das Gesetz Whistleblower bereits zunehmend (Whistleblower Protection Act). Hier wurden bereits große Prozesse gewonnen. Außerdem verabschiedete der US-Kongress 2002 im Anschluss an mehrere Finanzskandale den Sarbanes-Oxley Act (SOX).

Nach dem SOX müssen US-Aktiengesellschaften und ihre Unternehmenseinheiten in der Europäischen Union sowie Nicht-US-Unternehmen, die an einer US-Börse notiert sind, im Rahmen ihres Prüfungsausschusses Verfahren zur Entgegennahme, Speicherung und Bearbeitung von Beschwerden einführen, die der Emittent in Bezug auf die Rechnungslegung, interne Rechnungslegungskontrollen und Wirtschaftsprüfungsfragen erhält; und zur vertraulichen, anonymen Einreichung von Beschwerden durch Angestellte des Emittenten in Bezug auf fragliche Rechnungslegungs- oder Wirtschaftsprüfungsangelegenheiten. Darüber hinaus enthält Abschnitt 806 des SOX Vorschriften zur Gewährleistung des Schutzes von Beschäftigten börsennotierter Unternehmen, die Beweise für Betrug vorlegen, vor Vergeltungsmaßnahmen, die wegen der Nutzung des Meldeverfahrens gegen sie ergriffen werden könnten.

Trotz der Repressionen, die Whistleblower unter Umständen erleiden, würden sich – laut einer US-Studie (Don Soeken)[2] – 84 % der Whistleblower in der gleichen Situation noch einmal genauso oder ähnlich verhalten. 2002 wurden drei Whistleblowers vom Time Magazine als Person of the Year ausgezeichnet.

Deutschland

Der angloamerikanische Rechtsbegriff findet bislang keine exakte Entsprechung im Deutschen – gleichwohl reflektierten etwa Wissenschafts- und Verwaltungsethik das Phänomen „Whistleblowing“ zunehmend.

In Deutschland haben drei Bundesministerien einen[3] Gesetzesentwurf zur Einführung eines § 612a n.F. BGB zum Whistleblowerschutz für Arbeitnehmer vorgelegt, der am 4. Juni 2008[4] Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Bundestag war.

Am 1. April 2009 ist das Beamtenstatusgesetz für den Bereich der Länder und Kommunen in Kraft getreten; es ist das Nachfolgegesetz vom Beamtenrechtsrahmengesetz. In § 37 Abs. 2 Nr. 3 BeamtStG ist eine Durchbrechung des Verschwiegenheitsgrundsatzes kodifiziert. Demzufolge dürfen Beamte neben den Katalogstraftaten des § 138 StGB (der die Fälle der Anzeigepflicht regelt) auch Korruptionsstraftaten nach §§ 331– 337 StGB (aber nur diese) direkt bei der Staatsanwaltschaft anzeigen.

Der § 67 Abs. 2 Nr. 3 Bundesbeamtengesetz n.F. enthält eine analoge Regelung, die für Beamte im Bereich des Bundes gilt.

Das Landeskriminalamt Niedersachsen hat für anonyme Hinweise auf Korruption ein elektronisches Whistleblowing-System in Betrieb genommen. Das Business Keeper Monitoring System wird mit unterschiedlichen Schwerpunkten auch von speziellen Ermittlungseinheiten in Unternehmen, Behörden und Regierungen angewendet.

Whistleblower-Preis

Seit 1999 wird in Deutschland alle zwei Jahre ein internationaler Whistleblower-Preis vergeben (siehe Weblinks). Der Preis wurde von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und der Deutschen Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA) gestiftet. Er soll die Öffentlichkeit für das Whistleblowing sensibilisieren und die – häufig von Entlassung und Maßregelungen betroffenen oder bedrohten – Preisträger unterstützen. Die bisherigen Preisträger sind:

Weitere prominente Whistleblower

  • Meier 19 war ein Polizist der Stadtpolizei Zürich, der 1967 eine Polizei- und Justizaffäre an die Öffentlichkeit brachte und danach verfolgt wurde. Über seinen Fall gibt es auch ein Buch und einen Film.
  • Roger Boisjoly ist ein US-amerikanischer Ingenieur, der seit Juli 1985 vergeblich vor dem fatalen Defekt an den O-Ringen warnte, der zur Challenger-Katastrophe vom 28. Januar 1986 führte.
  • William Mark Felt Sr. ist ein ehemaliger US-amerikanischer FBI-Agent. Am 31. Mai 2005 wurde nach 33 Jahren Geheimhaltung durch die Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein der Washington Post bekannt, dass er unter dem Pseudonym Deep Throat wichtigster Informant in der Watergate-Affäre war. Die Informationen Felts führten letztendlich zum Rücktritt des US-Präsidenten Richard Nixon.
  • Ein israelischer Atomtechniker, Mordechai Vanunu, verriet 1986 westlichen Medien, dass Israel die Atombombe besitzt. Er wurde vom israelischen Geheimdienst von Italien nach Israel verschleppt und wegen Geheimnisverrats von einem israelischen Gericht zu einer 18-jährigen Haftstrafe verurteilt.
  • Christoph Meili, ehemaliger Wachmann einer privaten Sicherheitsfirma, die für die Schweizerische Großbank UBS tätig war, schmuggelte 1997 vermeintliche Holocaust-Dokumente aus der Bank und rettete sie vor dem Aktenvernichter.
  • Paul van Buitenen, EU-Kontrollbeamter, der sich 1998 öffentlich gegen die betrügerischen Machenschaften einiger Mitglieder der Europäischen Kommission wandte. Als Folge seiner Aktion musste die ganze Kommission zurücktreten. Eine weitere Folge war, dass Paul van Buitenen vier Monate lang beurlaubt wurde (mit Halbierung seines Entgelts) und danach an eine „ungefährliche“ Stelle versetzt wurde. Von 2004 bis 2009 war er Mitglied des Europaparlaments für die niederländische Kleinpartei Europa Transparant. Heute arbeitet er wieder als Beamter der Europäischen Kommission.
  • Katharine Gun, Übersetzerin beim britischen Geheimdienst GCHQ, gab der Öffentlichkeit preis, dass UN-Behörden und -Delegierte vom britischen Geheimdienst abgehört werden. Sie konnte ihre Beteiligung an den Vorbereitungen zum 3. Golfkrieg nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Vom Gericht wurde sie freigesprochen.
  • Joseph C. Wilson, Ehepartner der gesetzeswidrig aufgedeckten CIA-Geheimagentin Valerie Plame, der mit seinem öffentlichen Eintreten für die ihm bekannte Tatsache, dass Saddam Hussein keinen nigerianischen Atomwaffenrohstoff erhandelt hatte, die Aufdeckung seiner Ehefrau durch einen Racheakt des US-Vizepräsidentenberaters Lewis Libby auslöste.
  • Hans-Peter Martin, Mitglied des Europäischen Parlaments, versuchte im Jahre 2004 Tagegelderschleichungen zu beweisen.

Organisationen und Dienste

Der eingetragene Verein Whistleblower-Netzwerk setzt sich für eine bessere Zusammenarbeit von und mit Whistleblowern ein.[7] Der von Hans-Joachim Selenz gegründete CleanState e.V. begreift sich als deutschlandweite Anlaufstelle für Whistleblower.[8] Das DokZentrum ansTageslicht.de unterhält eine Erste-Hilfe- bzw. erste Tipp-Adresse für potenzielle Whistleblower und Informanten, die sich mit ihrem Anliegen an die Medien wenden wollen[9]

Die Website WikiLeaks bietet Whistleblowern die Möglichkeit, bislang geheim gehaltene Dokumente anonym im World Wide Web zu veröffentlichen.

Literatur

  • Antje Bultmann (Hrsg.): Auf der Abschußliste – Wie kritische Wissenschaftler mundtot gemacht werden sollen. Knaur-Verlag, München 1997, ISBN 3-426-77265-5
  • Dieter Deiseroth: 'Whistleblowing in Zeiten von BSE – Der Fall der Tierärztin Dr. Margrit Herbst', Berlin-Verlag, 2001, ISBN 3-8305-0258-3
  • Dieter Deiseroth: Berufsethische Verantwortung in der Forschung, Möglichkeiten und Grenzen des Rechts, Münster, LIT-Verlag, 1997, ISBN 3-8258-3160-4
  • Deiseroth/Falter: Whistleblower in der Steuerfahndung - Preisverleihung 2009 - Rudolf Schmenger - Frank Wehrheim Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin, 2010, ISBN 978-3-8305-1756-6
  • Deiseroth/Falter: Whistleblower in Altenpflege und Infektionsforschung. Whistleblower-Preis 2007 an Brigitte Heinisch und Dr. Liv Bode. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin, 2007, ISBN 978-3-8305-1455-8
  • Deiseroth/Falter: Whistleblower in Gentechnik und Rüstungsforschung. Whistleblower-Preis 2005 an Theodore A. Postol und Arpad Pusztai. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin, 2006, ISBN 978-3-8305-1262-2
  • Deiseroth/Falter: Whistleblowerpreis 2003. Daniel Ellsberg. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin, 2004, ISBN 3-8305-0973-1
  • Deiseroth/Falter: Zivilcourage im BSE-Skandal – und die Folgen. Whistleblower-Preis 2001 für die Tierärztin Dr. Margrit Herbst. VDW-Materialien 2/2002 (unter: www.vdw-ev.de)
  • Deiseroth/ Göttling: Der Fall Nikitin. Whistleblower-Preis 1999. MIRZ- Schriftenreihe, G. Emde Verlag, Pittenhart, 2000, ISBN 3-923637-56-X
  • Tom Devine: The Whistleblower's Survival Guide: Courage Without Martyrdom, Government Accountability Project, Selbstverlag (PDF Teil1, 2, 3, 4), Washington DC 1997
  • Thomas Faust: Verwaltung zwischen Transparenz und dienstlicher Diskretion: Beamtenstatusgesetz ermöglicht das sogenannte "Whistleblowing", in: innovative Verwaltung, Bd. 31 (2009), Nr. 4, S. 22-24, ISSN 0948-3616
  • Knyrim/ Kurz: Whistleblowing-Hotlines, Fachartikel zum Datenschutz- und Arbeitsrecht, ARD 5681/5/2006
  • Zora Ledergerber: Whistleblowing unter dem Aspekt der Korruptionsbekämpfung, Bern, Stämpfli-Verlag 2005, ISBN 3-7272-0695-0
  • Klaus M. Leisinger: Whistleblowing und Corporate Reputation Management, Hampp Verlag, München und Mering, 2003, ISBN 3-87988-731-4
  • Michael Müller: Whistleblowing – ein Kündigungsgrund?, in: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, 2002, S. 424–437
  • Björn Rohde-Liebenau: Whistleblowing – Beitrag der Mitarbeiter zur Risikokommunikation, Edition der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 2005, ISBN 3-86593-036-0

Film

  • Ich verpfeife meine Firma – Zivilcourage im Beruf, Deutschland, Dokumentation, 1997, 45 Min., Ein Film von V. Thurn, Inhaltsangabe.
  • Der aufrechte Gang und sein Preis. Frankreich, Dokumentation, 2007, 53 Min., Regie: Jean Robert Viallet, Mathieu Verboud, Produktion: arte, Inhaltsangabe von arte

Siehe auch

Fußnoten

  1. Miceli/Near: Blowing the whistle: The organizational and legal implications for companies and employees. Issues in organization and management series. New York: Lexington Books, 1992, S. 8
  2. A survey of whistleblowers (PDF)
  3. Gesetzesentwurf zur Einführung eines § 612a n.F. BGB zum Whistleblowerschutz
  4. öffentlichen Anhörung im Bundestag
  5. Bericht der Frankfurter Rundschau vom 9. Mai 2009, S. 5.
  6. Whistleblower-Preis 2009: Jurybegründung.
  7. Selbstdarstellung des Whistleblower-Netzwerk e.V.
  8. Hans-Joachim Selenz: CleanState, S. 2, 21. März 2006
  9. www.anstageslicht.de/whistleblowerinfo