Statthalter

Ein Statthalter ist ursprünglich ein Verwalter für eine bestimmte Region, der stellvertretend für einen (anstatt eines) Vorgesetzten (z. B. König, Kaiser, Präsident und so weiter) Verwaltungsaufgaben in seinem Verwaltungsbezirk übernimmt. Das zusammengesetzte Wort (Kompositum) Statt-halter ist eine Lehnübersetzung aus dem lateinischen locum tenens „Stellvertreter“ (wörtlich „den Platz Haltender“; zu locus „Ort, Platz, Stätte“ und tenere „halten“).[1]

Die Funktion früherer Statthalter entspricht der von Regenten oder Gouverneuren.

Allgemeines

Hauptanlass für die Einsetzung von Statthaltern war die Notwendigkeit, weit auseinanderliegende Territorien effektiv zu verwalten und dazu Personen mit weitreichenden Regierungsvollmachten zu bestellen. Dabei kann ein Statthalter sowohl eng an die Weisungen seines Vorgesetzten gebunden sein, als auch (bei schwacher Zentralgewalt) relative oder sogar völlige Selbständigkeit erlangen.

Oft werden Statthalter auch als Gouverneure bezeichnet. Auch der französische Begriff Lieutenant (lieu + tenant) entspricht wörtlich dem Begriff Statthalter (vgl. Leutnant). Als Statthalter konnte auch ein in Abwesenheit des Monarchen, des rechtskräftigen Landesherrn, amtierender Regent bezeichnet werden.

Antike

Das Prinzip der Statthalter war bereits in großen antiken Flächenstaaten vorhanden, wofür die Satrapen im Perserreich und im Reich Alexanders des Großen Beispiele sind.

Im Römischen Reich gab es Beamte mit Statthalterfunktionen bereits in der Zeit der Republik. In der Kaiserzeit wurde dieses System komplexer. Bezeichnungen für Statthalter im Römischen Reich waren zu unterschiedlichen Zeiten unter anderem proconsul, Legatus Augusti pro praetore, praefectus, procurator, praeses sowie vicarius (als Verwalter einer spätrömischen Diözese).

In der Bibel werden die Amtszeiten römischer Statthalter (Präfekt) gelegentlich als Datierungshinweise genannt. Jesu Geburtsjahr (Quirinius Statthalter in Syrien) und Todesjahr (Pontius Pilatus Statthalter der Provinz Judäa) werden auf diese Weise zeitlich eingeordnet.

Deutschland

Heiliges Römisches Reich

Die Statthalterwürde wurde dem sächsischen Kurfürsten Friedrich III. vom König Maximilian I. am 8. August 1507 auf dem Reichstag zu Konstanz übertragen und galt für die Zeit der Abwesenheit des Königs vom Reich. Sie erscheint in Sachsen erstmals ab 1507 auf den Locumtenenstalern (Vikariatsmünzen) des sächsischen Kurfürsten in Form von „Imperique locumtenens generalis“ (lat. für Reichsgeneralstatthalter). Nachdem Maximilian von seiner am 4. Februar 1508 in Trient erfolgten Wahl zum römischen Kaiser zurückgekehrt war, erlosch sein Amt als permanenter Vertreter des Königs. Ihm wurde aber ehrenhalber gestattet, den Titel des Reichsgeneralstatthalters bis zum Tod Kaiser Maximilians I. (1519) weiterhin zu führen.[2][3]

Brandenburg

Im Mai 1470 wurden Johann Cicero, der Bischof von Brandenburg Dietrich IV., der Bischof von Lebus Friedrich II. und acht weitere Personen nach Abdankung des Kurfürsten Friedrich II. im Frührjahr 1470 zu Statthaltern der Mark Brandenburg für den Markgrafen und ab Oktober 1470 neuen Kurfürsten Albrecht Achilles, der sich in Geschäften auf der Plassenburg im fränkischen Kulmbach aufhielt, ernannt, solange dieser nicht im Land war.[4]

Elsass-Lothringen

Siegelmarke Der Kaiserliche Statthalter in Elsass Lothringen

Nach der Bildung des Reichslandes Elsass-Lothringen, 1871, übte dort der Deutsche Kaiser die Staatsgewalt aus. Durch Reichsgesetz vom 4. Juli 1879 betreffend die Verwaltung Elsass-Lothringens übertrug der Kaiser die landesherrlichen Befugnisse auf einen Statthalter, den er ernannte und abberufen konnte. Der Kaiserliche Statthalter residierte in Straßburg.[5]

Hessen

Die Landgrafen von Hessen setzten in ihren beiden Landesteilen jeweils einen Statthalter ein, den für Niederhessen in Kassel, den für das sogenannte Land an der Lahn in Marburg.

Kursachsen

Anton Egon von Fürstenberg-Heiligenberg war einziger Statthalter im Kurfürstentum Sachsen unter Kurfürst Friedrich August I. (1697–1716).

Schleswig-Holstein

Schleswig-Holstein war seit dem Mittelalter ein Flickenteppich von sogenannten Ämtern, die zum Teil durch die Gottorfer Herzöge, zum Teil durch das dänische Königshaus regiert wurden. Die dänischen Könige setzten für ihre Anteile die Statthalter als höchste Verwaltungsbeamte ein.

Drittes Reich

Siehe: Reichsstatthalter

Österreich

In Vorarlberg wird der Landeshauptmannstellvertreter als Landesstatthalter bezeichnet; ansonsten ist die Funktionsbezeichnung in der Republik seit 20. November 1918 nicht mehr in Gebrauch.

Habsburgermonarchie

Die Bezeichnung Statthalter für einen Vertreter des Monarchen und seiner Regierung wurde in der Habsburgermonarchie lange Zeit nur selten verwendet. 1849 ersetzte sie den Titel Gouverneur. 1861 erließ Kaiser Franz Joseph I. ein Staatsgrundgesetz, das später als Februarpatent bezeichnet wurde, um es von anderen Verfassungstexten leicht unterscheiden zu können. In den diesem Gesetz beiliegenden Landesordnungen für die einzelnen Kronländer wird der Statthalter als bestehendes Staatsorgan mit seinen Rechten gegenüber dem Landtag genannt, aber nicht mit allen seinen Kompetenzen definiert.[6]

1868 erfolgte für Cisleithanien, beschlossen vom Reichsrat auf Antrag der Bürgerministerium genannten k.k. Regierung, eine präzise gesetzliche Festlegung.[7] Es wurde bestimmt, dass die Vertreter der kaiserlichen Zentralgewalt, die Landeschefs, in der Mehrzahl der Kronländer Statthalter heißen (so dass sich dieser Titel in Öffentlichkeit und Literatur für alle Kronländer durchsetzte); der Statthalter war Vorsteher der Statthalterei.

In den Kronländern

führte der vom Kaiser ernannte Landeschef den Titel Landespräsident und leitete nicht eine Statthalterei, sondern eine Landesregierung. Der Funktionsumfang war aber der gleiche wie bei Statthaltern.

K.k. Statthalter wurden bis 1918 vom Kaiser berufen für die Kronländer

Für die letztgenannten drei Kronländer bestand eine gemeinsame (küstenländische) Statthalterei in Triest.

Der Kaiser war jederzeit frei darin, einen Statthalter zu ernennen bzw. zu entlassen. Der jeweilige k.k. Ministerpräsident konnte den Kaiser dabei beraten. Die Statthalterbestellung unterlag nur insoweit parlamentarischer Kontrolle, als der Ministerpräsident im Reichsrat dazu befragt werden konnte. Mitspracherecht kam dem Parlament nicht zu, da der Statthalter wie die k. k. Regierung im Namen des Kaisers amtierte.

Das Amt des Statthalters wurde in Deutschösterreich mit Gesetz vom 14. November 1918, kundgemacht und in Kraft getreten am 20. November 1918, abgeschafft (siehe Landeschef (Österreich-Ungarn)). Die bisherige Statthalterei wurde nun ein Amt unter der Leitung des demokratisch gewählten Landeshauptmanns.

Schweiz

In einigen Kantonen der Schweiz heissen die Vertreter der Kantonsregierung in den Bezirken Statthalter oder Regierungsstatthalter. Im Kanton Freiburg wird diese Funktion Oberamtmann genannt. Die Zuständigkeiten variieren. Im Kanton Zürich etwa präsidieren sie die Bezirksräte, vollziehen das Übertretungsstrafrecht und beaufsichtigen die Polizei, die Feuerwehr und die Feuerpolizei;[8] im Kanton Basel-Landschaft ist das Statthalteramt die Verwaltungsbehörde in jedem Bezirk.

In anderen Kantonen (wie Aargau, Obwalden, Nidwalden und Schwyz, früher auch in Luzern) ist der Statthalter, Landstatthalter oder Landesstatthalter der Stellvertreter des Regierungspräsidenten (Vorsitzenden der Kantonsregierung).

Im Kanton Basel-Stadt trägt der Vizepräsident des Grossen Rates (Kantonsparlament) den Titel Statthalter.[9]

Die übliche weibliche Bezeichnung ist Frau Landstatthalter.

Niederlande

Siehe auch Liste der Statthalter in den Niederlanden

In der Republik der Vereinigten Niederlande hieß Statthalter (Stadhouder) der oberste Staatsbeamte der einzelnen Provinzen. Diese Benennung entstand unter der burgundischen und spanischen Herrschaft, als die gesamten Niederlande von einem Oberstatthalter (Landvogt) und die einzelnen Provinzen durch Statthalter regiert wurden.

Nach dem Ende der spanischen Herrschaft war der Statthalter nicht mehr Stellvertreter eines Monarchen, sondern der Versammlung der Stände der einzelnen Provinzen (Provinciale Staten). Die Ausübung der Gewalt war in jeder der sieben Provinzen etwas unterschiedlich. Es gab also in den damaligen Niederlanden abgesehen von den Generalständen keine Bundesautorität, wie z. B. einen Präsidenten. Aus dem Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren konnte als Inhaber der Statthalterschaft jedoch bedeutender Einfluss erlangt werden. Zum einen hatte die wohlhabendste und bevölkerungsreichste Provinz, Holland, ein deutliches Übergewicht gegenüber den anderen Provinzen; und so übte auch deren Vertreter (Statthalter oder Ratspensionär) dementsprechend größeren Einfluss aus (z. B. üblicherweise den Oberbefehl über Armee und Flotte). Zum anderen konnten die Prinzen von Oranien mittels innenpolitischen Gewichtes und ihrer Unterstützer, der Orangisten, zumeist die Statthalterschaft mehrerer Provinzen in sich vereinen. Dadurch konnten sie überragenden Einfluss auf die Politik der Republik gewinnen.

Der Statthalter ernannte die wichtigsten Beamten, auch die Vorsitzenden der Gerichtshöfe, hatte ein beschränktes Begnadigungsrecht, wählte die Mitglieder der städtischen Räte (Vroedschappen), meist aus den ihm von diesen Räten selbst vorgeschlagenen Männern. In außerordentlichen Fällen konnte er einen neuen Rat einsetzen. Dadurch konnte er indirekten, aber durchaus erheblichen Einfluss auf die Innenpolitik gewinnen. Nach der Utrechter Union 1579 war der Statthalter auch Schiedsrichter der Streitigkeiten der Provinzen untereinander. Auch die Truppen und die Flotte standen unter seinem Befehl.

Bei der Erhebung Wilhelms III. 1672 wurde die Erbstatthalterschaft in der männlichen Linie eingeführt und deren Befugnisse bedeutend erweitert. Die Ämter der Führer von Armee und Flotte waren weiterhin nicht erblich, aber nur der Statthalter konnte zur Wahl vorgeschlagen werden.

Wiktionary: Statthalter – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Pfeifer: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen – Lemma Statthalter
  2. Walther Haupt: Sächsische Münzkunde, Deutscher Verlag der Wissenschaft, Berlin 1974, S. 167
  3. Landratsamt für Denkmalspflege und Archäologie in Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Martin Luther, Schätze der Reformation, Sandsteinverlag, S. 62
  4. Mario Müller: Dietrich von Stechow, Bischof von Brandenburg 1459–1472. Regesten zur Vita und vom Episkopat. Erschienen in: Sascha Bütow, Peter Riedel, Uwe Tersp (Hrsg.): Das Mittelalter endet gestern. Beiträge zur Landes-, Kultur- und Ordensgeschichte Heinz-Dieter Heimann zum 65. Geburtstag. Lukas Verlag. ISBN 978-3-86732-188-4. S. 114 f.
  5. Rauh, Manfred: Die Parlamentarisierung des Deutschen Reiches. hrsg. von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Düsseldorf: Droste 1977. Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien Bd. 60
  6. Beispiel: § 37 der Landes-Ordnung für das Erzherzogthum Oesterreich unter der Enns, RGBl. Nr. 20 / 1861 (= S. 80)
  7. Gesetz vom 19. Mai 1868 über die Einrichtung der politischen Verwaltungsbehörden, RGBl. Nr. 44 / 1868 (= S. 76)
  8. Statthalterämter und Bezirksratskanzleien.
  9. Website des Grossen Rates des Kantons Basel-Stadt