„Semiotik“ – Versionsunterschied

[ungesichtete Version][ungesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
K R
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 135: Zeile 135:
[[el:Σημειωτική]]
[[el:Σημειωτική]]
[[en:Semiotics]]
[[en:Semiotics]]
[[eo:semiotiko]]
[[es:Semiótica]]
[[es:Semiótica]]
[[et:Semiootika]]
[[et:Semiootika]]

Version vom 26. August 2006, 23:16 Uhr

Semiotik (griechisch τεχνη σημειοτικη, techne semeiotike „Lehre von den Kennzeichen“, auch Humansemiotik) ist die allgemeine Lehre von den Zeichen, Zeichensystemen und Zeichenprozessen. Mit der Kommunikation unter Tieren befasst sich die Zoosemiotik.

Frühe Definitionen

Erste Zeichen- und Bedeutungslehren entstanden in der stoischen Dialektik durch Diogenes von Babylon u. a. sowie im mittelalterlichen Nominalismus durch Wilhelm von Occam. Wesentliche Begründer der „modernen“ Semiotik sind Charles Sanders Peirce (1839–1914), Ferdinand de Saussure (1857–1913), Charles William Morris (1901–1979) und der dänische Semiotiker Louis Hjelmslev (1899–1965)

Saussure erklärt Sprache als ein System von Zeichen, welches fähig ist, Ideen auszudrücken. Daraus geht eine Wissenschaft hervor, die sich mit dem Umgang mit Zeichen in der Gesellschaft beschäftigt und später Teil der Soziopsychologie sein wird, und daraus folgend auch Teil der Allgemeinen Psychologie. Man bezeichnet sie als Semiologie, abgeleitet vom griechischen Wort semeion („das Zeichen“). Saussure geht davon aus, dass nur menschliche Sender semiologische Vorgänge verstehen und produzieren können, indem der Sender eine Idee als Nachricht an einen menschlichen Empfänger schickt.

Peirce hingegen geht von einem dreiteiligen System aus, welches er Semiosis nennt. Die Semiosis ist ein Prozess, der drei Instanzen umfasst, nämlich das Zeichen, sein Objekt und den Interpretanten. Der Interpretant kann hierbei in erster Annäherung als die Bedeutung des Zeichens verstanden werden, die in Peirce' System wiederum selbst als Zeichen mit eigenem Interpretanten aufgefasst wird. Auf diese Weise setzt sich der Interpretationsprozess prinzipiell bis ins Unendliche fort. Jedes Zeichen vermittelt so zwischen seinem Objekt und seinem Interpretanten. In einem bloßen Verhältnis von actio und reactio ist dies nicht möglich. Wenn bspw. eine Kugel auf eine andere trifft, ist dafür keinerlei Vermittlung oder Übersetzung nötig. Peirce schließt auch solche Phänomene ein, die keinen Menschen als Sender haben, die natürlichen Zeichen, aber auch solche, die keinen Menschen als Empfänger haben: So sei der Sonnenstrahl für die Blume ein Zeichen, sich ihr zuzuwenden. Saussure vernachlässigte diesen Bereich.

Sprachwissenschaftliche Definition

"Die Theorie des sprachlichen Zeichens, um das es Saussure explizit geht, gilt als "das am besten ausgearbeitete Teilstück des gesamten semiotischen Programms" (Trabant 1996: 37; zur Übertragbarkeit auf andere Gegenstandsbereiche vgl. ebd.: 37–39)"(zitiert nach LSBF 2005:62).

  • Signe (oder sprachliche Zeichen): im Sinne de Saussures bestehend aus:

- Signifié (oder Signifikat): entspricht dem Bezeichneten, ist also die begriffliche Inhaltsseite des sprachlichen Zeichens
- Signifiant (oder Signifikant): entspricht dem Bezeichnenden, ist also die Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens
- Valeur (oder Wert): entspricht der strukturellen Position in Beziehung zu anderen sprachlichen Zeichen
- Chose (oder aussersprachliche Realität): das signe steht als Einheit einer außersprachlichen Realität gegenüber

Ein semiotischer Vorgang in sprachwissenschaftlicher Hinsicht liegt vor, wenn eine codierte Nachricht von einem Sender zu einem Empfänger gesendet wird und diese Nachricht vom Empfänger decodiert, also entschlüsselt werden kann. Diese Daten oder Nachrichten werden durch den Empfänger klassifiziert und interpretiert. Durch diesen Prozess ist der Empfänger in der Lage, in Interaktion mit dem Sender zu treten.

Das in einem bestimmten Code, beispielsweise Sprache, geschriebene Zeichen beschreibt sein Objekt und wird durch den Übersetzer interpretiert.

Die Semiotik wird üblicherweise in die drei überlappenden Teilbereiche Syntax, Semantik und Pragmatik untergliedert, wobei diese Bereiche durch ihre Beziehungen zwischen Zeichen, der Zeichenbedeutung und den Benutzern der Zeichen in einer bestimmten Situation definiert werden:

Syntax
Zeichen ↔ Zeichen
Semantik
Zeichen ↔ Bedeutung
Pragmatik
Zeichen ↔ Benutzer und Situation

Siehe auch: Struktur und Bedeutung von Information

Literatursemiotik

Vertreter der Literatursemiotik werden teilweise auch den Strukturalisten oder Formalisten zugerechnet. Die literatursemiotischen Ansätze sind zudem sehr unterschiedlich: Roland Barthes vertritt eine poststrukturalistische Position, von der aus er die Vieldeutigkeit eines Werkes betont, während Umberto Eco Barthes‘ Vorstellung einer grenzenlosen Offenheit der Bedeutung literarischer Werke korrigiert und die Rezeption literarischer Texte als Wechselspiel von Freiheit und Determiniertheit darstellt: Einerseits muss der Text eine Struktur aufweisen, sonst "gäbe es keine Kommunikation, sondern nur eine rein zufällige Stimulierung von aleatorischen Reaktionen" (Eco). Andererseits entscheidet der Leser, welche Codes und welchen semantischen Rahmen er auf den Text anwenden soll, wodurch er im Verlauf seines Lektüreprozesses die weitere Aktualisierung von Bedeutungen maßgeblich beeinflusst.

Dem gegenüber stehen Ansätze in der Tradition des Strukturalisten Algirdas J. Greimas, der über die Analyse der verschiedenen bedeutungstragenden, hierarchisch organisierten Ebenen eines Textes eine semantische Tiefenstruktur eindeutig rekonstruieren will.

Über das Ästhetische

Es scheint trotz dieser Vielfalt einen Konsens darüber zu geben, dass ästhetische Objekte Zeichensysteme sind, die sich eines anderen Zeichensystems als Trägersystem, als Form bedienen: Im Fall der Literatur ist dies das überaus komplexe Zeichensystem Sprache. Herausragende Beispiele im deutschsprachigen Raum sind hier etwa Hans Wollschläger.

Ästhetische Funktion nach Jan Mukařovský (geb. 11. November 1892 in Písek, Südböhmen; Mitglied des 1926 gegründeten "Cercle Linguistique de Prague", erste Schule der strukturalen Methode (vgl. Strukturalismus) Ein Zeichen kann mit der sog. ästhetischen Funktion belegt sein. Diese Funktion (im Gegensatz zum Beispiel zur referentiellen Funktion) führt dazu, dass ein Zeichen vornehmlich um seiner selbst willen rezipiert wird. Es verweist damit nicht mehr auf ein konkretes Objekt, sondern auf seine eigenen Möglichkeitsumstände, damit nach Mukarovský auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang seiner Rezeption. Wann und wie einem Zeichen die ästhetische Funktion beigelegt wird, ist zwar auch vom rezipierenden Subjekt abhängig, wird aber, allgemein gesehen, von der ästhetischen Norm bestimmt, die in einer Gesellschaft im Moment der Zeichenrezeption herrscht. (So können nach Mukařovský für uns heute Kathedralen u. ä. Bauwerke durchaus unter ästhetischem Gesichtspunkten betrachtet werden, waren aber zur Zeit ihres Baus weit stärker mit einer sakralen Funktion als mit der ästhetischen Funktion belegt)

Literatur: vgl.: Mukařovský, Jan: Kapitel aus der Ästhetik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1970

Semiotik als Sinnprozesslehre

Der deutsche Sozialphilosoph Johannes Heinrichs versteht Semiotik nicht als eine einzelwissenschaftliche Spezialdisziplin (Lehre von Zeichen), sondern als philosophische Sinnprozesslehre. Auch der Zeichenbegriff bedarf der Herleitung aus Bewusstseinsvollzügen (Handlungen im weiteren Sinn). Es wäre falsch, ihn einfach als eine Urgegebenheit neben der einzigen wirklichen philosophischen Urgegebenheit von Sinn als "Bewusstseinsvollzügen mit ihren Gehalten" hinzunehmen. Er grenzt diese philosophische Semiotik ab von dem Aspekt der inhaltlichen Hermeneutik von Sinn, als die er Philosophie primär definiert: Letztere befasst sich mit der Gehalt-Seite, die Semiotik mit der formalen Prozess-Seite. Er kennt vier Ebenen von bewusstseinsmäßigen Sinn-Prozessen (diese im Unterschied zur Übertragung biologischer oder anderer physischer Information): 1. die semiotischen Prozesse des Handelns und dem Erleben als dessen rezeptiver Form, worin sich auch eine Ortsbestimmung des Zeichen-Handelns, somit also des Zeichens, ergibt, 2. der Sprache (als sich selbst in eigenen syntaktischen Zeichen regulierenden Meta-Handelns), 3. der Kunst (als sich in einer Meta-Syntax reflektierende Meta-Sprache) sowie 4. der Mystik, die von der Annahme bzw. Erfahrung einer Eigenaktivität des von Anfang an vorausgesetzten Sinnes (Sinn-Mediums) ausgeht. Mystik ist in semiotischer Betrachtung der Titel für die Schließung eines systemischen Kreislaufs zwischen Subjekt und Sinn-selbst, worin die Einseitigkeit des Handelns, einseitig subjektgeleitet zu sein, über die Vorstufen der sozialen Gegenseitigkeit sowie des künstlerischen, "medialen" Prozesses hinweg, aufgehoben ist. Auf all diesen Ebenen spielt der Zeichenbegriff eine wesentliche Rolle, ohne aber eine bloß "positive" Gegebenheit zu bleiben oder gar eigene Unhintergehbarkeit zu beanspruchen.

Siehe auch

Allgemeine Linguistik, Sprachwissenschaft, medizinische Semiologie, Dekonstruktion, Grammatologie, Code

Wichtige Personen der Semiotik

Russische Semiotik:

Vorläufer:

Literatur

  • Daniel Chandler: Semiotics: The Basics, Routledge, London, New York 2001, ISBN 0-415-26594-0. Onlineversion
  • Jacques Derrida: Limited Inc, Passagen, Wien 2001, ISBN 3-85165-055-7.
  • Umberto Eco: Einführung in die Semiotik (autorisierte deutsche Auflage durch Jürgen Trabant), Fink, München 2002. (Orig. 1962), ISBN 3-8252-0105-8.
  • Umberto Eco (1991). Semiotik: Entwurf einer Theorie der Zeichen (2. Aufl.; G. Memmert, Übers.), Fink, München 1991 (Orig. 1976)
  • Umberto Eco: Zeichen: Einführung in einen Begriff und seine Geschichte (G. Memmert, Übers.), Suhrkamp, Frankfurt a. M 1977 (Orig. 1973)
  • Nelson Goodman: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie, Suhrkamp, Frankfurt a.M 1995
  • Johannes Heinrichs: Reflexionstheoretische Semiotik, Teil 1: Handlungstheorie. Strukturalsemantische Grammatik des Handelns, Bouvier, Bonn 1980 Onlineversion
  • Johannes Heinrichs: Reflexionstheoretische Semiotik, Teil 2: Sprachtheorie. Philosophische Grammatik der semiotischen Dimensionen, Bouvier, Bonn 1981 Onlineversion
  • Angelika Karger: Untersuchungen zur Bewusstseinskonzeption von Charles Sanders Peirce, Dissertation, Universität Stuttgart 1981
  • Angelika Karger: Zeichen und Evolution. Theoretische Grundlagen und Anwendungen semio-morphogenetischer Prozesse, Pahl-Rugenstein, Hochschulschriften 223, Köln 1986
  • Claudia Liebrand/Irmela Schneider/Björn Bohnenkamp/Laura Frahm (Hrsg.): Einführung in die Medienkulturwissenschaft. Münster: Lit, Münster 2005
  • David P. Lucid (Hrsg.): Soviet Semiotics. An Anthology. Baltimore: Johns Hopkins University Press, Baltimore 1977
  • Dieter Mersch, Dieter (Hrsg.): Zeichen über Zeichen: Texte zur Semiotik von Peirce bis Eco und Derrida, dtv, München 1998
  • Winfried Nöth: Handbuch der Semiotik, rev. u. erw. 2. Aufl., Stuttgart/Weimar 2000, ISBN 3-476-01226-3
  • Helmut Pape, Helmut (Hrsg.): Charles S. Peirce. Phänomen und Logik der Zeichen, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1983
  • Carol Sanders (Hrsg.): The Cambridge Companion to Saussure. Cambridge u.a. 2005
  • Ferdinand de Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, de Gruyter, Berlin 1967
  • Thomas A. Sebeok (1979): Theorie und Geschichte der Semiotik (A. Eschbach, Übers.), Rowohlt, Reinbek b. Hamburg 1979 (Orig. 1976)
  • Jürgen Trabant: Elemente der Semiotik. Tübingen/Basel 1996
  • Uchtmann, Roger (Hrsg.): Charles S. Peirce. Von der Klarheit unserer Gedanken (inkl. Edwina Taborsky Evolution des Bewusstseins), Phänomen-Verlag, Neuenkirchen 2003, ISBN 3-933321-46-8

Artikel zum Thema Semiotik