Roter Terror

Der Rote Terror bezeichnet die Terroraktionen der 1917 in Russland an die Macht gekommenen Kommunisten, die ihre Herrschaft mit Hinrichtungen und Deportationen durchsetzte. Ihr fielen vermutlich bis zu 1.000.000 Mio. Menschen zum Opfer.

Der Rote Terror war – in erklärter Anknüpfung an die terreur der Französischen Revolution – die von den Bolschewiki nach der Oktoberrevolution begonnene Phase, in der sie zur Durchsetzung ihres Machtanspruchs terroristische Mittel gegen von ihnen als konterrevolutionär verstandene Kräfte einsetzten. Der Begriff wurde von ihnen selbst geprägt und zur öffentlichen Drohung benutzt.

Er stand im Russischen Bürgerkrieg in einem Zusammenhang mit dem Weißen Terror, der bis zum Ende des Bürgerkrieges gleichfalls wütete, jedoch anders als dieser nicht strategisch gesteuert und institutionalisiert war [1]. Im Unterschied zur Französischen Revolution, deren Terrorphase einige Monate dauerte und sich überwiegend gegen die Repräsentanten der Aristokratie sowie Revolutionsgegner wandte, stand beim roten Terror als Leitmotiv der Satz des stellvertretenden Leiters der Tscheka, Martin Iwanowitsch Latsis, im Vordergrund: „Wir führen nicht Krieg gegen bestimmte Personen. Wir löschen die Bourgeoisie als Klasse aus.“[2]

Darüber hinaus wird der Begriff „Roter Terror“ im westlichen Sprachgebrauch gelegentlich für Menschenrechtsverletzungen in sozialistischen Staaten verwendet.[3]

Geschichte

Faktisch begann der Terror unmittelbar nach der Oktoberrevolution und wurde von Anfang an von Lenin entschieden unterstützt [4]. Seine ersten Opfer waren Führer der liberalen Kadettenpartei, „streikende Arbeiter“ und „renitente Bauern“ [5] und er intensivierte sich deutlich nach den Attentaten auf den Vorsitzenden der Petrograder Tscheka Urizki sowie den Vorsitzenden der Sowjetregierung Lenin am 30. August 1918 durch Fanny Kaplan.

Der offizielle Beginn des Roten Terrors – die Tscheka als sein Hauptorgan war bereits 1917 gegründet worden – datiert mit dem Dekret der Sowjetregierung Über den roten Terror vom 5. September 1918[6]: „In der augenblicklichen Situation ist es absolut lebensnotwendig, die Tscheka zu verstärken […], die Klassenfeinde der Sowjetrepublik in Konzentrationslagern zu isolieren und so die Republik gegen sie zu schützen; jeden, der in weißgardistische Organisationen, in Verschwörungen, Aufstände und Erhebungen verwickelt ist, auf der Stelle zu erschießen, die Namen der Erschossenen mit Angabe des Erschießungsgrundes zu veröffentlichen.“

Die Zeit bis März 1921 (Beginn der Neuen Ökonomischen Politik) wird als Roter Terror und Ära der Politik des Kriegskommunismus bezeichnet. Auch danach gingen jedoch die Erschießungen Oppositioneller, Deportationen in Zwangsarbeitslager und Repressionsmaßnahmen gegen dissidente Völker weiter. Ralf Stettner schreibt, dass „in den Zeiten von Kriegskommunismus, NÖP und den Übergangsjahren bis 1928/29 ein […] Geflecht an Konzentrationslagern, Zwangsarbeitslagern und „Lagern zur besonderen Verwendung“ existierte. Es sei „falsch, das Lagersystem ausschließlich der Stalinzeit zuzuordnen“, wenngleich die Lager der Leninzeit im Vergleich zur späteren Ära des Stalinismus auch „im Ausmaß weniger bedeutend“ waren. [7] Das sowjetische Lagersystem stand, so Stettner, in der Leninzeit erst am Anfang, und die stetige Weiterentwicklung der Kapazitäten unter Stalin nahm naturgemäß viele Jahre in Anspruch.

Das als „Roter Terror“ bezeichnete Terrorregime der Geheimpolizei Tscheka erhielt ab Mai 1922 einen gesetzlichen Rahmen: Lenin entwickelte den Strafgesetzbuch-Paragraphen 58, der Zwangsarbeit und Todesstrafe für „politische Delikte“ vorsah. So schrieb Lenin am 17. Mai 1922 über seinen Rohentwurf des § 58: „Der Grundgedanke […] ist klar: offen eine prinzipielle und politisch wahrheitsgetreue […] These aufstellen, die das Wesen und die Rechtfertigung des Terrors, seine Notwendigkeit und seine Grenzen motiviert. Das Gericht soll den Terror nicht beseitigen – das zu versprechen wäre Selbstbetrug oder Betrug –, sondern ihn prinzipiell, klar, ohne Falsch und ohne Schminke begründen und gesetzlich verankern.“ [8] Offiziell eingeführt wurde der Artikel 58 aber durch Stalin im Jahre 1927, der ihn erheblich verschärfte; so fügte er neben Terrorismus „Propaganda oder politische Agitation“ und „organisatorische Tätigkeit“ als Gesetzesverstöße hinzu.

Als Roter Terror im engeren Sinne wird das gewaltsame Vorgehen der Tscheka in den Städten – eigentliches Machtzentrum der Bolschewiki – betrachtet. Im gleichen Zusammenhang ereigneten sich auch die Auseinandersetzungen zwischen Staatsmacht und Bauernschaft, insbesondere mit den wohlhabenderen Bauern (Kulaken), deren physische Vernichtung Lenin mit der Politik der Getreiderequidierung betrieb (seine Forderung „Tod den Kulaken!“ ist enthalten in Band 28 seiner Schriften; Lenin: Werke). [8] Bereits im August 1918 hatte Lenin verfügt: „Schonungsloser Massenterror gegen Kulaken …“, „Übermitteln Sie allen Mitgliedern des Exekutivkomitees und allen Kommunisten, dass es ihre Pflicht ist, die Kulaken schonungslos niederzuschlagen und bei den Aufständischen das gesamte Getreide zu konfiszieren“. [8]

Der Rote Terror richtete sich gegen Bürgertum, zaristische Offiziere, nichtbolschewistische Sozialisten (v. a. Menschewiki, rechte Sozialrevolutionäre), Geistliche, sowie oppositionelle Teile der Arbeiterschaft. Die Durchsetzung der Terrormaßnahmen – wie Erschießungen, Folterungen und Einweisungen in Lager (Gulag) – erfolgte durch die Geheimpolizei Tscheka, die ab 1922 in die GPU umgewandelt wurde. Schätzungen gehen von 250.000 bis 1.000.000 Opfer in diesem Zeitraum aus, teilweise durch Massenexekutionen. [9]

Siehe auch

Literatur

Quellennachweise/Anmerkungen

  1. Jörg Baberowski: Der Rote Terror, Deutsche Verlagsanstalt 2003, hier: Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für Politische Bildung, 2007, S.37-39.
  2. zitiert nach Manfred Hildermeier: Das "Schwarzbuch des Kommunismus" und die Fakten der historischen Forschung, in : Die Zeit Online, 1998 ; und Jörg Baberowski: Der Rote Terror, Deutsche Verlagsanstalt 2003, hier: Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für Politische Bildung, 2007, S.39 o.
  3. so z.B. für die Stalin-Ära von Jörg Baberowski: Der rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus (ISBN 3-421-05486-x) oder von Bernd Pieper: Roter Terror in Cottbus (ISBN 3925434917) oder Martin Pabst: Roter Terror. Verbrechen gegen die Menschlichkeit von Lenin bis Pol Pot (Leopold Stocker Verlag, Graz 2002, ISBN 3-7020-0972-8).
  4. Jörg Baberowski : Der Rote Terror, Deutsche Verlagsanstalt 2003, hier: Lizenzausgabe der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2007, S.39/40
  5. Jörg Baberowski : Der Rote Terror, Deutsche Verlagsanstalt 2003, hier: Lizenzausgabe der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2007, S.39
  6. Vgl. Beschluss des Rates der Volkskommissare über den Roten Terror, 5. September 1918 (Münchener Digitalisierungszentrum)
  7. Ralf Stettner Archipel Gulag; Schöningh 1996
  8. a b c Michael S. Voslensky: Sterbliche Götter; Ullstein, 1991; ISBN 3548348076
  9. Im Netz der Spione vom 23. September 2007 auf History Channel, vergleichbar hohe Zahlen werden auch genannt bei: Mettke, Jörg R. :Putsch oder Revolution.Henker als Heilige, in : Der Spiegel (Geschichte Spezial) vom 18.12.2007, Seite 32