„Rohrzucker“ – Versionsunterschied

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'''Rohrzucker''' ist die Warenbezeichnung für Haushaltszucker ([[Saccharose]]), der aus [[Zuckerrohr]] gewonnen wird. Der in [[Mitteleuropa]] produzierte [[Zucker]] wird dagegen aus der [[Zuckerrübe]] gewonnen und heißt [[Rübenzucker]]; chemisch besteht kein Unterschied zwischen reinem Rohrzucker und reinem Rübenzucker. Saccharose ist ein [[Disaccharid]], also ein aus zwei [[Monosaccharid]]molekülen ([[Glucose]] und [[Fructose]]) aufgebauter Zucker. Die [[Summenformel]] lautet C<sub>12</sub>H<sub>22</sub>O<sub>11</sub>.
'''Rohrzucker''' ist die Warenbezeichnung für Haushaltszucker ([[Saccharose]], von lateinisch ''saccharum''<ref>Vgl. etwa Otto Zekert (Hrsg.): ''Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570.'' Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 154 (''Saccharum album'' = raffinierter/weißer Zucker, ''Saccharum candi'' = kristallisierter Rohrzucker bzw. Kandiszucker, ''Saccharum rubeum'' oder ''Saccharum crudum'' = Thomaszucker).</ref>), der aus [[Zuckerrohr]] gewonnen wird. Der in [[Mitteleuropa]] produzierte [[Zucker]] wird dagegen aus der [[Zuckerrübe]] gewonnen und heißt [[Rübenzucker]]; chemisch besteht kein Unterschied zwischen reinem Rohrzucker und reinem Rübenzucker. Saccharose ist ein [[Disaccharid]], also ein aus zwei [[Monosaccharid]]molekülen ([[Glucose]] und [[Fructose]]) aufgebauter Zucker. Die [[Summenformel]] lautet C<sub>12</sub>H<sub>22</sub>O<sub>11</sub>.
[[Datei:Rohrzucker in Glaesern.jpg|miniatur|Brauner Rohrzucker als Zutat für [[Caipirinha]]]]
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[[Datei:Brauner Würfelzucker.JPG|miniatur|Brauner Zucker in Würfelform]]
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== Herkunft ==
== Herkunft ==
=== Zuckerrohr ===
=== Zuckerrohr ===
[[Zuckerrohr]] (''Saccharum officinarum'' L.; früher ''Arundo sacchararia'' L.), ein [[Gras]] mit 4 bis 6&nbsp;cm dicken Stängeln aus der Familie der ''[[Poaceae]]'', enthält einen süßen Saft, der zur Zuckerproduktion ausgepresst wird. Anbauländer sind u. a. [[Brasilien]], [[Kuba]], [[Mauritius]], [[Vereinigte Staaten|USA]], [[Südafrika]], [[Australien]] und die [[Philippinen]].
[[Zuckerrohr]] (''Saccharum officinarum'' L.; früher ''Arundo sacchararia'' L.), ein [[Gras]] mit 4 bis 6&nbsp;cm dicken Stängeln aus der Familie der ''[[Poaceae]]'', enthält einen süßen Saft, der zur Zuckerproduktion ausgepresst wird. Anbauländer sind u. a. [[Brasilien]], [[Kuba]], [[Mauritius]], [[Vereinigte Staaten|USA]], [[Südafrika]], [[Australien]] und die [[Philippinen]].


Der Ursprung des Zuckerrohrs liegt in [[Polynesien]]. Seit dem 5.&nbsp;Jahrhundert wird es in [[Indien]]<ref>''Sárkar&#257;'' ist die [[Sanskrit|sanskritische]] Bezeichnung für Grieß, Kiesel oder Zucker. Daraus entstand das griechische ''sákcharon'', aus dem das lateinische ''saccharon'' entlehnt wurde, aus dem schließlich die Fachbezeichnung ''Saccharose'' entstand.</ref> landwirtschaftlich genutzt. Die [[Kreuzzug|Kreuzfahrer]] brachten den Zucker nach Europa. Hauptumschlagsplatz war [[Venedig]]. Der Zucker galt damals als Luxusartikel, so dass der größte Teil der Bevölkerung die Speisen weiterhin – wenn überhaupt – mit [[Honig]] oder zu [[Sirup]] eingekochtem [[Fruchtsaft]] süßte.
Der Ursprung des Zuckerrohrs liegt in [[Polynesien]]. Seit dem 5.&nbsp;Jahrhundert wird es in [[Indien]]<ref>''Sárkar&#257;'' ist die [[Sanskrit|sanskritische]] Bezeichnung für Grieß, Kiesel oder Zucker. Daraus entstand das griechische ''sákcharon'', aus dem das lateinische ''saccharon'' bzw. ''saccharum'' entlehnt wurde, aus dem schließlich die Fachbezeichnung ''Saccharose'' entstand.</ref> landwirtschaftlich genutzt. Die [[Kreuzzug|Kreuzfahrer]] brachten den Zucker nach Europa. Hauptumschlagsplatz war [[Venedig]]. Der Zucker galt damals als Luxusartikel, so dass der größte Teil der Bevölkerung die Speisen weiterhin – wenn überhaupt – mit [[Honig]] oder zu [[Sirup]] eingekochtem [[Fruchtsaft]] süßte.


In [[Sizilien]] und Süd[[spanien]] wurde das Zuckerrohr zunächst von den [[Araber]]n<ref>Vom arabischen ''sukkar'' leitet sich das italienische ''zucchero'' ab, aus dem dann das deutsche ''Zucker'' entlehnt wurde.</ref> angebaut. Nach der [[Reconquista]] verlagerten die Spanier den Anbau auf die [[Kanarische Inseln|Kanarischen Inseln]], von wo er in die [[Karibik]] und damit auch nach [[Jamaika]] gelangte.
In [[Sizilien]] und Süd[[spanien]] wurde das Zuckerrohr zunächst von den [[Araber]]n<ref>Vom arabischen ''sukkar'' leitet sich das italienische ''zucchero'' ab, aus dem dann das deutsche ''Zucker'' entlehnt wurde.</ref> angebaut. Nach der [[Reconquista]] verlagerten die Spanier den Anbau auf die [[Kanarische Inseln|Kanarischen Inseln]], von wo er in die [[Karibik]] und damit auch nach [[Jamaika]] gelangte.


Die [[Portugiesen]] brachten die Pflanze nach Südamerika und bauten bereits im 16.&nbsp;Jahrhundert weite Flächen in Brasilien an. Der Zuckeranbau in Brasilien und in der Karibik leitete den „Zuckerzyklus“ der Kolonisationsgeschichte ein. Über nahezu 200&nbsp;Jahre waren Anbau, Transport und Handel nach Europa die wirtschaftliche Grundlage der Kolonien und des Reichtums der Könige in Lissabon und Madrid, bis die ersten Goldfunde in Brasilien gegen Ende des 17.&nbsp;Jahrhunderts einen neuen Wirtschaftzyklus einleiteten.
Die [[Portugiesen]] brachten die Pflanze nach Südamerika und bauten bereits im 16.&nbsp;Jahrhundert weite Flächen in Brasilien an. Der Zuckeranbau in Brasilien und in der Karibik leitete den „Zuckerzyklus“ der Kolonisationsgeschichte ein. Über nahezu 200&nbsp;Jahre waren Anbau, Transport und Handel nach Europa die wirtschaftliche Grundlage der Kolonien und des Reichtums der Könige in Lissabon und Madrid, bis die ersten Goldfunde in Brasilien gegen Ende des 17.&nbsp;Jahrhunderts einen neuen Wirtschaftszyklus einleiteten.


=== Der Übergang zum Rübenzucker ===
=== Der Übergang zum Rübenzucker ===
1747 entdeckte der Apotheker [[Andreas Sigismund Marggraf]], dass die [[Futterrübe|Runkelrübe]] (''Beta vulgaris'' ssp. ''vulgaris'', Crassa-Gruppe)<ref>[http://www.plantnames.unimelb.edu.au/Sorting/Beta.html Wissenschaftliche Namen von ''Beta vulgaris'' bei MMPND.]</ref> knapp 2 % Zucker enthält, der mit dem Rohrzucker chemisch identisch ist. Um 1786 begann [[Franz Karl Achard]] den Zuckergehalt durch [[Pflanzenzüchtung|Züchtung]] zu erhöhen&nbsp;– aktuelle Zuckerrübensorten enthalten 17 bis 22 %<ref>[https://www.ble.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2018/180912_Zuckerruebe.html ''Zuckerrübenernte 2018: Kleine Rüben – hoher Zuckergehalt?''] von [[Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung]]</ref> &nbsp;– und Verfahren zu entwickeln, den Zucker aus den Rüben zu isolieren. Dadurch wurde [[Preußen]] von dem durch [[Napoleon Bonaparte|Napoleons]] [[Kontinentalsperre]] erschwerten [[Import]] von Rohrzucker aus Übersee unabhängig und der Erwerb von Zucker für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich.<ref>[http://www.nzz.ch/lebensart/gesellschaft/die-karriere-einer-politischen-knolle-1.18664756 ''Die Zuckerrübe – Die Karriere einer politischen Knolle''.] In: ''[[Neue Zürcher Zeitung|NZZ]]'', 18. Dezember 2015.</ref>
1747 entdeckte der Apotheker [[Andreas Sigismund Marggraf]], dass die [[Futterrübe|Runkelrübe]] (''Beta vulgaris'' ssp. ''vulgaris'', Crassa-Gruppe)<ref>[http://www.plantnames.unimelb.edu.au/Sorting/Beta.html Wissenschaftliche Namen von ''Beta vulgaris'' bei MMPND.]</ref> knapp 2 % Zucker enthält, der mit dem Rohrzucker chemisch identisch ist. Um 1786 begann [[Franz Karl Achard]], den Zuckergehalt durch [[Pflanzenzüchtung|Züchtung]] zu erhöhen&nbsp;– aktuelle Zuckerrübensorten enthalten 17 bis 22&nbsp;%<ref>[https://www.ble.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2018/180912_Zuckerruebe.html ''Zuckerrübenernte 2018: Kleine Rüben – hoher Zuckergehalt?''] von [[Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung]]</ref>&nbsp;– und Verfahren zu entwickeln, den Zucker aus den Rüben zu isolieren. Dadurch wurde [[Preußen]] von dem durch [[Napoleon Bonaparte|Napoleons]] [[Kontinentalsperre]] erschwerten [[Import]] von Rohrzucker aus Übersee unabhängig und der Erwerb von Zucker für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich.<ref>[http://www.nzz.ch/lebensart/gesellschaft/die-karriere-einer-politischen-knolle-1.18664756 ''Die Zuckerrübe – Die Karriere einer politischen Knolle''.] In: ''[[Neue Zürcher Zeitung|NZZ]]'', 18. Dezember 2015.</ref>


Rohrzucker könnte heute wegen der niedrigen Löhne in den Anbauländern und des größeren Ertrages wieder weitaus preisgünstiger sein als Rübenzucker. Dem entgegen stehen allerdings in der [[Europäische Union|EU]] einerseits hohe Zölle, die den Rohrzucker verteuern, andererseits Subventionen, die den einheimischen Rübenzucker verbilligen. Die [[Europäische Zuckermarktordnung|EU-Zuckermarktordnung]] lief jedoch zum 30. September 2017 aus.
Rohrzucker könnte heute wegen der niedrigen Löhne in den Anbauländern und des größeren Ertrages wieder weitaus preisgünstiger sein als Rübenzucker. Dem entgegen stehen allerdings in der [[Europäische Union|EU]] einerseits hohe Zölle, die den Rohrzucker verteuern, andererseits Subventionen, die den einheimischen Rübenzucker verbilligen. Die [[Europäische Zuckermarktordnung|EU-Zuckermarktordnung]] lief jedoch zum 30.&nbsp;September 2017 aus.


== Verarbeitung ==
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{{Hauptartikel|Zucker#Sorten|titel1=Zucker}}
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[[Datei:Muscovadosugar.jpg|mini|Muscovado-Zucker (links), anderer brauner Zucker (rechts)]]
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Neben dem weißen Raffinade-Zucker gibt es Roh-Rohrzucker und [[Vollrohrzucker]], der auch als getrockneter Zuckerrohrsaft bezeichnet wird. Roh-Rohrzucker ist teilweise raffiniert und enthält 0,3 bis 1 % [[Melasse]]. Vollrohrzucker ist unraffiniert und enthält alle im Zuckerrohr enthaltenen Mineralien, insbesondere [[Eisen]], [[Magnesium]], [[Calcium]] und [[Phosphor]] sowie B-[[Vitamine]]. Der braune Zucker weist gegenüber dem Weißzucker keine wesentlichen [[Physiologie|physiologischen]] Vorteile auf. Das Vorkommen verunreinigender Fremdstoffe wird kritisch diskutiert.<ref name="ternes">{{BibISBN|3-89947-165-2}}</ref> Charakteristisch für diesen Zucker ist der intensive Eigengeschmack nach Melasse.
Neben dem weißen Raffinade-Zucker gibt es Roh-Rohrzucker und [[Vollrohrzucker]] (auch „Muscovado“ genannt), der auch als getrockneter Zuckerrohrsaft bezeichnet wird. Roh-Rohrzucker ist teilweise raffiniert und enthält 0,3 bis 1 % [[Melasse]]. Vollrohrzucker ist unraffiniert und enthält alle im Zuckerrohr enthaltenen Mineralien, insbesondere [[Eisen]], [[Magnesium]], [[Calcium]] und [[Phosphor]] sowie B-[[Vitamine]]. Der braune Zucker weist gegenüber dem Weißzucker keine wesentlichen [[Physiologie|physiologischen]] Vorteile auf. Das Vorkommen verunreinigender Fremdstoffe wird kritisch diskutiert.<ref name="ternes">{{BibISBN|3-89947-165-2}}</ref> Charakteristisch für diesen Zucker ist der intensive Eigengeschmack nach Melasse.
Eine dunklere Version des Roh-Rohrzuckers mit großen Kristallen und ca. 2 bis 3 % Melassegehalt nennt man ''Golden Brown'' oder ''[[Demerara-Zucker|Demerara]]''.
Eine dunklere Version des Roh-Rohrzuckers mit großen Kristallen und ca. 2 bis 3 % Melassegehalt nennt man ''Golden Brown'' oder ''[[Demerara-Zucker|Demerara]]''.


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== Ökobilanz ==
== Ökobilanz ==
Rohrzucker kommt aus Paraguay. Dass [[Ökologische Landwirtschaft|Bio-]]Rübenzucker die Umwelt um etwa 37 % weniger belastet als [[Max-Havelaar-Stiftung (Schweiz)#Zertifizierte Produkte|Bio-Fairtrade-Rohrzucker]] aus Paraguay, ist – neben dem Import aus Übersee – auf diverse Aspekte im landwirtschaftlichen Anbau und in der Zuckerfabrikation zurückzuführen. In Süddeutschland und in der Schweiz sind die Felderträge im Rübenanbau mit 58&nbsp;t/ha geringfügig höher als die Felderträge im Zuckerrohranbau in Paraguay mit 55,5&nbsp;t/ha und gleichzeitig weisen die Schweizer Fabriken mit 1 t Zucker aus 6,6&nbsp;t Rüben eine viel höhere Zuckerausbeute auf als die Zuckerfabriken in Paraguay mit 1 t Zucker aus 11,4&nbsp;t Zuckerrohr. Entsprechend muss im Vergleich zu Paraguay etwa 45 % weniger Anbaufläche landwirtschaftlich bewirtschaftet werden, um die für 1&nbsp;t Zucker erforderliche Rüben- beziehungsweise Zuckerrohrmenge zu produzieren. Aufgrund des hohen Anteils des Anbaus am [[Ökologischer Fußabdruck|Umweltfußabdruck]] des Bio-Zuckers beeinflusst dies die Resultate sehr stark zugunsten des Rübenzuckers.<ref>[[Schweizer Zucker AG]]: [http://www.rebio.de/wordpress/wp-content/uploads/2018/01/Nachhaltigkeitsstudie_Biozucker_Kurzfassg.pdf ''Bio-Rübenzucker ist ökologisch und sozial besser.''] Studie 2017. In: rebio.de, abgerufen am 30. März 2018.</ref>
Laut einer von der Schweizer Zucker AG herausgegebenen Studie belastet [[Ökologische Landwirtschaft|Bio-]]Rübenzucker die Umwelt um etwa 37 % weniger als [[Max-Havelaar-Stiftung (Schweiz)#Zertifizierte Produkte|Bio-Fairtrade-Rohrzucker]] aus Paraguay. Dies ist – neben dem Import aus Übersee – auf diverse Aspekte im landwirtschaftlichen Anbau und in der Zuckerfabrikation zurückzuführen. In Süddeutschland und in der Schweiz sind die Felderträge im Rübenanbau mit 58&nbsp;t/ha geringfügig höher als die Felderträge im Zuckerrohranbau in Paraguay mit 55,5&nbsp;t/ha und gleichzeitig weisen die Schweizer Fabriken mit 1 t Zucker aus 6,6&nbsp;t Rüben eine viel höhere Zuckerausbeute auf als die Zuckerfabriken in Paraguay mit 1 t Zucker aus 11,4&nbsp;t Zuckerrohr. Entsprechend muss im Vergleich zu Paraguay etwa 45 % weniger Anbaufläche landwirtschaftlich bewirtschaftet werden, um die für 1&nbsp;t Zucker erforderliche Rüben- beziehungsweise Zuckerrohrmenge zu produzieren. Aufgrund des hohen Anteils des Anbaus am [[Ökologischer Fußabdruck|Umweltfußabdruck]] des Bio-Zuckers beeinflusst dies die Resultate sehr stark zugunsten des Rübenzuckers.<ref>[[Schweizer Zucker AG]]: [http://www.rebio.de/wordpress/wp-content/uploads/2018/01/Nachhaltigkeitsstudie_Biozucker_Kurzfassg.pdf ''Bio-Rübenzucker ist ökologisch und sozial besser.''] Studie 2017. In: rebio.de, abgerufen am 30. März 2018.</ref>


== Literatur ==
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== Einzelnachweise ==
== Anmerkungen ==
<references />
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Aktuelle Version vom 5. Februar 2024, 16:58 Uhr

Rohrzucker ist die Warenbezeichnung für Haushaltszucker (Saccharose, von lateinisch saccharum[1]), der aus Zuckerrohr gewonnen wird. Der in Mitteleuropa produzierte Zucker wird dagegen aus der Zuckerrübe gewonnen und heißt Rübenzucker; chemisch besteht kein Unterschied zwischen reinem Rohrzucker und reinem Rübenzucker. Saccharose ist ein Disaccharid, also ein aus zwei Monosaccharidmolekülen (Glucose und Fructose) aufgebauter Zucker. Die Summenformel lautet C12H22O11.

Brauner Rohrzucker als Zutat für Caipirinha
Brauner Zucker in Würfelform

Herkunft

Zuckerrohr

Zuckerrohr (Saccharum officinarum L.; früher Arundo sacchararia L.), ein Gras mit 4 bis 6 cm dicken Stängeln aus der Familie der Poaceae, enthält einen süßen Saft, der zur Zuckerproduktion ausgepresst wird. Anbauländer sind u. a. Brasilien, Kuba, Mauritius, USA, Südafrika, Australien und die Philippinen.

Der Ursprung des Zuckerrohrs liegt in Polynesien. Seit dem 5. Jahrhundert wird es in Indien[2] landwirtschaftlich genutzt. Die Kreuzfahrer brachten den Zucker nach Europa. Hauptumschlagsplatz war Venedig. Der Zucker galt damals als Luxusartikel, so dass der größte Teil der Bevölkerung die Speisen weiterhin – wenn überhaupt – mit Honig oder zu Sirup eingekochtem Fruchtsaft süßte.

In Sizilien und Südspanien wurde das Zuckerrohr zunächst von den Arabern[3] angebaut. Nach der Reconquista verlagerten die Spanier den Anbau auf die Kanarischen Inseln, von wo er in die Karibik und damit auch nach Jamaika gelangte.

Die Portugiesen brachten die Pflanze nach Südamerika und bauten bereits im 16. Jahrhundert weite Flächen in Brasilien an. Der Zuckeranbau in Brasilien und in der Karibik leitete den „Zuckerzyklus“ der Kolonisationsgeschichte ein. Über nahezu 200 Jahre waren Anbau, Transport und Handel nach Europa die wirtschaftliche Grundlage der Kolonien und des Reichtums der Könige in Lissabon und Madrid, bis die ersten Goldfunde in Brasilien gegen Ende des 17. Jahrhunderts einen neuen Wirtschaftszyklus einleiteten.

Der Übergang zum Rübenzucker

1747 entdeckte der Apotheker Andreas Sigismund Marggraf, dass die Runkelrübe (Beta vulgaris ssp. vulgaris, Crassa-Gruppe)[4] knapp 2 % Zucker enthält, der mit dem Rohrzucker chemisch identisch ist. Um 1786 begann Franz Karl Achard, den Zuckergehalt durch Züchtung zu erhöhen – aktuelle Zuckerrübensorten enthalten 17 bis 22 %[5] – und Verfahren zu entwickeln, den Zucker aus den Rüben zu isolieren. Dadurch wurde Preußen von dem durch Napoleons Kontinentalsperre erschwerten Import von Rohrzucker aus Übersee unabhängig und der Erwerb von Zucker für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich.[6]

Rohrzucker könnte heute wegen der niedrigen Löhne in den Anbauländern und des größeren Ertrages wieder weitaus preisgünstiger sein als Rübenzucker. Dem entgegen stehen allerdings in der EU einerseits hohe Zölle, die den Rohrzucker verteuern, andererseits Subventionen, die den einheimischen Rübenzucker verbilligen. Die EU-Zuckermarktordnung lief jedoch zum 30. September 2017 aus.

Verarbeitung

Kräuterbonbons

Solange der Zucker ein Luxusartikel war, wurde er von Apothekern mit Heil- und Gewürzmitteln (Anis, Fenchel) vermengt und zu Kräuterbonbons (Confectiones) verarbeitet. Dazu wurde der Zucker erhitzt, so dass er karamellisierte und zähflüssig wurde. Durch Zugabe von Stärkemehl wurde verhindert, dass der Zucker beim Erkalten auskristallisierte und die Bonbons trüb wurden. Die mit den Zusatzstoffen versetzte Masse wurde auf Steinplatten ausgegossen und in kleine Stücke zerschnitten.

Zuckerherstellung

Zuckersorten

Muscovado-Zucker (links), anderer brauner Zucker (rechts)

Neben dem weißen Raffinade-Zucker gibt es Roh-Rohrzucker und Vollrohrzucker (auch „Muscovado“ genannt), der auch als getrockneter Zuckerrohrsaft bezeichnet wird. Roh-Rohrzucker ist teilweise raffiniert und enthält 0,3 bis 1 % Melasse. Vollrohrzucker ist unraffiniert und enthält alle im Zuckerrohr enthaltenen Mineralien, insbesondere Eisen, Magnesium, Calcium und Phosphor sowie B-Vitamine. Der braune Zucker weist gegenüber dem Weißzucker keine wesentlichen physiologischen Vorteile auf. Das Vorkommen verunreinigender Fremdstoffe wird kritisch diskutiert.[7] Charakteristisch für diesen Zucker ist der intensive Eigengeschmack nach Melasse. Eine dunklere Version des Roh-Rohrzuckers mit großen Kristallen und ca. 2 bis 3 % Melassegehalt nennt man Golden Brown oder Demerara.

Der Begriff „Rohrzucker“ wird oft auch fälschlicherweise als Bezeichnung für braunen Zucker verwendet, obwohl es auch braunen Zucker gibt, der aus Rüben gewonnen wird. Dieser ist jedoch ein raffinierter Zucker, der aus braunem Kandissirup hergestellt wird, daher ist auch die Bezeichnung „Kandisfarin“ gebräuchlich. Im Französischen ist der generische Begriff für jeden unraffinierten (braunen) Zucker cassonade.

Ökobilanz

Laut einer von der Schweizer Zucker AG herausgegebenen Studie belastet Bio-Rübenzucker die Umwelt um etwa 37 % weniger als Bio-Fairtrade-Rohrzucker aus Paraguay. Dies ist – neben dem Import aus Übersee – auf diverse Aspekte im landwirtschaftlichen Anbau und in der Zuckerfabrikation zurückzuführen. In Süddeutschland und in der Schweiz sind die Felderträge im Rübenanbau mit 58 t/ha geringfügig höher als die Felderträge im Zuckerrohranbau in Paraguay mit 55,5 t/ha und gleichzeitig weisen die Schweizer Fabriken mit 1 t Zucker aus 6,6 t Rüben eine viel höhere Zuckerausbeute auf als die Zuckerfabriken in Paraguay mit 1 t Zucker aus 11,4 t Zuckerrohr. Entsprechend muss im Vergleich zu Paraguay etwa 45 % weniger Anbaufläche landwirtschaftlich bewirtschaftet werden, um die für 1 t Zucker erforderliche Rüben- beziehungsweise Zuckerrohrmenge zu produzieren. Aufgrund des hohen Anteils des Anbaus am Umweltfußabdruck des Bio-Zuckers beeinflusst dies die Resultate sehr stark zugunsten des Rübenzuckers.[8]

Literatur

  • Jeremy M. Berg, John L. Tymoczko, Lubert Stryer: Biochemie. 6 Auflage, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2007. ISBN 978-3-8274-1800-5.
  • Donald Voet, Judith G. Voet: Biochemistry. 3. Auflage, John Wiley & Sons, New York 2004. ISBN 0-471-19350-X.
  • Bruce Alberts, Alexander Johnson, Peter Walter, Julian Lewis, Martin Raff, Keith Roberts: Molecular Biology of the Cell, 5. Auflage, Taylor & Francis 2007, ISBN 978-0815341062.
Wiktionary: Rohrzucker – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Anmerkungen

  1. Vgl. etwa Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 154 (Saccharum album = raffinierter/weißer Zucker, Saccharum candi = kristallisierter Rohrzucker bzw. Kandiszucker, Saccharum rubeum oder Saccharum crudum = Thomaszucker).
  2. Sárkarā ist die sanskritische Bezeichnung für Grieß, Kiesel oder Zucker. Daraus entstand das griechische sákcharon, aus dem das lateinische saccharon bzw. saccharum entlehnt wurde, aus dem schließlich die Fachbezeichnung Saccharose entstand.
  3. Vom arabischen sukkar leitet sich das italienische zucchero ab, aus dem dann das deutsche Zucker entlehnt wurde.
  4. Wissenschaftliche Namen von Beta vulgaris bei MMPND.
  5. Zuckerrübenernte 2018: Kleine Rüben – hoher Zuckergehalt? von Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
  6. Die Zuckerrübe – Die Karriere einer politischen Knolle. In: NZZ, 18. Dezember 2015.
  7. Waldemar Ternes, Alfred Täufel, Lieselotte Tunger, Martin Zobel (Hrsg.): Lebensmittel-Lexikon. 4., umfassend überarbeitete Auflage. Behr, Hamburg 2005, ISBN 3-89947-165-2.
  8. Schweizer Zucker AG: Bio-Rübenzucker ist ökologisch und sozial besser. Studie 2017. In: rebio.de, abgerufen am 30. März 2018.