Populismus

Populismus, Populist (v. lat.: populus = Volk) bezeichnet politische Strömungen bzw. Politiker, die vereinfachende, sich auf Stimmungen (Emotionen) beziehende Parolen und Aktionen zur Lösung akuter Probleme anbieten.

Der Begriff

Umgangssprache

Der Duden erklärt den Begriff als opportunistische Politik, die die Gunst der Massen zu gewinnen sucht [Beleg]. In der Umgangssprache ist dies ein häufiger Vorwurf an bestimmte Parteien und einzelne Politiker. Besonders in Europa verwenden ihre politischen Gegner den Ausdruck als Kampfbegriff (Schlagwort), um eine Manipulation und Instrumentalisierung der Bevölkerung für eigene Zwecke zu kritisieren.[1] Sie werfen ihnen vor, mit leeren oder unrealistischen Versprechungen Wählerstimmen gewinnen zu wollen, und sagen ihnen dabei oft persönliches Machtstreben, mangelnde Verantwortung für die politische Zukunft des Landes, fehlende Nachhaltigkeit der politischen Ziele und fehlende Lösungen für aktuelle Probleme nach.

Als Populisten bezeichnete Politiker betonen dagegen in der Regel ihre „Bürgernähe“ im Gegensatz zur „etablierten“ Politik, werfen ihren Gegnern vor, problemblind zu sein, undemokratisch vorzugehen und elitären Partikularinteressen verpflichtet zu sein.

Der Vorwurf des Populismus wiegt in Deutschland und Österreich wegen der Berufung des Nationalsozialismus auf das „gesunde Volksempfinden“ schwerer als in vielen anderen Staaten. Da in Demokratien jedoch alle relevanten politischen Kräfte um Bevölkerungszustimmung werben und sich dazu der Massenmedien bedienen, ist gewöhnliche demokratische Wahlwerbung vielfach nicht von dem, was als Populismus kritisiert wird, zu unterscheiden. In den USA etwa wird von den Parteien geradezu erwartet, sich – besonders in nationalen Wahlkämpfen – mit „populären“ Forderungen zu positionieren und entsprechend zu verhalten.

Sozialwissenschaft

„Populismus“ wird nicht als Fachterminus für eine ganz bestimmte Politik verwendet, da die vage Begriffsbedeutung Wissenschaftlern nicht zur Unterscheidung „populistischer“ von „etablierter“ Politik ausreicht.

Der Sozialwissenschaftler Thomas Meyer nennt grundsätzlich verschiedene Arten des Populismus: Dieser könne sowohl eine „Herrschaftstechnik“ als auch eine „soziale Protestbewegung gegen entfremdete Herrschaft“, also ein echter Vorstoß für mehr Demokratie sein; oft gebe es Mischformen, in denen sich „Form“ (Methode der Machtgewinnung) und „Inhalt“ (demokratische Ziele) verbinden. [2]

Trotz dieser Mehrdeutigkeit wird versucht, den Einfluss des verbreiteten Phänomens auf die Demokratie zu erforschen. Als seine Ursachen gelten komplexe gesellschaftliche Problemlagen, wobei ein akutes Modernisierungsproblem als Hauptgrund für populistische Strömungen vermutet wird. Dieses löse „auf kulturellem, sozialem oder ökonomischem Gebiet Bedrohungsängste, Entwurzelungserfahrungen, Unsicherheiten und Ängste“ aus. Hinzu trete „die Wirkung eines jeweils speziellen politischen Rahmens, der durch einen kulturell-institutionellen Anknüpfungspunkt bestimmte Reaktionsmuster nahe legt“.[3]

Neue politische Ökonomie

In der Neuen Politischen Ökonomie (NPÖ) wird Populismus als Tendenz von führenden Parteipolitikern zur gesellschaftlichen „Mitte“ hin aufgefasst. Diese entstehe durch die Reduktion von Problemlösungen auf einfache Alternativen (z.B. links/rechts; Einsatz weniger/vieler Polizisten; geringe/hohe Agrarprotektion), so dass zwei politische Kontrahenten nur durch eine ideale Mittelposition, die den meisten Wählern annehmbar erscheint, Mehrheiten gewinnen zu können glauben (Medianwählermodell).

Um sich aber überhaupt wählen lassen zu können, muss der Politiker erst von einer Partei nominiert werden, deren Mitglieder aus einem bestimmten Spektrum links bzw. rechts des angenommenen „Medianwählers“ kommen können. Er muss somit zuerst bei der parteiinternen Kandidatur eine Position innerhalb des Spektrums der Partei vertreten. Erst wenn es um ein überparteiliches Führungsamt geht (office-seeking), tendieren Spitzenpolitiker im Wahlkampf gegen den Kandidaten der anderen Partei dahin, ihre Position zur angenommenen Mitte hin zu verlegen. Als Beispiel für diese Art Populismus gilt der 1998 von Gerhard Schröder geführte Wahlkampf um die Neue Mitte, bei denen ursprüngliche Positionen seiner Partei aufgegeben worden seien, um ein größeres Wählerspektrum anzusprechen.

Geschichte

Der Begriff „Populismus“ kam in der Sozialwissenschaft Ende des 19. Jahrhunderts auf. Diese beschrieb damit die Farmerbewegung in den USA, die gegen das in New York City konzentrierte Großkapital für eine Politik billiger Kredite, die Silberwährung, Referendumsdemokratie und landwirtschaftliche Verwertungsgenossenschaften kämpfte und dazu 1892 die People's Party gründete. Die Demokratische Partei griff manche dieser Forderungen und Ideen auf, so dass diese im New Deal nachwirkten. Richard Hofstadter verwies auf mehr oder weniger ausgeprägten Antisemitismus in dieser demokratischen Reformbewegung.

Auch rückblickend wird der Begriff angewandt, z.B. für Tyrannen der griechischen Antike oder für Agitation von Bettelmönchen (Dominikanern, Kapuzinern) im Mittelalter und in der frühen Neuzeit.

In den 1970er Jahren nannten die amerikanischen Neokonservativen die Ökologie-, Frauen- und Friedensbewegung in den USA populistisch, um sie als antimodernistische, irrationale und regressive Bewegung abzuwerten („zurück in die Steinzeit“ etc.). Neomarxistischen dagegen nannten die Politik Margaret Thatchers populistisch. Dieser britischen Premierministerin war es gelungen, die zuvor regierende Labour-Regierung als „Machtblock“ darzustellen und mit Parolen für „mehr persönliche Initiative und Freiheit“ gegen „die da oben“ abzulösen, obwohl ihre Politik des Sozialabbaus die Mehrheit ihrer Wähler selbst benachteiligte.

Als bloße Strategie zur Machtgewinnung kann Populismus sich sowohl mit „linken“ wie „rechten“ politischen Zielen verbinden. In beiden Fällen geht es darum, in parlamentarischen Institutionen nicht mehrheitsfähigen Zielen mit Berufung auf den vermeintlichen "Volkswillen" mehr Gewicht zu verleihen, ohne aber die Ersetzung von "Top-Down"-Entscheidungsprozessen durch direkte Demokratie oder z.B. rätedemokratische Modelle zu fordern. In jüngerer Zeit wurden viele rechtsgerichtete Politiker als Populisten bezeichnet, die beispielsweise durch Ausländerfeindlichkeit oder weitreichende Forderungen nach Gesetz und Ordnung auffielen. Häufig appellieren sie an das Sicherheitsbedürfnis der Bürger, sowie an ihren Nationalstolz. Als Linkspopulismus wird die Anstachelung und Instrumentalisierung des Neides der Menschen und die Proklamation "sozialromantischer" Politikvorstellungen gewertet.

Der Linken wird der Vorwurf des Populismus insbesondere wegen ihrer Sozialpolitik gemacht, von der Kritiker behaupten, sie fordere Dinge, die nicht finanzierbar seien. Zum Vorwurf des Populismus führte auch folgende Äußerung Oskar Lafontaines aus dem Jahr 2005.

„Der Staat ist verpflichtet, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Er ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und -frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen.[4]

Populismus als Strategie

Hier geht es um die Frage, wie Inhalte der Politik weitergegeben und präsentiert werden. Merkmale von Populismus als Strategie sind emotionale Kampagnen, in denen vereinfachende Lösungen auf komplexe Probleme gegeben werden.
Oftmals beinhaltet diese Form des Populismus eine opportunistische Politik, deren Hauptziel es ist, hohe Wähleranteile zu erhalten. Dies kann zu einer profillosen Politik führen. Parteiführer, die öfters als "Populisten" bezeichnet werden, sehen sich freilich auch als jene Politiker, die Tabuthemen berühren oder gewisse Erscheinungen bürgerferner Politik bekämpfen.

Oft wird auch jede politische Forderung polemisch als Populismus bezeichnet, die dem echten oder vermuteten Mehrheitswillen der Bevölkerung entspricht, aber im Widerspruch zu eigenen Zielsetzungen steht, besonders wenn diese unpopulär sind, aber (tatsächlich oder vorgeblich) aus "höherer Einsicht" resultieren. Dies wird von Kritikern als gestörtes Verhältnis zur Demokratie gewertet.

Populismus und Medien

Die "Medienlogik" der modernen "Mediendemokratie" wird in den Medienwissenschaften auch als Nährboden für "populistische Stimmungen" gesehen. Die Medienlogik regelt vorrangig nach dem System der Selektionslogik die Auswahl der Nachrichten nach ihrem Ereignis- und Nachrichtenwert und nach einem Regelsystem der Präsentationslogik. Nach der Präsentationslogik ist es das Ziel, durch einen Kriterienkatalog von "Inszenierungsformen" für die ausgewählten Nachrichten ein Maximum eines "anhaltenden Publikumsinteresses" zu erreichen. Das führt in fast allen Medien zu "Präsentationsebenen", die durch "spannungsreiche theatralische Inszenierungen" gekennzeichnet sind. [5]

Als besondere Bedingungen für Populismus zeigt sich hier eine sowohl von den politischen Akteuren als auch von den medialen Beobachtern geprägte Kommunikationsstruktur, bei der die öffentliche Darstellung von Politik und ihr tatsächlicher Vollzug von einander getrennt werden. Medienwissenschaftler wie Thomas Meyer zählt dazu die Formen einer "Symbolische Scheinpolitik", "mediengerechte Theatralisierungen", "Event-Politik" und "Image-Politik". Nach Andreas Dörner werden diese Ausformungen Politainment genannt. [6]

Auch manchen Massenmedien wie in den USA dem Fernsehsender Fox News, in England dem Boulevardblatt The Sun, in Deutschland der Bild oder in Österreich der Kronen Zeitung wird der Vorwurf des Populismus gemacht.

„Populism“ in den USA

In den USA gab es während des Übergangs vom 19. zum 20. Jahrhundert mehrere politische Parteien, die sich selbst als populistisch bezeichneten (Populist Party auch genannt People's Party). Diese waren vor allem im ländlichen Süden und Westen erfolgreich.

Ideologisch waren die Populisten vom erweckerischen Protestantismus beeinflusst. Die Populisten sahen im einfachen und ländlichen Leben einen Idealzustand, der durch die fortschreitende Industrialisierung gefährdet sei. Der unverdorbene, ehrliche, religiöse und bescheidene "Common Man" der bäuerlichen Gesellschaft wurde idealisiert, die Stadtbevölkerung (dekadente und korrupte Oberschicht, moralisch verkommene und atheistische Unterschicht) verteufelt.

Die Populisten bekämpften gleichermaßen "Big Business" (die großen Trusts und Banken der Ostküste), "Big Government" (die Zentralregierung in Washington) und "Big Labor" (die an Einfluss gewinnenden Gewerkschaften).

Zu den Forderungen der Populisten gehörten verbilligte Kredite für kleine Farmer, die umfassende Einführung von Direktwahlämtern, das Alkoholverbot sowie der Stopp vor allem nicht-protestantischer Einwanderung.

Wirkmechanismen

Es werden häufig Themen aufgegriffen, die bei möglichst vielen Bürgern starke Emotionen hervorrufen (etwa Benzinpreise, Einwanderung und Integration, Steuern, Kriminalität, Patriotismus, aber auch soziale Gerechtigkeit). Unpopuläre und komplizierte Themen werden dagegen ungeachtet ihrer realen Bedeutung vermieden oder in ihrer Bedeutung heruntergespielt, da sie dem Populisten keinen Nutzen bringen. Welche Themen als Reiz die Menschen bewegen, wird etwa in Umfragen ermittelt.

Der Populist arbeitet mit vorhandenen Klischees, Stereotypen, und Vorurteilen. Er macht Versprechen, die er nicht zu halten beabsichtigt. Er gibt sich volksnah, ungeachtet seines realen Lebensstils. Er vermittelt häufig, dass er, im Gegensatz zu anderen "abgehobenen" Politikern, Sorgen und Nöte des "kleinen Mannes" wirklich ernstnähme. Dabei profitiert er tendenziell von mangelnder Bildung bei seinem Publikum. Er ist angewiesen auf Massenmedien und Methoden der Werbung und steht dabei an der Spitze einer hierarchischen Kommunikationspyramide. In der Weise, wie er seinem Publikum schmeichelt und wie dieses ihm huldigt, ist er einem Star ähnlich.

Populismus bietet für komplexe Probleme einfache Lösungen an, die für den Laien dem Gefühl nach gut klingen - auch wenn der Experte abwinken mag: Häufig werden z.B. mehr Investitionen in innere Sicherheit gefordert, auch wenn real die Kriminalstatistik einen positiven Verlauf nimmt, aber die "gefühlte Kriminalität" - etwa aufgrund entsprechender Medienberichterstattung - dennoch zunimmt. Es werden ökonomische Aussagen ohne Sachverstand getätigt. Sündenböcke werden als Ursache komplexer Mißstände gesucht und diffamiert.
Es wird der Stammtisch bedient, ein holzschnittartiges Bild der Wirklichkeit entworfen, einfache, einprägsame Slogans und Lösungen werden angeboten, um so mehr Aufmerksamkeit zu erlangen, als es einer bedächtigen, aber eigentlich realistischeren Darstellung von Zwischentönen gelänge.

Quelle

  1. Bundeszentrale für politische Bildung [1]
  2. Thomas Meyer (2006): Populismus und Medien. VS-Verlag Wiesbaden. Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung Bonn, S. 81
  3. Thomas Meyer, a.a.O. S. 82
  4. FAZ Hintergründe:Lafontaine und der rechte Rand
  5. Thomas Meyer (2006): Populismus und Medien. a.a.O. Seiten 83
  6. Thomas Meyer (2006): Populismus und Medien. a.a.O. Seiten 84 f.

Literatur

  • Hans-Georg Betz: „Rechtspopulismus in Westeuropa. Aktuelle Entwicklungen und politische Bedeutung“. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 3/2002: 251-264
  • Frank Decker: Der neue Rechtspopulismus. Leske + Budrich, Opladen 2004
  • Frank Decker (Hg.): Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv? Wiesbaden 2006
  • Helmut Dubiel (Hg.): Populismus und Aufklärung, edition suhrkamp, 1986
  • Susanne Frölich-Steffen / Lars Rensmann (Hrsg.): Populisten an der Macht. Populistische Regierungsparteien in West- und Osteuropa. Wien 2005
  • Oliver Geden: „Rechtspopulismus. Funktionslogiken - Gelegenheitsstrukturen - Gegenstrategien“ SWP-Studie, S 17, 2007
  • Oliver Geden: Diskursstrategien im Rechtspopulismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006
  • Wolfgang Gessenharter / Helmut Fröchling (Hg.): Rechtsextremismus und Neue Rechte in Deutschland. Neuvermessung eines politisch-ideologischen Raumes? Opladen: Leske + Budrich 1998
  • Florian Hartleb: Rechts- und Linkspopulismus - Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS, Phil. Diss. Univ. Chemnitz, 361 S., VS Verl. für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004 ISBN 3-531-14281-X
    • Florian Hartleb: „Rechts- und Linkspopulismus im westeuropäischen Vergleich – Zur strukturellen und inhaltlichen Bestimmung eines eigenständigen Parteientypus.“ In: Gefährdungen der Freiheit. Extremistische Ideologien im Vergleich. Hrsg. von Uwe Backes, (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 29), Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006 ISBN 3-525-36905-0 S. 105 ff.
  • Richard Hofstadter: The Age of Reform; From Bryan to FDR, New York, 1955
  • Everhard Holtmann / Adrienne Krappidel / Sebastian Rehse: Die Droge Populismus - Zur Kritik des politischen Vorurteils, Wiesbaden 2006
  • Michael Jungwirth (Hg.): Haider, Le Pen & Co. Europas Rechtspopulisten. Graz 2002.
  • Yves Mény / Yves Surel (Hg.): Democracies and the Populist Challenge. Houndsmill/New York 2002.
  • Thomas Meyer (2006): „Populismus und Medien“. In: Frank Decker (Hg.): Populismus in Europa. VS-Verlag Wiesbaden. Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung Bonn. ISBN: 3-89331-680-9.
  • Patrick Moreau und Viola Neu: Die PDS zwischen Linksextremismus und Linkspopulismus. Aus dem Franz. übers., 108 S., Konrad-Adenauer-Stiftung, Bereich Forschung und Beratung: Interne Studien 76, Sankt Augustin ISBN 3-930163-31-4
  • Peter Peetz: Neopopulismus in Lateinamerika. Die Politik von Alberto Fujimori (Peru) und Hugo Chávez (Venezuela) im Vergleich. (Beiträge zur Lateinamerikaforschung, Bd. 7) Hamburg: Institut für Iberoamerika-Kunde, 2001
  • Sebastian Reinfeldt: Nicht-wir und Die-da. Studien zum rechten Populismus. Wien 2000
  • Paul Taggart: Populism. Buckingham, Philadelphia 2000
  • Nikolaus Werz (Hrsg.): Populismus. Populisten in Übersee und Europa. Leske + Budrich, Opladen 2003

Siehe auch