Martin Sellner

Martin Sellner (2019)

Martin Michael Sellner (* 8. Jänner 1989 in Wien) ist ein österreichischer politischer Aktivist, Sprecher der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) und Autor. Er steht im engen Austausch mit der Neuen Rechten in Deutschland.

Leben

Sellner wuchs als Sohn eines Homöopathen[1] und einer Englischlehrerin in Baden bei Wien auf.[2] Als Teenager schloss er sich der Neonazi-Szene an.[3] Sein Mentor war Gottfried Küssel.[4] Sellner leistete Präsenzdienst (Grundwehrdienst) beim österreichischen Bundesheer.[5] In Wien studierte er Philosophie[6] mit Bachelor-Abschluss. Das Studium der Rechtswissenschaft brach er ab.[7]

Sellner hat einen Onlineshop, der T-Shirts vertreibt. Nach einem Bericht in der Zeitschrift Profil wird er teilweise von Sympathisanten über ein Spendenportal finanziert.[2] Zur Verbreitung seiner politischen Botschaften nutzte Sellner einen YouTube-Kanal. Zwischen 2017 und 2019 hatte er 411 Videos hochgeladen. Seit er wegen mehrmaligen Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen auf Instagram endgültig gesperrt ist, ebenso auf Twitter, und auf Facebook blockiert wird (auf YouTube seit dem 13. Juli 2020[8][9]), versucht die US-amerikanische Vloggerin der Alt-Right-Bewegung Brittany Pettibone, mit der Sellner seit August 2019 verheiratet ist,[10] ihn über die sozialen Medien in den USA populär zu machen.[11]

Politische Positionen und Aktivitäten

Sellner wurde in der schlagenden Verbindung Wiener Burschenschaft Olympia politisch sozialisiert,[12][13] die vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) als rechtsextrem eingestuft wird. Mittlerweile ist er, wie auch andere „Identitäre“, Mitglied der Universitätssängerschaft Barden zu Wien[12] sowie Mitglied der Landsmannschaft Waltharia zu Wien. 2015 veröffentlichte er einen Artikel in den Burschenschaftlichen Blättern.[13]

Er pflegt Kontakte zu den deutschen Politikern Björn Höcke (AfD) und André Poggenburg sowie zu dem Verleger Götz Kubitschek, einem Protagonisten der Neuen Rechten in Deutschland.[14] Er war für mehrere Wochen[15] Gast in Kubitscheks Haus[16] und schreibt seit 2015 für dessen Zeitschrift Sezession.[17] Zudem beteiligte er sich an einem Propaganda-Video für Kubitscheks fremdenfeindliche Kampagne „Ein Prozent für unser Land[16] und arbeitet laut dem Rechtsextremismusforscher Helmut Kellershohn zusammen mit weiteren Akteuren der Neuen Rechten an dem von Kubitschek initiierten Institut für Staatspolitik in Deutschland mit.[18] In Kubitscheks Verlag Antaios erschienen auch Sellners Schriften Gelassen in den Widerstand sowie Identitär.

Martin Sellner bei einer Kundgebung in Graz, 2016

Darüber hinaus unterstützt Sellner die deutschen „Identitären“,[17] trat im Februar 2016 als Redner bei den rechtspopulistischen Pegida-Demonstrationen in Dresden auf[17] und nahm im September 2016 an einer Veranstaltung des Querfront-Magazins Compact von Jürgen Elsässer teil.[16] Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Hajo Funke, der sich mit Sellners Veröffentlichungen befasst hat, führt dieser „einen Kampf für ein neues völkisches Europa“.[19]

Eine „kranke Ideologie der Gleichheit“ versuche, so Sellner 2013, die Menschheit zu „vereinheitlichen“. Auch in der Geschlechterpolitik führe eine derartige „Ideologie“ zu „einem androgynen, formlosen, typenlosen Einheitsmenschen“; letztendlich gebe es dann „keine echten Männer und keine Frauen mehr“.[20]

Für Sellner ist ein Volk eine gegen alles Fremde abgegrenzte Abstammungsgemeinschaft ebenso wie eine Sprach- und Kulturgemeinschaft. Jeder einzelne Mensch befinde sich, wie er 2016/2017 äußerte, in einem „Körper, dessen kleinste Makel und Stärken aus der Lebensführung endloser Ahnenketten in einer Sprach- und Kulturwelt aus dem tagtäglichen Gebrauch unserer Vorfahren entstanden und gewachsen“ seien. Diese Ausführungen basieren auf der Vorstellung, dass Menschen nur als Produkte des ethnokulturellen Kollektivs existieren. Ein Beitritt entziehe sich somit völlig dem freien Willen und lasse sich laut Sellner „nicht mit willkürlichen Entscheidungen und bloß juristischen Feststellungen bewerkstelligen“.[21]

In einem Vortrag vor der Winterakademie des Instituts für Staatspolitik sagte Sellner im Februar 2017, es sei besser, „die Gegner, die Antifa, die Islamisten in das offene Messer der Militanz und Gewalttätigkeit laufen zu lassen, damit der Staat letztendlich sie abschüttelt“. Jedoch gehe Gewaltlosigkeit für ihn „Hand in Hand mit der Fähigkeit, sich selber wehren zu können“.[22]

In seinem Buch Identitär! Geschichte eines Aufbruchs (2017) schrieb Sellner, dass die Eroberung der Machtmittel „in der Austrocknung, Unterminierung und Isolierung der herkömmlichen Mainstreammedien“ sowie der „gleichzeitigen Schaffung einer alternativen Gegenöffentlichkeit“ liege.[23] Parteien könnten, so Sellner, anders als eine außerparlamentarische Opposition, die „Aufgabe einer metapolitischen Wende“ nicht bewältigen, da ihr einziger Sinn und Daseinszweck in Wahlerfolgen liege. Doch einer Partei wie der AfD falle die Aufgabe zu, die „Veränderungen in der Metapolitik und öffentlicher Meinung auch realpolitisch umzusetzen“.[24]

Auf seinem Telegram-Kanal teilte Sellner seinen Abonnenten mit, dass der „Widerstand […] keinen Soros, keine EU-Fördergelder“ habe, „sondern nur euch“. Vor dem Hintergrund, dass Soros innerhalb der Neuen Rechten als „Strippenzieher des Kapitals“ und Initiator des vermeintlichen „Großen Austauschs“ gilt, schreiben Stegemann/Musyal, dass Sellner mit „genau diesen strukturell antisemitischen Klischees“ spiele, „um eine aufrechte Gemeinschaft des Widerstands zu konstruieren und Identifikation zu erzeugen“.[25]

Sellner, der selbst Mitbegründer des rechten Trollservers Infokrieg und bei dessen Nachfolger Reconquista Germanica prominentes Mitglied war, äußerte zu den entsprechenden Onlineplattformen: „Ich sehe da einen Wirbelsturm, ein Chaospotenzial, Hass und Zorn, das immun geworden ist gegen jedes moralische Dogma. Und das wird die Political Correctness massiv beschädigen.“[26]

Anfang 2017 wurde gegen Sellner ein vorläufiges Waffenverbot erlassen, nachdem er im Wiener Jonasreindl aus einer Pfefferspraypistole Schüsse auf zwei Unbekannte abgegeben hatte, die ihn nach eigenen Angaben angegriffen haben sollen. Die Polizei nahm Ermittlungen wegen des Verdachts der gegenseitigen Körperverletzung auf.[27]

Sellner war 2017 maßgeblich an der Aktion Defend Europe beteiligt.[28] Im März 2018 wollte er nach eigenen Angaben eine Rede über „Meinungsfreiheit in der modernen Welt“ am Speakers’ Corner in London halten. Am 9. März wurde Sellner am Flughafen London-Luton festgenommen und ihm wurde die Einreise von den britischen Behörden untersagt.[29] Die Behörden teilten Sellner, seiner Freundin Brittany Pettibone und der Alt-Right-Aktivistin und Journalistin Lauren Southern, die sich mit ihnen hatte treffen wollen, mit, dass sie eine Bedrohung für die fundamentalen Interessen der Gesellschaft seien. Nachdem man sie zwei Tage festgehalten hatte, wurden alle drei abgeschoben.[30] Lutz Bachmann, der Sellners Rede eine Woche später vorlesen wollte, wurde ebenfalls abgeschoben.[31]

Nachdem Sellner in einem Youtube-Clip vom 17. März 2018 den Berliner Getränkehersteller Thomas Henry als seinen Sponsor ausgegeben hatte, erhielt er von dem Anwalt dieses Herstellers eine Abmahnung. Thomas Henry ließ öffentlich mitteilen, ein Sponsoring „des rechtsextremen Aktivisten“ werde man niemals in Betracht ziehen. Sellner zog daraufhin den Clip zurück, weigerte sich jedoch zunächst, die fälligen Anwaltsgebühren zu übernehmen.[32]

Bei einem erneuten Einreiseversuch nach Großbritannien am 13. April 2018 wurde Sellner noch an der Grenze zusammen mit Abel Bodi wiederum festgenommen und in Abschiebegewahrsam gebracht.[33]

Ende April 2018 führte die österreichische Polizei Razzien bei Sellner und Patrick Lenart sowie in anderen Räumlichkeiten durch. Ermittelt wurde wegen Verdachts auf Verhetzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung; wegen der Ermittlungen wurde das Spendenkonto der Bewegung in Ungarn gekündigt.[34] Die Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft Graz eingeleitet.[35] Johannes Jarolim (SPÖ) kritisierte die Ermittlungen: Der Paragraf 278 StGB sei nicht für solche Fälle geschaffen worden.[36] Am 26. Juli 2018 sprach das Straflandesgericht Graz Sellner und weitere 16 Angeklagten von der Anklage frei.[37] Nach Berufung der Staatsanwaltschaft bestätigte am 23. Januar 2019 das Oberlandesgericht Graz die Freisprüche.[38]

Im März 2019 führte das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Graz eine Hausdurchsuchung in Sellners Wiener Wohnung durch,[39] die später durch das Oberlandesgericht Graz als rechtswidrig eingestuft wurde, weil kein ausreichender Tatverdacht bestanden habe.[40][41] Gegen Sellner und die Identitären wurde damals der Vorwurf der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung erhoben, weil Sellner am 5. Jänner 2018 von dem australischen Rechtsterroristen Brenton Tarrant eine Spende in Höhe von rund 1500 Euro erhalten hatte. Tarrant ermordete 2019 bei einem Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch 51 Muslime.[42][43][42][44][45] In Interviews distanzierte sich Sellner von dem Attentäter und erklärte, mit dem Anschlag nichts zu tun zu haben,[42][46] musste aber einräumen, mehrfach mit ihm Kontakt gehabt zu haben.[47] Zu seiner Verteidigung behauptete Sellner zudem, die Spende habe zum Plan des Attentäters gehört, Repressionen gegen „Patrioten“ zu verursachen, um so einen Bürgerkrieg zu entfachen. Diese Strategie Sellners hielten Stegemann/Musyal für unglaubwürdig, denn wesentlich verheerender wäre es laut ihren Worten gewesen, Sellner und die Identitäre Bewegung namentlich im Tatmanifest zu erwähnen, was jedoch nicht der Fall war. Die „Parallelen im Denken“ wiesen nicht auf ein falsches Verständnis des Attentäters hinsichtlich des Gedankenguts der Identitären Bewegung hin, „sondern lediglich auf seine Radikalisierung“.[48] Laut Katja Thorwarth sieht Sellner sich und seine Bewegung als die Opfer, „gleichsam scheint er nicht nachvollziehen zu können, dass wegen der Spende eines Massenmörders eine Hausdurchsuchung stattfindet“.[44] Matthias Benz zufolge bestehen „offensichtliche weltanschauliche Parallelen“ zwischen dem Attentäter von Christchurch und den Identitären.[42] Die Rhetorik der Identitären habe den Attentäter inspiriert, schrieb Ivo Mijnssen in der NZZ: „Wie er propagiert auch Sellner die Verschwörungstheorie des „Großen Austausches“. Sie besagt, dass die „Asylindustrie“ unter Führung mächtiger Juden die Migration von Muslimen nach Europa fördert, um Nationen zu zerstören.“[47]

Seitdem prüft Österreichs Bundesregierung ein Verbot der Identitären.[49][50][51] Im Mai 2019 wurde bekannt, dass Sellner mit dem späteren Massenmörder Brenton Tarrant von Jänner bis mindestens Juli 2018 Mailkontakt hatte und sie sich gegenseitig zu einem Besuch in ihre Länder einluden. Sellner hatte Tarrant nach Wien zu einer direkten Begegnung eingeladen und ihm Aufnahme bei Identitären angeboten. Tarrant hatte Sellner als Verbündeten in einem internationalen Netzwerk angeredet: „Es wird ein langer Weg bis zum Sieg sein …“ Sellner warb für seinen YouTube-Kanal, den Tarrant als „fantastisch“ lobte. Einen Tag nach Sellners letzter Mail im Juli 2018 buchte Tarrant eine Reise nach Österreich und einen Mietwagen dafür. Sellner löschte diesen E-Mail-Austausch im März 2019 Stunden vor der Hausdurchsuchung, doch die Ermittler fanden Screenshots davon auf seinem Laptop. Darum stufte Österreichs Verfassungsschutz Sellner als „dringend tatverdächtig“ ein, „Mitglied eines bis dato nicht näher verifizierbaren international agierenden terroristischen Netzwerks zu sein“.[52]

Im April 2019 wurde bekannt, dass Sellner im Jahre 2006 polizeilich auffiel, als er gemeinsam mit einer anderen Person Hakenkreuz-Aufkleber an die Synagoge im niederösterreichischen Baden anbrachte. Auch Sticker mit einem Hakenkreuz und der Aufschrift „Legalisiert es“ sowie Aufkleber mit einem Wappen und den Buchstaben AJ (für „Arische Jugend“) wurden verwendet. Der Mittäter gab später in einer Vernehmung an, man habe „irgendetwas machen“ wollen, als man von der Verurteilung des britischen Holocaustleugners David Irving gehört habe.[53] Sellner räumte die Tat ein und leistete im Rahmen einer Diversion 100 Stunden gemeinnützige Arbeit am jüdischen Friedhof in Baden ab, weshalb die Staatsanwaltschaft auf einen Strafprozess verzichtete.[54][55]

Am 18. Juni 2019 wurden abermals zwei von ihm benutzte Wohnungen durchsucht.[56] Weiters wurde eine Kontoöffnung betrieben sowie Konten eingefroren. Auch diese Amtshandlungen waren unrechtmäßig, weil es laut Oberlandesgericht Graz keinen ausreichenden Anfangsverdacht gegen Sellner gegeben hat.[57][58]

Im Sommer 2019 schloss sich Sellner der von dem Kärntner BZÖ-Landesparteichef Karlheinz Klement ins Leben gerufenen „Allianz der Patrioten“ an und lobte das BZÖ als „patriotische Partei“. Er sollte für diese nur in Kärnten antretende BZÖ-Liste Spitzenkandidat bei der Nationalratswahl 2019 werden, lehnte jedoch ab, da er laut Klement beim „patriotischen Aktionismus“ bleiben wolle.[59]

Ende August 2019 löschte YouTube seinen Haupt-Kanal mit über 100.000 Followern.[60] Nach heftigen Protesten seines Anwalts und seiner Anhänger nahm Youtube die Löschung als „falsche Entscheidung“ zurück.[61]

Nachdem die Identitäre Bewegung während der COVID-19-Pandemie 2020 eine Verknüpfung von Krankheit und Migration behauptet hatte, verbreitete auch Sellner über seinen Telegram-Kanal Nachrichten über Asylbewerber in Quarantäne und vermeintliche Einreisen von Asylbewerbern trotz Corona-Krise.[62]

Am 10. Juli 2020 wurde sein Twitter-Account mit 40.000 Followern gesperrt.[63] Am 13. Juli folgte eine erneute Sperre seines YouTube-Kontos. Sellner kündigte an gerichtlich gegen die Sperre vorgehen zu wollen.[8]

Rezeption

Die Fachautoren Julian Bruns und Natascha Strobl, Führungsmitglied der Offensive gegen Rechts,[64] halten die Herkunft Sellners aus dem Milieu des Nationalen Widerstands für eine beispielhafte Verwurzelung der „Identitären“ im Neonazismus.[65] Im Jahre 2009 wohnte er der Ehrenbekundung am Grab des Jagdfliegers der Wehrmacht Walter Nowotny bei,[66] das als Anlaufstelle für „Gesinnungsgenossen“ (Hans-Henning Scharsach) von Neonazis gilt.[67] In diesem Zusammenhang bezeichnete ihn die Journalistin und Publizistin Nina Horaczek als „Rechtsextremisten“.[66] Sellner gehörte laut dem Politikwissenschaftler Hajo Funke „zum Umfeld“[14] der von 2009 bis 2011 aktiven neonazistischen Website Alpen-Donau.info um den Holocaust-Leugner Gottfried Küssel,[68] in dessen Kreisen er verkehrte.[69] Sellner bestätigte, früher zum näheren Umfeld von Küssel gehört zu haben. Er habe sich damals in einer „überschwänglichen pubertären Phase“ befunden.[70] Nach der Stilllegung von Alpen-Donau.info fand er „mit seinen Getreuen in den ‚Identitären‘ seine neue politische Heimat“, so Funke.[14]

Sellner ist Aktivist und Funktionär der 2012 gemeinsam[71] mit Alexander Markovics und Patrick Lenart gegründeten Identitären Bewegung Österreich (IBÖ), in der er eine Schlüsselrolle einnimmt.[15] Die Bewegung wird unter anderem vom Dokumentationsarchiv[72] und von Politikwissenschaftlern[73] dem Rechtsextremismus zugerechnet. Sellner, derzeit Kassier (2016–2018) und „Leiter“ der IBÖ,[72] war zuvor für etwa drei Jahre Leiter der IB in Wien.[17] Bereits 2012 bildete sich um Sellner eine identitäre Gruppe, die sich nach dem Rechtsextremismusforscher Heribert Schiedel (DÖW) weithin aus dem neonazistischen Milieu rekrutierte und nach dem „Vorbild osteuropäischer Neonazis“ Veranstaltungen störte.[74] Gegenwärtig betreibt Sellner gemeinsam mit Lenart, ebenfalls „Leiter“ der IBÖ, den Online-Versand Phalanx Europa mit selbst designten Artikeln.[72][75] Er veröffentlicht seit 2013 Monologe[17] auf dem Vlog Vlog Identitär.[76] Dort führte er unter anderem die „Abwertung eines […] islamisch geprägten Kulturraums durch“, wie drei Autoren zum Thema kommentierten.[77] Ferner bloggt er auf der Webseite der „Identitären“ einschlägige Beiträge.[17] Durch das versuchte Stören von politisch linken Veranstaltungen und das Produzieren von Medienbeiträgen (etwa gegen den Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien Michael Häupl) erweckte Sellner den Eindruck eines energischen Aktivwerdens im identitären Sinne.[78] Seine Präsenz sei „ein Lehrstück für die Inszenierung neurechter identitärer Ideologie“ (Christine Eckes). Er grenze sich vom Nationalsozialismus ab, benutze „vermeintlich harmloses Vokabular“ und pflege das Image eines „sympathischen netten Jungen von nebenan“.[17]

Von Breitbart News, mittlerweile Sprachrohr der Alt-Right-Bewegung, wird Sellner positiv rezipiert. Auf der rechtspopulistischen Plattform werden er und seine Anhänger als „rechte Hipster-Identitäre“ Österreichs bezeichnet, ihre Tweets geteilt und Videos präsentiert. Für die Extremismusforscherin Julia Ebner verschafft die internationale Zusammenarbeit den Extremisten Vorteile gegenüber gemäßigteren Kräften und hilft ihnen dabei, ihren weltweiten Einfluss zu erhöhen.[79]

Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich sieht Verbindungen zwischen Sellners Aktionismus und Gedanken Martin Heideggers und Carl Schmitts, die beide wegen ihrer ideologischen Nähe zum Nationalsozialismus umstritten sind. Nach Ullrich schüren die Identitären „essentialistisch-völkische Angstszenarien“. Sellners Aktionen verfolgten das Ziel, „dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen sich in ihrer Lebensweise bedroht – von einem Gegner oder Feind angegriffen – fühlen. Durch das Gefühl der Bedrohung soll dann ein Bewusstsein für das Eigene – für das, was man auf keinen Fall verlieren will – und damit für die Identität entstehen oder gestärkt werden. Diese konstituiert sich also über ein Feindbild, erhält dadurch sogar erst Form und Gestalt […]. Sellner und die Identitären hängen somit derselben Denkfigur an, die Han im Rekurs auf Carl Schmitt entwickelt.“[80]

Veröffentlichungen

Commons: Martin Sellner – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Christian Fuchs, Paul Middelhoff: Das Netzwerk der Neuen Rechten: Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern. Rowohlt, Leipzig 2019, ISBN 978-3-499-63451-2, S. 12 f.
  2. a b Andrea Röpke: 2018 Jahrbuch rechte Gewalt. Droemer Knaur, München 2018, ISBN 978-3-426-78913-1, S. 53
  3. Daniel Erk: Martin Sellner hört Hip-Hop und hasst den Islam, Zeit Campus Nr. 5/2017, 1. August 2017
  4. Simon Cox, Anna Meisel: Martin Sellner: The new face of the far right in Europe, BBC, 20. September 2018
  5. Julian Bruns, Kathrin Glösel, Natascha Strobl: Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa. Unrast, Münster 2014, ISBN 978-3-89771-549-3, S. 79 f.
  6. Andreas Speit: Bürgerliche Scharfmacher. Deutschlands neue rechte Mitte – von AfD bis Pegida. Orell Füssli, Zürich 2016, ISBN 978-3-280-05632-5, S. 169.
  7. Daniel Erk: Martin Sellner hört Hip-Hop und hasst den Islam. ZEIT Campus Nr. 5/2017, online 5. Oktober 2017.
  8. a b Youtube sperrt Konten rechtsextremer Identitären Bewegung. 14. Juli 2020, abgerufen am 14. Juli 2020.
  9. Karolin Schwarz: Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus. Herder, Freiburg 2020, S. 197
  10. Glenna Gordon: Angry white women, Fluter, 15. März 2019
  11. Martin Fabian Schmidt: Sellner, der rechtsextreme Influencer, Der Standard, 30. März 2019
  12. a b DÖW: „Identitäre“ Burschen. In: doew.at. Neues von ganz rechts – September 2016, Abgerufen am 4. Februar 2017.
  13. a b Bernhard Weidinger: Völkische Studentenverbindungen und Rechtsextremismus in Österreich. In: Albert Steinhauser, Harald Walser (Hrsg.): Rechtsextremismus-Bericht 2016 (= Bericht zu den Ergebnissen der „Rechtsextremismus-Enquete“ der Grünen von 2015). Die Grünen – Der Grüne Klub im Parlament, Wien 2016, S. 77–87, hier: S. 82.
  14. a b c Hajo Funke (unter Mitarbeit von Ralph Gabriel): Von Wutbürgern und Brandstiftern. AfD – Pegida – Gewaltnetze. vbb, Berlin 2016, ISBN 978-3-945256-64-0, S. 129.
  15. a b Volker Weiß: Völkische Konflikte. In: Jungle World Nr. 13, 31. März 2016.
  16. a b c Christine Eckes: Ausbreitung der „Identitären Bewegung“ in Europa und ihre ideologischen Grundzüge. In: Journal EXIT-Deutschland. Band 4, 2016, S. 113 f.
  17. a b c d e f g Christine Eckes: Ausbreitung der „Identitären Bewegung“ in Europa und ihre ideologischen Grundzüge. In: Journal EXIT-Deutschland. Band 4, 2016, S. 110.
  18. Helmut Kellershohn: „Es geht um Einfluss auf die Köpfe“ – Das Institut für Staatspolitik. Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier Rechtsextremismus, 7. Juli 2016, Fn. 28.
  19. Hajo Funke (unter Mitarbeit von Ralph Gabriel): Von Wutbürgern und Brandstiftern. AfD – Pegida – Gewaltnetze. vbb, Berlin 2016, ISBN 978-3-945256-64-0, S. 131 f.
  20. Judith Goetz: „‚Aber wir haben die wahre Natur der Geschlechter erkannt ...‘. Geschlechterpolitiken, Antifeminismus und Homofeindlichkeit im Denken der ‚Identitären‘.“ In: Judith Goetz, Joseph Maria Sedlacek, Alexander Winkler (Hrsg.): Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen Identitären. Marta Press, Hamburg 2018 (2. Aufl.), S. 260
  21. Ines Aftenberger: „Die ‚identitäre‘ Beseitigung des Anderen. Der gar nicht mehr so neue Neorassismus der ‚Identitären‘.“ In: Judith Goetz, Joseph Maria Sedlacek, Alexander Winkler (Hrsg.): Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen ‚Identitären‘. Marta Press, Hamburg 2018 (2. Aufl.), S. 211
  22. Daniel Hornuff: Die Neue Rechte und ihr Design. Vom ästhetischen Angriff auf die offene Gesellschaft. transcript Verlag, Bielefeld 2019, ISBN 978-3-8376-4978-9, S. 91 f.
  23. Patrick Stegemann, Sören Musyal: Die rechte Mobilmachung. Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen. Econ, Berlin 2020, S. 87 f.
  24. André Postert: „Sachsen und der intellektuelle Rechtsextremismus. Metapolitik der Neuen Rechten.“ In: Uwe Backes/Steffen Kailitz (Hrsg.): Sachsen – Eine Hochburg des Rechtsextremismus? Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2020, S. 57
  25. Patrick Stegemann, Sören Musyal: Die rechte Mobilmachung. Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen. Econ, Berlin 2020, S. 81 f.
  26. Patrick Stegemann, Sören Musyal: Die rechte Mobilmachung. Woe radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen. Econ, Berlin 2020, S. 212
  27. Erich Kocina: Tschetschenen, Identitäre und Waffen. In: Die Presse, 7. Februar 2017, S. 8.
  28. Schiff der „Identitären“ auf Zypern festgehalten, Tagesschau.de, 27. Juli 2017.
  29. Österreichischer Identitären-Chef in London festgenommen, kurier.at vom 10. März 2018, zuletzt abgerufen am 11. März 2018.
  30. Far-right activists barred from entering UK. BBC vom 14. März 2018
  31. derStandard: Pegida-Chef Bachmann wurde Einreise nach London verwehrt
  32. Getränke-Firma geht gegen Identitären-Chef vor. In: heute.at. 29. März 2018, abgerufen am 31. März 2018.
  33. Briten lassen Identitären-Chef Sellner erneut nicht ins Land. diepresse.com, 16. April 2018
  34. Razzien bei der österreichischen Identitären Bewegung. Zeit online vom 27. April 2018
  35. Antonie Rietzschel: Nazi-Hipster in der Krise. Süddeutsche Zeitung vom 28. April 2018
  36. Kritik an „Mafiaparagraf“ nach Identitären-Anklage. Der Standard, 15. Mai 2018, abgerufen am 15. Mai 2018.
  37. Identitären-Prozess: Angeklagte von Vorwurf der Verhetzung freigesprochen DerStandard.at, 26. Juli 2018, abgerufen 26. Juli 2018.
  38. Identitäre haben „Grenze noch nicht überschritten“. Kurier, 23. Januar 2019, abgerufen am 23. Januar 2019.
  39. Offenbar Hausdurchsuchung bei Identitären-Sprecher Sellner nach Terror in Neuseeland – derStandard.de. Abgerufen am 26. März 2019 (österreichisches Deutsch).
  40. Birgit Seiser: Hausdurchsuchungen bei Sellner waren laut Gericht rechtswidrig. Kurier, 14. Dezember 2019, abgerufen am 14. Dezember 2019.
  41. Hausdurchsuchungen bei Sellner laut Grazer Gericht rechtswidrig. Der Standard, 14. Dezember 2019, abgerufen am 14. Dezember 2019.
  42. a b c d Matthias Benz: Verbindung zwischen dem Christchurch-Attentäter und der Identitären Bewegung schlägt in Österreich hohe Wellen, NZZ, 27. März 2019
  43. Hasnain Kazim: Österreich, die Identitären und der Terrorist von Christchurch. Spiegel online vom 30. März 2019
  44. a b Katja Thorwart: Hausdurchsuchung bei Martin Sellner wegen Spende von Christchurch-Attentäter, Frankfurter Rundschau, 27. März 2019
  45. Daniel Erk: Warum die Identitären am Ende sind, Zeit Online 28. März 2019
  46. Profil (Hrsg.): Wie gefährlich sind die Identitären? 14. Auflage. Wien März 2019, S. 21.
  47. a b Ivo Mijnssen: Österreichs Freiheitliche sind eng mit den Identitären verbandelt – wie ernst ist es ihnen mit dem Bruch?, NZZ, 15. April 2019
  48. Patrick Stegemann, Sören Musyal: Die rechte Mobilmachung. Wie radikale Netzwerkaktivisten die Demokratie angreifen. Econ, Berlin 2020, S. 57 f.
  49. Sebastian Kurz erwägt Vereinsverbot für „Identitäre“. Frankfurter Rundschau, 27. März 2019
  50. Ermittlungen wegen Terror-Verdachts. Österreich erwägt Auflösung der „Identitären Bewegung“. Der Tagesspiegel, 27. März 2019
  51. Siobhán O'Grady: Austria raids home of far-right activist in probe over links to alleged Christchurch attacker, The Washington Post, 27. März 2019
  52. Identitären-Chef hatte mehrmaligen Kontakt mit Christchurch-Attentäter. ORF.at, 14. Mai 2019; Fabian Schmid, Laurin Lorenz: Nach E-Mail-Kontakt mit Sellner buchte Christchurch-Attentäter Mietauto in Österreich. Standard.at, 14. Mai 2019
  53. Identitären-Chef klebte Hakenkreuze auf Synagoge, aufoe24.at
  54. Martin Sellner klebte Hakenkreuze auf Synagoge, auf kleinezeitung.at
  55. Sellner klebte Hakenkreuze an Synagoge, auf heute.at
  56. Neue Razzia bei Sellner – auch seine Freundin unter Terrorverdacht – derStandard.at. Abgerufen am 19. Juni 2019 (österreichisches Deutsch).
  57. Die Presse: Identitäre: Hausdurchsuchungen bei Sellner waren rechtswidrig; abgerufen am 16. Dez. 2019
  58. ORF-Online: OLG: Hausdurchsuchungen bei Sellner rechtswidrig; abgerufen am 16. Dez. 2019
  59. BZÖ wollte Identitären-Chef Sellner als Spitzenkandidaten. kurier.at, 18. Juli 2019
  60. Der Standard: Youtube löscht Videos von Identitären-Chef Sellner; abgerufen am 30. Aug. 2019
  61. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Identitären-Chef Sellner ist wieder da; abgerufen am 30. Aug. 2019
  62. Maria Fiedler: Verschwörungstheorien, Propaganda, Chaos: Wie Rechtsextreme in der Coronakrise zündeln. www.tagesspiegel.de, 27. März 2020
  63. Twitter wirft rechtsextremen Influencer Martin Sellner raus - derStandard.at. Abgerufen am 10. Juli 2020 (österreichisches Deutsch).
  64. Andreas Wetz: Identitäre Bewegung: Rechts oder rechtsextrem? Die Presse, 23. Mai 2014, abgerufen am 28. August 2018.
  65. Julian Bruns, Natascha Strobl: (Anti-)Emanzipatorische Antworten von Rechts. In: Momentum Quarterly. Band 4, 2015, Nr. 4, S. 205–217, hier: S. 211 (PDF).
  66. a b Nina Horaczek: „Heil dir“, treuer Hofer!. In: Falter, Nr. 31/2016, 3. August 2016, S. 16.
  67. Hans-Henning Scharsach: Strache. Im braunen Sumpf. E-Book, K & S, Wien 2012, ISBN 978-3-218-00856-3, o. S.
  68. Heribert Schiedel: Unvollständige Chronik des Rechtsextremismus in Österreich 2013. In: Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (Wien) (Hrsg.): Rechtsextremismus. Band 1: Entwicklungen und Analysen. Mandelbaum, Wien 2014, ISBN 978-3-85476-637-7, S. 226–268, hier: S. 235 f.
  69. Volker Weiß: Identitär im Blindflug. In: Jungle World Nr. 24, 16. Juni 2016.
  70. Daniela Derntl: Mitten im Achten. Unter einem Dach mit Deutschnationalen und Rechtsextremen. In: fm4.orf.at, 28. Januar 2015. Abgerufen am 12. Februar 2016; Anna Thalhammer: Identitäre: Außen links, innen rechts. In: Die Presse, 12. Mai 2016, S. 11.
  71. Christine Eckes: Ausbreitung der „Identitären Bewegung“ in Europa und ihre ideologischen Grundzüge. In: Journal EXIT-Deutschland. Band 4, 2016, S. 109.
  72. a b c DÖW: Identitäre Bewegung Österreich (IBÖ). In: döw.de. Abgerufen am 4. Februar 2017.
  73. Vgl. Edma Ajanovic, Stefanie Mayer, Birgit Sauer: Umkämpfte Räume. Antipluralismus in rechtsextremen Diskursen in Österreich. In: Austrian Journal of Political Science. Band 44, 2015, Nr. 2, S. 75–85, hier: S. 76; Sieglinde Rosenberger, Miriam Haselbacher: Populistischer Protest. Mobilisierung gegen Asylunterkünfte in oberösterreichischen Gemeinden. In: SWS-Rundschau. Band 56, 2016, Nr. 3, S. 399–421, hier: S. 407.
  74. Heribert Schiedel: »Neue Rechte« in Österreich. In: Der Rechte Rand Nr. 157, 2015, S. 24 f.
  75. Vgl. „Internetshop“ bei Andreas Speit: Bürgerliche Scharfmacher. Deutschlands neue rechte Mitte – von AfD bis Pegida. Orell Füssli, Zürich 2016, ISBN 978-3-280-05632-5, S. 168.
  76. Julian Bruns, Kathrin Glösel, Natascha Strobl: Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa. Unrast, Münster 2014, ISBN 978-3-89771-549-3, S. 79.
  77. Julian Bruns, Kathrin Glösel, Natascha Strobl: Die Identitären. Der moderne Rassismus einer Jugendbewegung der Neuen Rechten. In: Helmut Kellershohn, Wolfgang Kastrup (Hrsg.): Kulturkampf von rechts. AfD, Pegida und die Neue Rechte (= Edition DISS. Band 38). Unrast, Münster 2016, ISBN 978-3-89771-767-1, S. 82–91, hier: S. 84.
  78. Julian Bruns, Kathrin Glösel, Natascha Strobl: Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa. Unrast, Münster 2014, ISBN 978-3-89771-549-3, S. 82 f.
  79. Julia Ebner: Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen. Aus dem Englischen von Thomas Bertram. Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2018, ISBN 978-3-8062-3701-6, S. 99
  80. Wolfgang Ullrich: Die Wiederkehr der Schönheit. Über einige unangenehme Begegnungen. In: Pop-Zeitschrift.de. 7. November 2017.