Heraklit

Heraklit in der Gestalt Michelangelos, Detailansicht aus „Die Schule von Athen“, Raphael Santi, 1510/11, Stanzen des Vatikans, Rom

Heraklit (* zwischen 540 und 535 v. Chr.; † zwischen 483 und 475 v. Chr.) war ein vorsokratischer Philosoph aus Griechenland. Sein Name stammt vom griechischen Herakleitos (Ἡράκλειτος) ab, das sich in der latinisierten Version zu Heraclitus wandelte. Er gilt als früher und bedeutender Vertreter einer Philosophie des Logos und der Dialektik.

Leben und Werk

Heraklit lebte auf der griechischen Kolonie Ephesos und stammte aus einem uralten Geschlecht der Aristokratie ('Herrschaft der Tüchtigsten'). Auf das Amt des königlichen Opferpriesters und zugleich Strategen, auf das seine Familie ein Anrecht hatte, soll er zugunsten seines Bruders verzichtet haben. Er missbilligte das Erbrecht (Einsetzung in Ämter ohne Bewährungsproben), die jüngst hinzugekommene demokratische Verfassung, die Gleichheit fordernden Gesetze und jede Beteiligung an der Verwaltung solchen Staates, dessen Bürger "ihren besten Mann hinausgeworfen hatten mit den Worten: Von uns soll keiner der beste sein, oder wenn schon, dann anderswo ud bei anderen." Sie sollten sich besser aufhängen, allesamt, und den Kinder die Staatverwaltung überlassen. "Denn die Weihung in den Mysterienkult, wie sie im Schwange ist bei den Menschen, macht krank."

Heraklits Werk ist nur fragmentarisch überliefert. Es ist aber wahrscheinlich, dass eine Schrift Heraklits, womöglich mit dem Titel „Über die Natur“ (gr.: Peri physeos), existierte, auf die sich mehrere Philosophen und Geschichtsschreiber wie Platon, Aristoteles und Diogenes Laertios beziehen. Darauf deuten auch manche der insgesamt etwa 126 als sicher überliefert geltenden Fragmente hin. Bei weiteren 13 Fragmenten ist Heraklits Autorenschaft nicht sicher, bei wenigstens einem davon: "Bildung ist den Gebildeten eine zweite Sonne", kann eine tendenziöse Absicht seitens der (gebildeten) Philologen angenommen werden, diese typisch für heraklit anmutende Aussage den Fälschungen zugerechnet zu haben.

Seine ihnen rästelhafte, hochverdichtete, oftmals aphoristisch zugespitzte Sprache und die Tiefe seiner nach Sokrates eines delphischen Tauchers zur Hebung bedürfenden Gedanken trugen ihm den Beinamen „der Dunkle“ ein; seinem tragischen Ernst verdankte er die Bezeichnung "der weinende Philosoph"; weder dies noch jenes sind seine Eigenschaften. Der wahrhaft Erleuchtete hält Maß in allem. "Man soll nicht so spaßhaft sein, dass man selber zum Spaße wird."

Lehre

Heraklit suchte, in bewusster Abgrenzung zum gewöhnlichen Denken, nach dem Allgemeinen, dem allem Seienden zugrunde liegenden Gemeinsamen, das hinter den alltäglichen Erscheinungen „verborgen“ liegt. Diese verborgene „Natur“ („physis“), im Sinne eines tieferen Wesens der Welt, sah er im ewig sich wandelnden „Feuer“, das stets neu erglimmt, um ebenso wieder zu erlöschen, indem es aus jedem seiner Untergänge das Wasser gebiert, den Stoff der Wellt nach Thales. Aber es ging Heraklit bei dieser ewigen, unerschaffener Weltordnung nicht nur um eine rein metaphysisch verankerte Urstofftheorie. Vielmehr ist das „göttliche Feuer“ auch eine Metapher für den „Logos“, der alles in der Welt durchwaltet, Dinge ebenso wie Lebewesen, und dem nach Kräften zu folgen Heraklit zur "Pflicht" erklärt. Heraklit ist Pantheist, Metaphysiker und Psychologe in einem; eine seiner (polemischen) Fragen die nach dem Glück: "Bestünde es in körperlichen Genüssen, so müssten Ochsen glücklich genannt werden, fänden sie Erbsen zu fressen."

Der Logos ist das Glück grantierende Prinzip der Welt – ihm sind sogar die Götter unterworfen. Die Strukturdynamik dieses Logos besteht für Heraklit im Streit („polemos“) des Gegensätzlichen, der der „Vater aller Dinge“ ist, Daseinskampf im Sinne Darwins. Die sich in ihm wandelnde, evolutionierende Welt ist geprägt von diesem Kampf, vom ewigen Widerspruch und Ringen der Polaritäten. Dabei wird nicht ein Pol von einem anderen abgelöst, vielmehr bestehen die Gegensätze zugleich und sind ineinander verschränkt. Der Logos besitzt in der einen Welt, die allen Wachen gemeinsam ist, die Struktur einer "gegenstrebigen Einheit". "Auseinandergehend aber fügen sie sich in die schönste Ordnung." "Im Schlafe wendet sich jeder ab von der gemeinsamen Welt, hin zu seiner je eigenen."

So gewinnen beide Seiten eines Gegensatzes ihren Sinn erst in ihrem Gemeinsamen: Wachheit und Schlaf, Krieg und Frieden, Hunger und Sättigung, Tag und Nacht. „Einheit der Gegensätze“ meint also: Im Gegensatz erst zeigt sich eine tieferliegende, „verborgene“ Einheit, der "Sinn", das Widereinander Zusammengehen des Verschiedenen. „Einheit in der Vielheit“ ist die klassische Formel (Platon prägte diesen Begriff), mit der sich die heraklitische Philosophie probehalber charakterisieren lässt, obzwar kaum möglich: alles ist und zugleich in steter Wandlung. Man muß ringen mit Heraklit, seinen Gedanken, wie mit dem Alten Weisen vom Meer, den Sinn, das Gemeinsame, zu erfassen. "Den Menschen/ Vielen aber wird nicht bewußt, was sie im Wachen tun, so wie sie auch kein Bewusstein gewinnen über das, was sie im Schlafe tun." "Tot ist alles, was wir erwacht schauen, Leben was im Schlafe."

Das Wesen des Logos besteht für Heraklit also nicht – wie gelegentlich vereinfachend formuliert – nur im „panta rhei“, im „alles fließt“. Vielmehr besteht es im „Sinn“, der im Wandel Bestand hat. Der Widerstreit der Gegensätze - dynamis als auch stasis - schafft zugleich Ordnung („kosmos“) und Einheit. Dieses „Eine“ ist keine feste Substanz und kein Urstoff. Es ist der logos, die rational nicht fassbare aber empfindbare Einheit des Gegensätzlichen, und damit der Inbegriff des Paradoxon, dessen sich Heraklit als Stilmittel oft bedient: "In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht, wir sind und wir sind nicht."

Sofern es auch Heraklit um das Eine und Unwandelbare geht, sind er und sein oft so bezeichnter „Gegenspieler“ Parmenides keine absoluten Antipoden. Doch während Parmenides das Werden überhaupt zu leugnen scheint (- tatsächlich ist Werden bei ihm der Prozess "denken", sein Produkt der starre Gedanke "IST ist" -), verteidigt Heraklit im offenen Gefecht gewissermaßen, das dialektische Verhältnis von Sein und Werden.

"Überhebung", Bildung als Einbildung, Vielwisserei, Maßabweichungen Helios von der angestammten Breite eines Fußes, Sucht nach nur körperlichen Genüssen wie das liebe Vieh, sind die psychopathologischen Phänomene, die sich nach Heraklit aus dem Vefehlen des logos ergeben. "Das meiste entzieht sich der Erkenntnis aus Mangel an Zutrauen." Weise ist nach Heraklit, wer den Logos erkennt; heiter und glücklich ist, wer sich ihm fügt.

Einfluss

Es existierten einige antike Philosophen, die sich als "Herakliteer" verstanden, doch blieben sie ohne größere Bedeutung. Starken Einfluss hatte Heraklit unter anderem auf die Stoa. Den Begriff des Logos, der bereits bei Homer in der Bedeutung von "Rede" überliefert ist, aber erst von Heraklit in einem philosophischen Sinne gebraucht wurde, sowie den Begriff des "Einen", erhöhten christliche Theologen zu Gott.

In der Neuzeit inspirierte Heraklits Denken Friedrich Schleiermacher und dialektische Denker wie Hegel, Karl Marx, Friedrich Engels und Lenin, die Heraklit als frühen Vertreter einer zu dieser Zeit noch notwendig naiven, aber der Sache nach richtigen Anschauung auffassten. Hegel schreibt im ersten Band seiner Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie: "Es ist kein Satz des Heraklit, den ich nicht in meine Logik aufgenommen." (S. 320)

Heraklits Gedanke vom Kampf als dem Vater aller Dinge wirkt bei Charles Darwin und vor allem bei Friedrich Nietzsche nach. Auf Heraklits Philosophie des Logos bezog sich insbesondere Martin Heidegger in mehreren Schriften und Vorlesungen.

Siehe auch

Ausgaben

  • Hermann Diels, Walther Kranz (Hrsg.): Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und deutsch. (Nach dieser Ausgabe wird in aller Regel zitiert.)
  • Jaap Mansfeld (Hrsg.): Die Vorsokratiker. Griechisch/deutsch, Teil 1: Milesier, Pythagoreer, Xenophanes, Heraklit, Parmenides, Stuttgart: Reclam, ISBN 3-15-007965-9
  • Wilhelm Capelle (Hrsg.): Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte, Stuttgart: Kröner 1973 (8. Aufl.), ISBN 3-520-11908-0

Literatur

Commons: Heraklit – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Fragmente – Quellen und Volltexte

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