„Francis Picabia“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Francis Picabia.jpg|mini|Francis Picabia (Fotografie, aufgenommen zwischen 1910 und 1915)]]
[[File:Francis Picabia, photograph published in Les Peintres Cubistes, 1913.jpg|mini|hochkant|Francis Picabia, 1913]]
'''Francis-Marie Martinez Picabia''' (* [[22. Januar]] [[1879]] in [[Paris]], [[Frankreich]]; † [[30. November]] [[1953]] ebenda) war ein [[Französische Literatur|französischer Schriftsteller]], [[Malerei|Maler]] und [[Grafiker]].
'''Francis-Marie Martinez Picabia''' (* [[22. Januar]] [[1879]] in [[Paris]]; † [[30. November]] [[1953]] ebenda) war ein [[Französische Literatur|französischer Schriftsteller]], [[Malerei|Maler]] und [[Grafiker]].


== Leben ==
== Leben ==
=== Ausbildung ===
=== Herkunft und Ausbildung ===
Francis Picabia war der Sohn von Francisco Vicente Martinez Picabia, einem [[Kuba|kubanischen]] [[Botschaft (Diplomatie)|Botschaftsangestellten]] adliger Herkunft, und der Französin Marie Cécile Davanne, einer Bürgerlichen. Die Mutter starb an [[Tuberkulose]], als er sieben Jahre alt war.<ref>Beverley Calte: [https://www.picabia.com/a-propos-de-picabia ''Francis Picabia.''] picabia.com, abgerufen am 9. Dezember 2014.</ref> Da er finanziell unabhängig war, studierte er von 1895 bis 1897 zunächst an der [[École nationale supérieure des arts décoratifs de Paris|École des arts décoratifs]] in [[Paris]], danach bei [[Fernand Humbert]] und bei [[Albert Charles Wallet]] (1852–1918) und ab 1899 bei [[Fernand Cormon]] in dessen Atelier.<ref>[[Karin von Maur]], Gudrun Inboden (Bearb.): ''Malerei und Plastik des 20.&nbsp;Jahrhunderts.'' Staatsgalerie Stuttgart, 1982, S.&nbsp;252.</ref>
Francis Picabia war der Sohn von Francisco Vicente Martínez Picabia, einem [[kuba]]nischen [[Botschaft (Diplomatie)|Botschaftsangestellten]] adliger Herkunft, und der Französin Marie Cécile Davanne, einer Bürgerlichen. Die Mutter starb an [[Tuberkulose]], als er sieben Jahre alt war.<ref>Beverley Calte: [https://www.picabia.com/a-propos-de-picabia ''Francis Picabia.''] picabia.com, abgerufen am 9. Dezember 2014.</ref> Finanziell unabhängig studierte er von 1895 bis 1897 zunächst an der [[École nationale supérieure des arts décoratifs de Paris|École des arts décoratifs]] in [[Paris]], danach bei [[Fernand Humbert]] und bei [[Albert Charles Wallet]] (1852–1918) und ab 1899 bei [[Fernand Cormon]] in dessen Atelier.<ref>[[Karin von Maur]], Gudrun Inboden (Bearb.): ''Malerei und Plastik des 20.&nbsp;Jahrhunderts.'' Staatsgalerie Stuttgart, 1982, S.&nbsp;252.</ref>


=== Ausstellungen in Paris und New York ===
=== Ausstellungen in Paris und New York ===
Picabia wechselte mehrmals den Malstil. Er begann im Winter 1902/03 als [[Impressionismus|Impressionist]] und stellte 1903 erstmals im [[Société du Salon d’Automne|Salon d’Automne]] und dem [[Société des Artistes Indépendants|Salon des Indépendants]] aus. Seine erste Einzelausstellung hatte er 1905 in der Galerie Haussmann in Paris. Im Jahr 1909 entstand ''Caoutchouc'', das erste Bild, in dem er sich mit dem [[Kubismus]] auseinandersetzte und das zugleich abstrakt war.<ref>Richard Calvocoressi, Marianne Heinz, Judi Freeman u.&nbsp;a.: ''Picabia, 1879–1953.'' Edition Cantz, 1988, S. 37. (Erstausgabe: National Galleries of Scotland, 1988)</ref> Picabia verarbeitete jedoch auch weiterhin Elemente des [[Fauvismus]] und des [[Neoimpressionismus]].
[[Datei:Beatrice Wood and Marcel Duchamp.jpg|mini|hochkant|[[Marcel Duchamp]], Francis Picabia und [[Beatrice Wood]], New York 1917]]
[[Datei:Francis Picabia, The Dance at the Spring, 1912, oil on canvas, Philadelphia Museum of Art.jpg|mini|''Danse au printemps'' von 1912; im Jahr 1913 in der Armory Show in New York ausgestellt]]
Picabia wechselte mehrfach die Stilrichtung. Er begann im Winter 1902/03 als [[Impressionismus|Impressionist]] und stellte 1903 erstmals im [[Société du Salon d’Automne|Salon d’Automne]] und im [[Société des Artistes Indépendants|Salon des Indépendants]] aus. Seine erste Einzelausstellung hatte er in der Galerie Haussmann in Paris im Jahr 1905. 1909 malte er mit ''Caoutchouc'' sein erstes Bild, das sich mit dem [[Kubismus]] auseinandersetzte und zugleich abstrakt war.<ref>Richard Calvocoressi, Marianne Heinz, Judi Freeman u.&nbsp;a.: ''Picabia, 1879–1953.'' Edition Cantz, 1988, S. 37. (Erstausgabe: National Galleries of Scotland, 1988)</ref> Er verarbeitete jedoch auch weiterhin Elemente des [[Fauvismus]] sowie des [[Neoimpressionismus|Neo-Impressionismus]].


1909 heirateten Francis Picabia und die Musikstudentin [[Gabrielle Buffet-Picabia|Gabrielle Buffet]]. Die Ehe, der vier Kinder entstammten, wurde 1930 geschieden.
Im Jahr 1909 heiratete Francis Picabia die Komponistin [[Gabrielle Buffet-Picabia|Gabrielle Buffet]], die ihn anregte, sich der abstrakten Malerei zuzuwenden.<ref>Vgl. Claire und Anne Berest: ''Ein Leben für die Avantgarde. Die Geschichte von Gabriële Buffet Picabia.'' Aufbau, Berlin 2021, ISBN 9783351038557, S. 100f.</ref> Die Ehe, der vier Kinder entstammten, wurde 1930 geschieden.
[[Datei:Francis picabia phmarcie duchamps 2016 NYR 12146 1014 000(094925).jpg|mini|''Phmarcie Duchamps,'' Gouache, um 1920]]
1911 lernte Picabia bei den sonntäglichen Zusammenkünften im Atelier von [[Jacques Villon]] unter anderem [[Fernand Léger]], [[Roger de La Fresnaye]], [[Albert Gleizes]], [[Guillaume Apollinaire]] und [[Marcel Duchamp]], mit dem er sich anfreundete, kennen und beteiligte sich im selben und dem folgenden Jahr an der [[Puteaux-Gruppe]].
1913 nahm er an der in [[New York City|New York]] stattfindenden [[Armory Show]] teil, und [[Alfred Stieglitz]], den Picabia in New York in dessen [[Galerie 291#Francis Picabia|Galerie 291]] kennenlernte, richtete dort eine Einzelausstellung von Picabias Werken ein. Picabia war 1912 neben Marcel Duchamp, Albert Gleizes, [[Juan Gris]] und Jacques Villon Mitbegründer der [[Section d’Or]].


Im [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] ging Picabia nach New York und Panama. In den USA begann seine „mechanische Periode“ (1915–1921). Die Ursprünge hiefür lagen in seinem New-York-Aufenthalt im Jahr 1915<ref name=":0">''French Artists Spur On American Art.'' In: ''New York Tribune.'' 24. Oktober 1915, S. 2.</ref> und der Inspiration durch die in ständiger Bewegung befindliche Großstadt<ref>{{Literatur |Autor=William A. Camfield |Titel=The Machinist Style of Francis Picabia |Ort=New York |Datum=1966 |Seiten=309ff.}}</ref>. Die Erfahrung einer neuen Dimension innerhalb der menschlich-mechanischen Beziehung führte Picabia zur Verbindung von Titel und Bild, die in den 1915 entstandenen Werken, darunter ''Ici, c´est ici Stieglitz, foi et amour, Portrait d´une jeune fille americaine dans l´état de nudité'', sowie in dem Porträt von [[Marius de Zayas]] und einem ''Canter'' betitelten Selbstporträt zu sehen ist. Die ersten Werke der mechanischen Periode erschienen in der 1915 von Stieglitz, de Zayas und Picabia gegründeten Zeitschrift, die sie nach Stieglitz’ Galerie [[Galerie 291#Die Zeitschrift 291 1915|''291'']] nannten. Picabias Kunst entwickelte sich in der mechanischen Periode von humorvollen satirischen Porträts (1915) über sexuelle Themen (1917/18, ''Prostitution Universelle, Machine tournez vite'') hin zum Physikalischen. In den letzten Werken, zu denen ''Ortophone'' zählt, sollen das Menschliche und das Mechanische zusammenkommen.
1911 lernte Picabia bei den sonntäglichen Zusammenkünften im Atelier von [[Jacques Villon]] unter anderem [[Fernand Léger]], [[Roger de La Fresnaye]], [[Albert Gleizes]], [[Guillaume Apollinaire]] und [[Marcel Duchamp]], dessen Freund er wurde, kennen und beteiligte sich im selben und im darauffolgenden Jahr an der [[Puteaux-Gruppe]].
1913 nahm er an der in [[New York City|New York]] stattfindenden [[Armory Show]] teil, und [[Alfred Stieglitz]], den Picabia in New York in dessen [[Galerie 291#Francis Picabia|Galerie 291]] kennenlernte, richtete ihm in seiner Galerie eine Einzelausstellung seiner Werke ein. Er war im Jahr 1912 neben Marcel Duchamp, Albert Gleizes, [[Juan Gris]] und Jacques Villon Mitbegründer der [[Section d’Or]].

In den USA begann er die Arbeiten der „Mechanischen Periode“ (1915–1921). Die Gründe dafür lagen in seinem New-York-Besuch 1915<ref name=":0">''French Artists Spur On American Art.'' In: ''New York Tribune.'' 24. Oktober 1915, S. 2.</ref> und dadurch entstandener Inspiration durch die Großstadt und deren ständiger Bewegung<ref>{{Literatur |Autor=William A. Camfield |Titel=The Machinist Style of Francis Picabia |Ort=New York |Datum=1966 |Seiten=309ff.}}</ref>. Die Erfahrung einer neuen Dimension innerhalb der menschlich-mechanischen Beziehung führte Picabia zu der Verbindung vom Titel und Bild, die in den aus dem Jahr 1915 stammenden Werken seiner mechanischen Periode, wie ''Ici, c´est ici Stieglitz, foi et amour, Portrait d´une jeune fille americaine dans l´état de nudité,'' sowie in dem Porträt von [[Marius de Zayas]] und einem Selbstporträt genannt ''Canter'' zu sehen ist. Die ersten Werke der mechanischen Periode erschienen in der im Jahr 1915 von Stieglitz, Marius de Zayas und Picabia gegründeten Zeitschrift, die sie − gleichnamig wie Stieglitz’ Galerie [[Galerie 291#Die Zeitschrift 291 1915|''291'']] nannten. Picabia entwickelte sich in seiner mechanischen Periode von humorvollen satirischen Porträts im Jahr 1915 über die sexuellen Thematiken der Jahre 1917 und 1918 (Werke ''Prostitution Universelle, Machine tournez vite'') in Richtung des Physikalischen. In den letzten Werken, zu denen ''Ortophone'' zählt, sollen das Menschliche und das Mechanische zusammenkommen.


=== Gründung der „391“ ===
=== Gründung der „391“ ===
[[Datei:Beatrice Wood and Marcel Duchamp.jpg|mini|hochkant|links|[[Marcel Duchamp]], Francis Picabia und [[Beatrice Wood]], New York 1917]]
Picabia hatte eine kurze Affäre mit [[Isadora Duncan]] und kehrte 1917 nach [[Barcelona]] zurück. Dort gründete er die [[Dadaismus|Dadazeitschrift]] ''[[391 (Zeitschrift)|391]]'', der Titel war eine Anlehnung an die ''291'' von Stieglitz; sie bereitete mit Dichtung, Essay und Grafik dem Dadaismus in Europa den Weg. Die Ausgaben erschienen von 1917 bis 1924. 1917 lernte er in Barcelona [[Joan Miró]] kennen und traf unter anderem mit [[Marie Laurencin]] und [[Arthur Cravan]] zusammen. Auf Einladung [[Tristan Tzara]]s engagierte er sich in der Dada-Bewegung von [[Zürich]], und begründete 1919 die Pariser Dada-Bewegung mit, sagte sich jedoch 1922 von ihr los und näherte sich kurzzeitig dem [[Surrealismus]] an.<ref name="Lentz155">Bernd Jordan (Hrsg.): ''Die 100 des Jahrhunderts. Maler.'' Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3-499-16456-6, S.&nbsp;155.</ref>
Nach einer kurzen Liebesaffäre mit [[Isadora Duncan]] ging Picabia 1917 nach [[Barcelona]]. Dort gründete er die [[Dadaismus|dadaistische]] Zeitschrift ''[[391 (Zeitschrift)|391]]'', deren Titel an den der oben genannten Zeitschrift ''291'' angelehnt war. Sie bereitete mit Dichtung, Essay und Grafik dem Dadaismus in Europa den Weg. Für die Zeitschrift, die von 1917 bis 1924 in mehreren Ausgaben erschien, arbeitete auch seine Ehefrau, Gabrielle Buffet-Picabia, als Autorin, Redaktionssekretärin und Produktionschefin.<ref>Vgl. Claire und Anne Berest: ''Ein Leben für die Avantgarde. Die Geschichte von Gabriële Buffet Picabia.'' Aufbau, Berlin 2021, S.&nbsp;316.</ref> 1917 lernte Picabia in Barcelona [[Joan Miró]] kennen und begegnete zudem [[Marie Laurencin]] und [[Arthur Cravan]]. Auf Einladung [[Tristan Tzara]]s engagierte er sich in der Dada-Bewegung in [[Zürich]] und begründete 1919 die Pariser Dada-Bewegung mit, sagte sich jedoch 1922 davon los und näherte sich dem [[Surrealismus]] an.<ref name="Lentz155">Bernd Jordan (Hrsg.): ''Die 100 des Jahrhunderts. Maler.'' Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3-499-16456-6, S.&nbsp;155.</ref>
[[Datei:Picabia dans sa Maison rose au Tremblay-sur-Mauldre © Bibl. Litt. Jacques Doucet.jpg|mini|Picabia in seinem Haus in Tremblay-sur-Mauldre]]
[[Datei:Picabia dans sa Maison rose au Tremblay-sur-Mauldre.jpg|mini|Picabia in seinem Haus in Tremblay-sur-Mauldre]]
1922 zog er mit seiner neuen Lebensgefährtin Germaine Everling, für die er 1924 das Château de Mai in [[Mougins]] bauen ließ, nach Tremblay-sur-Mauldre nahe Paris und kehrte zur [[Figurative Kunst|figurativen Kunst]] zurück. 1924 erschien die letzte Ausgabe der ''391'', in der Picabia eine Attacke gegen [[André Breton]] veröffentlichte. Im Dezember 1924 spielte er in [[René Clair]]s dadaistischem Stummfilm ''[[Entr’acte (Film)|Entr’acte]]'' mit. Dieser Film war Bestandteil des [[Avantgarde|avantgardistischen]] Balletts ''Relâche'', zu dem Picabia das [[Libretto]] geschaffen hatte. [[Erik Satie]] komponierte die Musik zum Ballett und die Filmmusik ''Cinema''. Es war das erste Mal, dass ein Film in ein Bühnenstück eingefügt wurde. Die Premiere fand im [[Théâtre des Champs-Élysées]] statt und löste einen Tumult des Publikums aus.<ref>Grete Wehmeyer: ''Erik Satie.'' Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-499-50571-1, S.&nbsp;113&nbsp;ff.</ref>

Im Jahr 1922 zog Picabia mit seiner neuen Lebensgefährtin, Germaine Everling, für die er 1924 das Château de Mai in [[Mougins]] bauen ließ, nach Tremblay-sur-Mauldre nahe Paris und kehrte zur [[Figurative Kunst|figurativen Kunst]] zurück. 1924 erschien die letzte Ausgabe von ''391'', in der Picabia eine Attacke gegen den Surrealisten [[André Breton]] lancierte. Im Dezember 1924 spielte Picabia in [[René Clair]]s dadaistischem Stummfilm ''[[Entr’acte (Film)|Entr’acte]]'' mit. Dieser Film war Bestandteil des [[Avantgarde|avantgardistischen]] Balletts ''Relâche'', zu dem Picabia das [[Libretto]] geschaffen hatte. [[Erik Satie]] komponierte die Musik zum Ballett und die Filmmusik ''Cinema''. Es war das erste Mal, dass ein Film in ein Bühnenstück eingefügt wurde. Die Premiere fand im [[Théâtre des Champs-Élysées]] statt und löste einen Tumult im Publikum aus.<ref>Grete Wehmeyer: ''Erik Satie.'' Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-499-50571-1, S.&nbsp;113&nbsp;ff.</ref>


=== Picabia an der Côte d’Azur ===
=== Picabia an der Côte d’Azur ===
[[Datei:Francis picabia statices 2017 CKS 13486 0121 000(011236).jpg|mini|hochkant|''Statices'' von 1929, eines der ''Transparances'']]
Von 1924 bis 1928, nach einem Umzug nach [[Cannes]],<ref>{{Literatur |Autor=William A. Camfield |Titel=Francis Picabia his art, life, and times |Verlag=Princeton University Press |Ort=Princeton, N.J. |Datum=1979 |ISBN=0-691-03932-1 |Seiten=229-254}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Christian Arthaud |Titel=Picabia et la Côte d'Azur : exposition du 5 juillet au 6 octobre 1991 |Verlag=Musée d'art moderne et d'art contemporain |Ort=Nice |Datum=1991 |ISBN=2-901412-42-4}}</ref> widmete Picabia sich erneut einem neuen Stil: Er schuf neben dadaistischen [[Collage]]n und Gemälden mit spanischen Bildthemen die sogenannten ''Monstres''. Diese figurativen Darstellungen zeigen mehrheitlich Paare, deren Gesichtszüge verzerrt und mehrfach im Gesicht einer einzigen Figur dargestellt sind (z.&nbsp;B. ''Les Tropiques (Souvenir de Juan-les-Pins)'' von ca. 1925–1926). Bereits bei den ''Monstres'' deutete sich durch den an die Überlagerung mehrerer Gesichter erinnernden Effekt an, womit Picabia sich in seiner nächsten Werkgruppe, den sogenannten ''Transparences'' beschäftigte.
Von 1924 bis 1928, nach einem Umzug nach [[Cannes]],<ref>{{Literatur |Autor=William A. Camfield |Titel=Francis Picabia his art, life, and times |Verlag=Princeton University Press |Ort=Princeton, N.J. |Datum=1979 |ISBN=0-691-03932-1 |Seiten=229-254}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Christian Arthaud |Titel=Picabia et la Côte d'Azur : exposition du 5 juillet au 6 octobre 1991 |Verlag=Musée d'art moderne et d'art contemporain |Ort=Nice |Datum=1991 |ISBN=2-901412-42-4}}</ref> widmete Picabia sich abermals einem neuen Stil: Er schuf neben dadaistischen [[Collage]]n und Gemälden zu spanischen Themen sogenannte „Monstres“, figurative Darstellungen, die vor allem Paare darstellen, deren Gesichtszüge verzerrt und mehrfach im Gesicht einer einzigen Figur abgebildet sind, z.&nbsp;B. ''Les Tropiques (Souvenir de Juan-les-Pins)'' (ca. 1925/26). In den sich überlagernden Gesichtern deutete sich an, womit Picabia sich in seiner nächsten Werkgruppe, den „Transparences“, beschäftigen würde.


Picabia reizte das Konzept von [[Transparenz (Physik)|Transparenz]]<ref>{{Literatur |Hrsg=Alexander S. C. Rower |Titel=Alexander Calder, Francis Picabia – Transparence. Ausstellungskatalog |Ort=Ostfildern |Datum=2015 |Seiten=10-16}}</ref> sowie deren technischen Umsetzung in der [[Ölmalerei]].<ref>{{Literatur |Autor=William A. Camfield |Titel=Francis Picabia his art, life, and times |Verlag=Princeton University Press |Ort=Princeton, N.J. |Datum=1979 |ISBN=0-691-03932-1 |Seiten=229}}</ref> In den ''Transparances'' verwob er in sich überlagernden, transparent erscheinenden Bildebenen zahlreiche kunsthistorische Anspielungen miteinander, welche in dieser Zusammenstellung neue, zuweilen undurchschaubare Bedeutungsebenen schaffen. Die ''Transparances'' sind daher mit eine der [[Eklektizismus|eklektizistischsten]] Schaffensphasen Picabias. Picabia selbst bezeichnete die ''Transparances'' als ''This third dimension, not made of light and shadow, these transparancies with their corner of oubliettes permit me to express for myself the resemblance of my interior desires ... I want a painting where all my instincts may have a free course ...''<ref>{{Literatur |Autor=William A. Camfield |Titel=Francis Picabia his art, life, and times |Verlag=Princeton University Press |Ort=Princeton, N.J. |Datum=1979 |ISBN=0-691-03932-1 |Seiten=239}}</ref> Von William A. Camfield werden die ''Transparances'' in zwei [[Chronologie|chronologische]] Phasen eingeteilt: Die erste Phase, von 1928 bis 1932, bezeichnet er als ''Transparancies'' bzw. ''Transparances'' (z.&nbsp;B. ''Sphinx'' von 1929 oder ''Hera'' von ca. 1929); die daran anschließenden ''Superimpositions'' (1933 bis 1940, z.&nbsp;B. ''Rêve'' von 1935) zeichnen sich durch noch deutlichere Linienführung und die abnehmende Anzahl sich überlagernder Bildebenen aus.<ref>{{Literatur |Autor=William A. Camfield |Titel=Francis Picabia his art, life, and times |Verlag=Princeton University Press |Ort=Princeton, N.J. |Datum=1979 |ISBN=0-691-03932-1 |Seiten=244-254}}</ref>
Picabia reizte das Konzept von [[Transparenz (Physik)|Transparenz]]<ref>{{Literatur |Hrsg=Alexander S. C. Rower |Titel=Alexander Calder, Francis Picabia – Transparence. Ausstellungskatalog |Ort=Ostfildern |Datum=2015 |Seiten=10-16}}</ref> sowie deren technischen Umsetzung in der [[Ölmalerei]].<ref>{{Literatur |Autor=William A. Camfield |Titel=Francis Picabia his art, life, and times |Verlag=Princeton University Press |Ort=Princeton, N.J. |Datum=1979 |ISBN=0-691-03932-1 |Seiten=229}}</ref> In den „Transparences“ verwob er in übereinander angeordneten durchscheinenden Bildebenen kunsthistorische Anspielungen, die in dieser Zusammenstellung neue, zuweilen undurchschaubare Bedeutungen schufen. Dies ist eine der [[Eklektizismus|eklektizistischsten]] Schaffensperioden Picabias. Der Künstler selbst kommentierte die „Transparences“ wie folgt: „This third dimension, not made of light and shadow, these transparancies with their corner of oubliettes permit me to express for myself the resemblance of my interior desires […] I want a painting where all my instincts may have a free course […]“<ref>{{Literatur |Autor=William A. Camfield |Titel=Francis Picabia his art, life, and times |Verlag=Princeton University Press |Ort=Princeton, N.J. |Datum=1979 |ISBN=0-691-03932-1 |Seiten=239}}</ref> William A. Camfield teilte die Periode in zwei Phasen ein: Die erste, von 1928 bis 1932, bezeichnet er als die der „transparencies“ (z.&nbsp;B. ''Sphinx'' von 1929 und ''Hera'' von ca. 1929); die daran anschließenden „superimpositions“ (1933 bis 1940, z.&nbsp;B. ''Rêve'' von 1935) hätten sich hingegen durch eine noch deutlichere Linienführung und die abnehmende Zahl einander überlagernder Bildebenen ausgezeichnet.<ref>{{Literatur |Autor=William A. Camfield |Titel=Francis Picabia his art, life, and times |Verlag=Princeton University Press |Ort=Princeton, N.J. |Datum=1979 |ISBN=0-691-03932-1 |Seiten=244-254}}</ref>


=== Spätere Jahre ===
=== Spätere Jahre ===
[[Datei:Francis Picabia 1942 L'Adoration du veau.jpg|mini|hochkant|''L’Adoration du veau'', 1942]]
In den 1930er Jahren lernte Picabia [[Gertrude Stein]] kennen, mit der er Freundschaft schloss und die er 1933 porträtierte. 1940 heiratete er in zweiter Ehe Olga Mohler. Kurz vor dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] wandte er sich in Anlehnung an sein Frühwerk erneut dem Impressionismus zu. Nach Ende des Krieges kehrte er nach Paris zurück; in dieser Zeit wurden seine Bilder abstrakt, und er schrieb [[Aphorismus|Aphorismen]]. Ein Prozess, in dem er wegen [[Kollaboration]] mit der deutschen Besatzungsmacht angeklagt werden sollte, fand nicht statt, da er einen [[Schlaganfall]] erlitten hatte. 1951 folgte ein weiterer, der zu Lähmungserscheinungen führte. Zwei Jahre später verstarb Picabia in Paris.<ref name="Lentz155" /> Seine Grabstätte befindet sich auf dem [[Cimetière de Montmartre]].
In den 1930er Jahren lernte Picabia [[Gertrude Stein]] kennen, mit der er Freundschaft schloss und die er 1933 porträtierte. 1940 heiratete er in zweiter Ehe Olga Mohler. Kurz vor dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] wandte er sich in Anlehnung an sein Frühwerk erneut dem Impressionismus zu. Nach Ende des Krieges kehrte er nach Paris zurück; in dieser Zeit wurden seine Bilder abstrakt, und er schrieb [[Aphorismus|Aphorismen]]. Er wurde der [[Kollaboration]] mit der deutschen Besatzungsmacht bezichtigt, doch für eine strafrechtliche Verfolgung fanden sich keine ausreichenden Beweise.<ref>''Süddeutsche Zeitung'', 24. Mai 2024, S. 9.</ref> Unterdessen erlitt Picabia einen ersten [[Schlaganfall]]; nach einem weiterer Schlaganfall im Jahr 1951 war er teilweise gelähmt. Zwei Jahre danach starb er in Paris.<ref name="Lentz155" /> Seine Grabstätte befindet sich auf dem [[Cimetière de Montmartre]].


Francis Picabia gilt als exzentrischer Künstler, der sich keinen politischen oder stilistischen [[Dogma|Dogmen]] unterordnen wollte. Er beeinflusste maßgeblich die [[moderne Kunst]], vor allem aber den Dadaismus.
Francis Picabia gilt als exzentrischer Künstler, der sich keinem politischen oder stilistischen [[Dogma]] unterordnen ließ. Er beeinflusste die [[moderne Kunst]], vor allem den Dadaismus.


== Ausstellungen (Auswahl) ==
== Ausstellungen (Auswahl) ==
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* 1987: [[postum]] mit einigen Werken auf der [[Documenta 8]], [[Kassel]]
* 1987: [[postum]] mit einigen Werken auf der [[Documenta 8]], [[Kassel]]
* 1995/96: [http://www.fundaciotapies.org/site/spip.php?rubrique465 Francis Picabia. Machines and Spanish Women], Fundació Antoni Tàpies, Barcelona
* 1995/96: [http://www.fundaciotapies.org/site/spip.php?rubrique465 Francis Picabia. Machines and Spanish Women], Fundació Antoni Tàpies, Barcelona
* 1997/1998: ''Francis Picabia – Das Spätwerk 1933–1953'', [[Deichtorhallen]] Hamburg
* 1997/98: ''Francis Picabia – Das Spätwerk 1933–1953'', [[Deichtorhallen]] Hamburg
* 2012: ''Francis Picabia. Retrospektive'', [[Kunsthalle Krems]].
* 2012: ''Francis Picabia. Retrospektive'', [[Kunsthalle Krems]].
* 2016: ''Francis Picabia. Eine Retrospektive'', [[Kunsthaus Zürich]].
* 2016: ''Francis Picabia. Eine Retrospektive'', [[Kunsthaus Zürich]].
* 2016–2017: ''Francis Picabia: Our Heads Are Round so Our Thoughts Can Change Direction'', [[Museum of Modern Art]].
* 2016/17: ''Francis Picabia: Our Heads Are Round so Our Thoughts Can Change Direction'', [[Museum of Modern Art]].


== Werke (Auswahl) ==
== Werke (Auswahl) ==
[[Datei:Francis Picabia, 1917 - Machine tournez vite.jpg|mini|hochkant|''Machine tournez vite'', 1917]]
{{lückenhaft|Aufenthaltsort/Besitzer fehlt}}
[[Datei:Baigneuse 2021 CKS 19518 0112 000(francis picabia baigneuse022550).jpg|mini|hochkant|''Baigneuse'', um 1925–1926]]
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* ''Danseuse étoile sur un Transatlantique''. 1913
* ''Danseuse étoile sur un Transatlantique''. 1913
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* ''Portrait d’une jeune fille américaine dans l’état de nudité''. 1915
* ''Portrait d’une jeune fille américaine dans l’état de nudité''. 1915
* ''Cinquante-Deux Miroirs''. 1917
* ''Cinquante-Deux Miroirs''. 1917
* ''Machine, Tournez vite'' 1916–1918
* ''Machine tournez vite'' 1917
* ''Abstrait Lausanne''. 1918
* ''Abstrait Lausanne''. 1918
* ''Pensées sans langage''. 1919
* ''Pensées sans langage''. 1919
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'''''Gesammelte Aphorismen:'''''
'''''Schriften:'''''
* Francis Picabia: ''Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.'' (= ''Kleine Bücherei für Hand & Kopf.'' Band 31). Aus dem Französischen übersetzt von Pierre Gallissaires und Hanna Mittelstädt. Edition Nautilus, Hamburg 1995, ISBN 3-89401-245-5.
* Francis Picabia: ''Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.'' (= ''Kleine Bücherei für Hand & Kopf.'' Band 31). Aus dem Französischen von Pierre Gallissaires und Hanna Mittelstädt. Edition Nautilus, Hamburg 1995, ISBN 3-89401-245-5
* Francis Picabia: ''Ecrits 1913–1920''. Belfond Paris, 1975. ISBN 2-7144-0211-9

* Francis Picabia: ''Ecrits 1921–1953 et posthumes''. Belfond Paris, 1978. ISBN 2-7144-1120-7
== Drehbuch ==
* 1924: [[Entr’acte (Film)|Entr’acte]]
* [[Entr’acte (Film)|Entr’acte]] (Drehbuch, 1924)


== Literatur ==
== Literatur ==
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== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Wikiquote}}„This visit to America… has brought about a complete revolution in my methods of work… Prior to leaving Europe I was engrossed in presenting psychological studies through the mediumship of forms which I created. Almost immediately upon coming to America it flashed on me that the genius of the modern world is in machinery and that through machinery art ought to find a most vivid expression.“<ref name=":0" />{{Commonscat}}
{{Wikiquote}}„This visit to America… has brought about a complete revolution in my methods of work… Prior to leaving Europe I was engrossed in presenting psychological studies through the mediumship of forms which I created. Almost immediately upon coming to America it flashed on me that the genius of the modern world is in machinery and that through machinery art ought to find a most vivid expression.“<ref name=":0" />{{Commonscat}}
{{Wikisource|fr:Auteur:Francis_Picabia|Werke von Francis Picabia (französisch)}}
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Aktuelle Version vom 18. Juni 2024, 06:08 Uhr

Francis Picabia, 1913

Francis-Marie Martinez Picabia (* 22. Januar 1879 in Paris; † 30. November 1953 ebenda) war ein französischer Schriftsteller, Maler und Grafiker.

Leben

Herkunft und Ausbildung

Francis Picabia war der Sohn von Francisco Vicente Martínez Picabia, einem kubanischen Botschaftsangestellten adliger Herkunft, und der Französin Marie Cécile Davanne, einer Bürgerlichen. Die Mutter starb an Tuberkulose, als er sieben Jahre alt war.[1] Finanziell unabhängig studierte er von 1895 bis 1897 zunächst an der École des arts décoratifs in Paris, danach bei Fernand Humbert und bei Albert Charles Wallet (1852–1918) und ab 1899 bei Fernand Cormon in dessen Atelier.[2]

Ausstellungen in Paris und New York

Picabia wechselte mehrmals den Malstil. Er begann im Winter 1902/03 als Impressionist und stellte 1903 erstmals im Salon d’Automne und dem Salon des Indépendants aus. Seine erste Einzelausstellung hatte er 1905 in der Galerie Haussmann in Paris. Im Jahr 1909 entstand Caoutchouc, das erste Bild, in dem er sich mit dem Kubismus auseinandersetzte und das zugleich abstrakt war.[3] Picabia verarbeitete jedoch auch weiterhin Elemente des Fauvismus und des Neoimpressionismus.

Danse au printemps von 1912; im Jahr 1913 in der Armory Show in New York ausgestellt

Im Jahr 1909 heiratete Francis Picabia die Komponistin Gabrielle Buffet, die ihn anregte, sich der abstrakten Malerei zuzuwenden.[4] Die Ehe, der vier Kinder entstammten, wurde 1930 geschieden.

Phmarcie Duchamps, Gouache, um 1920

1911 lernte Picabia bei den sonntäglichen Zusammenkünften im Atelier von Jacques Villon unter anderem Fernand Léger, Roger de La Fresnaye, Albert Gleizes, Guillaume Apollinaire und Marcel Duchamp, mit dem er sich anfreundete, kennen und beteiligte sich im selben und dem folgenden Jahr an der Puteaux-Gruppe. 1913 nahm er an der in New York stattfindenden Armory Show teil, und Alfred Stieglitz, den Picabia in New York in dessen Galerie 291 kennenlernte, richtete dort eine Einzelausstellung von Picabias Werken ein. Picabia war 1912 neben Marcel Duchamp, Albert Gleizes, Juan Gris und Jacques Villon Mitbegründer der Section d’Or.

Im Ersten Weltkrieg ging Picabia nach New York und Panama. In den USA begann seine „mechanische Periode“ (1915–1921). Die Ursprünge hiefür lagen in seinem New-York-Aufenthalt im Jahr 1915[5] und der Inspiration durch die in ständiger Bewegung befindliche Großstadt[6]. Die Erfahrung einer neuen Dimension innerhalb der menschlich-mechanischen Beziehung führte Picabia zur Verbindung von Titel und Bild, die in den 1915 entstandenen Werken, darunter Ici, c´est ici Stieglitz, foi et amour, Portrait d´une jeune fille americaine dans l´état de nudité, sowie in dem Porträt von Marius de Zayas und einem Canter betitelten Selbstporträt zu sehen ist. Die ersten Werke der mechanischen Periode erschienen in der 1915 von Stieglitz, de Zayas und Picabia gegründeten Zeitschrift, die sie nach Stieglitz’ Galerie 291 nannten. Picabias Kunst entwickelte sich in der mechanischen Periode von humorvollen satirischen Porträts (1915) über sexuelle Themen (1917/18, Prostitution Universelle, Machine tournez vite) hin zum Physikalischen. In den letzten Werken, zu denen Ortophone zählt, sollen das Menschliche und das Mechanische zusammenkommen.

Gründung der „391“

Marcel Duchamp, Francis Picabia und Beatrice Wood, New York 1917

Nach einer kurzen Liebesaffäre mit Isadora Duncan ging Picabia 1917 nach Barcelona. Dort gründete er die dadaistische Zeitschrift 391, deren Titel an den der oben genannten Zeitschrift 291 angelehnt war. Sie bereitete mit Dichtung, Essay und Grafik dem Dadaismus in Europa den Weg. Für die Zeitschrift, die von 1917 bis 1924 in mehreren Ausgaben erschien, arbeitete auch seine Ehefrau, Gabrielle Buffet-Picabia, als Autorin, Redaktionssekretärin und Produktionschefin.[7] 1917 lernte Picabia in Barcelona Joan Miró kennen und begegnete zudem Marie Laurencin und Arthur Cravan. Auf Einladung Tristan Tzaras engagierte er sich in der Dada-Bewegung in Zürich und begründete 1919 die Pariser Dada-Bewegung mit, sagte sich jedoch 1922 davon los und näherte sich dem Surrealismus an.[8]

Picabia in seinem Haus in Tremblay-sur-Mauldre

Im Jahr 1922 zog Picabia mit seiner neuen Lebensgefährtin, Germaine Everling, für die er 1924 das Château de Mai in Mougins bauen ließ, nach Tremblay-sur-Mauldre nahe Paris und kehrte zur figurativen Kunst zurück. 1924 erschien die letzte Ausgabe von 391, in der Picabia eine Attacke gegen den Surrealisten André Breton lancierte. Im Dezember 1924 spielte Picabia in René Clairs dadaistischem Stummfilm Entr’acte mit. Dieser Film war Bestandteil des avantgardistischen Balletts Relâche, zu dem Picabia das Libretto geschaffen hatte. Erik Satie komponierte die Musik zum Ballett und die Filmmusik Cinema. Es war das erste Mal, dass ein Film in ein Bühnenstück eingefügt wurde. Die Premiere fand im Théâtre des Champs-Élysées statt und löste einen Tumult im Publikum aus.[9]

Picabia an der Côte d’Azur

Statices von 1929, eines der Transparances

Von 1924 bis 1928, nach einem Umzug nach Cannes,[10][11] widmete Picabia sich abermals einem neuen Stil: Er schuf neben dadaistischen Collagen und Gemälden zu spanischen Themen sogenannte „Monstres“, figurative Darstellungen, die vor allem Paare darstellen, deren Gesichtszüge verzerrt und mehrfach im Gesicht einer einzigen Figur abgebildet sind, z. B. Les Tropiques (Souvenir de Juan-les-Pins) (ca. 1925/26). In den sich überlagernden Gesichtern deutete sich an, womit Picabia sich in seiner nächsten Werkgruppe, den „Transparences“, beschäftigen würde.

Picabia reizte das Konzept von Transparenz[12] sowie deren technischen Umsetzung in der Ölmalerei.[13] In den „Transparences“ verwob er in übereinander angeordneten durchscheinenden Bildebenen kunsthistorische Anspielungen, die in dieser Zusammenstellung neue, zuweilen undurchschaubare Bedeutungen schufen. Dies ist eine der eklektizistischsten Schaffensperioden Picabias. Der Künstler selbst kommentierte die „Transparences“ wie folgt: „This third dimension, not made of light and shadow, these transparancies with their corner of oubliettes permit me to express for myself the resemblance of my interior desires […] I want a painting where all my instincts may have a free course […]“[14] William A. Camfield teilte die Periode in zwei Phasen ein: Die erste, von 1928 bis 1932, bezeichnet er als die der „transparencies“ (z. B. Sphinx von 1929 und Hera von ca. 1929); die daran anschließenden „superimpositions“ (1933 bis 1940, z. B. Rêve von 1935) hätten sich hingegen durch eine noch deutlichere Linienführung und die abnehmende Zahl einander überlagernder Bildebenen ausgezeichnet.[15]

Spätere Jahre

L’Adoration du veau, 1942

In den 1930er Jahren lernte Picabia Gertrude Stein kennen, mit der er Freundschaft schloss und die er 1933 porträtierte. 1940 heiratete er in zweiter Ehe Olga Mohler. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wandte er sich in Anlehnung an sein Frühwerk erneut dem Impressionismus zu. Nach Ende des Krieges kehrte er nach Paris zurück; in dieser Zeit wurden seine Bilder abstrakt, und er schrieb Aphorismen. Er wurde der Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht bezichtigt, doch für eine strafrechtliche Verfolgung fanden sich keine ausreichenden Beweise.[16] Unterdessen erlitt Picabia einen ersten Schlaganfall; nach einem weiterer Schlaganfall im Jahr 1951 war er teilweise gelähmt. Zwei Jahre danach starb er in Paris.[8] Seine Grabstätte befindet sich auf dem Cimetière de Montmartre.

Francis Picabia gilt als exzentrischer Künstler, der sich keinem politischen oder stilistischen Dogma unterordnen ließ. Er beeinflusste die moderne Kunst, vor allem den Dadaismus.

Ausstellungen (Auswahl)

Werke (Auswahl)

Machine tournez vite, 1917
Baigneuse, um 1925–1926
  • Danseuse étoile sur un Transatlantique. 1913
  • Très rare tableau sur la terre. 1915
  • Portrait d’une jeune fille américaine dans l’état de nudité. 1915
  • Cinquante-Deux Miroirs. 1917
  • Machine tournez vite 1917
  • Abstrait Lausanne. 1918
  • Pensées sans langage. 1919
  • Natures Mortes: Portrait de Cézanne, Portrait de Renoir, Portrait de Rembrandt, 1920
  • La femme aux allumettes 1920
  • La femme au chien. 1924–1926
  • Baigneuse. Um 1925–1926
  • Modèle vivant. Um 1924–1927
  • Masque en transparence. 1925–1928
  • Espagnole et agneau de l'apocalypse. Um 1927–1928
  • Ridens und Hera. Um 1929
  • Portrait de jeune fille. Um 1930
  • Portrait de femme. 1930–1931
  • Pieris. Um 1930–1931
  • Femme au serpent. 1939–1940
  • Deux nus. Um 1941
  • Femme au chrysanthème. Um 1942
  • Montparnasse. 1940–1941
  • Femme à la fenêtre et nue. Um 1941–1942
  • Suzanne. Um 1945
  • Bonheur de l’Aveuglement. 1947
  • Ça m’est égal. 1947
  • Bleu. 1949
  • L’encerclement. 1950
  • Mardi. 1951

Schriften:

  • Francis Picabia: Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. (= Kleine Bücherei für Hand & Kopf. Band 31). Aus dem Französischen von Pierre Gallissaires und Hanna Mittelstädt. Edition Nautilus, Hamburg 1995, ISBN 3-89401-245-5
  • Francis Picabia: Ecrits 1913–1920. Belfond Paris, 1975. ISBN 2-7144-0211-9
  • Francis Picabia: Ecrits 1921–1953 et posthumes. Belfond Paris, 1978. ISBN 2-7144-1120-7
  • Entr’acte (Drehbuch, 1924)

Literatur

  • Allan Antliff: Anarchie und Kunst. Edition AV, Lich 2011, ISBN 978-3-86841-052-5. (Enthält ein ausführliches Kapitel über Picabias Zeit in New York und seine Objektporträts, insbesondere das durch eine Zündkerze dargestellte Portrait d’une jeune fille américaine dans l’état de nudit, das sich gegen die Obscenity Laws richtete.)
  • Annegret Boelke-Heinrichs u. a.: Die 100 des Jahrhunderts. Maler. Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3-499-16456-6, S. 154/155.
  • William A. Camfield: The Machinist Style of Francis Picabia. New York 1966.
  • William A. Camfield: Francis Picabia his art, life and times. Princeton 1979, ISBN 0-691-03932-1.
  • Arnould Pierre: Francis Picabia. La peinture sans aura. Paris 2002, ISBN 2-07-075893-1.
  • Alexander Calder: Francis Picabia – Transparence. Ausstellungskatalog, Zürich. hrsg. von Alexander S. C. Rower. Ostfildern 2015, ISBN 978-3-7757-4052-4.
  • Picabia et la Côte d’Azur. Ausstellungskatalog, Nizza. hrsg. von Christian Arthaud. Nizza 1991, ISBN 2-901412-42-4.
  • Francis Picabia. Catalog Raisonné. Volume II: 1915–1927. hrsg. von u. a. Camfield/Calté/Clements. Brüssel/ New Haven/ London 2016.
  • Thomas Krens (Vorw.): Rendezvous. Masterpieces from the Centre Georges Pompidou and the Guggenheim Museums. Guggenheim Museum Publications, New York 1998, ISBN 0-89207-213-X.

„This visit to America… has brought about a complete revolution in my methods of work… Prior to leaving Europe I was engrossed in presenting psychological studies through the mediumship of forms which I created. Almost immediately upon coming to America it flashed on me that the genius of the modern world is in machinery and that through machinery art ought to find a most vivid expression.“[5]

Commons: Francis Picabia – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Beverley Calte: Francis Picabia. picabia.com, abgerufen am 9. Dezember 2014.
  2. Karin von Maur, Gudrun Inboden (Bearb.): Malerei und Plastik des 20. Jahrhunderts. Staatsgalerie Stuttgart, 1982, S. 252.
  3. Richard Calvocoressi, Marianne Heinz, Judi Freeman u. a.: Picabia, 1879–1953. Edition Cantz, 1988, S. 37. (Erstausgabe: National Galleries of Scotland, 1988)
  4. Vgl. Claire und Anne Berest: Ein Leben für die Avantgarde. Die Geschichte von Gabriële Buffet Picabia. Aufbau, Berlin 2021, ISBN 9783351038557, S. 100f.
  5. a b French Artists Spur On American Art. In: New York Tribune. 24. Oktober 1915, S. 2.
  6. William A. Camfield: The Machinist Style of Francis Picabia. New York 1966, S. 309 ff.
  7. Vgl. Claire und Anne Berest: Ein Leben für die Avantgarde. Die Geschichte von Gabriële Buffet Picabia. Aufbau, Berlin 2021, S. 316.
  8. a b Bernd Jordan (Hrsg.): Die 100 des Jahrhunderts. Maler. Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3-499-16456-6, S. 155.
  9. Grete Wehmeyer: Erik Satie. Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-499-50571-1, S. 113 ff.
  10. William A. Camfield: Francis Picabia his art, life, and times. Princeton University Press, Princeton, N.J. 1979, ISBN 0-691-03932-1, S. 229–254.
  11. Christian Arthaud: Picabia et la Côte d'Azur : exposition du 5 juillet au 6 octobre 1991. Musée d'art moderne et d'art contemporain, Nice 1991, ISBN 2-901412-42-4.
  12. Alexander S. C. Rower (Hrsg.): Alexander Calder, Francis Picabia – Transparence. Ausstellungskatalog. Ostfildern 2015, S. 10–16.
  13. William A. Camfield: Francis Picabia his art, life, and times. Princeton University Press, Princeton, N.J. 1979, ISBN 0-691-03932-1, S. 229.
  14. William A. Camfield: Francis Picabia his art, life, and times. Princeton University Press, Princeton, N.J. 1979, ISBN 0-691-03932-1, S. 239.
  15. William A. Camfield: Francis Picabia his art, life, and times. Princeton University Press, Princeton, N.J. 1979, ISBN 0-691-03932-1, S. 244–254.
  16. Süddeutsche Zeitung, 24. Mai 2024, S. 9.