Energija

Modell von Energija/Buran, seitlich sind die Doppel-Booster erkennbar.
Darstellung des Energija Trägersystems mit vier Boostern
Darstellung des Energija Trägersystems mit dem Shuttle „Buran“

Die Energija (russisch Энергия ‚Energie‘, ‚Tatkraft‘; GRAU-Index 11K25, NATO-Bezeichnung SL-17) war eine sowjetische Trägerrakete, die entwickelt wurde, um schwere Nutzlasten wie die Raumfähre Buran in den Orbit zu transportieren. Die Rakete kam zweimal, 1987 und 1988, erfolgreich zum Einsatz. Die Energija wurde durch die NPO Energija (heute RKK Energija) entwickelt.

Technik

Die Rakete war zweistufig bei einer Höhe von 58,8 m und einem Startschub von 35.000 kN. Sie konnte eine Nutzlast von ca. 96 t in eine erdnahe Umlaufbahn und ca. 22 t in eine geostationäre Transferbahn transportieren und war damit bis heute neben der Saturn V und der Falcon Heavy die stärkste jemals eingesetzte Rakete.

Die erste Stufe bildeten die Booster, die parallel zur Energija als eigenständige Zenit-Rakete entwickelt wurden. Mit dem RD-170 kam dabei das schubstärkste je geflogene Flüssigkeitsraketentriebwerk zum Einsatz. Die Zenit wird bis heute eingesetzt und ist die derzeit technologisch fortschrittlichste, einsatzfähige russische Trägerrakete. Sie soll in Zukunft von der Angara-Rakete abgelöst werden.

Mit der Anzahl der Booster: zwei, vier, sechs oder acht, die jeweils paarweise miteinander verbunden wurden, war die Nutzlastkapazität der Energija veränderbar. Auch das Abtrennen der Booster später im Flug verlief paarweise. Sie wurden mit flüssigem Sauerstoff und Kerosin betrieben und sollten durch die angebrachten Fallschirmsysteme wiederverwendbar sein. Das Wiederkehren der Booster zur Erde wurde jedoch bei den beiden Flügen der Energija nicht getestet.

Die Zentralstufe (zweite Stufe) wurde von vier mit jeweils einer Brennkammer ausgestatteten RD-0120-Triebwerken angetrieben, welche flüssigen Wasserstoff und Sauerstoff (LH2/LOX) verbrannten, was für die sowjetische Raumfahrt zu der damaligen Zeit ein Novum war. Da die Zentralstufe ähnlich dem US-amerikanischen Space Shuttle praktisch nur aus Treibstofftanks bestand und über keinen Nutzlastadapter an der Spitze der Rakete verfügte, musste die zu transportierende Nutzlast seitlich an der Zentralstufe angebracht werden, was aber auch voluminöse Nutzlasten ermöglichte.

Von ihrer äußeren Erscheinung her sah die Struktur und der Aufbau der Energija mit der Buran-Raumfähre dem Space Shuttle sehr ähnlich. Jedoch handelte es sich dabei um keine Kopie, sondern eine in weiten Bereichen auf unterschiedlichen Technologien basierende Konstruktion, die aufgrund von ähnlichen Zielen auch zu einer äußerlich ähnlichen Form führte. Der wichtigste Unterschied zwischen beiden Systemen lag darin, dass die Energija auch ohne die Buran-Raumfähre starten konnte, was bei dem Space Shuttle System nicht möglich war. Dadurch war das Energija/Buran-System flexibler im Einsatz. Mehr dazu im Artikel: Buran (Raumfahrtprogramm).

Mjassischtschew WM-T mit aerodynamischer Front und Endabdeckung für den Energjiatransport

Während der externe Treibstofftank des US-Shuttlesystems per Schiff nach Florida transportiert wurde, wurde die Enerjia per Flugzeug transportiert. Die Booster konnten komplett montiert in einer An-124 oder zerlegt per Bahn transportiert werden. Die Kernstufe der Energija-Rakete konnte nicht als Ganzes mit den Mjassischtschew WM-T transportiert werden, sondern musste zwischen dem Sauerstoff- und dem Wasserstofftank in zwei Komponenten getrennt werden und wurden mit aerodynamischen Verkleidungen versehen. Mit den für das Raumfahrtprogramm geplanten Antonow An-225 wäre es möglich gewesen, die gesamten nachfolgenden Energjia-Kernstufen als eine einzige Außenlast sowie die Booster der Energija im Frachtraum zu transportieren. Jedoch wurde das Energjia -Buran Programm beendet, bevor die geplanten An-225 Flugzeuge zu einem Transport der Energjia kamen.

Das Energija Mock-up und alle bis zum Ende des Buran-Energjia Programm gebauten Kernstufen der Energija-Rakete wurden mit den Mjassischtschew WM-T von Moskau zum Kosmodrom Baikonur transportiert.[1] [2] [3]

Vor der Herstellung der Rakete wurde ein Energija Mock-up gebaut (Bezeichnung Energjia 4M-D), es unterscheidet sich äußerlich dadurch, dass bei der Kernstufe nur 3 von 4 Triebwerken vorhanden sind (externes Bild [1]).[4] Mit dem Mock-up wurden sämtliche Vorgänge für den Energija Betrieb getestet. Dies beinhaltet die Erprobung der beiden Startplätze 110L und 110R und dem Energija Triebwerkteststand der auch als Startrampe 250 der Energjia ohne Orbiter benutz werden konnte. Dies beinhaltet auch komplette Startvorbereitungsabläufe mit den Orbitern Buran und Ptitschka. Eine Triebwerkattrappe und zwei der Boosterattrappen wurden für den Bau des Energjia-M Mock-up verwendet. [5]

Varianten

Als nächste Ausbaustufe war eine Energija-2 geplant, die vollständig wiederverwendbar sein sollte. Dazu sollte die Zentralstufe nach dem Absetzen der Nutzlast in die Atmosphäre eintreten und zu einem Landeplatz gleiten, wobei für Buran entwickelte Technologien zum Einsatz kommen sollten.

Weiterhin wurde mit der Vulkan eine schwere Variante der Energija geplant, die über acht Booster sowie eine zusätzliche, mit einem RD-0120-Triebwerk angetriebene Oberstufe verfügte. Die Vulkan sollte etwa 175 t Nutzlast in einen niedrigen Erdorbit befördern können. Beide Varianten wurden jedoch nie bis zur Einsatzreife entwickelt.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion versuchte man Anfang der 1990er Jahre die Energija auf dem Markt für Trägerraketen kommerziell anzubieten. Da das vorhandene Modell für die existierenden Nutzlasten zu groß war, entwarf man die Energija-M-Variante. Diese war erheblich kleiner und kam mit nur zwei Boostern sowie nur einem RD-0120-Triebwerk in der Zentralstufe aus. Dadurch konnte die Rakete etwa auf die Nutzlastkapazität heutiger Delta-IV-Heavy oder Ariane-5ECA-Raketen herabgestuft werden. Doch konnte Energija-M damals keine Startaufträge ergattern und kam so nicht über das Planungsstadium hinaus. Es wurde lediglich ein Modell (mock-up) in voller Größe gebaut, mit dem man den Transport der Rakete und das Aufrichten auf der Startplattform testete.

Einsatz

Bei dem ersten Start der Energija am 15. Mai 1987 wurde Poljus, ein Technologieprototyp für Systeme der Raketenabwehr im Weltall, gestartet. Der Start war erfolgreich, obgleich Poljus aufgrund eines Steuerungsfehlers des Satelliten die Umlaufbahn nicht erreicht hat. Beim zweiten und letzten Start am 15. November 1988 wurde die Buran-Raumfähre unbemannt ins All gebracht. Rückkehr und Landung erfolgten automatisch gesteuert.

Später sollte sie sowohl zum Start von schweren Raumstationsmodulen, Kommunikationssatelliten und militärischen Nutzlasten als auch zur Realisierung des bemannten Marsflugs eingesetzt werden.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Dezember 1991 gab es jedoch keinen Start mehr, und das Programm wurde aus Budgetknappheit eingestellt. Obwohl in den Medien mehrfach von Plänen zu einer Wiederbelebung der Energija berichtet wird, wurden bisher keine Planungen bestätigt.

Startliste

Dies ist eine vollständige Startliste der Energija-Rakete.

Lfd. Nr. Datum (UTC) Typ Ser.-Nr. Startplatz Nutzlast Art der Nutzlast Nutzlast in kg (brutto⁠1) Orbit2 Anmerkungen
1 15. Mai 1987, 17:30 Energija TKS 6L Ba 250 Poljus Prototyp eines Militärsatelliten 77.000 LEO Erfolg3
2 15. Nov. 1988, 03:00 Energija Buran 1L Ba 110L Buran 1.01 Raumfähre ~ 62.000 LEO Erfolg
1 
Bruttogewicht = (Satelliten + Adapter, Gehäuse etc.)
2 
Nicht zwangsläufig der Zielorbit der Nutzlast, sondern die Bahn, auf der die Nutzlast von der Oberstufe ausgesetzt wurde.
3 
Die Rakete hat wie geplant funktioniert, allerdings ging die Nutzlast nach dem Aussetzen verloren.
Commons: Energija – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  1. Jefim Gordon, Dmitriy Komissarow: Antonov’s Heavy Transports: From the An-22 to An-225, 1965 to the Present. Schiffer Publishing 2020, ISBN 978-0-7643-6071-8. Seiten 191- 207, Zeichnung mit Energjia Seite 194.
  2. Yefim Gordon & Dimitriy Komissarov: M-4 and 3M. Schiffer Verlag, Atglen PA, USA 2021, ISBN 978-0-7643-6182-1. Seiten 197-231
  3. Externe Bilder WM-T mit allen 3 Energjia Nutzlasten
  4. Hendrikx Bert Vis:Energiya-Buran The Soviet Space Shuttle, Seite 266- 270, Bild Seite 267. ISBN 978-0-387-69848-9
  5. Hendrikx Bert Vis: Energiya-Buran The Soviet Space Shuttle, Kapitel:The roots of Buran Seite 28 und Kapitel: The origins of the Space Shuttle Seiten 44–45. ISBN 978-0-387-69848-9