„Deutsch-Sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag“ – Versionsunterschied

[gesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
Benatrevqre (Diskussion | Beiträge)
→‎Vorgeschichte: unstrittige Passage zur sowjetischen Annexion wieder rein, ohne diese Aussage erfährt der Artikel sonst eine grobe Einseitigkeit
Zeile 22: Zeile 22:
== Vorgeschichte ==
== Vorgeschichte ==
[[Adolf Hitler]] hatte mit der Vorbereitung des Polenfeldzuges bewusst einen Weltkrieg riskiert und mit der [[Sowjetunion]] kurz vor dem [[Überfall auf Polen]] einen Nichtangriffsvertrag abgeschlossen, der die Westmächte von einem Kriegseintritt abhalten und einen vorzeitigen Krieg mit der Sowjetunion vermeiden sollte. Im geheimen Teil des Vertrages zur deutsch-sowjetischen Interessenabgrenzung war der Fortbestand eines Restpolens als Pufferstaat zwischen [[NS-Staat|Deutschland]] und der Sowjetunion und als mögliche Verhandlungsmasse für ein Arrangement mit den Westmächten offen gelassen worden.<ref>[[Martin Broszat]]: ''Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945''. De Gruyter, 1961, S. 12.</ref>
[[Adolf Hitler]] hatte mit der Vorbereitung des Polenfeldzuges bewusst einen Weltkrieg riskiert und mit der [[Sowjetunion]] kurz vor dem [[Überfall auf Polen]] einen Nichtangriffsvertrag abgeschlossen, der die Westmächte von einem Kriegseintritt abhalten und einen vorzeitigen Krieg mit der Sowjetunion vermeiden sollte. Im geheimen Teil des Vertrages zur deutsch-sowjetischen Interessenabgrenzung war der Fortbestand eines Restpolens als Pufferstaat zwischen [[NS-Staat|Deutschland]] und der Sowjetunion und als mögliche Verhandlungsmasse für ein Arrangement mit den Westmächten offen gelassen worden.<ref>[[Martin Broszat]]: ''Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945''. De Gruyter, 1961, S. 12.</ref>

Die [[Sowjetunion]] hatte derweil am 17.&nbsp;September 1939 mit der [[Sowjetische Besetzung Ostpolens|Besetzung Ostpolens]] begonnen und rückte rasch auf die [[Demarkation (Politik)|Demarkationslinien]] vor.


Nachdem [[England]] und [[Frankreich]] in den Krieg eingetreten waren und deutsche Verhandlungsvorschläge zurückgewiesen hatten, reiste Ribbentrop Ende September 1939 ein zweites Mal nach Moskau. Den deutschen Ideen zu einem deutsch-sowjetischen Bündnis gegen England begegnete [[Josef Stalin]] aber unnachgiebig ablehnend.<ref>Masake Miyake: ''Die Idee eines eurasischen Blocks Tokio-Moskau-Berlin-Rom''. In: ''Internationale Dilemmata und europäische Visionen''. Lit Verlag, Münster 2010, ISBN 978-3-643-10481-6, S. 344.</ref> Vor dem Hintergrund des erwünschten antibritischen Bündnisses war es ein Misserfolg, dass es am 28. September nur zum Abschluss eines Grenz- und Freundschaftsvertrages kam, der zu einer neuen Festlegung der Interessensgebiete führte. Von der Idee eines Restpolens rückte man aus jeweils unterschiedlichen Beweggründen ab und teilte das mittlerweile von Deutschland und der Sowjetunion besetzte [[Zweite Polnische Republik|Polen]] nach ethnographischen Prinzipien entlang der [[Curzon-Linie]] auf.<ref>Markus Leniger: ''Nationalsozialistische Volkstumsarbeit und Umsiedlungspolitik 1933–1945.'' Berlin 2006, ISBN 978-3-86596-082-5, S. 54&nbsp;ff.</ref>
Nachdem [[England]] und [[Frankreich]] in den Krieg eingetreten waren und deutsche Verhandlungsvorschläge zurückgewiesen hatten, reiste Ribbentrop Ende September 1939 ein zweites Mal nach Moskau. Den deutschen Ideen zu einem deutsch-sowjetischen Bündnis gegen England begegnete [[Josef Stalin]] aber unnachgiebig ablehnend.<ref>Masake Miyake: ''Die Idee eines eurasischen Blocks Tokio-Moskau-Berlin-Rom''. In: ''Internationale Dilemmata und europäische Visionen''. Lit Verlag, Münster 2010, ISBN 978-3-643-10481-6, S. 344.</ref> Vor dem Hintergrund des erwünschten antibritischen Bündnisses war es ein Misserfolg, dass es am 28. September nur zum Abschluss eines Grenz- und Freundschaftsvertrages kam, der zu einer neuen Festlegung der Interessensgebiete führte. Von der Idee eines Restpolens rückte man aus jeweils unterschiedlichen Beweggründen ab und teilte das mittlerweile von Deutschland und der Sowjetunion besetzte [[Zweite Polnische Republik|Polen]] nach ethnographischen Prinzipien entlang der [[Curzon-Linie]] auf.<ref>Markus Leniger: ''Nationalsozialistische Volkstumsarbeit und Umsiedlungspolitik 1933–1945.'' Berlin 2006, ISBN 978-3-86596-082-5, S. 54&nbsp;ff.</ref>

Version vom 4. Juni 2020, 02:04 Uhr

Deutsch-sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag
Datum: 28. September 1939
Inkrafttreten: 28. September 1939
(Zusatzprotokoll: 4. Oktober 1939)
Fundstelle: RGBl. 1940 II, S. 4 f.
Vertragstyp: Bilateral
Rechtsmaterie: Grenz- und Freundschaftsvertrag
Unterzeichnung: 28. September 1939
Ratifikation: 15. Dezember 1939
Bitte beachte den Hinweis zur geltenden Vertragsfassung.

Unterzeichnung des Vertrags durch Ribbentrop. Im Hintergrund Stalin, Molotow und Schaposchnikow, vorn u. a. der Botschafter der Sowjetunion, Alexei Schkwarzew und Gustav Hilger.
Bekanntmachung des Vertrages im Reichsgesetzblatt vom 5. Januar 1940

Der Deutsch-Sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag stellt zusammen mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 die politischen Eckpfeiler des sogenannten Hitler-Stalin-Paktes dar und wurde am 28. September 1939 in Moskau zwischen dem deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop und dessen sowjetischem Amtskollegen Wjatscheslaw Molotow geschlossen.[1]

Vorgeschichte

Adolf Hitler hatte mit der Vorbereitung des Polenfeldzuges bewusst einen Weltkrieg riskiert und mit der Sowjetunion kurz vor dem Überfall auf Polen einen Nichtangriffsvertrag abgeschlossen, der die Westmächte von einem Kriegseintritt abhalten und einen vorzeitigen Krieg mit der Sowjetunion vermeiden sollte. Im geheimen Teil des Vertrages zur deutsch-sowjetischen Interessenabgrenzung war der Fortbestand eines Restpolens als Pufferstaat zwischen Deutschland und der Sowjetunion und als mögliche Verhandlungsmasse für ein Arrangement mit den Westmächten offen gelassen worden.[2]

Die Sowjetunion hatte derweil am 17. September 1939 mit der Besetzung Ostpolens begonnen und rückte rasch auf die Demarkationslinien vor.

Nachdem England und Frankreich in den Krieg eingetreten waren und deutsche Verhandlungsvorschläge zurückgewiesen hatten, reiste Ribbentrop Ende September 1939 ein zweites Mal nach Moskau. Den deutschen Ideen zu einem deutsch-sowjetischen Bündnis gegen England begegnete Josef Stalin aber unnachgiebig ablehnend.[3] Vor dem Hintergrund des erwünschten antibritischen Bündnisses war es ein Misserfolg, dass es am 28. September nur zum Abschluss eines Grenz- und Freundschaftsvertrages kam, der zu einer neuen Festlegung der Interessensgebiete führte. Von der Idee eines Restpolens rückte man aus jeweils unterschiedlichen Beweggründen ab und teilte das mittlerweile von Deutschland und der Sowjetunion besetzte Polen nach ethnographischen Prinzipien entlang der Curzon-Linie auf.[4]

Vertragsinhalt

Karte vom 28. September 1939 mit den Unterschriften von Stalin und Ribbentrop. Die kleineren Unterschriften Stalins bezeichnen abgestimmte kleinere Veränderungen der Linie.

Zum deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag gehörten:[5]

  1. Der Vertrag und das Zusatzprotokoll nebst den zugehörigen Karten
  2. Geheimes Zusatzprotokoll zur Unterbindung polnischer Agitation
  3. Geheimes Zusatzprotokoll, das Litauen dem sowjetischen Einflussbereich zuordnete
  4. Gemeinsame Erklärung der beiden Regierungen
  5. Vertrauliches Protokoll zur Übersiedlung von Reichs- und Volksdeutschen
  6. Briefwechsel zur Erweiterung des Wirtschaftsverkehrs
  7. Briefwechsel betreffs wirtschaftlicher Sonderwünsche

Diese Vereinbarungen wurden in drei geheimen (Zusatz-)Protokollen festgelegt. Im Nichtangriffspakt war die Frage der Erhaltung eines unabhängigen Rest- oder Rumpfpolens als Pufferstaat offen geblieben. Aufgrund des Kriegsverlaufs wurde die vollständige Teilung Polens (Vierte Teilung) beschlossen. Unter der (Schein-)Legitimation des ethnographischen Prinzips akzeptierte Stalin die Curzon-Linie als Grenze, was nach dem Bruch des Paktes durch Deutschland, den Weg zum Bündnis mit England erleichterte.[6]

Dem Deutschen Reich wurde dadurch die Woiwodschaft Lublin und Teile der Woiwodschaft Warschau zugeschlagen, die vorläufige Grenzlinie verlief dann entlang der Flüsse Pisa, Narew und San. Die genaue Grenzlinie wurde entsprechend im Zusatzprotokoll zwischen Deutschland und UdSSR vom 4. Oktober 1939 festgehalten.[7]

Abweichend von der ursprünglich verabredeten Grenze der Interessengebiete wurde Litauen auf Wunsch Stalins der sowjetischen Interessensphäre zugerechnet. An Litauen selbst wurde auf deutschen Wunsch das damals umstrittenerweise polnisch besetzte Vilnius übergeben.[8] (General Żeligowski hatte 1920 mit nichtöffentlicher Erlaubnis von Józef Piłsudski den südöstllichen Teil Litauens, ein Gebiet um Vilnius, das von ihm so benannte Mittellitauen erobert; dies geschah mit Berufung auf die vor der ersten Teilung bestehende Unia Lubelska. Die Bevölkerung von Vilnius war damals überwiegend polnisch. Nach der von Deutschland ab Mitte September 1939 geforderten Aufteilung Polens wäre das Wilnaer Gebiet an die UdSSR gefallen.[9]

Die Vertragsparteien verpflichteten sich des Weiteren darauf, in den beiden Teilen des besetzten Polen „keine polnische Agitation [zu] dulden, die auf die Gebiete des anderen Teiles hinüberwirkt“ („Geheimes Zusatzprotokoll II“ vom 28. September 1939). Außerdem wurde vereinbart, dass die deutschen Bevölkerungsgruppen aus der sowjetischen Interessensphäre, „sofern sie den Wunsch haben“, nach Deutschland umgesiedelt werden durften und dass die dafür Beauftragten der Reichsregierung diese Umsiedlung unter Billigung der Sowjetunion mit den „zuständigen örtlichen Behörden“ arrangieren würden. Ohne dass die Bevölkerungsgruppen spezifiziert wurden, bezog sich dies vor allem auf Bessarabiendeutsche, Deutsch-Balten und Bukowinadeutsche. Eine sinngemäße Verpflichtung übernahm die Reichsregierung für die in „ihren Interessengebieten ansässigen Personen ukrainischer oder weißrussischer Abstammung“ („Vertrauliches Protokoll“ vom 28. September 1939).

Der Vertrag trat nach Artikel V mit dem Tag seiner Unterzeichnung am 28. September in Kraft, das dazugehörende (öffentliche) Zusatzprotokoll – auf welches Artikel I verweist – nach dessen Abschnitt III erst mit Unterzeichnung am 4. Oktober 1939. Beides wurde zusammen mit den zugehörigen Karten am 15. Dezember 1939 ratifiziert.

In der Literatur werden Bestimmungen der Zusatzprotokolle dieses deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrags häufig fälschlich als Bestimmungen des ursprünglichen Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August ausgewiesen. Dies gilt insbesondere für die Zuordnung Litauens zur sowjetischen Einflusssphäre und für die vereinbarten Umsiedlungen.

Deutsch-Sowjetischer Krieg

Am 22. Juni 1941 überfiel Deutschland ohne Kriegserklärung die Sowjetunion und Hitler behauptete am gleichen Tag in einer diplomatischen Note und einer Rede, dass die Sowjetunion den Vertrag mehrfach gebrochen hätte und gemeinsam mit Großbritannien einen Angriff auf Deutschland vorbereite, dem er zuvor kommen müsse.[10] Unter britischer Hilfestellung wurde am 30. Juli 1941 von der polnischen Exilregierung mit der Sowjetunion das Sikorski-Maiski-Abkommen abgeschlossen. Darin erklärte die Sowjetunion anzuerkennen, dass die deutsch-sowjetischen Verträge „betreffend die territorialen Änderungen in Polen außer Kraft getreten sind“.[11] Der Grenzverlauf für die Nachkriegszeit wurde offen gelassen.[12]

Literatur

  • A. G. Ploetz (Hrsg.): Geschichte des Zweiten Weltkrieges 1939–1945. 2. erweiterte Auflage, Ploetz, Würzburg 1960.
  • Klaus Maier, Horst Rohde, Bernd Stegemann, Hans Umbreit: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Band 2: Die Errichtung der Hegemonie auf dem europäischen Kontinent. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1979, ISBN 3-421-01935-5 (Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte).
  • Ingeborg Fleischhauer: Der Deutsch-Sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939. Die deutschen Aufzeichnungen über die Verhandlungen zwischen Stalin, Molotov und Ribbentrop in Moskau (= Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 39. Heft 3). Institut für Zeitgeschichte, 1991, ISSN 0042-5702, S. 447–470 (online [PDF; 1,2 MB]).
  • Donal O’Sullivan: Stalins „Cordon sanitaire“. Die sowjetische Osteuropapolitik und die Reaktionen des Westens 1939–1949. Schöningh, Paderborn [u. a.] 2003, ISBN 3-506-70142-8 (zugleich: Eichstätt, Kath. Univ., Habil.-Schr., 2001).
Commons: Deutsch-Sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ingeborg Fleischhauer: Der deutsch-sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939. Die deutschen Aufzeichnungen über die Verhandlungen zwischen Stalin, Molotov und Ribbentrop in Moskau, S. 447.
  2. Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945. De Gruyter, 1961, S. 12.
  3. Masake Miyake: Die Idee eines eurasischen Blocks Tokio-Moskau-Berlin-Rom. In: Internationale Dilemmata und europäische Visionen. Lit Verlag, Münster 2010, ISBN 978-3-643-10481-6, S. 344.
  4. Markus Leniger: Nationalsozialistische Volkstumsarbeit und Umsiedlungspolitik 1933–1945. Berlin 2006, ISBN 978-3-86596-082-5, S. 54 ff.
  5. Ingeborg Fleischhauer: Der deutsch-sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939. Die deutschen Aufzeichnungen über die Verhandlungen zwischen Stalin, Molotov und Ribbentrop in Moskau, S. 467.
  6. Ingeborg Fleischhauer: Der Deutsch-Sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939. Die deutschen Aufzeichnungen über die Verhandlungen zwischen Stalin, Molotov und Ribbentrop in Moskau, S. 451 f.
  7. Ingo von Münch: Deutsch-sowjetische Verträge. De Gruyter, 1971, ISBN 3-11-003933-8, S. 55 ff.
  8. Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945. De Gruyter, 1961, S. 15.
  9. Stephan Lehnstaedt: Der vergessene Sieg. Verlag C.H.BECK oHG, 2019, ISBN 978-3-406-74023-7.
  10. Johannes Bühler: Vom Bismarck-Reich zum geteilten Deutschland. De Gruyter, 1960, S. 815.
  11. Abkommen zwischen der Regierung der UdSSR und der polnischen Regierung, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Vol. 11 (1942/43), S. 100: „Dokumente betreffend das Sowjetrussisch-Polnische Abkommen vom 30. Juli 1941“ (PDF).
  12. Bernd Ebersold: Machtverfall und Machtbewusstsein: Britische Friedens- und Konfliktlösungsstrategien 1918–1956. Oldenbourg, 1992, ISBN 3-486-55881-1, S. 62 ff.