„Air-Canada-Flug 143“ – Versionsunterschied

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=== Landung in Gimli ===
=== Landung in Gimli ===


Der Copilot, ein ehemaliger Militärpilot der [[Royal Canadian Air Force (1924–1968)|Royal Canadian Air Force]], wählte daraufhin seinen 12 Meilen entfernten ehemaligen Stützpunkt in [[Gimli (Manitoba)|Gimli]] als Landepunkt aus, der seines Wissens über zwei parallele Landebahnen verfügte, von denen die südwestliche (32L) die breitere und vorrangig benutzte war. Diese flog er demnach an. Weder er noch der Fluglotse in Winnipeg wusste, dass der Flughafen in Gimli mittlerweile in einen öffentlichen Flugplatz umgewandelt worden war. Gerade die Piste 32L war dabei außer Dienst gestellt und teilweise mit Leitplanken in eine ganze Anzahl einzelner Bahnen für [[Dragster]]- und andere Autorennen aufgeteilt worden. Genau an diesem Tag fand dort ein großes Familienfest eines Motorsportvereins mit Go-Kart-Rennen statt, so dass dieser Teil der ehemaligen Landebahn von Publikum, Go-Karts, Fahrzeugen und Wohnwagen dicht bevölkert war.
Der Copilot, ein ehemaliger Militärpilot der [[Royal Canadian Air Force (1924–1968)|Royal Canadian Air Force]], wählte daraufhin seinen 12 Meilen entfernten ehemaligen Stützpunkt in [[Gimli (Manitoba)|Gimli]] als Landepunkt aus, der seines Wissens über zwei parallele Landebahnen verfügte, von denen die südwestliche (32L) die breitere und vorrangig benutzte war. Diese flog er demnach an. Weder er noch der Fluglotse in Winnipeg wusste, dass der Flughafen in Gimli mittlerweile in einen öffentlichen Flugplatz umgewandelt worden war. Gerade die Piste 32L war dabei außer Dienst gestellt und teilweise mit Leitplanken in eine ganze Anzahl einzelner Bahnen für [[Dragster]]- und andere Autorennen aufgeteilt worden. An diesem Tag fand dort ein großes Familienfest eines Motorsportvereins mit Go-Kart-Rennen statt, so dass dieser Teil der ehemaligen Landebahn von Publikum, Go-Karts, Fahrzeugen und Wohnwagen dicht bevölkert war.


Beim Anflug musste das [[Fahrwerk (Flugzeug)|Fahrwerk]] ohne hydraulische Unterstützung nur mit Hilfe des Gewichts ausgefahren werden (sogenannter ''[[Gravity drop]]''). Dabei rasteten die Hauptfahrwerke in ihre Position ein, das Bugfahrwerk nicht, aber es gab keinen zweiten Versuch. Durch die Bremswirkung des ausgefahrenen Fahrwerks reduzierte sich nun die Leistung der [[Ram Air Turbine]], so dass infolge des Druckabfalls in der Hydraulik auch die Steuerung zunehmend schwieriger wurde.
Beim Anflug musste das [[Fahrwerk (Flugzeug)|Fahrwerk]] ohne hydraulische Unterstützung nur mit Hilfe des Gewichts ausgefahren werden (sogenannter ''[[Gravity drop]]''). Dabei rasteten die Hauptfahrwerke in ihre Position ein, das Bugfahrwerk nicht, aber es gab keinen zweiten Versuch. Durch die Bremswirkung des ausgefahrenen Fahrwerks reduzierte sich nun die Leistung der [[Ram Air Turbine]], so dass infolge des Druckabfalls in der Hydraulik auch die Steuerung zunehmend schwieriger wurde.
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Beim weiteren Anflug stellte sich heraus, dass das Flugzeug noch zu viel Höhe hatte. Der Kapitän als erfahrener Segelflieger versetzte das Flugzeug darauf hin in den [[Seitengleitflug]]. Dieses im [[Segelflug]] übliche [[Flugmanöver]] ermöglicht ein relativ steiles kontrolliertes Sinken ohne Geschwindigkeitszunahme. Bei [[Verkehrsflugzeug]]en ist dieses Manöver zwar auch möglich, aber sehr ungewöhnlich, weil sich bei den [[Passagier]]en dabei das unangenehme Gefühl seitlichen Fallens einstellt, obwohl es sich in Wirklichkeit um einen stabilen, sicheren und steuerbaren Flugzustand handelt.
Beim weiteren Anflug stellte sich heraus, dass das Flugzeug noch zu viel Höhe hatte. Der Kapitän als erfahrener Segelflieger versetzte das Flugzeug darauf hin in den [[Seitengleitflug]]. Dieses im [[Segelflug]] übliche [[Flugmanöver]] ermöglicht ein relativ steiles kontrolliertes Sinken ohne Geschwindigkeitszunahme. Bei [[Verkehrsflugzeug]]en ist dieses Manöver zwar auch möglich, aber sehr ungewöhnlich, weil sich bei den [[Passagier]]en dabei das unangenehme Gefühl seitlichen Fallens einstellt, obwohl es sich in Wirklichkeit um einen stabilen, sicheren und steuerbaren Flugzustand handelt.


Die starke Schräglage hatte jedoch zur Folge, dass die Ram Air Turbine nun nochmals wesentlich weniger Leistung lieferte, da sie nicht mehr frontal angeströmt wurde. Die Steuerung wurde damit an einem kritischen Punkt sehr schwierig: Ein Seitengleitflug muss rechtzeitig vor dem Aufsetzen wieder normalisiert (ausgeleitet) werden, damit das Flugzeug in gerader Richtung aufsetzt. Keiner wusste, ob das Ausleiten mit so wenig Hydraulikunterstützung überhaupt möglich wäre. <br />
Die starke Schräglage hatte jedoch zur Folge, dass die Ram Air Turbine nun nochmals wesentlich weniger Leistung lieferte, da sie nicht mehr frontal angeströmt wurde. Die Steuerung wurde damit an einem kritischen Punkt sehr schwierig: Ein Seitengleitflug muss rechtzeitig vor dem Aufsetzen wieder normalisiert (ausgeleitet) werden, damit das Flugzeug in gerader Richtung aufsetzt. Keiner wusste, ob das Ausleiten mit so wenig Hydraulikunterstützung überhaupt möglich wäre.

Das Ausleiten aus dem Slip-Zustand gelang im letzten Moment.
Die üblichen Anflughilfen (wie Landeklappen) standen infolge des Stromausfalls ebenfalls nicht zur Verfügung, so dass die Anfluggeschwindigkeit deutlich höher war als normal, was die Landung zusätzlich erschwerte.
Das Ausleiten aus dem Slip-Zustand gelang im letzten Moment. Die üblichen Anflughilfen (wie Landeklappen) standen infolge des Stromausfalls ebenfalls nicht zur Verfügung, so dass die Anfluggeschwindigkeit deutlich höher war als normal, was die Landung zusätzlich erschwerte.


Erst aus geringer Entfernung konnte die Besatzung die Situation auf der unbrauchbaren Landebahn erkennen, aber da war es schon zu spät für ein Ausweichen auf die Parallelbahn. Es gab nur noch die eine Chance, auf dem existierenden Landebahnrest eine Landung zu versuchen, während die Personen am Boden, die das ohne Triebwerksgeräusche anfliegende Flugzeug erst spät wahrnehmen konnten, von der Bahn flüchteten.
Erst aus geringer Entfernung konnte die Besatzung die Situation auf der unbrauchbaren Landebahn erkennen, aber da war es schon zu spät für ein Ausweichen auf die Parallelbahn. Es gab nur noch die eine Chance, auf dem existierenden Landebahnrest eine Landung zu versuchen, während die Personen am Boden, die das ohne Triebwerksgeräusche anfliegende Flugzeug erst spät wahrnehmen konnten, von der Bahn flüchteten.

Version vom 8. Juli 2015, 13:43 Uhr

Air-Canada-Flug 143

Unfall-Zusammenfassung
Unfallart Notlandung wegen Kerosinmangel
Ort Gimli, Manitoba, Kanada
Datum 23. Juli 1983
Todesopfer 0
Überlebende 69 (alle)
Verletzte 0
Luftfahrzeug
Luftfahrzeugtyp Boeing 767-233
Betreiber Air Canada
Kennzeichen C-GAUN
Abflughafen Dorval International Airport
Zielflughafen Edmonton International Airport
Passagiere 61
Besatzung 8
Listen von Luftfahrt-Zwischenfällen

Air Canada Flug 143 ist die Flugnummer eines Linienflugs der Air Canada zwischen Montreal (Kanada) und Edmonton (Kanada). Auf diesem Flug ging am 23. Juli 1983 einer Boeing 767-200, besetzt mit 61 Passagieren und 8 Besatzungsmitgliedern, wegen der Verwechslung von Maßeinheiten beim Tanken der Treibstoff aus. Der Crew gelang eine Notlandung auf dem Flughafen in Gimli, Kanada.[1] In der Presse erhielt dieses Flugzeug, welches nach einem letzten Flug mit den Beteiligten von damals am 24. Januar 2008 auf dem Mojave-Airport in Kalifornien außer Dienst gestellt wurde, den Spitznamen „Gimli Glider“ (deutsch Segelflugzeug von Gimli).

Verlauf der Ereignisse

Fehlfunktion des Fuel Quantity Information System (FQIS)

Bei der Inspektion vor dem Flug durch einen Techniker wurde erkannt, dass das System zur Treibstoff-Mengen-Anzeige dunkel war, also keine Anzeige lieferte, und auch keine entsprechenden Werte an die vorderen, zentralen, elektronischen Cockpitinstrumente für die Piloten lieferte. Aus der Erfahrung des Technikers mit einem vorherigen Fehler dieser Art konnte durch die Abschaltung eines der beiden vorhandenen Kanäle per Sicherungskasten die Funktion im anderen Kanal vorläufig wiederhergestellt werden. Die Sicherung wurde entsprechend mit einer Markierung bzw. Abdeckung versehen, die auf ihre absichtliche Deaktivierung hinwies. Ein entsprechender Eintrag im Protokoll wurde gemacht. Die Einheit hätte im Idealfall sofort getauscht werden können, doch zum einen war genau dieses Teil nicht mehr auf Lager bei Air Canada, und zum anderen wurde der Techniker aus dem Cockpit abberufen, um bei der Spritmengen-Bestimmung per Messstab bzw. der weiteren Betankung im Außenbereich zu unterstützen.

Später kam ein anderer Techniker ins Cockpit, der den Zustand nochmals überprüfte, die Sicherung wieder aktivierte und hernach den Dunkel-Zustand erkannte. Jedoch zog er die Sicherung nicht wieder heraus, so dass er damit die zuvor kurzzeitig einseitig funktionierende Einheit aufs Neue vollständig funktionsunfähig machte.

Bei der späteren Prüfung des Protokolls durch den Kapitän war zum einen aus dem Eintrag für das FQIS nicht unmittelbar ersichtlich, dass bei dessen Erstellung eine reduzierte Funktion wiederhergestellt worden war, so dass das Problem als weniger kritisch notiert war, und zum anderen nahm der Kapitän an, dass der Fehler schon auf dem Flug davor vorlag und sich somit keine schwerwiegenden Auswirkungen auf die Flugaufgabe gezeigt hatten. Die allgemeinen Anweisungen zur Flugfähigkeit besagten zwar, dass, wie gegeben, ohne das FQIS ein Flug nicht zulässig ist, jedoch wurde die Protokoll-Eintragung als Aufhebung dieser Handbuchs-Maßgabe verstanden – diese bezog sich jedoch auf einen zuvor erreichten aber zwischenzeitlich heimlich wieder verloren gegangenen Funktions-Zustand. Dem Piloten war es weiterhin nicht möglich, ohne weitere Aktion den Zustand der abgedeckten Sicherung nachzuvollziehen, wobei nicht sicher ist, ob eine aktive, aber abgedeckte Sicherung für ihn hätte ungewöhnlich erscheinen müssen.

Der vorliegende moderne Flugzeugtyp war weiterhin nur mehr mit zwei Piloten im Cockpit im regulären Einsatz vorgesehen. Der vormals zur Besatzung gehörende und ebenfalls im Cockpit sitzende Bordingenieur war nicht mehr vorhanden. Auf diese Weise waren auch gewisse Ausnahme-Tätigkeiten, wie etwa die händische Bestimmung und die Berechnung der Nachtank-Spritmenge von dieser Personen-Rolle auf die Piloten sowie auf andere externe Personen übertragen worden.

Fehlberechnung der benötigten Kerosinmenge

Zur Betankung einer Boeing 767 mit Kerosin wird gewöhnlich das FQIS genutzt. Dieser überwacht alle Pumpen im Flugzeug und gibt einen Status über die Menge des in den Bord-Tanks befindlichen Kraftstoffs. Das FQIS bei dieser Maschine hatte jedoch eine Störung, was sowohl den Technikern wie auch den Piloten bekannt war. Die Störung wurde später auf eine schadhafte Lötstelle zurückgeführt. Ersatzweise verwendete man mehrfach einen Messstab, um die in den Tanks vorhandene Kerosinmenge zu bestimmen.

Hinweis: Die nachstehenden Informationen basieren auf unterschiedlichen Quellen bzw. Analysen. Die zugehörigen Zahlen zum Treibstoff sind deshalb nicht vollständig konsistent zueinander bzw. alternative Ansichten hierzu sind jeweils in Klammern angegeben.

Als Quasi-Fakten des Tankvorgangs wurden rekonstruiert:

  • Es befanden sich vor dem Tankvorgang insgesamt 7.682 Liter in den Tanks.
  • Die Piloten bestimmten eine für die geplanten Flüge erforderliche Treibstoffmenge von 22.300 (20.400) kg. Hierbei ist die Angabe der Menge in Kilogramm üblich, da der Brennwert und damit die Antriebsleistung der Triebwerke von dieser Größe abhängt. (Die Umrechnung zwischen Kilogramm und Litern erfordert in beiden Richtungen für exaktere Berechnungen als Hilfsgröße die Temperatur des Treibstoffs. Ein solcher Umrechnungsfaktor wird deshalb in der Praxis gerne aus einer entsprechenden Tabelle abgelesen. Ob bzw. wie die Piloten hierbei vorgingen, ist im nachfolgenden Text derzeit nicht eingearbeitet.)
  • Die Piloten berechneten aus den obigen beiden Angaben eine Menge an Treibstoff, die es nachzutanken galt.
  • Die Maschine wurde vom Bodenpersonal gemäß den Angaben der Piloten nachgetankt.
  • Laut Messstab befanden sich nach dem Tankvorgang insgesamt 12.589 (11.525) Liter in den Tanks.

Der Fehler trat schließlich mehrfach bei der Umrechnung von Volumen in Gewicht bzw. umgekehrt auf. Das Flugzeug war das erste in der Flotte von Air Canada, welches die Treibstoffmenge in Kilogramm verwaltete, während in allen anderen Flugzeugen und Handbüchern noch mit der anglo-amerikanischen Gewichtseinheit Pfund (lb) gerechnet wurde. Aus Gewohnheit verwendeten die Beteiligten jedoch fälschlicherweise den Umrechnungsfaktor von 1,77 lb/l (britische oder imperiale Pfund, im Gegensatz zu US-Pfund), obwohl als Umrechnungsfaktor richtigerweise 0,803 kg/l (0,8 kg/l) hätte verwendet werden müssen. So kam man wiederholt auf ein Ergebnis, das grob der gewünschten Treibstoffmenge gleichkam, jedoch nicht der wahren Menge entsprach, ohne es zu bemerken.

Die aus dem Tankinhalt am Ende falsch errechnete Zahl von (12.589 l * 1,77 lb/l = 22.283 kg) 20.400 kg wurde wie vorgegeben ohne Einheitsangabe in den Bordcomputer eingegeben. Dieser errechnete daraus, dass der Tankinhalt bis zum Zielflughafen ausreichen würde. Tatsächlich waren jedoch nur (12.589 l * 0,803 kg/l = 10.109 kg) 9.144 kg Treibstoff in den Tanks, etwas weniger als die Hälfte der benötigten Menge.

Kapitän und Copilot hatten Bedenken wegen der Berechnungen und rechneten sie mehrmals nach. Der falsche Umrechnungsfaktor fiel ihnen jedoch nicht auf, so dass sie immer wieder zu dem gleichen Ergebnis kamen. Schließlich entschied sich der Kapitän mit den Worten That's it, we're going (Das reicht jetzt, wir starten) zum Start.

Der Flugplan sah zunächst eine Zwischenlandung im nicht weit entfernten Ottawa vor. Dort wurde der Bord-Computer außer Spannung gesetzt, so dass er seinen Wert für den Treibstoff verlor. Deshalb wurde erneut die Spritmenge gemessen und hernach in das Gerät eingegeben, kurz bevor man wieder in Richtung Edmonton abhob.

Flug ohne Treibstoff

In einer Flughöhe von 41.000 Fuß (etwa 12.500 m) über Red Lake in Ontario zeigte das Cockpit-Warnsystem durch vier Warntöne ein Problem mit dem Treibstoffdruck im Tank der linken Tragfläche an. Kapitän und Copilot gingen davon aus, dass eine Treibstoffpumpe gestört war, und schalteten diese ab. Da sich die Tanks oberhalb der Triebwerke befinden, fließt der Treibstoff auch durch sein Eigengewicht in das Triebwerk, so dass der Ausfall einer Pumpe nicht gravierend ist.

Zu diesem Zeitpunkt zeigte der Bordcomputer noch eine ausreichende Kerosinmenge an. Diese Angabe basierte allerdings immer noch auf der erwähnten Fehleingabe.

Wenige Momente später kam ein zweiter Alarm wegen Druckproblemen im Treibstoffsystem. Die Piloten entschlossen sich daraufhin, den Flug abzubrechen und in Winnipeg zu landen. Kurz darauf stand das linke Triebwerk aufgrund des Spritmangels still, so dass die Piloten sich auf eine Landung mit nur einem Triebwerk vorbereiteten.

Während man noch versuchte, Treibstoff vom rechten in den linken Tank zu pumpen, um das linke Triebwerk wieder starten zu können, und die Fluglotsen im Tower in Winnipeg über die bevorstehende Notlandung informierte, kam überraschend auch das rechte Triebwerk zum Stillstand, wodurch die gesamte Stromversorgung zusammenbrach. In der plötzlichen Stille des Cockpits zeichnete der (batteriebetriebene) Cockpit Voice Recorder den Kraftausdruck „Oh fuck“ sehr deutlich auf.

Bei vollständigem Stromausfall werden die unverzichtbaren hydraulischen Systeme, ohne die ein Flugzeug dieser Größe nicht mehr steuerbar wäre, von einer automatisch ausklappenden Ram Air Turbine mit hydraulischem Druck versorgt. Sie betreibt auch einen Notstromgenerator, der jedoch nicht für die komplette Elektrik ausreicht. Die 767 ist eines der ersten Flugzeugmuster von Boeing, das mit einem Electronic Flight Instrument System (EFIS) ausgestattet und daher für vollständige Kontrolle auf Elektrizität angewiesen ist. Den Piloten verblieb nach dem Stromausfall nur noch ein kleiner Teil mechanischer bzw. batteriebetriebener Instrumente. Eines der ausgefallenen Instrumente war das Variometer, das die Sinkrate anzeigt, so dass der Crew zunächst nicht klar war, wie weit sie im Gleitflug kommen würden. Eine Landung jedoch ist allein mit den mechanischen Grundinstrumenten immer noch möglich.

Entsprechend dem neuen Flugplan nach Winnipeg hatte die Boeing bereits die Reiseflughöhe verlassen und war auf 28.000 Fuß gesunken, als der Treibstoff ausging.

Da es im Handbuch keinerlei Angaben darüber gab, wie das Flugzeug ganz ohne Triebwerke zu fliegen sei, und dieser Zustand auch bei der Ausbildung im Flugsimulator nicht behandelt worden war[2], steuerte der Kapitän den Gleitwinkel so, dass sich eine Geschwindigkeit von 220 Knoten (ca. 407 km/h) ergab. Er schätzte, bei dieser Geschwindigkeit den besten Gleitwinkel zu haben.

Der Copilot versuchte derweil zu berechnen, ob die Höhe noch für einen Gleitflug bis nach Winnipeg reichen würde. Dazu benutzte er die Angaben des mechanischen Höhenmessers, während gleichzeitig die zurückgelegte Strecke per Radar ermittelt und über Funk vom Fluglotsen durchgegeben wurde. Wie sich herausstellte, verlor die Boeing 5.000 Fuß (1.524 m) Höhe auf etwa 10 nautische Meilen (18520 m) Strecke, was einem Gleitwinkel von etwa 1:12 entspricht. Damit war klar, dass man es nicht bis Winnipeg schaffen würde.

Landung in Gimli

Der Copilot, ein ehemaliger Militärpilot der Royal Canadian Air Force, wählte daraufhin seinen 12 Meilen entfernten ehemaligen Stützpunkt in Gimli als Landepunkt aus, der seines Wissens über zwei parallele Landebahnen verfügte, von denen die südwestliche (32L) die breitere und vorrangig benutzte war. Diese flog er demnach an. Weder er noch der Fluglotse in Winnipeg wusste, dass der Flughafen in Gimli mittlerweile in einen öffentlichen Flugplatz umgewandelt worden war. Gerade die Piste 32L war dabei außer Dienst gestellt und teilweise mit Leitplanken in eine ganze Anzahl einzelner Bahnen für Dragster- und andere Autorennen aufgeteilt worden. An diesem Tag fand dort ein großes Familienfest eines Motorsportvereins mit Go-Kart-Rennen statt, so dass dieser Teil der ehemaligen Landebahn von Publikum, Go-Karts, Fahrzeugen und Wohnwagen dicht bevölkert war.

Beim Anflug musste das Fahrwerk ohne hydraulische Unterstützung nur mit Hilfe des Gewichts ausgefahren werden (sogenannter Gravity drop). Dabei rasteten die Hauptfahrwerke in ihre Position ein, das Bugfahrwerk nicht, aber es gab keinen zweiten Versuch. Durch die Bremswirkung des ausgefahrenen Fahrwerks reduzierte sich nun die Leistung der Ram Air Turbine, so dass infolge des Druckabfalls in der Hydraulik auch die Steuerung zunehmend schwieriger wurde.

Beim weiteren Anflug stellte sich heraus, dass das Flugzeug noch zu viel Höhe hatte. Der Kapitän als erfahrener Segelflieger versetzte das Flugzeug darauf hin in den Seitengleitflug. Dieses im Segelflug übliche Flugmanöver ermöglicht ein relativ steiles kontrolliertes Sinken ohne Geschwindigkeitszunahme. Bei Verkehrsflugzeugen ist dieses Manöver zwar auch möglich, aber sehr ungewöhnlich, weil sich bei den Passagieren dabei das unangenehme Gefühl seitlichen Fallens einstellt, obwohl es sich in Wirklichkeit um einen stabilen, sicheren und steuerbaren Flugzustand handelt.

Die starke Schräglage hatte jedoch zur Folge, dass die Ram Air Turbine nun nochmals wesentlich weniger Leistung lieferte, da sie nicht mehr frontal angeströmt wurde. Die Steuerung wurde damit an einem kritischen Punkt sehr schwierig: Ein Seitengleitflug muss rechtzeitig vor dem Aufsetzen wieder normalisiert (ausgeleitet) werden, damit das Flugzeug in gerader Richtung aufsetzt. Keiner wusste, ob das Ausleiten mit so wenig Hydraulikunterstützung überhaupt möglich wäre.

Das Ausleiten aus dem Slip-Zustand gelang im letzten Moment. Die üblichen Anflughilfen (wie Landeklappen) standen infolge des Stromausfalls ebenfalls nicht zur Verfügung, so dass die Anfluggeschwindigkeit deutlich höher war als normal, was die Landung zusätzlich erschwerte.

Erst aus geringer Entfernung konnte die Besatzung die Situation auf der unbrauchbaren Landebahn erkennen, aber da war es schon zu spät für ein Ausweichen auf die Parallelbahn. Es gab nur noch die eine Chance, auf dem existierenden Landebahnrest eine Landung zu versuchen, während die Personen am Boden, die das ohne Triebwerksgeräusche anfliegende Flugzeug erst spät wahrnehmen konnten, von der Bahn flüchteten.

Sofort nach dem Aufsetzen wurde als Reaktion auf die teilblockierte Bahn statt einer normalen Bremsung eine Vollbremsung eingeleitet, bei der in der Folge zwei Reifen platzten. Das Bugrad war während der Landung mangels Verriegelung eingeknickt, so dass die Nase auf der Landebahn entlang schleifte und so ebenfalls einen gewissen Beitrag zur Abbremsung leistete. Die Schubumkehr als Bremshilfe stand wegen des Triebwerkausfalls nicht zur Verfügung - Das Flugzeug kam weniger als 30 Meter vor der Veranstaltungszone zum Stillstand.

Keiner der Passagiere wurde bei der Landung verletzt. Lediglich bei der Evakuierung des Flugzeugs über die Notrutschen kam es zu einigen leichten Blessuren, da das Heck wegen des eingeklappten Bugfahrwerks höher als üblich über dem Boden war und daher diese Rutsche steiler war. Ein kleineres Feuer am Bugfahrwerk konnte von heraneilenden Teilnehmern und Streckenposten sofort unter Kontrolle gebracht werden. Die wenigen Verletzten wurden vor Ort erstversorgt.

Mechaniker, die vom Flughafen Winnipeg nach Gimli geschickt wurden, blieben bei der Anfahrt wegen Spritmangel liegen und mussten von einem anderen Fahrzeug der Gesellschaft abgeholt werden.[3]

Konsequenzen

Die geringen Schäden durch die Landung konnten schnell behoben werden. Bereits zwei Tage später verließ das Flugzeug den Flugplatz Gimli aus eigener Kraft und stand schließlich noch bis zum 24. Januar 2008 bei Air Canada im Dienst.

Nach einer Untersuchung wurde der Kapitän für die Dauer von sechs Monaten degradiert. Der Copilot und einige Mechaniker wurden vorübergehend suspendiert.[4]

Ähnliche Vorfälle

Folgende Flugzeuge mussten wegen des Ausfalls aller Triebwerke ebenfalls im Gleitflug landen oder verloren erheblich an Höhe:

Sonstiges

C-GAUN außer Dienst (August 2011)
  • Die Ereignisse des Fluges wurden unter dem Titel Schreckensflug der Boeing 767 (Falling from the Sky: Flight 174) mit William Devane in der Hauptrolle verfilmt. Der Film ist jedoch in einigen zentralen Punkten, etwa der Rolle der Piloten bei der Betankung, nicht an den Fakten orientiert und somit eher als eine dramaturgisch-fiktionale Adaption der Original-Geschichte zu verstehen.
  • C-GAUN wurde im Januar 2008 außer Dienst gestellt und steht nun auf dem Flughafen Mojave in Kalifornien.[5]

Literatur

  • Merran Williams: The 156-tonne Gimli Glider (PDF; 949 kB). In: Flight Safety Australia, Ausgabe Juli/August 2003, S. 22–27.
  • William Hoffer, Marilyn Hoffer: Freefall: Flughöhe 12000 m und leere Tanks. Die Geschichte von Air Canada-Flug 143. Maven Press, Flensburg 2011, ISBN 978-3-941719-06-4 (englisch: Freefall: From 41,000 feet to zero – a true story. Übersetzt von G & U Language & Publishing Services GmbH).
Commons: Bilder des Gimli Gliders – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Bericht des kanadischen Senders CBC
  2. Williams (2003) S. 25
  3. The Gimli Glider. Abgerufen am 27. August 2014.
  4. 'Gimli glider' recalled at trial of pilot in crash. CBC, 2007, abgerufen am 19. März 2007.
  5. Famous Gimli Glider retired from Air Canada service

Koordinaten: 50° 37′ 44″ N, 97° 2′ 38″ W