Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit

Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit

Titel (engl.): European Convention on Nationality
Abkürzung: EuStÄU
Datum: 6. November 1997
Inkrafttreten: Deutschland: 1. September 2005
(BGBl. II S. 578)
Fundstelle: Deutschland: BGBl. II S. 578
Vertragstyp: multinational
Rechtsmaterie: Staatsangehörigkeitsrecht
Unterzeichnung: 8 (Unterzeichnung ohne Ratifikation)[1]
Ratifikation: 21[1]

Deutschland: 11. Mai 2004 (BGBl. II S. 578)
Österreich: 17. September 1998
Bitte beachte den Hinweis zur geltenden Vertragsfassung.

Das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (EuStÄU) vom 6. November 1997 ist ein völkerrechtlicher Vertrag der Mitgliedstaaten des Europarats und weiterer Unterzeichnerstaaten. Er legt Grundsätze betreffend die Staatsangehörigkeit sowie zur Regelung der Wehrpflicht in Fällen der Mehrstaatlichkeit fest, die im innerstaatlichen Recht der Vertragsstaaten umgesetzt werden sollen. Das Übereinkommen trat am 1. März 2000 in Kraft.

Geschichte

Dem Haager Übereinkommen über einzelne Fragen beim Konflikt von Staatsangehörigkeitsgesetzen des Völkerbundes von 1930 folgte im Jahr 1963 das Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht der Mehrstaater des Europarats.[2] Insbesondere der Bereich mehrfacher Staatsangehörigkeit war Gegenstand von Änderungs- und Zusatzprotokollen aus den Jahren 1977[3][4] und 1993.[5] Mit den seit 1989 in Mittel- und Osteuropa eintretenden demokratischen Veränderungen entwarfen fast alle diese Staaten neue Staatsangehörigkeits- und Ausländergesetze, die zu dem Europäischen Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997 führten.[6]

Mit diesem Übereinkommen fand erstmals eine umfassende völkervertragsrechtliche Regelung staatsangehörigkeitsrechtlicher Fragen durch eine europaweite Angleichung grundlegender staatsangehörigkeitsrechtlicher Prinzipien und Regelungen statt.[7] Dazu zählt etwa das Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit.[8][9][10]

Inhalt

  • Präambel
  • Kapitel I – Allgemeines
    • Art. 1 Gegenstand des Übereinkommens
    • Art. 2 Begriffsbestimmungen
  • Kapitel II – Allgemeine Grundsätze zur Staatsangehörigkeiten
    • Art. 3 Zuständigkeit des Staates
    • Art. 4 Grundsätze
    • Art. 5 Nichtdiskriminierung
  • Kapitel III – Vorschriften über die Staatsangehörigkeiten
    • Art. 6 Erwerb der Staatsangehörigkeit
    • Art. 7 Verlust der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes oder auf Veranlassung eines Vertragsstaats[11]
    • Art. 8 Verlust der Staatsangehörigkeit auf Veranlassung der Person
    • Art. 9 Wiedererwerb der Staatsangehörigkeit
  • Kapitel IV – Verfahren in Bezug auf die Staatsangehörigkeit
    • Art. 10 Bearbeitung der Anträge
    • Art. 11 Entscheidungen
    • Art. 12 Recht auf eine Überprüfung
    • Art. 13 Gebühren
  • Kapitel V – Mehrstaatigkeit
    • Art. 14 Fälle von Mehrstaatigkeit kraft Gesetzes
    • Art. 15 Andere mögliche Fälle von Mehrstaatigkeit
    • Art. 16 Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit
    • Art. 17 Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit Mehrstaatigkeit
  • Kapitel VI – Staatennachfolge und Staatsangehörigkeiten
    • Art. 18 Grundsätze
    • Art. 19 Regelung durch Völkerrechtliche Vereinbarung
    • Art. 20 Grundsätze für Personen, die keine Staatsangehörigen sind
  • Kapitel VII – Wehrpflicht in Fällen von Mehrstaatigkeit
    • Art. 21 Erfüllung der Wehrpflicht
    • Art. 22 Befreiung von der Wehrpflicht oder vom Zivilersatzdienst
  • Kapitel VIII – Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten
    • Art. 23 Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten
    • Art. 24 Informationsaustausch
  • Kapitel IX – Anwendung des Übereinkommens
    • Art. 25 Erklärungen zur Anwendung des Übereinkommens
    • Art. 26 Auswirkungen des Übereinkommens
  • Kapitel X – Schlussklauseln
    • Art. 27 Unterzeichnung und Inkrafttreten
    • Art. 28 Beitritt
    • Art. 29 Vorbehalte[12]
    • Art. 30 Räumlicher Geltungsbereich
    • Art. 31 Kündigung
    • Art. 32 Notifikationen des Generalsekretärs

Grundsätze

Gemäß Art. 6 EUStAÜ und dem Grundsatz der allgemeinen Souveränität der Staaten nach Art. 3 EUStAÜ bestimmen die Vertragsstaaten weiterhin selbstständig, in welcher Art und Weise sie die Vorgaben dieses Übereinkommens umsetzen. Grundsätzlich sehen alle Vertragsstaaten dabei Regelungen zur Vermeidung von Staatenlosigkeit bei der Geburt vor. Diese folgen sowohl dem Prinzip des ius sanguinis als auch dem Prinzip des ius soli.[13]

Nationales Recht

Die letztendliche Entscheidung über die Gewährung der Staatsangehörigkeit liegt auch beim EUStAÜ im Ermessen der Vertragsstaaten. Die im EUStAÜ definierten Erwerbstatbestände verbinden Elemente des ius sanguinis und des ius soli, wobei das Abstammungsprinzip als Anknüpfungspunkt vorrangig für im Inland geborene Kinder dient, ius soli zumindest der Vermeidung von Staatenlosigkeit.[14] Nach Art. 29 EUStAÜ sind bei der Umsetzung in nationales Recht außerdem Vorbehalte zu Art. 6 EUStAÜb möglich.

Die Staatsangehörigkeit kann in Bezug auf den Zeitpunkt des Erwerbs bei der Geburt oder nachträglich erworben werden. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit bei der Geburt kann entweder nach dem Abstammungsprinzip (ius sanguinis) oder dem Geburtsortprinzip (ius soli) erfolgen. Nach ius sanguinis wird die Staatsangehörigkeit aufgrund der Abstammung von einem Staatsangehörigen erworben, nach ius soli aufgrund der Geburt innerhalb des jeweiligen staatlichen Territoriums.[15]

Für das Prinzip des ius soli können weiterhin zwei Formen unterschieden werden. Die erste Form bezieht sich auf den Erwerb der Staatsangehörigkeit unmittelbar zum Zeitpunkt der Geburt. Dieser Erwerb kann automatisch erfolgen, an eine bestimmte rechtmäßige Aufenthaltszeit der Eltern gebunden sein oder im Falle des doppelten ius soli erst den Kindern der dritten Generation ausländischer Staatsbürger verliehen werden. Die zweite Ausprägung des ius soli bezieht sich auf den nachträglichen Erwerb der Staatsangehörigkeit durch eine vereinfachte spätere Einbürgerung oder nachträgliche Verleihung, die an ein bestimmtes Alter oder eine Willenserklärung gebunden ist.[16]

Deutschland

Die deutsche Staatsangehörigkeit wird primär durch Abstammung von zumindest einem deutschen Elternteil erworben (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG).

Das deutsche Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) sieht auch einen ius soli-Erwerbstatbestand vor. Ausländische Kinder, die innerhalb des deutschen Staatsgebietes geboren werden, erhalten zusätzlich zu der aufgrund des Abstammungsprinzips erworbenen ausländischen Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 StAG.[17] Zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit müssen nicht im Inland aufgewachsene Kinder jedoch nach Vollendung des 21. Lebensjahres erklären, ob sie die deutsche oder die ausländische Staatsangehörigkeit behalten wollen (Optionspflicht gem. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StAG). Wer erklärt, dass er die ausländische Staatsangehörigkeit behalten will, verliert die deutsche (§ 29 Abs. 2 StAG).

Künftig sollen auch in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt und ohne jeglichen Vorbehalt dauerhaft erwerben.[18]

Österreich

Das österreichische Recht sieht in § 8 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985[19] lediglich eine durch den Beweis des Gegenteils widerlegliche Rechtsvermutung zugunsten der österreichischen Staatsangehörigkeit kraft Abstammung in bestimmten Fällen ungeklärter Staatsangehörigkeit (z. B. bei Findelkindern) vor, jedoch keinen Erwerbsgrund.[20][21]

Um zu vermeiden, dass eine Person in mehreren Staaten den Militärdienst ableisten muss, ist Österreich auf völkerrechtlicher Ebene unter anderem dem Europäischen Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit beigetreten. Mit Argentinien und der Schweiz wurden bilaterale Abkommen abgeschlossen.[22] Wehrpflichtige österreichische Staatsbürger mit Doppel- oder Mehrfachstaatsbürgerschaft müssen den Militärdienst in Österreich ableisten, wenn der weitere Staatsbürgerschaftsstaat keine der internationalen Abkommen ratifiziert hat, denen Österreich beigetreten ist oder sie durch die Bestimmungen des jeweils anzuwendenden Abkommens den (Grund-)Wehrdienst in einem anderen Land als Österreich leisten müssen.[22] Eine Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Präsenzdienstes in Österreich aufgrund eines bereits im Ausland abgeleisteten Militärdienstes ist nach Ermessen möglich.[22] Von der Einberufung zum Präsenzdienst in Österreich sind Wehrpflichtige ausgeschlossen, die nach Maßgabe völkerrechtlicher Verpflichtungen von der Leistung eines Wehrdienstes befreit sind (§ 25 Abs. 1 Nr. 3b des Wehrgesetzes 2001).

Literatur

  • Brigitte Knocke: Das europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit als Schranke für die Regelung des nationalen Staatsangehörigkeitsrechts: Stand der Vereinbarkeit des Staatsangehörigkeitsrechts der Schweiz, der Bundesrepublik Deutschland, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs mit den Vorgaben des Übereinkommens. Herdecke: GCA-Verlag, 2005.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Europarat: Unterschriften und Ratifikationsstand des Vertrags 166, abgerufen am 22. März 2024.
  2. Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern Straßburg/Strasbourg 6. Mai 1963. Amtliche Übersetzung Deutschlands.
  3. Protokoll zur Änderung des Übereinkommens über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern, in Kraft getreten am 8. September 1978.
  4. Zusatzprotokoll zu dem Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern, in Kraft getreten am 17. Oktober 1983.
  5. Zweites Protokoll zur Änderung des Übereinkommens über die Verringerung von Mehrstaatigkeit und die Wehrpflicht von Mehrstaatern, in Kraft getreten am 24. März 1995.
  6. BT-Drs. 15/2145 vom 8. Dezember 2003. Entwurf eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 6. November 1997 über die Staatsangehörigkeit.
  7. Gesetzentwurf zum EU-Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit vorgelegt. Archiv des Deutschen Bundestages, 11. Dezember 2003.
  8. Burkhardt Ziemske: Mehrstaatigkeit und Prinzipien des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit. Zeitschrift für Rechtspolitik 1993, S. 334–336.
  9. vgl. zum deutschen Staatsangehörigkeitsrecht: Doppelte Staatsbürgerschaft. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, aktualisierter Sachstand vom 27. September 2019.
  10. vgl. auch Regelungen zur doppelten Staatsangehörigkeit in der EU und in Nordamerika. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, aktualisierter Sachstand vom 31. Mai 2023.
  11. Vgl. zur zulässigen Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung: BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 Rz. 60.
  12. vgl. Vorbehalte und Erklärungen für Vertrag Nr.166 - Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (SEV Nr. 166)
  13. Das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung vom 28. März 2012, S. 15.
  14. Brigitte Knocke: Das europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit als Schranke für die Regelung des nationalen Staatsangehörigkeitsrechts, S. 546.
  15. Brigitte Knocke: Das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit als Schranke für die Regelung des nationalen Staatsangehörigkeitsrechts, S. 282.
  16. Vgl. Iseult Honohan: The Theory and Politics of Ius Soli. EUDO Citizenship Observatory, 2010, S. 2–6 (englisch).
  17. Das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung vom 28. März 2012, S. 6.
  18. Vgl. BT-Drs. 20/9044 vom 1. November 2023, S. 18 ff.
  19. Bundesgesetz über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 – StbG) RIS, abgerufen am 24. März 2024.
  20. Brigitta Lurger, in: Alexander Bergmann, Murad Ferid, Dieter Henrich: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Österreich, Band 14, 177. Lieferung, Stand 1. März 2008, S. 15.
  21. Das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung vom 28. März 2012, S. 12.
  22. a b c Doppel- und Mehrfachstaatsbürgerschaft. Bundesministerium für Landesverteidigung, letzte Aktualisierung: 10. Mai 2023.