Berliner Ecke

Gründerzeit-Hausecke im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg

Berliner Ecke ist eine im Städtebau und der Architektur verwendete Bezeichnung für verschiedene Arten abgeschrägter Häuserecken, um den Eckwinkel besonders zu gestalten. Er umfasst sowohl äußere Gebäudeecken als auch Innenhofwände.

Begriff, Geschichte und Ausprägungen

Überblick

Geschichte und Typologie der Berliner Ecke sind noch nicht erforscht. Nachweislich erstmals wurde der Begriff Berliner Ecke im Jahr 1877 für abgeschrägte Innenecken in Berliner Mietshaus-Hinterhöfen verwendet.[1] Doch hat sich diese Bezeichnung nicht durchgesetzt und wurde dort allenfalls von Bauhistorikern aufgegriffen.[2]

Verbreiteter ist der Begriff Berliner Ecke in Städtebau und Architektur, wo er seit dem Ende des 19. Jahrhunderts von Berliner Architekten und Journalisten benutzt wird.[3] Berliner Zeitgenossen und Architekten im 19. Jahrhundert benutzten dafür noch den schlichten Begriff stumpfe Ecke (1862).[4]

Berliner Ecke im Städtebau

Berliner Ecken entstanden in Berlin zunächst im städtebaulichen Maßstab bei Platzplanungen.[5] Erste Beispiele plante Peter Joseph Lenné für das Köpenicker Feld, die spätere Luisenstadt bzw. Kreuzberg, wo er zwei besondere Plätze anlegte „in der Form eines über Eck gestellten Quadrates, das die Straßenkeuzung zu einem rhombenförmigen Platz erweitert“.[6] Diese späteren Plätze Moritzplatz und Heinrichsplatz (seit 2022: Rio-Reiser-Platz) mit ihren vier Straßeneinmündungen zeigten breite 45°-Baublockabschrägungen, die jeweils vier Parzellen aufnahmen.[7] Architektonisch akzentuiert wurde dabei nicht die gesamte abgeschrägte Platzwand, vielmehr gab es teilweise „charakteristische turmartige Erhöhungen“[8] der Eckgebäude an den vier Straßeneinmündungen.

Berliner Ecke in der Architektur

Die städtebauliche Idee der Akzentuerierung von Plätzen durch Abschrägungen ist später bei rechteckigen Baublöcken auch auf die Architektur einzelnder Gebäude übertragen worden, wo der rechte Winkel des Eckgrundstücks ebenfalls einen stumpfen Winkel bekam. Architektonisch aufgewertet werden konnte die abgeschrägte Ecke allerdings erst, nachdem die Berliner Bauordnung von 1853 nicht mehr galt, denn diese gebot eine strikte Einhaltung der Baufluchten und untersagte Balkone und Erker-Vorbauten.[8] Bekannt geworden ist die architektonisch abgeschrägte Ecklösung durch zahlreiche Berliner Gründerzeit-Bauten und wurde oft durch dekorative Elemente wie Fassadenschmuck, Balkons oder Erker sowie kleine Türmchen betont.[9]

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als anstelle der abgetragenen Ruinen Neubauten entstanden, setzten Architekten mit modernen Materialien und Fassadenplatten die architektonische Idee der Berliner Ecke fort. Erste Plattenbau-Berliner Ecken sind aus den 1980er Jahren an der Marchlewskistraße in Berlin-Friedrichshain (siehe Bild) und an der Charlottenstraße Ecke Friedrichstraße in Mitte nachweisbar. Zuständig für die beiden Pilotbauprojekte waren das Berliner Baukombinat und das Kombinat Ingenieurhochbau. Die moderne Berliner Ecke der DDR-Kombinate verzichtete auf Türmchen und Fassadenstuck, griff aber das Erker-Motiv – auch an der abgeschrägten Ecke – auf und bewirkte dadurch eine lebendigere Fassadengliederung.[3]

Berliner Ecke in Innenhöfen

Die ursprüngliche Begriffsverwendung für Berliner Ecke[1] bezog sich 1877 auf Mietshaus-Hinterhöfe und meinte abgeschrägte Innenecken, die bei aufeinander stoßenden Gebäudeflügeln entstehen und eine zusätzliche Fassadenfläche zur Befensterung bilden. Dieses in den Hof vorstoßende Gebäudeteil konnte entweder für das Treppenhaus[1] oder das Berliner Zimmer dienen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Band 2. Ernst und Korn, Berlin 1877, S. 463. (GoogleBooks)
  2. Arnold Körte: Martin Gropius. Leben und Werk eines Berliner Architekten 1824–1880. Lukas Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-86723-080-1, S. 246. (GoogleBooks)
  3. a b Hans Erdmann: Was ist eigentlich eine „Berliner Ecke“? Traditionelle Bauform jetzt auch im Neubau. In: Berliner Zeitung, 22. November 1983, S. 3 (online auf dfg-viewer.de, abgerufen am 27. Juni 2024)
  4. Jonas Friedrich Geist: Das Berliner Mietshaus, Teil 2, 1862–1945. Prestel, München 1984, ISBN 978-3-7913-0696-4, S. 230.
  5. Felix Bentlin: Genius Platz. Vom Wert und Wandel öffentlicher Platzanlagen der Hobrecht'schen Stadtproduktion. In: Christian Peer, Angelika Psenner (Hrsg.): Urbane Mixturen Städtebau und Stadtplanung als relationales Handlungsfeld. Transcript Verlag, Bielefeld 2024, ISBN 978-3-8376-6236-8, S. 19–57, hier S. 47. (GoogleBooks)
  6. Christiane Bascón-Borgelt, Astrid Debold-Kritter, Karin Ganssauge, Kristiana Hartmann: In der Luisenstadt. Studien zur Stadtgeschichte von Berlin-Kreuzberg. Hrsg. Bauausstellung Berlin GmbH (IBA). Fuldaer Verlagsanstalt, ISBN 3-88747-016-8, S. 55.
  7. Christiane Bascón-Borgelt, Astrid Debold-Kritter, Karin Ganssauge, Kristiana Hartmann: In der Luisenstadt. Studien zur Stadtgeschichte von Berlin-Kreuzberg. Hrsg. Bauausstellung Berlin GmbH (IBA). Fuldaer Verlagsanstalt, ISBN 3-88747-016-8, S. 55 und S. 56/57 mit vier Zeichnungen der historischen Parzellen- und Bebauungsstrukturen am Henrichsplatz.
  8. a b Christiane Bascón-Borgelt, Astrid Debold-Kritter, Karin Ganssauge, Kristiana Hartmann: In der Luisenstadt. Studien zur Stadtgeschichte von Berlin-Kreuzberg. Hrsg. Bauausstellung Berlin GmbH (IBA). Fuldaer Verlagsanstalt, ISBN 3-88747-016-8, S. 65.
  9. Marlene Lieback: Berliner Ecken in Schöneberg, Buch Die Schöneberger Terrassen, Universitätsverlag Berlin. 2015.