Kurfürst

Ein Kurfürst (lat.: princeps elector imperii oder elector) gehörte zu der begrenzten Zahl jener Fürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die das Kurfürstenkollegium bildeten und denen seit dem 13. Jahrhundert das alleinige Recht zur Wahl (mittelhochdeutsch = kur oder kure, vgl. nhd. küren) des Römischen Königs zustand. Mit diesem Königstitel war traditionell die Anwartschaft auf das römisch-deutsche Kaisertum verbunden.

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Die sieben Kurfürsten wählen Heinrich VII. zum König.

Zusammensetzung des Kurfürstenkollegiums

Im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit gehörten dem Kurfürstenkollegium sieben Reichsfürsten an,
drei geistliche:

und vier weltliche:

Im 17. Jahrhundert wurde das Kollegium erweitert um:

Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 hob die beiden geistlichen Kuren von Köln und Trier sowie die pfälzische Kur auf und übertrug die Mainzer Kurwürde auf das neu geschaffene Fürstentum Regensburg-Aschaffenburg. Vier Reichsfürsten erhielten dagegen die Kurwürde neu, konnten sie aber vor dem Ende des alten Reiches 1806 nicht mehr ausüben. Dies waren:

Geschichte des Kurfürstenkollegiums

Ursprünge

Die vergleichsweise häufigen Dynastiewechsel im ostfränkischen, später römisch-deutschen Reich – von den Karolingern über die Liudolfinger und Salier zu den Staufern - machten regelmäßig die Wahl eines neuen Königs und eines neuen Herrschergeschlechts erforderlich. Anders als die meisten übrigen Staaten Europas war Deutschland daher eine Wahlmonarchie geblieben, so wie es ursprünglich alle germanischen Nachfolgestaaten des römischen Reichs gewesen waren. Auch der Sohn eines regierenden deutschen Königs brauchte zu seiner Anerkennung als dessen rechtmäßigem Nachfolger stets die Wahl und Zustimmung der so genannten Großen des Reichs, die oft noch zu Lebzeiten des Vaters erfolgte.

Ursprünglich waren alle Reichfürsten zur Wahl des neuen Herrschers berechtigt. Allerdings gab es seit je her einen kleinen Kreis von Vorwählern (laudatores), denen eine Vorentscheidung zustand. Zu diesen Vorwählern gehörten nicht notwendigerweise die mächtigsten, sondern die vornehmsten Fürsten des Reichs, die an Rang und Würde dem König am nächsten kamen. Zu ihnen gehörten die drei Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier sowie der Pfalzgraf bei Rhein, weil ihre Territorien auf altem fränkischen Reichsboden lagen. Eine Wahl war nur dann rechtmäßig, wenn auch die Vorwähler ihr zugestimmt hatten. Wahrscheinlich hat sich das spätere Kurfürstenkollegium aus dieser Gruppe von Vorwählern heraus entwickelt.

Entwicklung bis 1356

Allmähliche Herausbildung des Kurfürstenkollegiums

Mit dem Tod Kaiser Heinrichs VI. (1190-1197) scheiterte auch endgültig dessen Erbreichsplan, der letzte Versuch, das Reich in eine erbliche Monarchie umzuwandeln. Im daraufhin ausbrechenden welfisch-staufischen Thronstreit, bei dem es 1198 zur Doppelwahl zweier Thronkandidaten kam, warf sich Papst Innozenz III. zum Schiedsrichter auf. Da seit der Kaiserkrönung Ottos des Großen 962 das deutsche Königtum mit der römischen Kaiserwürde verbunden war, hatten die Päpste stets ein hohes Interesse an einem Mitwirkungsrecht an der deutschen Königswahl. Innozenz setzte sich 1198 mit der Auffassung durch, dass für eine rechtmäßige Wahl die Zustimmung der drei rheinischen Erzbischöfe und des Pfalzgrafen bei Rhein unerlässlich sei.

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurde diese Kerngruppe um den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg erweitert. Im Sachsenspiegel des Eike von Repgow aus dem Jahr 1220 heißt es: “Bei des Kaisers Kur soll der erste sein der Bischof von Mainz, der zweite der von Trier, der dritte der von Köln.“ Dann folgen die drei weltlichen Fürsten, während der Sachsenspiegel dem König von Böhmen das Wahlrecht noch ausdrücklich abspricht, “weil er kein Deutscher ist“.

Als exklusive Institution, die alle übrigen Reichsfürsten von der Wahl ausschloss, trat das Kurfürstenkollegium erstmals 1257 nach dem Tod des Königs Wilhelm von Holland in Erscheinung. Auch der König von Böhmen nahm an der nachfolgenden Wahl teil, konnte seine dauernde Zugehörigkeit zu dem Kollegium aber erst 1289 durchsetzen. Später, während der Hussitenkriege im 15. Jahrhundert, ruhte die böhmische Kurwürde erneut.

Der Kurverein von Rhens

Im Jahr 1338 schlossen sich die Kurfürsten im Kurverein von Rhense enger zusammen, um sich künftig vor Königswahlen miteinander abzustimmen. Aus dem Kurverein ging später der Kurfürstenrat des Reichstags hervor. Zudem bestimmten die Kurfürsten in Rhens, dass dem Papst kein Approbationsrecht zustehe und dass der von ihnen zum König gewählte nicht dessen Zustimmung benötige. Im Rhenser Weistum vom 16. Juli 1338 heißt es:

Nach Recht und seit alters bewährter Gewohnheit des Reiches bedarf einer, der von den Kurfürsten des Reiches oder, selbst bei Unstimmigkeit, von der Mehrheit derselben zum römischen König gewählt ist, keiner Nomination, Approbation, Konfirmation, Zustimmung oder Autorität des apostolischen Stuhles für die Verwaltung der Güter und Rechtes des Reiches oder für die Annahme des Königstitels.

Zum Abschluss kam diese Entwicklung im Jahre 1508 als sich Maximilian I. mit Zustimmung des Papstes aber ohne eigens von ihm gekrönt worden zu sein „Erwählter Römischer Kaiser“ nannte. Außer Karl V. wurde künftig kein Kaiser mehr durch den Papst gekrönt. Die Zeremonie fand von da an bis zum Ende des alten Reiches in der Wahlstadt Frankfurt am Main statt. Der Titel „Römischer König“, den die Herrscher des Reiches seit 1125 zwischen ihrer Wahl zum König und ihrer Krönung zum Kaiser getragen hatten, blieb von da an dem zu Lebzeiten eines Kaisers gewählten Nachfolger vorbehalten.

Die Goldene Bulle

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Kaiser Karl IV. erteilt die Goldene Bulle

Alle Rechte und Pflichten der Kurfürsten hatten sich bis dahin meist gewohnheitsrechtlich herausgebildet. Kaiser Karl IV. ließ das Prozedere der deutschen Königswahl 1356 in der Goldenen Bulle endgültig rechtlich fixieren. Die Goldene Bulle bildete bis 1806 die Grundlage der Verfassungsordnung des alten Reichs. In den darin festgelegten Wahlbestimmungen hieß es unter anderem:

Wenn nun die Kurfürsten oder ihre Gesandten in vorerwähnter Form und Weise diesen Eid geleistet haben, sollen sie zur Wahl schreiten und fortan die ehgenannte Stadt Frankfurt nicht verlassen, bevor die Mehrzahl von ihnen der Welt oder Christenheit ein weltliches Oberhaupt gewählt hat, nämlich einen römischen König und künftigen Kaiser. Falls sie dies jedoch binnen dreißig Tagen, vom Tag der Eidesleistung an gerechnet, noch nicht getan haben, sollen sie von da an, nach Verlauf dieser dreißig Tage, forthin nur Brot und Wasser genießen und keinesfalls aus besagter Stadt weggehen, bevor sie oder die Mehrzahl von ihnen einen Herrscher oder ein weltliches Oberhaupt der Gläubigen gewählt haben, wie oben steht.


Von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung des Reichs war, dass die Kurfürsten seit dem Tod des Stauferkaisers Friedrich II. vom dynastischen Prinzip – also von der Wahl eines Mitglieds der herrschenden Dynastie – zu sogenannten „springenden Wahlen“ übergingen. Damit gehörte praktisch jeder Reichsfürst zu den möglichen Thronkandidaten. Die Kronprätendenten mussten sich die Wahl durch umfangreiche Zugeständnisse erkaufen, etwa mit der Verleihung von Privilegien an die Kurfürsten, die in Wahlkapitulationen genau festgehalten wurden. Dies stärkte Macht und Unabhängigkeit der Landesfürsten im Reich auf Kosten der königlichen Zentralgewalt und hatte eine fortschreitende territoriale Zersplitterung Deutschlands zur Folge.


Erweiterungen im 17. Jahrhundert

Zur ersten Erweiterung des Kurfürstenkollegiums kam es im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges. Herzog Maximilian I. von Bayern verlangte für die Hilfe, die er Kaiser Ferdinand II. bei der Vertreibung des „Winterkönigs“, des pfälzischen Kurfürsten Friedrich V., aus Böhmen geleistet hatte, die Kurwürde seines wittelsbachischen Vetters. Mit der Oberpfalz wurde dem Herzog die pfälzische, die vierte Kur übertragen – 1623 zunächst nur ihm persönlich, 1628 auch für seine Nachkommen. Der Streit um die pfälzische Kur spielte eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden. Beigelegt wurde er schließlich 1648 durch die Errichtung einer neuen, achten Kur für die Pfalzgrafen.

Für seine Waffenhilfe im Pfälzischen Erbfolgekrieg gegen Frankreich verlangte 1692 Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg für sein Haus die Einrichtung einer neunten Kur. Kaiser Leopold I. gab trotz der Proteste der übrigen Kurfürsten nach. Wegen deren Widerstand konnte die neunte Kur aber erst seit 1708 ausgeübt werden. Da die neuen Kurfürsten 1714 mit Georg I. durch Erbfolge auf den britischen Thron gelangten, hatten im 18. Jahrhundert die Könige von England ein Mitspracherecht bei der deutschen Königswahl.

Ende der Kurfürstentümer

Während der Napoleonischen Kriege annektierte Frankreich das gesamte linke Rheinufer und damit weite Gebiete der vier rheinischen Kurfürsten. Im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 wurden daher die geistlichen Kuren und die pfälzische Kur aufgehoben. Die Mainzer Kurwürde wurde auf das Fürstentum Regensburg-Aschaffenburg übertragen. Für das Erzbistum Salzburg, das Herzogtum Württemberg, die Markgrafschaft Baden und die Landgrafschaft Hessen-Kassel wurden vier neue Kuren eingerichtet. All dies blieb aber ohne praktische Bedeutung, da das Heilige Römische Reich Deutscher Nation schon 1806 aufhörte zu bestehen und in der Zwischenzeit kein neuer Kaiser mehr zu wählen war. Obwohl die Kurwürde also ihre Bedeutung verloren hatte, behielt Hessen-Kassel die Bezeichnung Kurfürstentum bei (siehe auch: Kurhessen).

Wahlbestimmungen, Rechte und Pflichten

Die Wahl des deutschen Königs durch die Kurfürsten musste ursprünglich einstimmig erfolgen. Erst der Kurverein von Rhens einigte sich 1338 auf das Mehrheitsprinzip. Die Wahl des Nachfolgers konnte auch schon zu Lebzeiten des regierenden Königs stattfinden. War dies nicht geschehen, musste nach den Bestimmungen der Goldenen Bulle der Erzbischof von Mainz die übrigen Kurfürsten oder ihre Stellvertreter spätestens vier Monate nach dem Tod des Herrschers zur Wahl eines Nachfolgers nach Frankfurt am Main zusammenrufen. Dabei hatte der Vertreter von Kurtrier das Recht, seine Stimme als erster abzugeben. Die mitunter entscheidende, letzte Stimme stand dem Vertreter von Kurmainz zu. Obwohl es weder in der Goldenen Bulle noch sonst irgendwo reichsrechtlich festgelegt war, wurde es in der Neuzeit üblich, die böhmische Königswürde, die seit 1526 fast durchgehend die Habsburger innehatten, als Voraussetzung für die Kaiserwürde zu betrachten (Die römische Krone gehört auf die böhmische).

Die Krönung erfolgte ursprünglich in Aachen durch den Erzbischof von Köln. Von der Kaiserwahl Maximilians II. 1562 bis zum Ende des alten Reiches fanden aber auch fast alle Krönungen in Frankfurt statt, die letzte im Jahr 1792. Bei der Krönung übten die Kurfürsten – später nur noch ihre Stellvertreter – die sogenannten Erzämter (archiofficia) aus, die fest mit der Kurwürde verbunden waren: die weltlichen Kurfürsten von der Pfalz, von Sachsen, Brandenburg und Böhmen fungierten jeweils als Erztruchsess, Erzmarschall, Erzkämmerer und Erzmundschenk. Die drei geistlichen Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln waren Erzkanzler für die drei Reichsteile Deutschland, Burgund und Italien.

Nach der Goldenen Bulle standen den Kurfürsten eine Reihe von Privilegien zu: Sie besaßen das Münzregal und andere Königsrechte: Sie wurden mit 18 Jahren großjährig, Angriffe auf sie galten als Majestätsverbrechen, und ihre Territorien, die Kurlande, waren unteilbar. Gegen Urteile ihrer obersten Gerichte konnte niemand Berufung beim Reichskammergericht oder beim Reichshofrat einlegen. Der König konnte keinen Rechtsstreit an sich ziehen, der unter ihre Jurisdiktion fiel.

Literatur

  • Hans Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ende des älteren deutschen Reichs 1806, München 1984
  • Arno Buschmann (Hg.), Kaiser und Reich. Klassische Texte und Dokumente zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, München 1984
  • Franz-Reiner Erkens, Kurfürsten und Königswahl, Hannover 2002 (ISBN 3775257306)
  • Martin Lenz, Konsens und Dissens. Deutsche Königswahl (1273-1349) und zeitgenössische Geschichtsschreibung, (= Formen der Erinnerung 5), Göttingen (V&R) 2002, (ISBN 352535424X) (siehe auch:Rez. M. Kaufhold)
  • Hans K. Schulze, Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter, Bd. 3: Kaiser und Reich, Stuttgart u.a. 1998

Weblinks