Frankfurterisch

Frankfurterisch

Gesprochen in

Freie Stadt Frankfurt,
Stadt Frankfurt am Main
Linguistische
Klassifikation

Frankfurterisch ist der in der Stadt Frankfurt am Main gesprochene Dialekt. Frankfurterisch ist ein rheinfränkischer Dialekt und gehört zur Gruppe der hessischen Mundarten. Die Frankfurter Stadtmundart war bis zum Zweiten Weltkrieg die bevorzugte Umgangssprache aller gesellschaftlichen Schichten der Stadt. Sie grenzte sich deutlich zu den im Umland gesprochenen südhessischen und mittelhessischen Mundarten ab.

Johann Wilhelm Sauerwein, Friedrich Stoltze, Adolf Stoltze und Karl Ettlinger. Der Wortschatz der Frankfurter Mundart ist im 1971 bis 1985 erschienenen Frankfurter Wörterbuch dokumentiert, das im Wesentlichen auf den Forschungen Johann Joseph Oppels und Hans Ludwig Rauhs gründet und den Zeitraum von 1839 bis 1945 abdeckt.

Heute existiert keine scharfe Sprachgrenze mehr zwischen der Stadt Frankfurt und ihrer Umgebung. Frankfurterisch ist im heute im Rhein-Main-Gebiet gebräuchlichen, nach 1945 entstandenen neuhessischen Regiolekt aufgegangen.

Geschichte

Viele von Stoltzes Gedichten und Erzählungen, zum Beispiel „Die Blutblas“, „Verzeh Döchter“ oder „Von Frankfurts Macht und Größe“ sind wegen ihres Witzes und ihrer Ironie bis heute beliebt und werden häufig rezitiert.[1]

Während Friedrich Stoltze keine dramatischen Werke hinterließ, schuf sein Sohn Adolf Stoltze zwischen 1884 und 1928 20 Theaterstücke in Frankfurter Mundart, dazu zahlreiche Gedichte und Prosaschriften, mitunter auch zu sehr trivialen Anlässen. Seinen größten Erfolg erzielte er 1887 mit Alt-Frankfurt, das bis heute immer wieder aufgeführt wird. Es repräsentierte wie kein anderes das Lebensgefühl der Frankfurter Bürgerschaft; noch in den 1920er Jahren wurde Stoltze bei einer Umfrage des Frankfurter General-Anzeigers zum populärsten Frankfurter gewählt.

Einen starken Einfluss auf die Frankfurter Mundart übten die zahlreichen französischen Entlehnungen aus. Sie wurden zum einen während der Koalitionskriege zwischen 1792 und 1813 in die Mundart aufgenommen, als häufig französische Truppen durch die Stadt zogen, zum anderen brachten französisch-reformierte Glaubensflüchtlinge ihre Sprache mit nach Frankfurt.[2] Das Frankfurter Wörterbuch zählt zahlreiche dem Französischen entnommene Mundart-Vokabeln auf, beispielsweise Casaquin (Hausrock), Chemise (Hemd), Equipage (Kutsche), oder Ausdrücke wie Cachet haben (vornehme Kleidung tragen), mantenieren (zustande bringen) oder regalieren (sich gütlich tun).[3]

Ein weiteres Element der Frankfurter Mundart ist die Rezeption von Hebraismen. Im 19. Jahrhundert gehörten etwa 10 Prozent der Einwohnerschaft der jüdischen Gemeinde an. Erst 1806 war der jahrhundertelange Ghettozwang aufgehoben worden, der den Juden die Frankfurter Judengasse als einziges Wohnquartier zugewiesen hatte. Einige Begriffe aus dem Hebräischen, besonders aber dem Jiddischen, gingen in die Alltagsmundart über, beispielsweise Dalles (Konkurs) oder Schammes (Diener). Andere wurden von jedem Mundartsprecher verstanden, auch wenn sie nicht zum aktiven Wortschatz der nichtjüdischen Bürgerschaft gehörten, zum Beispiel Dalfen (Geizhals, Bettler) oder Schickse (junges Mädchen).[4]

Die Zeit des Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg bedeuteten das Ende für die traditionelle Frankfurter Mundart. Über 10.000 Frankfurter Juden wurden ab 1941 aus Frankfurt deportiert und ermordet. 1944 ging die dichtbesiedelte Frankfurter Altstadt, das Zentrum der alten Bürgerstadt, im Feuersturm der Luftangriffe auf Frankfurt am Main unter. In der Nachkriegszeit verließen zahlreiche alteingesessene Frankfurter die Stadt und zogen ins Umland. Zahlreiche dem Frankfurterischen eigentümliche Wörter sind inzwischen ungebräuchlich oder selbst gebürtigen Frankfurtern nicht mehr ohne weiteres verständlich. Hingegen sind die sprachlichen Unterschiede zwischen Stadt und Umland weitgehend verschwunden. Die mundartliche Tradition wird nach wie vor auf der Bühne gepflegt, beispielsweise von 1971 bis 2013 im Volkstheater Frankfurt unter der Leitung von Liesel Christ und Wolfgang Kaus.

Geographische Verbreitung

Noch im 19. Jahrhundert war Frankfurt eine südhessische Sprachinsel im mittelhessischen Dialektraum. Die bäuerlich geprägten Dörfer im Umkreis der Stadt waren noch nicht mit ihr zusammengewachsen, ihre Sprache unterschied sich deutlich von der städtischen Mundart. Die Entwicklung der Stadtmundart wurde stark von den überregionalen Handelsbeziehungen geprägt, aber auch durch den stetigen Zuzug neuer Bevölkerungsschichten.[5] Im Laute des 19. Jahrhunderts verzehnfachte sich die Einwohnerzahl Frankfurts. Die zahlreichen Neubürger mit Migrationshintergrund integrierten sich nur allmählich in die städtische Gesellschaft. Das Wort Fulder, ursprünglich eine Herkunftsbezeichnung (aus Fulda) bezeichnet in der Frankfurter Mundart noch bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus eine derbe, ungehobelte Person ohne Manieren[6]. Ein Beispiel für die deutlichen Sprachunterschiede zwischen Stadt und Umland ist das Wort Bruder, das auf frankfurterisch pruudä lautet, im hessischen Umland dagegen prǫurě.[7]

Phonetik und Phonologie

Gegenüber dem standarddeutschen Vokalinventar fehlen dem Frankfurterischen infolge einer Entlabialisierung die langen Umlaute ​/⁠⁠/​ und ​/⁠øː⁠/​. Stattdessen wird immer ein ​/⁠⁠/​ gesprochen (statt kühl [kyːl] beispielsweise [kiːl]). Ein zusätzlicher A-Laut ist das dunkle a, etwa in [sɑːxə] (sagen). Noch im 19. Jahrhundert wurde dieser Laut leicht palatal ausgesprochen, als ​/⁠⁠/​, was Friedrich Stoltze im Allgemeinen mit ää umschrieb.

Bei den kurzen Vokalen sind die Unterschiede zur standarddeutschen Phonetik ausgeprägter. Wie bei den langen Vokalen kennt das Frankfurterische kein ​/⁠ʏ⁠/​ und kein ​/⁠œ⁠/​, sondern stattdessen entrundete ​/⁠i⁠/​ und ​/⁠e⁠/​; überdies kennt es ein dunkles ​/⁠ɑ⁠/​. Die kurzen E-, I-, O- und U-Lauten werden im Frankfurterischen geschlossener und mit mehr Spannung ausgesprochen als im Standarddeutschen: ​/⁠e⁠/​, ​/⁠i⁠/​, ​/⁠o⁠/​ und ​/⁠u⁠/​.

Die Aussprache der Diphthonge [] und [] ist im Frankfurterischen im Wesentlichen wie im Standarddeutschen; standarddeutschem [] aber entsprach noch bei Carl Maiß entrundetes [].

Eine besondere Vielfalt weisen im Frankfurterischen die Allophone und Schwa-Laute auf, deren Aussprache von der Stellung im Wort oder von dem folgenden Konsonanten abhängt. Besonders auffällig sind das E-Schwa am Wortende ​/⁠ə⁠/​ wie in baumeln [baʊmələ] und das A-Schwa nach kurzen Vokalen vor R, wie in Wurst [vɔɐʃt]. Ein langes A vor N wird immer stark nasaliert, wie beispielsweise in Bein [bãː].

Bei den Konsonanten werden alle Verschluss- und Reibelaute stimmlos ausgesprochen. Charakteristisch sind die Laute schwaches F ​/⁠ṿ⁠/​, schwaches G ​/⁠ɣ⁠/​ und schwaches SCH ​/⁠ʒ⁠/​.

Forschung

Der Frankfurter Schullehrer Johann Joseph Oppel (1815–1894) sammelte ab 1839 Materialien zum Frankfurter Dialekt in insgesamt 88 Faszikeln von jeweils 16 Seiten. Seine Aufzeichnungen notierte er in einer eigenen Lautschrift, mit denen er insbesondere den genauen Klang der Frankfurter Vokale dokumentierte, wie sie um die Mitte des 19. Jahrhunderts gesprochen wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg verfasste der Sprachwissenschaftler Hans Ludwig Rauh (1892–1945) verschiedene Schriften, darunter seine Dissertation Die Lautlehre der Frankfurter Mundart (1921), Die Frankfurter Stadtmundart in ihren Grundzügen dargestellt (1921) und Zur Rhythmik und Melodik der Frankfurter Mundart (1925).

1968 begann die Herausgabe des Frankfurter Wörterbuchs im Auftrag der Frankfurter Historischen Kommission und der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, das in 14 Lieferungen von 1971 bis 1985 erschien. 1988 folgte eine Gesamtausgabe in 6 Bänden. Es ergänzt die großlandschaftlichen Dialektwörterbücher der angrenzenden Regionen, das an der Universität Gießen veröffentlichte Südhessische Wörterbuch und das an der Universität Marburg in Arbeit befindliche Hessen-Nassauische Wörterbuch. Mehrere neuere Arbeiten entstanden vor allem im Forschungsinstitut Deutscher Sprachatlas an der Philipps-Universität Marburg.

Seit 2017 erscheint ein auf den Aufzeichnungen Oppels, Rauhs und anderer basierendes Frankfurter Aussprachewörterbuch als Online-Datenbank.[8]

Literatur

Zur Frankfurter Mundart

  • Carsten Keil: Der Vokaljäger. Eine phonetisch-algorithmische Methode zur Vokaluntersuchung. Exemplarisch angewendet auf historische Tondokumente der Frankfurter Stadtmundart (= Deutsche Dialektgeographie. Band 122). Georg Olms Verlag, Hildesheim 2017, ISBN 978-3-487-15588-3 (Dissertation (2016) am Fachbereich Germanistik und Kunstwissenschaften (FB09), Deutscher Sprachatlas, der Philipps-Universität Marburg).
  • Rosemarie Schanze: Sprache und Gesellschaft in Frankfurt am Main. Studien zum Frankfurter Wörterbuch (= Frankfurter Verein für Geschichte und Landeskunde e. V. [Hrsg.]: Studien zur Frankfurter Geschichte. Band 21). Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-7829-0340-4.
  • Hans Ludwig Rauh: Die Frankfurter Mundart in ihren Grundzügen dargestellt. Moritz Diesterweg, Frankfurt am Main 1921 (Digitalisat – Abgedruckt in Frankfurter Wörterbuch, Band I, Einleitung).

Frankfurter Wörterbuch

Band I: Einleitung, A–Eva
Band II: Evangelium–hinauf
Band III: hinaufgucken–Lithograph
Band IV: Litze–qui vive
Band V: raadeln–Strohkopf
Band VI: Strohmann–Zylinder
Registerband

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Friedrich Stoltze: Ausgewählte Gedichte und Erzählungen in Frankfurter Mundart. Keller, Frankfurt am Main 1914, S. 157–168 (Digitalisat – Internet Archive).
  2. Rosemarie Schanze: Sprache und Gesellschaft in Frankfurt am Main. Studien zum Frankfurter Wörterbuch (= Frankfurter Verein für Geschichte und Landeskunde e. V. [Hrsg.]: Studien zur Frankfurter Geschichte. Band 21). Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-7829-0340-4, S. 81–82.
  3. Frankfurter Wörterbuch
  4. Rosemarie Schanze: Sprache und Gesellschaft in Frankfurt am Main. Studien zum Frankfurter Wörterbuch (= Frankfurter Verein für Geschichte und Landeskunde e. V. [Hrsg.]: Studien zur Frankfurter Geschichte. Band 21). Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-7829-0340-4, S. 83–84.
  5. Rosemarie Schanze: Sprache und Gesellschaft in Frankfurt am Main. Studien zum Frankfurter Wörterbuch (= Frankfurter Verein für Geschichte und Landeskunde e. V. [Hrsg.]: Studien zur Frankfurter Geschichte. Band 21). Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-7829-0340-4, S. 78–79.
  6. Frankfurter Wörterbuch
  7. Frankfurter Aussprachewörterbuch, A–E
  8. Carsten Keil: Frankfurter Aussprachewörterbuch. In: frankfurterisch.org. 2018, abgerufen am 20. August 2018.