Bessarabiendeutsche

Bauernpaar mit Kleinkind (Heimattrefffen 2003 in Möckern)

Die Bessarabiendeutschen waren innerhalb der Schwarzmeerdeutschen eine deutsche Volksgruppe, die zwischen 1814 und 1940 in Bessarabien (heutiges Moldawien und heutige Ukraine) lebte. Sie wanderten mit etwa 9000 Personen zwischen 1814 - 1842 aus Württemberg und preussischen Gebieten in Polen in das damalige russische Gouvernement Bessarabien am Schwarzen Meer ein. In ihrer 125-jährigen Geschichte waren die Bessarabiendeutschen eine bäuerliche Bevölkerung. Sie waren bis zu ihrer Umsiedlung ins Deutsche Reich 1940 (Hitler-Stalin-Pakt) mit rund 93.000 Personen und 3 % Bevölkerungsanteil eine Minderheit.

Prominentester Vertreter dieser Volksgruppe ist der deutsche Bundespräsident Horst Köhler. Seine Eltern lebten bis zur Umsiedlung 1940 in der deutschen Kolonie Ryschkanowka in Nordbessarabien und wurden danach im besetzten Polen angesiedelt, wo Horst Köhler 1943 geboren wurde.


Das frühere Bessarabien in Europa

Wappen

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Wappen der Bessarabien-
deutschen

Das Wappen der Bessarabiendeutschen entstand erst nach dem 2. Weltkrieg . Es versinnbildlicht die 1940 verlassene Heimat am Schwarzen Meer. Das Wappen besteht aus einem Schild als Hauptträger des heraldischen Sinnbildes. Auf vier Feldern sind landestypische Farben sowie Symbole der traditionellen Arbeitsgebiete dargestellt. Ihre Bedeutungen sind:

  • Blau symbolisiert den blauen Himmel über der Steppe
  • Gelb steht für die goldenen Ährenfelder in der weiten Landschaft
  • Rot ist der Flagge Rumäniens entliehen; der Staat, dem die Bessarabiendeutschen als treue Bürger verpflichtet waren
  • Der Steppenbrunnen stellt dar, wie wichtig Trinkwasser im trockenen Klima für Menschen und Tiere war
  • Das Kreuz ist Sinnbild für die Kirche und den ausgeprägten Glauben
  • Die Ähren am Kreuz sind Zeichen für den Ertrag der schweren Arbeit und symbolisieren das tägliche Brot
  • Das Pferd weist auf den treuesten Helfer des Bauern hin, mit dem er den fruchtbaren Schwarzerdeboden kultivierte

Herkunft

Anwerbung

Im sechsten Türkenkrieg zwischen 1806 - 1812 eroberten Truppen des russischen Zaren Alexander I. Bessarabien. In dem einst ostmoldauischen Gebiet richtete er das Gouvernement Bessarabien ein, das kleinste des Zarenreichs. Hauptstadt wurde das mittelbessarabische Kischinew (Chişinău).

Nomadisierende Tatarenstämme aus dem südliche Landesteil von Bessarabien, dem Budschak, zogen nach der russischen Eroberung ab. Das Gebiet war danach nahezu menschenleer und weitgehend ungenutzt. Zur Kolonisierung der brachliegenden Ländereien warb Russland im Ausland gezielt Siedler an, da die eigenen Bauern zu dieser Zeit noch Leibeigene waren. Die Angeworbenen sollten vor allem die Landwirtschaft auf dem fruchtbaren Schwarzerdeboden verbessern. Zar Alexander I. erließ am 29. November 1813 ein Manifest, in dem er deutschen Siedlern folgende Privilegien versprach:

  • Landschenkung
  • zinsloser Kredit
  • Steuerfreiheit auf 10 Jahre
  • Selbstverwaltung
  • Religionsfreiheit
  • Freiheit vom Militärdienst

Die Werber der russischen Krone gingen mit diesen Versprechungen nach Württemberg, den nordostdeutschen Raum (Mecklenburg) und ins Herzogtum Warschau, wo sich erst wenige Jahre zuvor deutsche Siedler niedergelassen hatten.

Auswanderung

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Auswanderungswege aus Deutschland nach Bessarabien 1814 - 1842

Zwischen 1814 und 1842 wanderten etwas über 2000 Familien mit insgesamt ca. 9000 Personen ins russische Bessarabien aus. Die Auswanderung aus Süddeutschland aus den Räumen Württemberg, Baden, Elsass, Pfalz und Bayern mit dem zeitlichen Höhepunkt 1817 erfolgte zeitlich nach den als Schwabenzug bezeichneten drei Auswanderungswellen in die neu eroberten habsburgischen Ländereien in Südosteuropa wie dem Banat, Galizien oder der Bukowina.

Nach der Passerteilung durch deutsche Behörden traten sie die Reise in größeren Gruppen, sog. Kolonnen, an. Die Reisedauer für die etwa 2.000 km lange Strecke betrug je nach Reiseroute zwei bis sechs Monate. Viele der Auswanderer mit religiösen Emigrationsgründen schlossen sich zu sog. Harmonien zusammen. Die Reise verlief vorwiegend auf der Donau, wozu die Auswanderer auf dem Landweg bis Ulm zogen. Dort schifften sie sich auf Ulmer Schachteln (Ein-Weg-Schiffe) ein. Während der Schiffsfahrt erkrankten viele Auswanderer an Infektionen und verstarben. Die Fahrt führte flussabwärts bis zum Donaudelta kurz vor der Mündung ins Schwarze Meer. Eine wochenlange Quarantäne unter freiem Himmel auf einer Flussinsel vor der Stadt Ismajil (Oblast Odessa, Ukraine) forderte weitere Todesopfer. Etwa 10 % der Auswanderer sollen die Schiffsreise nicht überlebt haben.

Die deutschen Auswanderer aus den nördlichen und östlichen Landesteilen sowie aus Polen bevorzugten den Landweg mit Pferd und Wagen und hatten während der Reise weniger an Infektionskrankheiten zu leiden. Sie waren 1814 die ersten Deutschen in Bessarabien und wurden wegen ihrer Herkunft als Warschauer Kolonisten bezeichnet.

Auswanderungsgründe

Auswanderungsgründe aus dem Herzogtum Warschau waren:

  • Wirtschaftlich
    • Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation

Auswanderungsgründe in Süddeutschland waren:

  • Politisch
    • Militär- und Kriegsdienste für französische Besatzung
    • Frondienste
    • Unterdrückung durch die Obrigkeit
  • Wirtschaftlich
  • Religiös
    • Pietismus (Evangelische Bewegung für lebendige Glaubenserfahrung und praktische Frömmigkeit)
    • Chiliasmus (Erwartung einer tausendjährigen Gottesherrschaft auf Erden)

Unter russischer Herrschaft

Ansiedlung

Das Fürsorgekomitee als russische Ansiedlungsbehörde setzte die deutschen Auswanderer in Bessarabien planmäßig an. Sie erhielten Land im südlichen Landesteil, dem Budschak, auf weiten, baumlosen Steppenflächen zugewiesen. In der ersten Siedlungsphase bis 1842 entstanden 24 deutsche (Mutter-) Kolonien. 20 Orte hatten Bewohner evangelischen Glaubens, vier Orte katholische Bewohner.

Der Siedlungsgrundriss war vom Fürsorgekomitee vorgegeben und landesweit gleich. Angelegt wurden Straßendörfer, die meist in einem langgestreckten Tal mit sanft ansteigenden Hügeln lagen. Die Siedlerhöfe lagen an einer bis zu 50 m breiten, von Akazien gesäumten Straße. Die Grundstücke maßen zur Straßenseite ungefähr 20 Meter und erstreckten sich in der Länge bis auf 250 Meter. Die langgestreckten, eingeschossigen Wohnhäuser standen jeweils mit dem Giebel zur Straße. Baumaterialien der weißgetünchten Gebäude waren aus Lehmziegeln oder Naturstein. Auf dem Wirtschaftshof fanden sich Stallungen, Dreschplatz sowie ein Vorrats- und Weinkeller. Im hinteren Grundstücksteil lagen Gemüse-, Obst- und Weingärten.

Selbstverwaltung

Die vom Zar bei der Anwerbung versprochene Selbstverwaltung der deutschen Ansiedler erfolgte durch eine russische Ansiedlungsbehörde, die den Namen Fürsorgekomitee trug. Die für alle deutschen Siedler in Südrussland geschaffene Behörde hatte ihren Sitz zunächst in Kischinew, später in Odessa. Ihr gehörten ein Präsident und rund 20 Beamte an. Neben der Ansiedlung wahrte die Behörde die Rechte der Kolonisten und beaufsichtigte ihre Pflichten gegenüber der russischen Regierung. Als der Zar 1870 den Kolonistenstatus aufhob, wurde das Fürsorgekommitee 1871 aufgelöst.

Ortsnamensgebung

Ursprünglich trugen die für die Siedler vermessenen Landstücke nur Nummern, z.B. Steppe 9. In den Anfangsjahren der Besiedlung verlieh das Fürsorgekommitee den neugegründeten Dörfer so genannte Gedächtnisnamen. Diese Bezeichnungen erinnerten an die Orte von siegreichen Schlachten gegen Napoleon, z.B. Tarutino, Borodino, Beresina, Arzis, Brienne, Paris, Leipzig, Teplitz, Katzbach. In der späteren Phase von deutschen Ortsgründungen ab 1842 benannten die Siedler ihre Dörfer nach eigenen Hoffnungen (Hoffnungstal, Friedenstal) oder religiösen Motiven (Gnadental, Lichtental). Zahlreiche deutsche Dorfgründungen übernahmen auch Begriffe türkisch-tatarischer Herkunft, wie Albota (weißes Pferd), Basyrjamka (Salzloch), Kurudschika (trocken).

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Hoffnungstal (1940: 1.930 Einwohner), 1842 als deutsches Kolonistendorf gegründet, links die Kirche von 1907

Landwirtschaft

Deutsche Bauern beim Pflügen

Entsprechend der Anwerbung des Zar betätigten sich anfangs nahezu alle Neuankömmlinge als Landwirte, die auf eigenem Boden wirtschafteten. Vom Staat bekam jede deutsche Familie 60 Desjatinen (etwa 65 ha) vererbbares Ackerland zum Besitz. Das Siedlungsgebiet der Deutschen im südlichen Bessarabien, dem Budschak, lag im südrussischen Schwarzerdegürtel, dessen tiefgründige, dunkle Erde zu den fruchtbarsten Ackerböden zählt. Eine Düngung war nicht erforderlich. Die Ackerflächen wurden als Steppe bezeichnet, da die Landschaft nahezu baumfrei war. Hauptanbaukulturen waren Getreide und Mais. In einigen Kolonien wurde großflächig Weinanbau betrieben, aber jeder Hof baute Wein für den Eigenbedarf an.

Viehhaltung betrieben die Deutschen nur in geringem Ausmaß, denn der anfallende Dung wurde wegen der hohen Bodenfruchtbarkeit nicht benötigt. Soweit er anfiel, wurde er getrocknet und im Winter als Brennmaterial verwendet. Stärker verbreitetet war die Schafhaltung, vor allem des feinwolligen Karakul-Schafes. Aus der Wolle ließen sich die typischen schwarzen Fellmützen der Männer herstellen. Die Federviehhaltung zur Selbstversorgung war auf jedem Hof eine Selbstverständlichkeit.

Im Gegensatz zum Ochsen bei anderen Völkerschaften nutzten die Deutschen das Pferd als Zugtier. Schon von Jugend an und mit großer Zuneigung waren sie diesen Tieren verbunden, die sozusagen zur Familie gehörten. Gezüchtet wurde das alt-arabische Pferd, ähnlich dem arabischen Vollblüter.

Entwicklung

Die Lebensbedingungen der Kolonisten waren trotz der gewährten Privilegien in der Anfangszeit hart. Ungewohntes Klima und Krankheiten löschten ganze Familien aus. Viehseuchen, Überschwemmungen, Epidemien, wie Pest und Cholera, Missernten sowie Heuschreckenplagen behinderten das Aufbauwerk. Die erste Behausung war meist ein Erdloch mit Schilfdach.

Erst in späteren Generationen herrschte in den deutschen Siedlungen ein geregeltes und eigenständiges Leben auf wirtschaftlichem, kulturellem sowie religiösem Gebiet. Die Umgangssprache war deutsch, die Amtssprache russisch. Charakteristisch für die Volksgruppe waren Fleiß, Gläubigkeit, Kinderreichtum und Sparsamkeit. In Verbindung mit landwirtschaftlichem Können, günstigem Klima und guten Böden setzte gemäß dem Sprichwort Die erste Generation hat den Tod, die zweite die Not und die dritte erst das Brot ein wirtschaftlicher Aufschwung ein.

Neue Siedlungen

Mit der Gründung der letzten Kolonie (Hoffnungstal) 1842 stoppte der Zuzug von Auswanderern aus Deutschland und die staatliche, russische Kolonisierung endete. Danach setzte im Land eine Binnenkolonisation durch private Siedlungstätigkeit ein. Das Ackerland der 24 Mutterkolonien war infolge von Bevölkerungszuwachs knapp geworden. Die Bessarabiendeutschen kauften oder pachteten Land von russischen Großgrundbesitzern und gründeten neue Dörfer, sog. Tochterkolonien. Zu weiteren Ortsgründungen kam es ab 1920 als Folge der rumänischen Agrarreform. Dabei wurden Großgrundbesitzer mit mehr als 100 ha Land enteignet. Ihr Land wurde an Landlose verteilt, die je 6 ha erhielten. Auf dem frei gewordenen Land gründeten sich sog. Hektardörfer.

Durch die verschiedenen Arten der Besiedlung entstanden während der Anwesenheit der Deutschen in Bessarabien zwischen 1814 - 1940 rund 150 deutsche Siedlungen und Gutshöfe.

Kirche

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Bethaus mit Glockenstuhl (gleichzeitig Dorfschule) in der bessarabien- deutschen Siedlung Hannowka

Kirche und Religion prägten intensiv das Leben aller Bessarabiendeutschen, denn viele ihrer Vorfahren hatten einst ihre deutsche Heimat aus religiösen Gründen verlassen. Später erhielt ihnen der Gebrauch von Bibel und Gesangbuch die deutsche Sprache in der Fremde. Als erste Gemeinschaftseinrichtung neugegründeter Dörfer wurde ein Gotteshaus errichtet. Dies war in größeren Gemeinden ein Kirchengebäude für bis zu 1.000 Besucher, in kleineren ein Bethaus, in dem sich auch die Wohnung des Küsters und die Dorfschule befand. Den Unterhalt für Kirche, Schule, Küster und Lehrer (meist ein Küsterlehrer in Doppelfunktionen) trugen die Kolonisten.


Verhältnis zu anderen Nationalitäten

Grafik: Ethnische Gruppen in Bessarabien 1930

Bessarabien war ein multikulturelles Gebiet, dass von einer Vielzahl von Nationalitäten bewohnt war. Unter Rumänen, Russen, Ukrainern, Juden, Bulgaren, Gagausen, Zigeunern waren die Deutschen mit einem Bevölkerungsanteil von nur 3 % eine Minderheit. Gegenüber den anderen Bevölkerungsgruppen hatten sie jedoch wegen ihrer typisch deutschen Tugenden (Fleiß, Ordentlichkeit, Sparsamkeit) einen wirtschaftlichen Vorsprung. Die Achtung für ihre Verlässlichkeit drückte sich dadurch aus, dass Geschäfte mit einem deutschen Wort abgeschlossen wurden.

Die deutschen Kolonisten bewohnten überwiegend eigene Dörfer, ebenso die anderen Völkerschaften in Bessarabien. Grund war die unterschiedliche Religionszugehörigkeit. Da Kirche und Religion für die Bessarabiendeutschen identitätsstiftende Momente in der Fremde waren, gab es kaum Mischehen. Trotzdem lebten die verschiedenen Ethnien in friedlicher Kooperation nebeneinander.

Unter den deutschen Kolonisten gab es zwei unterschiedliche Herkunftsgruppen, die Schwaben und die Kaschuben. Als Schwaben galten die süddeutschen Kolonisten. Ihre Mundart, insbesondere die schwäbische aus Württemberg, setzte sich unter den deutschen Siedlern in ganz Bessarabien durch. Kaschuben war eine spöttische Bezeichnung für die aus dem norddeutschen Raum stammenden Kolonisten mit einem Plattdeutschen Dialekt. Sie hatten mit dem slawischen Stamm der Kaschuben aus dem Danziger Raum nichts gemein.

Erneute Auswanderung

In den Anfangsjahren hatten die Siedler den privilegierten Status von Kolonisten inne. Ab 1870 wurden in die einst auf Lebenszeit zugesagten Privilegien im Rahmen eines aufkommenden slawischen Nationalismus (Panslawismus) zurück genommen. Die Einführung eines mehrjährigen Militärdienstes und die Landknappheit führten ab diesem Zeitpunkt zu einer Auswanderung von schätzungsweise 25.000 Personen, insbesondere nach Nordamerika, Brasilien oder Argentinien. Trotz dieser Emigration aus Bessarabien war die deutschstämmige Bevölkerung von 9.000 eingewanderten Personen innerhalb von 125 Jahren bis 1940 auf etwa 93.000 Personen angewachsen.

Rumänisches Zwischenspiel

Bessarabiens Anschluss an Rumänien

Die Bessarabiendeutschen waren seit ihrer Auswanderung aus Deutschland über 100 Jahre lang Untertanen des russischen Zaren. Zwischen 1918-1940 wurden sie für 22 Jahre rumänische Staatsangehörige. Dies war Folge der russischen Oktoberrevolution 1917, als auch in Bessarabien Unabhängigkeitsbestrebungen aufkamen. Unter der Bezeichnung Landesrat (Sfatul Ţării) bildete sich in der bessarabischen Hauptstadt Kischinew eine nationale Vollversammlung, die die Regierung übernahm. Der Landesrat erklärte 1918 den Anschluss an Rumänien. Die Bessarabiendeutschen entgingen dadurch dem Schicksal der übrigen Russlanddeutschen in der Sowjetunion, das aus sozialer Benachteiligung bis hin zur Deportation oder Zwangsarbeit bestand. Dafür schränkte der rumänische Staat die kulturelle Autonomie der Bessarabiendeutschen (wie aller Minderheiten) ein. In der Öffentlichkeit durfte nur noch rumänisch gesprochen werden. Der Rumänisierungsdruck führte zur Verstaatlichung der Schulen und der Einführung von rumänisch als Unterrichtssprache. Bis dahin hatten die Kolonisten ihre Kinder in eigenen Dorfschulen in deutsch unterrichten lassen.

Nationalsozialistische Bestrebungen

Die Bessarabiendeutschen waren nach dem Anschluss von Bessarabien an Rumänien eine nationale Minderheit. Politisch hatten sie sich im konservativ geltenden und kirchlich ausgerichteten Deutschen Volksrat für Bessarabien organisiert. Nach über 100 Jahren in der Fremde war Anfang des 20.Jahrhunderts der Kontakt zum Mutterland Deutschland vollkommen abgebrochen. Doch mit der Machtergreifung Hitlers 1933 schwappte der Nationalsozialismus auch auf das 1.500 km entfernte Bessarabien über. Unter den jungen Bessarabiendeutschen und den wenigen Angehörigen nicht-bäuerlicher Berufsgruppen entstand die Erneuerungsbewegung, die eine völkische Erweckung anstrebte. Ihre Anhänger vertraten NS-Ideologien einschließlich des Führerprinzips. Obwohl die bäuerliche, kirchlich geprägte Bevölkerung politisch desinteressiert war, fand in den 30-er Jahren in deutschen Dörfern eine kulturelle Hinwendung zum Mutterland statt. Neben Besuchskontakten kam es auch zu kleineren Aufmärschen.

Rückkehr ins Mutterland

Umsiedlung

Am 28. Juni 1940 besetzte die sowjetische Rote Armee als Folge des Hitler-Stalin-Paktes überraschend das Territorium Bessarabiens, das ein rumänischer Landesteil war. Rumänien bekam zuvor ein 48-stündiges Ultimatum zur Abtretung gestellt, dem es kampflos nachkam. Hitler-Deutschland billigte insgeheim die Besetzung, verlangte aber die Umsiedlung der dort lebenden deutschstämmigen Bevölkerung ins Deutsche Reich. Am 5. September 1940 unterzeichneten die Sowjetunion und das Deutsche Reich in Moskau einen Umsiedlungsvertrag. Er ermöglichte allen Bessarabiendeutschen die Rückkehr nach Deutschland. Jeder Bewohner ab 14 Jahre konnte die Entscheidung darüber selbst treffen. Gründe, in die Umsiedlung einzuwilligen und sie sogar als Rettungsmaßnahme anzusehen, waren:

  • Furcht vor Rechtlosigkeit (Deportation)
  • Aufgabe des eigenen Bodens (Zwangskollektivierung)
  • Ende des deutschen kulturellen und kirchlichen Lebens
  • Einsetzende Verarmung in Bessarabien schon vor der Besetzung
  • Hoffnung auf eine materiell besseres Leben im Deutschen Reich
  • Völkische Pflicht zur Rückkehr ins Mutterland
Datei:Umsiedlungstreck Bessarabien.jpg
Bessarabiendeutscher Umsiedlertreck zieht im Herbst 1940 in Richtung Donauhafen

Nahezu geschlossen entschied sich im September 1940 die 93.000 Personen umfassende deutsche Volksgruppe zur Umsiedlung. Zurück blieben nur etwa 1.000 Deutsche (meist wegen Ehepartnern anderer Volkszugehörigkeit oder hohen Alters). Die praktische Durchführung lag bei der Volksdeutschen Mittelstelle (VoMi), einer SS-Organisation. 600 uniformierte SS-Männer (ohne Rangabzeichen) wurden nach Bessarabien entsandt. Sie registrierten die Umsiedlungswilligen und schätzen als gemeinsam deutsch-sowjetische Umsiedlungskommission deren Vermögen zwecks späterer Entschädigung. Im September und Oktober 1940 reisten die Bessarabiendeutschen mit 30 kg Gepäck pro Person ab. Frauen und Kinder wurden auf Lkw zu den bis zu 150 km entfernten Donauhäfen mit Sammellager transportiert, die Männer folgten als Treck mit Pferdewagen. Nach kurzem Aufenthalt ging es auf Ausflugsdampfern der Donauflotte 1.000 km donauaufwärts in Richtung Deutschland.

Zwischen totalitären Regimen

Die Umsiedlung war faktisch ein Rückzug aus 125 Jahre alten Siedlungsgebieten deutscher Ostsiedler. In Deutschland schlachtete das NS-Regime die Umsiedlung für ihre propagandistischen Zwecke als Heimkehr ins Reich aus. Der erlittene Heimatverlust von 93.000 Menschen wurde sogar ins Gegenteil verkehrt. Zitat:

  • Freudig lässt er (der bessarabiendeutsche Bauer) Haus und Hof zurück und kehrt mit wenig Habseligkeiten heim ins Reich. Sein sehnlichster, jahrelanger Wunsch, in deutsche Heimatgaue wieder zurückkehren zu dürfen, ist heute zur Tatsache geworden.

Ein an der Umsiedlung beteiligter SS-Mann skizzierte seine ausgewanderten Landsleute im NS-Propagandastil so:

  • In völkischer und teilweise auch in rassischer Hinsicht ist der bessarabische Bauer als gut zu bezeichnen. Er ist den Sitten und Gebräuchen sowie der Sprache und dem Dialekt seiner Väter durch ein Jahrhundert treu geblieben.

Zur Entscheidung zum Weggehen der Bessarabiendeutschen im Herbst 1940 trugen wesentlich die Maßnahmen der neuen sowjetischen Machthaber bei, wie:

  • Ablieferung eines Erntesolls
  • Schließung der deutschen Schulen
  • Beschlagnahmung von Krankenhäusern und Apotheken
  • Enteignung von Banken und Industrieunternehmen
  • Verhaftung von Gutsbesitzern und Angehörigen anderer Volksgruppen

Sowjetische Quellen zufolge dienten die Maßnahmen im Okkupationsgebiet der Sowjetisierung und dem Kampf gegen konterrevolutionäre Tätigkeiten. Sie setzten sich auch nach dem Weggang der Deutschen fort. Ende 1940 wurden die verlassenen Ländereien neu gegründeten Sowchosen und Kolchosen zugeteilt. Im Jahre 1941 wurden ca. 30.000 Bewohner Bessarabiens als antisowjetische Elemente in Gulags nach Sibirien deportiert.

Neuansiedlung und Flucht

Nach ihrer Ankunft im Reich wurden die Bessarabiendeutschen in rund 250 Umsiedlungslagern in Sachsen, Franken, Bayern, im Sudetenland und im damals dem Reich angeschlossenen Österreich untergebracht. Sie lebten ein bis zwei Jahre in drangvoller Enge in Schulen, Turnhallen oder Ballsälen von Gasthäusern. Die vom Status her Volksdeutschen mussten ein Einbürgerungsverfahren über sich ergehen lassen. Dazu gehörte eine gesundheitliche und rassisch-politische Untersuchung. Nur wer als gesund, rassisch wertvoll und politisch zuverlässig eingestuft wurde (94 %), kam für die Ansiedlung als freier Bauer auf eigener Scholle in den von Hitler-Deutschland eroberten polnischen Ostgebieten infrage. 1941/42 wurden die Menschen im Wartheland und in Danzig-Westpreußen im Rahmen eines nationalsozialistischen Siedlungsprojektes neu angesiedelt. Als Entschädigung für ihr verlassenes Eigentum in Bessarabien erhielten sie Bauernhöfe. Diese hatte die deutsche Militärverwaltung beschlagnahmt und ihre polnischen Besitzer vertrieben. Als 1944/45 die russischen Front näher rückte, flüchteten die Bessarabiendeutschen wie die übrige dort ansässige deutsche Bevölkerung nach Westen.

Etwa 6 % der Bessarabiendeutschen wurden aus verschiedenen Gründen (gesundheitliche, rassische, politische) für eine Ansiedlung im Osten nicht für wert befunden. Sie mussten in unselbstständiger Funktion (Industriearbeiter) im Alt-Reich verbleiben. Dies sollte sich am Ende des Zweiten Weltkrieges als großes Glück herausstellen, denn diesem sich gedemütigt fühlenden Personenkreis blieb die mörderische Flucht vor der Roten Armee im Winter 1945 aus dem Osten erspart.

Neuanfang in Deutschland

Integration

Die Nachkriegszeit forderte von den in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik angekommenen Bessarabiendeutschen, wie von allen Heimatvertriebenen, eine enorme Integrationsleistung. Als reines Bauernvolk kannten sie sich nur in der Landwirtschaft aus. Aber als besitzlose Flüchtlinge gelang nur den wenigsten der Neustart als selbstständige Landwirte. Die meisten orientierten sich beruflich um und wurden zum Industriearbeiter. Den Neustart erleichterte das mitgebrachte kulturelle Kapital. Das waren Charakterzüge, wie Tüchtigkeit und Selbstständigkeit, und der Pioniergeist von Kolonisten. Ein Großteil der Volksgruppe siedelte sich in Baden-Württemberg an, von wo aus die Vorfahren einst ausgewandert waren. Von den Einheimischen wurden die Rückkehrer wegen des Namens Bessarabien anfangs für Araber gehalten und spöttisch als Bessere Araber bezeichnet. Wegen der aus ihrer Heimat mitgebrachten, schwarzen Fellmützen nannte man sie auch Pudelmützen.

Organisierung

Während in der DDR Vertriebenenvereine und heimatliche Vereinigungen aus politischen Gründen verboten waren, schufen sich nach dem Zweiten Weltkrieg Bessarabiendeutsche in der Bundesrepublik die Organisationen:

2005 fusionierten sie alle zum Bessarabiendeutschen Verein, die Altenpflegeeinrichtung wurde jedoch aus wirtschaftlichen Gründen selbstständig.

Traditionspflege

Auch heute (2005) nach 65 Jahren des Heimatverlustes pflegen die Bessarabiendeutschen sowie deren Nachkommen die Tradition. Halbmonatlich erscheint ein Mitteilungsblatt, jährlich ein Heimatkalender. Regelmäßig finden Heimattreffen oder Jubiläumsveranstaltungen aus Anlass von Dorfgründungen (im Jahre 2004/05 zahlreiche 190-Jahr Feiern) statt. Ein verbindendes Musikstück ist das zweiversige Heimatlied der Bessarabiendeutschen, das Albert Mauch 1922 verfasste.

Der Kontakt zur alten Heimat war wegen des kommunistischen Regimes bis in die 1960er Jahre nicht möglich. Seither nehmen Bessarabiendeutsche an organisierten Reisen in die Region teil. Dabei stellten sie in vielen ihrer Heimatdörfer Gedenksteine zum Andenken an die deutsche Besiedlung auf. Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 und der eingetretenen Armut führten Bessarabiendeutsche auch Hilfslieferungen für die dort lebende Bevölkerung durch.

Literatur

  • Immanuel Wagner: Zur Geschichte der Deutschen in Bessarabien. Stuttgart, 1958
  • Jakob Becker: Bessarabien und sein Deutschtum. Bietigheim, 1966
  • Albert Kern: Heimatbuch der Bessarabiendeutschen. Hannover, 1976
  • Arnulf Baumann: Die Deutschen aus Bessarabien. Hannover, 2000, ISBN 3-9807392-1-X
  • Ute Schmidt: Die Deutschen aus Bessarabien. Köln, 2004, ISBN 3-412-05004-0

Siehe auch

Weblinks