Pastoralpsychologie

Die Pastoralpsychologie ist eine Teildisziplin der praktischen Theologie.

Thematik und Aufgabe

Die Pastoralpsychologie reflektiert, entwickelt und erforscht die Verbindung von Theologie und Psychologie. Sie erkundet den „Zwischenraum“ zwischen Theologie und Psychologie und zieht diejenigen, die in jenen Zwischenraum gefallen sind, wieder ans Tageslicht. Das ist unübersichtliches Gelände: „Eine Erkundung der Beziehung zwischen Theologie und Psychologie war weder für Theologen noch für Psychologen je von besonderem Interesse.[1]“ Hier sieht die Pastoralpsychologie ihre Aufgabe. Nicht allein die Religion als Gegenstand oder eine religiöse Haltung als Zugang charakterisiert den pastoralpsychologischen Ansatz, sondern eine erweiterte kritische hermeneutische Kompetenz[2]. Darunter ist die ausgewiesene Fähigkeit zu verstehen, allseitige Interpretationen zu Gott und der Welt uneingeschränkt und ohne Tabus befragen zu können[3]. Die Pastoralpsychologie ist international, interdisziplinär, transreligiös und kultursensibel ausgerichtet.

Je nach Kontext sind die Bezüge der Pastoralpsychologie verschieden gesetzt worden: Andere Bedeutungen für Pastoralpsychologie sind – Psychotherapie in der Kirche; Teilbereich der Seelsorge (Poimenik); (psychologische) Dimension der Praktischen Theologie; mitlaufende Aufgabe für die Theologie in all ihren Fachbereichen.

Verwandte Perspektiven: Religionspsychologie; Pastoralmedizin; Pastoralpsychiatrie; Pastoralanthropologie; Religionssoziologie; Religionspädagogik; Religionswissenschaften; Kulturanthropologie.

Geschichte

Der Aufbruch zu einer zeitgenössisch modernen, professionalisierten Seelsorge am Anfang des 20. Jahrhunderts, die sog. Seelsorgebewegung, entstand in der erlebten und gelebten Auseinandersetzung mit der Psychiatrie und der Psychoanalyse. Die Geschichte der Pastoralpsychologie selber geht jedoch dahinter zurück[4]. Als ein besonderer früher Vertreter ist auch Jonathan Edwards zu nennen[5].

Prägend für die Geschichte der Pastoralpsychologie ist ein dreiseitiges Verhältnis zwischen Religionspsychologie und Erweckungsbewegung[6]. Das begründet eine Verwandtschaft der modernen Seelsorge-Bewegung mit der Religionspsychologie einerseits und mit Spiritueller bzw. Geistlicher Begleitung andererseits. Der Niedergang der alten Religionspsychologie und das Auseinandertreten von Theologie und Psychologie in getrennte Disziplinen haben wesentlich zum Entstehen der jüngeren Pastoralpsychologie beigetragen[7]. Diese Geschichte prägt ihren dynamischen, entwicklungspsychologisch orientierten Ansatz:

„Der Prozess beratender Seelsorge, den ihre Akteure als eine theologische Wirklichkeit wahrnehmen, ist formal Erbe der Bekehrungserlebnisse aus der Religionspsychologie. Der Pastoralpsychologie ist es gelungen, deren Verständnis religiöser Erfahrung in die psychologischen und entwicklungsmäßigen Modalitäten dynamischer Psychotherapien zu überführen, weil sie auf der theologischen Vorentscheidung gründet, dass die Dimension des Glaubens alle religiöse Erfahrung überschreitet.[8]

Ausbildung/Qualifizierung

Kernbereiche der Pastoralpsychologie sind besonders die Praxisfelder Seelsorge, Beratung und Supervision. Ihre Standards sind mit denen anderer psychosozialer, therapeutischer Beratungsansätze vergleichbar. Qualifizierte Weiterbildungsabschlüsse werden gegenseitig anerkannt.

Pastoralpsychologie kann im universitären Bereich an theologischen Fachbereichen, in Hochschulen und an Instituten studiert werden. Pastoralpsychologische Qualifizierung wird in der Regel durch gezielte Weiterbildung erlangt.

Die Deutsche Gesellschaft für Pastoralpsychologie e.V. (DGfP), gegründet 1972, hat als ökumenischer Fachverband für Seelsorge, Beratung und Supervision fünf Fachsektionen. Diese sind in ihren Weiterbildungsstandards unterschiedlichen Referenztheorien und unterschiedlichen methodischen Schwerpunkten verpflichtet. Die DGfP vergibt die Titel „BeraterIn DGfP“, „SupervisorIn DGfP“ und „LehrsupervisorIn DGfP“.

Außerdem gibt es regionale Ausbildungsinstitute der Pastoralpsychologie, die mit den Landeskirchen/Bistümern der großen christlichen Kirchen kooperieren (oder von diesen getragen sind) und deren WeiterbildnerInnen DGfP-zertifiziert sind. Im deutschsprachigen Bereich sind die Kooperationen mit anderen Religionen erst in der Entwicklung.

Bekannte Lehrende (Auswahl)

Bei der Vermittlung zwischen den englischsprachigen und den deutschsprachigen Bereichen haben gerade niederländische Pastoralpsychologen, wie Wiebe Zijlstra und Heije Faber, in der Mitte des 20. Jahrhunderts lange eine wichtige Rolle gespielt.

Literatur

  • Paul Tillich, Der Einfluß der Pastoralpsychologie auf die Theologie, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 2 (1960), 128-137.
  • Dietrich Stollberg, Was ist Pastoralpsychologie?, in: Wege zum Menschen 20 (1968), 210-216 (in: Volker Läpple/Joachim Scharfenberg, Hg., Psychotherapie und Seelsorge [Wege der Forschung; Bd. 454], Darmstadt 1977, 350-359).
  • Klaus Winkler, Die Funktion der Pastoralpsychologie in der Theologie, in: Richard Riess (Hg.), Perspektiven der Pastoralpsychologie, Göttingen 1974, 105-121.
  • Heinrich Pompey, Zur Geschichte der Pastoralpsychologie, in: Isidor Baumgartner (Hg.), Handbuch der Pastoralpsychologie, Regensburg 1990, 23-40.
  • Joachim Scharfenberg, Pastoralpsychologische Kompetenz von Seelsorger/-innen, in: Isidor Baumgartner (Hg.), Handbuch der Pastoralpsychologie, Regensburg 1990, 135-152.
  • Isidor Baumgartner (Hrsg.): Handbuch der Pastoralpsychologie. Friedrich Pustet, Regensburg 1990, ISBN 3-7917-1267-5. (Grundlegende Beiträge von 3 Autorinnen und 27 Autoren)
  • Joachim Hänle/Martin Jochheim, Abschied von den Eltern? Warum es sich immer noch lohnt, PastoralpsychologIn zu sein, in: Wege zum Menschen 50 (1998), 54-70.
  • Christoph Morgenthaler, Von der Pastoralpsychologie zur empirischen Religionspsychologie?, in: Wege zum Menschen 54 (2002), 287-300.
  • Michael Klessmann, Pastoralpsychologie, Neukirchen-Vluyn, 2004, ISBN 3-7887-20506.
  • Standortbestimmung Seelsorge, Supervision, Pastoralpsychologie. Veröffentlicht im Gedenken an Joachim Scharfenberg (1927–1996) anlässlich seines 10. Todestages, Pastoralpsychologisches Institut (PPI), Hamburg 2006.
  • Michael Klessmann, Kränkung – Zorn – und die Pastoralpsychologie. Oder: Zur Standortbestimmung der Pastoralpsychologie in Deutschland, in: Pastoralpsychologie in Bewegung. Zum Stand der Pastoralpsychologie in Deutschland (DGfP-Info), Bad Waldsee 2009, 47-61.
  • Maria E. Aigner/Rainer Bucher/Ingrid Hable/Hans W. Ruckenbauer, Hg., Räume des Aufatmens. Pastoralpsychologie im Risiko der Anerkennung (FS Karl Heinz Ladenhauf) (Werkstatt Theologie. Praxisorientierte Studien und Diskurse; Bd. 17), Wien 2010.
  • Maria Elisabeth Aigner, Wut, Mut und Verletzlichkeit: Zur gegenwärtigen Lage der Pastoralpsychologie in Theologie und Kirche, in: Praktische Theologie 46 (2011), 219-224.
  • Christoph Morgenthaler/Isabelle Noth, Eine kulturell sensible Religionspsychologie und klinische Beratungspsychologie – Wunsch oder Wirklichkeit?, in: Isabelle Noth/Christoph Morgenthaler/Kathleen J. Greider (Hg.), Pastoralpsychologie und Religionspsychologie im Dialog. Pastoral Psychology and Psychology of Religion in Dialogue (Gottfried Bittner/Kristian Fechtner/Ottmar Fuchs/Albert Gerhards/Thomas Klie/Helga Kohler-Spiegel/Christoph Morgenthaler/Ulrike Wagner-Rau, Hg., Praktische Theologie heute; Bd. 115), Stuttgart 2011, 136-154.
  • Kerstin Lammer, Beratung mit religiöser Kompetenz. Beiträge zu pastoralpsychologischer Seelsorge und Supervision, Neukirchen-Vluyn 2012, 11-19 ("Der kleine Unterschied").
  • Heribert Wahl, Was ist und wozu brauchen wir heute die Pastoralpsychologie?, in: Klaus Kießling, (Hg), In der Schwebe des Lebendigen. Zum theologischen Ort der Pastoralpsychologie, Ostfildern 2012, 47-60.
  • Michael Klessmann, Deutsche Gesellschaft für Pastoralpsychologie: Die Jahre der Entstehung und Gründung (bis 1980). Eine Chronik, in: Transformationen, 12. Jahrgang, Januar 2012, Heft 17, S. 2–179.
  • Michael Klessmann, Von der Bewegung zum Verein. Zur Geschichte der Entstehung und Gründung der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie, Wege zum Menschen, 64. Jahrgang, 2012, Heft 2, S. 208–221.
  • Thomas Beelitz, Pastoralpsychologie – Was ist das bloß und wozu ist das gut?, in: Transformationen. Pastoralpsychologische Werkstattberichte 23 (2015), 4-45.
  • Wege zum Menschen. Zeitschrift für Seelsorge und Beratung, heilendes und soziales Handeln, Göttingen ab 1954 (6 Hefte jährlich), ISSN 0043-2040. Hrsg.: Christiane Burbach, Wilfried Engemann, Jörn Halbe, Klaus Kießling, Ursula Peukert, Richard Riess, Hermann Steinkamp, Anne M. Steinmeier (geschäftsführende Herausgeberin), Heribert Wahl. Redaktion: Christiane Burbach, Wilfried Engemann, Klaus Kießling, Heribert Wahl. Korrespondierend (USA): Christoffer H. Grundmann. Wege zum Menschen (WzM) ist Organ der Evangelischen Konferenz für Familien- und Lebensberatung e.V., der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie e.V. (DGfP) und der Konferenz für evangelische Krankenhausseelsorge, und versteht sich als Podium für das Gespräch zwischen Psychologie und Theologie, Medizin, Soziologie und Pädagogik.
  • Transformationen.Pastoralpsychologische Werkstattberichte (hrsg. im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie e.V. von Klaus Kießling, erscheint ab 2001 (Heft 1), Erscheint jährlich; (Reprint 1.2001 - 4.2004 = Heft 1–4 zugleich als 2. Aufl.)München (2001–2003), Frankfurt am Main, Nürnberg (2004–2005), Frankfurt am Main, Erlangen (2006–2007), ISSN 1618-2480, (Editorials und Inhaltsverzeichnisse online verfügbar: [1].

Einzelnachweise

  1. Peter Homans: Theology after Freud. An Interpretive Inquiry, Indianapolis/New York 1970, ix.
  2. vgl. Michael Klessmann/Kerstin Lammer (Hg.), Das Kreuz mit dem Beruf: Supervision in Kirche und Diakonie, Neukirchen-Vluyn 2007, 52; Thomas Beelitz, „Gib deinem Sinn ein Leben!“ Über hermeneutische Kompetenz als das Spezifische des pastoralpsychologischen Ansatzes - ein persönlicher Werkstattbericht, in: Transformationen. Pastoralpsychologische Werkstattberichte 15 (2011), 107-141.
  3. vgl. Joachim Scharfenberg, Sigmund Freud und seine Religionskritik als Herausforderung für den christlichen Glauben, Göttingen 19764, 155-180.
  4. Zur älteren Geschichte: Heinrich Pompey, Pastoralpsychologie – die Entwicklung der ältesten Teildisziplin der Angewandten Psychologie, in: Psychologie und Praxis 16/1972, 168-175; ders., Zur Geschichte der Pastoralpsychologie, in: Isidor Baumgartner (Hg.), Handbuch der Pastoralpsychologie, Regensburg 1990, 23-40.
  5. s. Jonathan Edwards, A Treatise Concerning the Religious Affections (1746), The Works of Jonathan Edwards (Harry S. Stout, Hg.); Bd. 2 (John E. Smith, Hg.) (1959), New Haven 2009; online http://edwards.yale.edu.
  6. vgl. Thomas, Beelitz, Pastoralpsychologie – Was ist das bloß und wozu ist das gut?, in: Transformationen. Pastoralpsychologische Werkstattberichte 23 (2015/2), 4-45, 32f.
  7. s. Peter Homans, Theology after Freud. An Interpretive Inquiry, Indianapolis/New York 1970, 107.
  8. Peter Homans, Toward a Psychology of Religion By Way of Freud and Tillich, in: Ders. (Hg.), The Dialogue Between Theology and Psychology (Jerald C. Brauer, Hg., Essays in Divinity; Bd. 3), Chicago/London 1968, 53-81, 61f.

Weblinks