Neubaustrecke Bielefeld–Hannover

Die Neubaustrecke Bielefeld–Hannover ist eine geplante Eisenbahn-Schnellfahrstrecke zwischen der ostwestfälischen Stadt Bielefeld und der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Sie steht im Zusammenhang mit der Umsetzung des Deutschlandtaktes und soll die dort vorgesehenen Kantenfahrzeiten im Schienenpersonenfernverkehr ermöglichen sowie die bestehenden Bahnstrecken Hannover–Minden und Hamm–Minden entlasten.

Das Vorhaben ist Teil des im Deutschlandtakt verankerten Ausbauvorhabens zwischen Hamm und Hannover, deren Kernstück eine zwischen Bielefeld und Seelze geplante Aus- und Neubaustrecke ist.[1]

Planung

Der erste Gutachterentwurf zum Deutschlandtakt vom Oktober 2018 sieht im Fernverkehr zwischen den Hauptbahnhöfen Bielefeld und Hannover eine Fahrzeit-Verringerung von 48 auf 31 Minuten vor. Beide liegen 91 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt.

Am 18. März 2019 kündigte der damalige Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Enak Ferlemann, an, dass der Bund der Deutschen Bahn finanzielle Mittel in Höhe von zunächst rund 1,9 Milliarden Euro für eine Neubaustrecke zwischen Bielefeld und Hannover (Seelze) zur Verfügung stellen werde.[2] Zuvor war im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans 2030 ein Aus- oder Neubau mit einer Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h geplant.[3] Im Juni 2019 war geplant, noch im gleichen Jahr eine Leistungsvereinbarung über Grundlagenermittlung und Vorplanung für eine 300-km/h-Variante abzuschließen.[4]

Das Projekt war ein Gegenstand des Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes, das am 1. April 2020 in Kraft getreten war (BGBl. I S. 640).[5] Durch dieses Gesetz wäre es möglich gewesen, das Projekt durch Bundesgesetz statt durch einen behördlichen Planfeststellungsbeschluss zu genehmigen. Die niedersächsische Landesregierung, deren Zustimmung für das Vorhaben damit nicht erforderlich ist, sprach sich Anfang 2020 gegen einen Neubau und für einen Ausbau der bestehenden Strecke aus.[6] Am 29. Dezember 2023 trat das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich (BGBl. 2023 I Nr. 409) in Kraft, das unter anderem das Bundesschienenwegeausbaugesetz änderte und feststellte, dass der Bau der Neubaustrecke Bielefeld–Hannover im im überragenden öffentlichen Interesse liegt. Zudem hob es das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz auf.

Im November 2020 erhielt die Deutsche Bahn vom damaligen Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur als Vorhabenträger offiziell den Auftrag, die Strecke zu planen.[7] Dazu ist eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz vorgesehen.

Am 14. Januar 2021 fand der erste von mehreren Bürgerdialogen per Video-Live-Streaming statt.[8][9]

Der „Ausbau/Neubau der Bahnstrecken Hamm-Hannover-Berlin“ ist eines von 13 Infrastrukturprojekten des Deutschlandtakts die laut dem im November 2021 vorgelegten Koalitionsvertrag der rot-grün-gelben Bundesregierung „beschleunigt auf den Weg“ gebracht und „mit hoher politischer Priorität“ umgesetzt werden sollen.[10] Der Koalitionsausschuss einigte sich am 28. März 2023 auf ein Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung, demzufolge die Genehmigung von Eisenbahn-Bauvorhaben des Kernnetzes der Transeuropäischen Netze künftig innerhalb von vier Jahren erfolgen solle.[11]

Verlauf

Suchraum und Grobkorridore des Bahnprojekts Bielefeld–Hannover

Der Verlauf wird von der Deutschen Bahn geplant, indem sie (wie z. B. schon bei der Neubaustrecke Gelnhausen-Fulda) innerhalb eines vorgegebenen Suchraums Grobkorridore für eine mögliche Trassierung sucht und schrittweise zu konkret bewertbaren Trassierungsvarianten verfeinert. Dabei wird auch ein Ausbau oder eine teilweise Mitnutzung der Bestandsstrecke einkalkuliert.[12]

Ob die Neubaustrecke zwischen dem Hauptbahnhof Bielefeld und dem Bahnhof Herford aus der Bestandstrecke ausfädeln wird, ist zurzeit nicht offiziell bestätigt. In Betracht kommt auch eine Ausfädelung an der Weserbrücke in Bad Oeynhausen, um Züge zwischen Amsterdam und Berlin zu beschleunigen. Die Neubaustrecke soll im Bereich des Seelzer Rangierbahnhofes wieder in die Bestandstrecke einmünden.[13] Die Bundesregierung prüft unter anderem einen Verlauf entlang der Bundesautobahn 2; ein Ergebnis dieser Prüfung wurde noch nicht veröffentlicht. Eine strenge Parallelität wird wegen des Reliefs und der aufgrund der Höchstgeschwindigkeit notwendigen weiten Kurvenradien nicht möglich sein. Ein Eisenbahntunnel durch das Wesergebirge im Raum Rinteln wäre notwendig. Am 25. November 2020 wurden fünf Streckenvarianten veröffentlicht[14]; diese dienen der Kostenschätzung und der Darstellung der grundsätzlichen Machbarkeit, sind jedoch keine Vorfestlegungen.[15] Die Strecke soll mit Digitalen Stellwerken und ETCS Level 2 (ohne Klasse-B-Systeme als Rückfallebene) ausgerüstet werden.[16]

Wirkungen

Durch die Strecke und weitere Maßnahmen soll die Reisezeit von Berlin nach Düsseldorf von heute vier Stunden und 14 Minuten auf drei Stunden und 34 Minuten, von Berlin nach Bonn um 39 Minuten auf vier Stunden gesenkt werden. Von der Zeitersparnis sollen 17 Minuten auf die Strecke zwischen Bielefeld und Hannover Hauptbahnhof entfallen (Verkürzung von 48 auf 31 Minuten).[7] Die übrigen Zeitvorteile sollen durch eine Erhöhung der Höchstgeschwindigkeit zwischen Hamm und Bielefeld und zwischen Wolfsburg und Berlin auf 300 km/h erzielt werden.

Zusammen mit der Aus- und Neubaustrecke Hamm–Bielefeld ermöglicht die Neubaustrecke Bielefeld–Hannover, den Knoten Hamm zur vollen und halben Stunde zu bedienen. In Hannover Hauptbahnhof werden alle 15 Minuten wichtige Anschlussbeziehungen ermöglicht. Beide Knoten sollen mit einer Kantenzeit von 54 Minuten verbunden werden.[16]

Kosten

Die Gesamtkosten lagen nach den ersten Planungen zum Preisstand 2015 bei 7,2 Milliarden Euro. 5,1 Milliarden Euro entfallen davon auf die Aus- und Neubaustrecke.[1][17]

Laut einer Nachfrage des Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler gibt das das Bundesministerium für Digitales und Verkehr 2022 den Gesamtmittelbedarf nun mit 8,4 Milliarden Euro an.[18]

Diskurs

Bürgerinitiativen

Buergerinitiative Widuland

Bürgerinitiativen aus dem betroffenen Gebiet sprechen sich gegen eine Neubaustrecke aus und schlagen stattdessen einen Ausbau der Bestandsstrecken vor.[19] Bereits von 2002 bis 2004 bestand in Bückeburg die Bürgerinitiative BIGTAB (Bürgerinitiative gegen den trassenfernen Ausbau der Bahn in Bückeburg/Minden/Porta Westfalica), als ähnliche Pläne der Bahn diskutiert wurden. Als 2016 der Bundesverkehrswegeplan veröffentlicht wurde, gründete sich die BIGTAB neu und tritt seitdem für einen Ausbau der Bestandsstrecken ohne Neubaustrecken ein.[20] Ebenfalls seit 2016 engagieren sich die Bürgerinitiativen „Mit Masse gegen die Trasse“ im Raum Bad Nenndorf, die Bürgerinitiative Groß Munzel/Holtensen, die Bürgerinitiative „Zukunft-Leben-Dedensen“ und die Bürgerinitiative Seelze mit ähnlichen Zielen. Vernetzt sind sie unter dem gemeinsamen Dach der IG Cosinus.[21] Nach der Bekanntgabe der Absicht der Bundesregierung, eine ICE-Schnellfahrstrecke entlang der Bundesautobahn 2 zu bauen,[22] gründete sich im Juni 2019 in Rehren die Bürgerinitiative Auetal[23] und gleichzeitig eine Gruppe von Aktiven, die sich als „Auetal in Not“[24] mittlerweile einen Namen gemacht haben. Von „Auetal in Not“ stammt auch eine Petition[25] gegen die Neubaustrecke, die mittlerweile nach einer Wartezeit von fast zwei Jahren bei den Abgeordneten des Deutschen Bundestages angekommen ist. Im November 2020 folgte die Initiative „Pro-Ausbau“[26] und in Vlotho die Bürgerinitiative „Widuland“. Letzter gehören unter anderem der Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Stefan Schwartze, der Abgeordnete des Landtages Nordrhein-Westfalen, Christian Dahm, sowie Rocco Wilken, Bürgermeister von Vlotho, und Mario Hecker, Bürgermeister von Kalletal, an.[27]

Umweltverbände

Laut der Umweltverbände BUND und Naturschutzbund Deutschland Herford gefährden die möglichen Varianten Flora und Fauna, weil sie Natur- und Wasserschutzgebiete, wie Gebiete nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie durchquerten.[28]

Befürworter

Die Neubaustrecke wird von der Bundesregierung, dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr sowie der Deutschen Bahn befürwortet.

Zugunsten einer Neubaustrecke hat sich auch Pro Bahn ausgesprochen, da der Deutschlandtakt dafür sorge, dass alle Regionen und auch der Güterverkehr von den Vorteilen des Neubauprojektes profitieren würden. Denn der integrale Taktfahrplan sorge für koordinierte Anschlüsse und Reisezeiten auch bei Umsteigeverbindungen.[29][30][31]

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) Niedersachsen spricht sich für ein sorgfältiges Abwägen von Aus- und Neubau der Strecke aus. Dabei sei auch zu beachten, dass möglicherweise bei einer Neubaustrecke mit hohem Tunnelanteil weniger Menschen betroffen sein könnten als bei einem Ausbau der bestehenden Strecke durch die Städte.[32]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Marten Maier: Infrastrukturliste Bewertung: Maßnahmen des Planfalls „Deutschlandtakt“, laufende Nummer 44 des Unterabschnitts 2, Vorhaben des Potentiellen Bedarfs des Bedarfsplans der Bundesschienenwege. (PDF) In: bmvi.de. SMA und Partner, 17. August 2021, S. 5 f., abgerufen am 19. August 2021 („2-00“, „Entwurf“).
  2. Für Tempo 300 – Neue ICE-Trasse zwischen Hannover und Bielefeld geplant. In: spiegel.de. 18. März 2019, abgerufen am 7. Oktober 2019.
  3. Projektinformationssystem (PRINS) zum Bundesverkehrswegeplan 2030: ABS/NBS Hannover - Bielefeld. In: bvwp-projekte.de. Abgerufen am 7. Oktober 2019.
  4. Deutscher Bundestag (Hrsg.): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Matthias Gastel, Stefan Gelbhaar, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/10271 –. Ergebnisse der „Fulda-Runde“ 2019. Band 19, Nr. 10571, 3. Juni 2019, ISSN 0722-8333, S. 2. BT-Drs. 19/10571
  5. Wichtige umweltfreundliche Verkehrsprojekte werden beschleunigt. In: bmvi.de. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 31. Januar 2020, abgerufen am 5. Februar 2020 (Das Datum der Mitteilung geht aus der übergeordneten Seite hervor).
  6. Gesetz beschleunigt Bahnausbau Hannover-Bielefeld. In: Die Welt. 31. Januar 2020, abgerufen am 1. Februar 2020.
  7. a b Von Bonn nach Berlin in nur vier Stunden: Deutsche Bahn plant Ausbau der Verbindung Hannover–Bielefeld. In: deutschebahn.com. Deutsche Bahn, 25. November 2020, abgerufen am 29. November 2020.
  8. Mindener Tageblatt: Bahn beginnt mit dem Bürgerdialog zur Möglichen ICE Neubaustrecke, Ausgabe vom 12. Januar 2021, abgerufen am 12. Januar 2021
  9. https://www.hannover-bielefeld.de/auftakt, Projektwebseite mit online-Dokumentation, abgerufen am 21. Januar 2021
  10. Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. (PDF) Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP). SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, 7. Dezember 2021, S. 13, abgerufen am 30. Dezember 2021.
  11. Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung. (PDF) In: spd.de. 28. März 2023, abgerufen am 20. November 2023.
  12. https://www.hannover-bielefeld.de/suchraum, Dokumentation Suchraum auf der Projektwebsite, abgerufen am 13. März 2021
  13. Antworten zum Vorschlag: Mehr als eine halbe Stunde schneller von Rhein und Ruhr nach Berlin. In: neubaustrecke-bielefeld-hannover.de. Initiative Deutschland-Takt, abgerufen am 7. Oktober 2019.
  14. Variantenvergleich ABS/NBS Hannover – Bielefeld. (PDF) Schüßler Plan, 25. November 2020, abgerufen am 29. November 2020.
  15. https://www.hannover-bielefeld.de/suchraum, Dokumentation Suchraum auf der Projektwebsite, abgerufen am 13. März 2021
  16. a b Simone Clausing: Maßnahmen-/Projektbeschreibung und Vorbemerkungen. (PDF) In: bieterportal.noncd.db.de. Deutsche Bahn, 18. Juni 2021, S. 1, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 19. Juli 2021; abgerufen am 19. Juli 2021 (Datei 21FEI52340 Anl 1.0 Projektbeschreibung.pdf in verschachtelter ZIP-Datei).
  17. Deutschlandtakt: Bewertung Infrastrukturmaßnahmen für den 3. Gutachterentwurf. (PDF) In: downloads.ctfassets.net. Intraplan Consult, TTS TRIMODE Transport Solutions, 17. August 2021, S. 2, abgerufen am 18. August 2021 („Entwurf, Stand: 17.08.2021“).
  18. Mindener Tageblatt: ICE Strecke zwischen Bielefeld und Hannover wird wohl teuerer, Ausgabe vom 6. September 2022, abgerufen am 23. September 2022
  19. Bürgerinitiative Bigtab macht Front gegen ICE-Neubaustrecke, mt.de, abgerufen am 1. November 2020
  20. Homepage BIGTAB, abgerufen am 16. Dezember 2020
  21. Homepage Pro-Ausbau, abgerufen am 12. Februar 2021
  22. Strecke Hannover-Bielefeld: ICE-Trasse für Tempo 300 geplant. Die Welt, 18. März 2019, abgerufen am 16. Dezember 2020.
  23. BI gegen Bahntrasse hat 86 Gründungsmitglieder. Schaumburg-Lippische Landes-Zeitung, 14. Juni 2019, abgerufen am 16. Dezember 2020.
  24. Auetal in Not. Abgerufen am 31. März 2023.
  25. Petiton gegen die Neubaustrecke Bielefeld-Hannover. Abgerufen am 31. März 2023.
  26. Pro-Ausbau
  27. Westfalenblatt: Bürgerinitiative Widuland in Vlotho gegründet, abgerufen am 6. November 2020.
  28. Die Naturschutzverbände BUND und NABU im Kreis Herford lehnen ICE-Neubautrasse ab, Westfalen-Blatt, 14. Januar 2021
  29. Die Vorzüge des schnellen Zuges, Neue Westfälische, abgerufen am 13. März 2021
  30. Neubaustrecke Bielefeld – Hannover und Schnellfahrstrecke Bielefeld – Hamm. Pro Bahn, abgerufen am 13. März 2021.
  31. Pressemeldung: Hannover-Bielefeld: PRO BAHN setzt Prüfung von alternativen Varianten zur Neubaustrecke durch. In: Pro Bahn. 4. Dezember 2020, abgerufen am 29. Dezember 2021.
  32. Pressemitteilung des VCD Niedersachsen, abgerufen am 13. März 2021