Hanna Nagel

Hanna Nagel (als Johanna Nagel; * 10. Juni 1907 in Heidelberg; † 15. März 1975 ebenda) war eine deutsche Künstlerin, die von 1927 bis 1933 ein patriarchatskritisches Frühwerk schuf. In ihren frühen Bildern setzte sie sich intensiv gegen Diskriminierung und menschenverachtende Bedingungen ein.[1][2] Sie befasste sich nicht nur mit Misogynie, Antisemitismus und Rassismus, sondern auch mit der Diskriminierung von Armen und Kranken. Dabei thematisierte sie kulturkritische, juristische, psychologische, pädagogische sowie sexualwissenschaftliche Fragen, den Paragraphen 218, Homophobie und die Rechte von Kindern.[3] Dementsprechend sprach sie sich für Vielfalt und Toleranz aus und kritisierte autoritäre Strukturen sowie unüberlegte Anpassung. Hanna Nagel gilt als Vertreterin des Verismus mit surrealistischen Einflüssen.[1] In ihrem Spätwerk weicht sie stark von den frühen Motiven ab.[1] Ihr Gesamtwerk umfasst vor allem Grafik und Buchillustrationen sowie einige Ölgemälde.

Leben und Arbeiten

Hanna Nagel wuchs als älteste Tochter des Großkaufmanns Johannes Nagel und seiner Frau Bertha geb. Nuß, mit einer Schwester, Margarete und einem adoptierten Bruder, Heinz, in Heidelberg auf, wo sie eine Mädchenschule besuchte. Bereits als Kind zeichnete die Linkshänderin und begann 1924 eine Lehre als Buchbinderin. Von 1925 bis 1929 studierte sie an der Badischen Landeskunstschule Karlsruhe bei Karl Hubbuch, Wilhelm Schnarrenberger und Hermann Gehri, zuletzt als Meisterschülerin in der Radierklasse bei Walter Conz. Dort kritisierte sie den Umgang mit Studentinnen, insbesondere mit Hilde Isay, einer Jüdin, die mit Karl Hubbuch eine Liebesbeziehung eingegangen war.[1] In zahlreichen Porträts und Aktzeichnungen setzt sie sich kritisch mit Machtmissbrauch und Diskriminierung auseinander und beschreibt die daraus resultierenden Folgen.[1]

Im Herbst 1929 zog sie, wie ihr späterer Mann, nach Berlin und setzte ihr Studium an den Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst fort. Auch dort setzte sie sich kritisch mit der weiblichen und männlichen Rollenverteilung auseinander.[1] Sie gehörte den Klassen von Emil Orlik und Hans Meid an. Emil Orlik sah in ihr eine „neue Kollwitz“. Diese vermachte ihr 1933, nach ihrer Entlassung, einen großen Schubladentisch aus ihrem Atelier.

1931 heiratete sie den Maler Hans Fischer und schloss kurz darauf, Anfang 1932, das Studium ab. 1933–36 folgten Aufenthalte in der Villa Massimo in Rom, nachdem Hanna Nagel und später ihr Mann den Rompreis erhalten hatten. Sie betätigte sich vor allem als Zeichnerin und Grafikerin.

Hanna Nagel war in der Zeit des Nationalsozialismus Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste und konnte an vielen Ausstellungen teilnehmen. 1936 erschien das erste der über 100 von ihr illustrierten Bücher, darunter auch Kinderbücher. U.a. illustrierte sie Anton Tschechows Die Möwe, Maxim Gorkis Nachtasyl und Werke von Daphne du Maurier. Zu Hanna Nagels Grafikzyklen zählen „Phantasien zu 24 Chopin-Préludes“, „Die Träumende“ und „Angst“.

Die heutige Malerin und Lyrikerin Irene Fischer-Nagel kam 1938 in Heidelberg als einziges Kind zur Welt. Der Vater wurde 1940 zum Kriegsdienst eingezogen und verließ die Familie 1947. Die letzten 30 Jahre verbrachte sie dauernd unter Schmerzen leidend in Heidelberg. 1963 musste sie nach einer Armoperation auf die rechte Hand umstellen.

Ihr umfangreiches Werk ist zum Teil noch nicht publiziert, ihr künstlerischer Nachlass größtenteils in Privatbesitz. Einen schriftlichen Teilnachlass verwahrt das Germanische Nationalmuseum Nürnberg.

Der nach ihr benannte Hanna-Nagel-Preis wird alljährlich von einer prominenten Frauen-Jury (u. a. Jutta Limbach) in Karlsruhe verliehen.

Auszeichnungen

Werke (Auswahl)

  • Madonna (Feder-Zeichnung; ausgestellt 1937 auf der Großen Deutschen Kunstausstellung)[9]
  • Liebespaar (Feder-Zeichnung; ausgestellt 1937 auf der Großen Deutschen Kunstausstellung)[9]

Ausstellungen

Literatur

  • Caroline Hess: Hanna Nagels politisches Frühwerk. Bilder alltäglicher Diskriminierung. In: Universitätsdissertation. Norderstedt 2019, ISBN 978-3-7494-4813-5 (Dissertation an der Universität der Künste Berlin).
  • Renate Berger: „Es bleibt nur dies: die eine Hand, dies eine Herz.“ Zu Hanna Nagels frühen Zeichnungen (1929–1931). In: Renate Berger: Liebe Macht Kunst, Berlin/Weimar/Wien 2000. S. 327–356.
  • Irene Fischer-Nagel (Hrsg.): Hanna Nagel. Ich zeichne, weil es mein Leben ist. Mit einer Einführung von Klaus Mugdan. Braun, Karlsruhe 1977, ISBN 3-7650-9012-3.
  • Gerd Presler: Hanna Nagel, in: Weltkunst 1981, 7/987
  • Irene Fischer-Nagel: Hanna Nagel. In: Luise F. Pusch, Susanne Gretter (Hrsg.): Berühmte Frauen. Ein Spiel. 2 × 33 Porträts mit Begleitbuch, Insel, Frankfurt am Main und Leipzig 1999, ISBN 3-458-34293-1, S. 224 (online mit Bildbeispielen, Zitaten und Literaturliste).
  • Sylvia Bieber, Ursula Merkel (Hrsg.): Hanna Nagel. Frühe Werke 1926–1933. Städtische Galerie Karlsruhe, Karlsruhe 2007, ISBN 978-3-923344-67-3 (Ausstellung 12. Mai 2007 bis 5. August 2007, Städtische Galerie Karlsruhe; 16. August bis 14. Oktober 2007, Das Verborgene Museum Berlin).
  • Cornelia Nowak: Hanna Nagel. In: Ernst Herrbach (Hrsg.): Der Erfurter Kunstverein: zwischen Avantgarde und Anpassung. Eine Dokumentation von 1886 bis 1945. Angermuseum, Erfurt 2009, ISBN 978-3-930013-14-2, S. 142–143.
  • Inge Herold, Johan Holten (Hrsg.): Hanna Nagel. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2022, ISBN 978-3-422-98949-8.
  • Ursula Merkel: Hanna Nagel „Mein Zeichnen ist meine Leidenschaft ... deshalb lebe ich“. In: Stefanie Patruno (Hrsg.): So viel Anfang! KünstlerInnen der Moderne und ihr Werk nach 1945. Wienand, Köln 2023, ISBN 978-3-86832-761-8, S. 169–188.

Weblinks

Portal: Heidelberg – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Heidelberg

Einzelnachweise

  1. a b c d e f Caroline Hess: Hanna Nagels politisches Frühwerk. Bilder alltäglicher Diskriminierung. 2019.
  2. Renate Berger: "Es bleibt nur dies: die eine Hand, dies eine Herz." Zu Hanna Nagels frühen Zeichnungen (1929–1931). In: Renate Berger (Hrsg.): Liebe Macht Kunst. Böhlau, Köln, Weimar, Wien 2000.
  3. Caroline Hess: Hanna Nagels politisches Frühwerk. Bilder alltäglicher Diskriminierung. In: Universitätsdissertation. Norderstedt 2019, ISBN 978-3-7494-4813-5, S. 685.
  4. Wilhelm Rüdiger (Hrsg.): Junge Kunst im Deutschen Reich. i. A. des Reichsstatthalters & Reichsleiters Baldur von Schirach. Ausstellung Februar – März 1943 im Künstlerhaus Wien. Ehrlich & Schmidt, Wien 1943, Kurzbiografie S. 57–58
  5. Straßen im Hospital-Quartier in HD-Rohrbach, abgerufen am 9. November 2023
  6. Frau mit zwei Kindern | Hanna Nagel | Bildindex der Kunst & Architektur - Bildindex der Kunst & Architektur - Startseite Bildindex. Abgerufen am 25. Juni 2021.
  7. https://www.bildindex.de/document/obj08078811/bh_gern_148662_post/?part=0
  8. a b c Bildindex der Kunst & Architektur
  9. a b http://www.gdk-research.de/