Atommülllager Gorleben

Blick auf das Brennelemente-Zwischenlager Gorleben für hochradioaktiven Abfall
Transport hochradioaktiven Abfalls von La Hague nach Gorleben, 2008
Teile der Gebäude des Erkundungsbergwerks am Salzstock Gorleben-Rambow

Das Atommülllager Gorleben ist ein Zwischenlager für hochradioaktiven Abfall auf dem Gebiet der Gemeinde Gorleben im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg in Deutschland. Es wird auch als Brennelemente-Zwischenlager Gorleben bezeichnet und ist seit 1995 in Betrieb.

Ganz in der Nähe befindet sich das Erkundungsbergwerk Gorleben im Salzstock Gorleben-Rambow, um diesen auf seine Eignung als mögliches nationales Endlager zu prüfen. Am 28. September 2020 wurde der Salzstock Gorleben jedoch im Rahmen der bundesweiten, ergebnisoffenen Endlagersuche als geologisch nicht geeignet ausgewiesen und aus dem weiteren Verfahren ausgeschlossen.[1] Am 17. September 2021 wurde bekannt, dass das Endlager stillgelegt und mit dem Haldenaushub verfüllt wird.[2]

Übersicht

Zurzeit gibt es etwa zwei Kilometer südlich des Dorfes Gorleben vier Anlagen zur Erkundung, Zwischenlagerung und Handhabung von radioaktivem Abfall:

Das Brennelemente-Zwischenlager, das Abfall-Zwischenlager und die Pilot-Konditionierungsanlage werden betrieben von der Brennelementlager Gorleben GmbH, einer Tochtergesellschaft der bundeseigenen BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung mbH. Der Betreiber des Erkundungsbergwerks ist die ebenfalls bundeseigene DBE mbH.

Geplant waren in der Region zeitweise noch weitere Projekte der Kernenergiewirtschaft:

Die Planungen wurden verworfen, unter anderem weil sie politisch nicht durchsetzbar waren.

Endlagerprojekt Gorleben

Ein Salzstock im Untergrund bei Gorleben wurde mit der Frage nach der Eignung als Endlager für alle Arten von radioaktiven Abfällen untersucht. Die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE mbH) betrieb hier ein sogenanntes Erkundungsbergwerk, das in Zukunft als mögliches Endlager für hochradioaktiven Atommüll dienen sollte. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hatte den Auftrag, geologische Untersuchungen zur Eignung des Salzstocks als Endlager durchzuführen, diese wurden von 1977 bis 2000 sowie von 2010 bis 2020 von der BGR durchgeführt.[4] Trotz intensiver Forschung war die Eignung bis zur endgültigen Schließung stark umstritten.

Die Standortentscheidung war im Jahr 1977 unter der SPD-Bundesregierung von Bundeskanzler Helmut Schmidt und der CDU-Landesregierung von Ministerpräsident Ernst Albrecht gefallen. Zuvor waren 140 Salzstöcke mit unterschiedlichen Kriterien unter Berücksichtigung geologischer Verhältnisse, Größe und Bevölkerungsdichte betrachtet worden.[5] Der Salzstock bei Gorleben wurde ausgewählt, ohne dass geologische Begründungen für die Errichtung eines Endlagers an diesem Standort benannt worden wären, was unter Geologen kritisch zum Ausdruck gebracht wurde. Maßgeblich bei der Standortauswahl war stattdessen die geopolitische Randlage des dünn besiedelten Wendlandes im damaligen Zonenrandgebiet an der innerdeutschen Grenze.[6] Dieser sachfremde Hintergrund bei der Entscheidung für den Salzstock Gorleben wurde von einigen Verantwortlichen bis zuletzt abgestritten.

Protest

Gedenkstein in Hannover, aufgestellt beim Gorleben-Treck 1979 der „100.000“ in die Landeshauptstadt

Gegen die Planung eines atomaren Entsorgungszentrums in Gorleben wurde nicht nur im Wendland zunehmender Protest laut. Bei der niedersächsischen Landtagswahl am 4. Juni 1978 kandidierte die Grüne Liste Umweltschutz (GLU), Vorläufer der Grünen-Partei in Niedersachsen, erstmals und erzielte aus dem Stand 3,9 Prozent. Am 31. März 1979 kam es im Zusammenhang mit dem Gorleben-Symposion der niedersächsischen Landesregierung, das als internationales Experten-Hearing vom 28. März bis 3. April unter Leitung von Carl Friedrich von Weizsäcker auf der Hannover-Messe stattfand, mit einem Gorleben-Treck zu einer der größten Demonstrationen der Anti-Atomkraft-Bewegung in der Hannoverschen Innenstadt.

Als Konsequenz aus dem Experten-Hearing und den wachsenden politischen Bedenken und Protesten gegen das Gorleben-Projekt erklärte Ministerpräsident Ernst Albrecht in einer Regierungserklärung am 16. Mai 1979 vor dem niedersächsischen Landtag, dass ein von der Deutschen Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) am Standort Gorleben beantragtes atomares Entsorgungszentrum mit einer Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) zu diesem Zeitpunkt politisch nicht durchsetzbar sei.[7]

Die SPD-Opposition im niedersächsischen Landtag sprach sich mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Karl Ravens aus Sicherheitsgründen und wegen sicherheitstechnischer Bedenken gegen das atomare Entsorgungszentrum aus und forderte eine nochmalige Überprüfung des Standortes Gorleben und dessen Eignung für ein integriertes nukleares Entsorgungszentrum. Die weiteren Planungen für Gorleben wurden daraufhin zu weiteren Verhandlungen mit der Bundesregierung und der Beratung im Nuklearrat zurückgestellt.

Probebohrungen für das atomare Endlager wurden erneut von Protesten begleitet. So wurde 1980 unter anderem am Bohrloch 1004 ein Hüttendorf, genannt „Republik Freies Wendland“, errichtet. Zeitweise besetzten bis zu 5000 Atomkraftgegner die Umgebung der Bohrlöcher. Das Hüttendorf wurde im Juli 1980 durch die Polizei geräumt. Der damalige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten in der SPD (Jusos) und spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte sich mit den Besetzern solidarisch. Es folgten weitere Proteste (so u. a. die Besetzung eines „Zipfels“ DDR-Gebiet der nahen innerdeutschen Grenze, eine Großkundgebung mit 10.000 Menschen noch im Jahr 1982 sowie Platzbesetzungen und ab 1990 auch gemeinsame Aktionen mit Umweltschützern aus der DDR), getragen vor allem von den lokalen Widerstandsgruppen wie der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg oder der Bäuerlichen Notgemeinschaft. Seit 1989 findet jeden Sonntag das Gorlebener Gebet statt.

Kreuzweg von Wackersdorf nach Gorleben 1988

Ein kleines Gedenkkreuz aus Metall am bayerischen Franziskus-Marterl erinnert bis heute an den solidarischen „Kreuzweg für die Schöpfung“ von der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf nach Gorleben 1988.

Geologische Einschätzung

Der Salzstock besteht aus Steinsalz-Kristallen, die wasserlöslich sind

Unabhängig vom Standort stellt schon die grundsätzliche Festlegung auf Steinsalz als Wirtsgestein für ein Endlager einen Bewertungsschritt dar, der mögliche Alternativen wie Ton- oder Granitformationen, die in anderen Staaten für diesen Zweck favorisiert werden, von vornherein ausklammert. Vorteilhaft am Steinsalz sind unter anderem die hohe geologische Stabilität von mehreren Hundert Millionen Jahren, die Kriechfähigkeit und die gute Wärmeleitfähigkeit. Nachteilig am Steinsalz ist, dass es sich bei Wasserkontakt auflöst.[5]

Konkrete geologische Aufschlussbohrungen, die zum Zweck der Erkundung zwischen 1979 und 1999 durchgeführt wurden, ergaben dann bereits zu Beginn der 1980er-Jahre, dass der Gorleben-Rambower Salzstock unter anderem wegen eines instabilen Deckgebirges und Grundwasserkontakts ungeeignet ist. So liegt die „Gorlebener Rinne“, eine bis zu 320 Meter tiefe eiszeitliche Schmelzwasserrinne aus sandig-kiesigem, grundwasserführendem Material, genau über dem tektonisch nach oben aufgewölbten Hut des Salzstocks. Etwa 300 m oberhalb des Salzstocks fließt die Elbe.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) fordert als Mindestvoraussetzung ein allseitiges Mehrbarrierensystem für eine mögliche Eignung des Salzstocks als Endlager. Das ursprünglich vermutete wasserdichte Deckgebirge aus mehreren hundert Meter mächtigen oligozänen Tonschichten fehlt aber in diesem Bereich. Die Wasserabdichtung nach oben existiert nicht mehr, weil sie durch eiszeitliche Abtragungen und Auffüllungen zerstört wurde. Die zunächst vermuteten Abdichtungen nach unten fehlen ebenfalls, weil hier die wasserdichten Schichten durch den vertikal aufsteigenden Salzstock-Diapir zerstört wurden.

Es wurde festgestellt, dass salzführendes Grundwasser sich sowohl seitlich als auch vertikal vom Randgebiet des Salzstocks in Richtung Oberfläche bewegt[8], so dass bei Kontakt mit hochradioaktivem Material eine Kontamination der Biosphäre möglich wäre. Bei Grundwasserkontakt mit dem Steinsalz muss mit Subrosion, also der Bildung von Hohlräumen durch Salzablaugung, gerechnet werden. In der Folge kann es zum Einsturz des Deckgebirges bis hin zur Bildung von Dolinen an der Erdoberfläche kommen. Für solche Vorgänge gibt es zahlreiche Beispiele bei Salzstöcken in ganz Norddeutschland. Dazu zählt auch eine zehn Kilometer lange, tiefe Einbruchrinne über dem nordöstlichen Teil der Gorleben-Rambower Salzstruktur selbst; dort haben sich beispielsweise der 175 Hektar große Rudower See sowie der inzwischen überwiegend vermoorte Rambower See (siehe Rambower Moor) gebildet.[9]

Die BGR, die die geologischen Untersuchungen im Auftrag der BfS durchführt, hat diese Ergebnisse veröffentlicht und zusammengefasst. Obwohl ihre untertagigen Untersuchungen im Jahr 2015 noch nicht abgeschlossen waren,[10] beschreibt der Bericht den Kernbereich des Salzstocks als für die Endlagerung gut geeignet und größer als aus den übertagigen Untersuchungen erwartet.[5] Die weitere Erkundung des Standortes als mögliches Endlager war zwischen dem 1. Oktober 2000 und dem 1. Oktober 2010 ausgesetzt.[11] Diese als Moratorium bezeichnete Unterbrechung sollte der „Klärung konzeptioneller und sicherheitstechnischer Fragen zur Endlagerung“ dienen. Befürworter des Standortes Gorleben verlangten zwischenzeitlich eine Aufhebung des Moratoriums, um den Salzstock „weiter zu erkunden“. Gegner fordern dagegen einen Variantenvergleich mit mehreren Alternativstandorten in anderen Wirtsgesteinen, wie dies für andere große Planungsvorhaben vorgeschrieben ist. Überdies halten sie die geologischen Erkenntnisse längst für aussagekräftig genug, um Gorleben für ein Atommüll-Endlager auszuschließen.

Aktuelle Probleme in anderen bereits als Lager für schwach- und mittelradioaktiven Abfall genutzten Salzstöcken wie Asse II und Morsleben – darunter Deckenabstürze, Ablaugungen und Grundwassereinbrüche – werden von Kritikern als Indiz dafür gewertet, dass das instabile Medium Steinsalz ein geologisch ungeeignetes Wirtsgestein für ein langfristig sicheres Endlager darstelle. Dem wird entgegengehalten, dass es sich bei Asse II und Morsleben um ehemalige Bergwerke handele, wohingegen das Bergwerk Gorleben ein für die Endlagerung jungfräulich erschlossenes Bergwerk sei.

Es ist nicht bekannt, wie sich das Salz nach einer Atomeinlagerung langfristig verhält. Bekannt ist nur, dass sich die hochradioaktiven Substanzen erhitzen und über Jahrtausende weiter strahlen. Im Salz wäre keine Rückholbarkeit gegeben, da die Anlage im Salz verfüllt werden muss. Wegen der Unwägbarkeiten wird von Kritikern gefordert, das Salz und die unrückholbare Endlagerung auszuschließen, damit eine Neukonditionierung und Neuverpackung möglich bleibt. Die derzeitigen Transport- und Lagerbehälter halten offiziell hundert Jahre. Zur Endlagerung sollen sogenannte Polluxbehälter hergestellt werden. Bisher existiert ein Prototyp.

Die Kosten für den Offenhaltungsbetrieb des Bergwerks Gorleben belaufen sich auf jährlich rund 22 Millionen Euro[12] und werden von den Abfallverursachern getragen[5], wie gesetzlich geregelt.

Diskussion

Schon zu Beginn der Errichtung des Erkundungsbergwerkes – das vom früheren Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) einmal als ungenehmigter „Schwarzbau“ bezeichnet wurde – und des Zwischenlagers kam es 1979 zu Protesten der Bevölkerung und bundesweit von Atomkraftgegnern.

Es gibt auch Befürworter und durch die Planungen Begünstigte am Standort Gorleben. Die Gemeinde Gorleben sowie die Samtgemeinde Gartow bekommen vom Land Niedersachsen jährliche Ausgleichszahlungen, sogenannte Gorleben-Gelder. Auch die Atomenergiewirtschaft sowie große Teile der politischen Parteien CDU/CSU und FDP, darunter die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel und der niedersächsische FDP-Umweltminister Hans-Heinrich Sander, setzen sich für eine alternativlose weitere Erkundung und letztlich den Ausbau des Salzstockes Gorleben als nationales oder eventuell sogar internationales Endlager für hochradioaktiven Atommüll ein.

Ende August 2009 erklärte Umweltminister Sigmar Gabriel das Atomendlager für „tot“. Es sei „praktisch ausgeschlossen“, eine weitere Erkundung des niedersächsischen Salzstocks durchzuführen. Zuvor war bekannt geworden, dass Ende 2015 ca. 115 Verträge mit Grundbesitzern in Gorleben auslaufen. Zum anderen war 1983 ein Gutachten zur Endlagerstätte, das Sicherheitsbedenken beinhaltete, nach Einflussnahme der Regierung Helmut Kohls geändert worden. CDU, CSU, FDP und die Atomindustrie halten dagegen an Gorleben als Atommülllager fest.[13]

Im April 2010 berichtete das ZDF-Magazin Frontal21 über der Redaktion und Greenpeace vorliegende, bisher vertrauliche Dokumente zu Gorleben,[14] aus diesen geht hervor, dass die Auswahl von Gorleben unter dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht nicht aufgrund wissenschaftlicher Aspekte erfolgte. Gerd Lüttig, ehemals Vizepräsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hatte im Auftrag der Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft zwischen 1972 und 1975 bundesweit 250 verschiedene Salzstöcke für die Lagerung atomarer Reststoffe untersucht und in Klassen unterschiedlicher Eignung kategorisiert.[15] Nach seiner Aussage erreichte der Standort Gorleben weder die Qualität der ersten noch der zweiten Klasse von Salzstöcken.[14] Nach Lüttigs Aussagen antwortete Albrecht auf den Hinweis, dass Gorleben nicht zu den besonders gut geeigneten Salzstöcken gehöre, mit den Worten: „Das macht nichts, das ist jetzt eine politische Entscheidung“.[14] Albrecht äußerte sich zeitlebens nicht mehr zu diesen Vorwürfen, er war zum Zeitpunkt ihrer Aufdeckung dement.[16] Matthias Edler, bei Greenpeace verantwortlich für den Themenbereich Atomenergie, kam nach der Sichtung der Akten zu folgendem Schluss: „Die Akten sagen, es gab kein wissenschaftliches Auswahlverfahren, an dessen Ende als konsequentes Ergebnis der Salzstock Gorleben stand. […] Insofern kann man das nur als eine politische, und zwar als eine willkürliche Entscheidung bezeichnen“.[14] Geologische Fragen spielten eine untergeordnete Rolle.[17] Allerdings hält Geologe Lüttig nach neueren Erkundungen den Salzstock in Gorleben heute als Endlager für geeignet[6]. Im März 2010 erklärte Bundesumweltminister Norbert Röttgen, dem Standort Gorleben „aufgrund des bisherigen Erkenntnisstands“ Priorität zu geben und die Erkundung des Salzstocks nach zehnjähriger Pause („Moratorium“) wieder aufzunehmen.[18][19] Der Bundestag gab zwei Erklärungen zur Tatsache, dass Gorleben nicht in der ersten Standortsuche von KEWA (KWA 1225, 1977) betrachtet wurde: Einerseits spielte die Nähe zur DDR-Grenze eine Rolle, andererseits wurde das Kriterium verwendet, dass keine Standorte in der Nähe von „Erholungs- und Feriengebieten“ betrachtet werden sollten[20].

Im September 2010 wurde öffentlich bekannt, dass am Salzstock Gorleben Gaseinschlüsse entdeckt wurden. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass sich in größerer Tiefe womöglich große Erdgasvorkommen befinden. Diese Vermutung stützt sich auf Erdgasfunde im nur wenige Kilometer entfernten brandenburgischen Lenzen. Dort wurde in den 1960er-Jahren nach Erdgas gebohrt; dabei kam es am 25. Juni 1969 zu einer schweren Gasexplosion[21], wonach die Bohrungen eingestellt wurden. Falls unter dem geplanten Atommüllendlager Gorleben ebenfalls große Gasmengen lagern, was wegen der geographischen Nähe zu Lenzen laut Prof. Dr. Klaus Duphorn wahrscheinlich ist, könnte das eine Gefahr für das geplante Endlager sein.[22][23]

Im November 2012 wurden die Erkundungsarbeiten im Zuge der parteiübergreifenden Konsensgespräche über das sog. Endlagersuchgesetz (Standortauswahlgesetz – StandAG) vorläufig gestoppt und schließlich mit dem Inkrafttreten des StandAG am 27. Juli 2013 ganz beendet. Hintergrund für die Beendigung ist der Neustart nach der Suche nach einem Endlager. Dazu erarbeitet nach dem StandAG die sog. Endlager-Kommission Kriterien für ein Endlager. Gorleben soll danach wie jeder andere in Betracht kommende Standort anhand der neuen Kriterien behandelt werden.[24] Laut den Energieversorgungsunternehmen soll der Bund die Kosten für eine neue Standortsuche übernehmen, solange keine Gründe gegen Gorleben sprechen.[25]

Untersuchungsausschuss zu Gorleben

Der Bundestag setzte auf Antrag von 285 Abgeordneten der SPD, der Linken und der Grünen am 26. März 2010 einen Untersuchungsausschuss zu Gorleben ein. Das 15-köpfige Gremium unter Vorsitz der CDU-Parlamentarierin Maria Flachsbarth sollte die Umstände klären, unter denen die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Jahr 1983 entschied, nur den Salzstock im niedersächsischen Gorleben und nicht auch geologische Formationen wie Granit oder Ton in anderen Bundesländern auf eine Eignung für die Atommüll-Endlagerung zu prüfen.[26]

Geprägt war die Debatte vor allem vom Streit um den schließlich von der Koalitionsmehrheit abgelehnten Antrag der SPD 17/1161 (vom 23. März 2010), für die Dauer des Ausschusses auf die von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) geplante Fortsetzung der Erkundungsarbeiten in Gorleben zu verzichten, die seit einem unter Rot-Grün verhängten Moratorium ruhten.[27] Im Mai 2013 beendete der Untersuchungsausschuss mit der Vorlage des Abschlussberichtes seine Arbeit.[28]

Die Mehrheit, seinerzeit bestehend aus CDU/CSU und FDP, kam damals zu dem Ergebnis:

„(...) Nach Auswertung der Akten, Anhörung der Sachverständigen und Würdigung der Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss haben die Ergebnisse von 30 Jahren Gorleben-Erkundung nie Anlass gegeben, an der Eignungshöffigkeit des Salzstocks Gorleben für ein Endlager für alle Arten von radioaktiven Abfällen zu zweifeln. Die Sicherheit stand immer an erster Stelle. Alle wichtigen Entscheidungen der Bundesregierung zum Fortgang der Erkundung haben sich auf die seriöse und fachlich anerkannte Arbeit der am Projekt Gorleben beteiligten Wissenschaftler und Beamten u. a. von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) bzw. des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), des Hahn-Meitner-Institutes (HMI), der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE) und der Universität Göttingen gestützt. Alle diese Institutionen sind zu dem Ergebnis gekommen: Der Salzstock Gorleben ist eignungshöffig.(...)“ (Drs. 17/13700, S. 257)

Hiergegen kam die Minderheit, seinerzeit bestehend aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, zu folgenden Ergebnissen:

„(...)Zeugenaussagen bestätigten zweifelsfrei, dass ein ordentliches Standort-Auswahlverfahren seitens des Bundes, bei dem Gorleben mit anderen verglichen oder gar als bester hervorgegangen wäre, nicht existierte. Der Standort Gorleben wurde binnen weniger Wochen von der Niedersächsischen Staatskanzlei 1977 im Alleingang aus politischen Motiven heraus ausgewählt, ohne das jahrelange Auswahlverfahren der vom Bund beauftragten KEWA zu be- rücksichtigen. Der Bund (unter Helmut Schmidt) stimmte nach anfänglicher Ablehnung zähneknirschend zu.“(Drs. 17/13700, S. 357)

„Auch als im Jahr 1983 die Entscheidung zur untertägigen Erkundung anstand, wurde an der fachlichen Grundlage, dem PTB-Zwischenbericht, so lange manipuliert, dass er am Ende Gorleben 'Eignungshöffigkeit' bescheinigte, die geologischen Zweifel und Risiken abgemildert waren und die Empfehlung, andere Standorte zu erkunden, getilgt war. So steht auch die Entscheidung der Regierung Helmut Kohl, nur Gorleben untertägig zu erkunden, unter dem Schatten von Täuschung und Verzerrung.“(Drs. 17/13700, S. 357)

„Immer wieder stellte sich bei den Zeugenbefragungen die Frage nach dem Verhältnis von Ministerialbürokratie und Wissenschaft: Wer trug die Verantwortung für eine jeweilige Entscheidung? Ministerialbeamte verwiesen als entscheidungsleitend auf die fachliche Grundlage und deren wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Fachleute und Geologen selbst, die diese Grundlage erarbeitet haben, verwiesen in den Befragungen darauf, dass sie nur über wissenschaftliche Ergebnisse berichtet hätten und an Entscheidungen nicht beteiligt gewesen seien. Hier muss jedoch konstatiert werden, dass es keine Unabhängigkeit der Forschung gab. Insbesondere die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) sowie die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), die später in das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) überging, sind letztlich abhängige Behörden und Weisungen der Ministerien unterworfen. Bis heute ist die BGR eine nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und das BfS eine Behörde des Bundesumweltministeriums (BMU) mit allen Konsequenzen, was Personal und Strukturentscheidungen betrifft.“ (Drs. 17/13700, S. 357)

„An mehreren Beispielen konnte aufgezeigt werden, dass die Wissenschaftler bestimmte Probleme einfach ausgeblendet haben. Bei der Interpretation der wissenschaftlichen Ergebnisse wurde bereits zu Beginn mindestens ein Deutungsspielraum zugunsten Gorlebens ausgenutzt. Das Problem von Gas unter und im Salzstock Gorleben wurde verschwiegen oder als bedeutungslos erachtet. Dabei war es zu Beginn durchaus als Problem wahrgenommen worden. Kritische Wissenschaftler wurden nicht mehr beauftragt oder ihnen wurde die Verantwortung entzogen. Andere massive geologische Probleme wie das brüchige und durchlässige Deckgebirge über dem Salzstock wurden kurzerhand als unbedeutend abqualifiziert. Auf die Barriere Deckgebirge als „Schutzdeckel“ des Salzstocks wurde, nachdem klar war, in Gorleben ist es mit den gewünschten Eigenschaften nicht vorhanden, verzichtet. Carnallit- und Anhydrit-Vorkommen, die als Gefahr gelten, wurden als beherrschbar dargestellt, die Ablaugungsraten der Gorleben-Rinne über und in dem Salzstock wurden niedriggerechnet. Das Steinsalz wurde schließlich als so hervorragend dargestellt, dass es als Barriere die übrigen Mängel auszugleichen hatte. All diese Umdeutungen und Gewichtungsverschiebungen waren nur möglich, weil es nicht von Anfang an klare Erkundungskriterien gab. Es fehlte grundsätzlich ein Konzept für den Umgang mit dem strahlenden Müll.(...)“ (Drs. 17/13700, S. 358)

Zwischenbericht Teilgebiete gemäß § 13 StandAG der BGE

Die Bundesgesellschaft für Endlagerung hat am 28. September 2020 ihren Zwischenbericht nach § 13 Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle (Standortauswahlgesetz – StandAG) vorgestellt. Die BGE kommt zu dem Ergebnis, dass der Salzstock Gorleben nach Anwendung der geowissenschaftlichen Abwägungskriterien gemäß § 24 StandAG kein Teilgebiet geworden ist. Denn er erfüllt demnach zwar die Mindestanforderungen an ein Endlager, fällt aber bei den sogenannten Abwägungskriterien durch – unter anderem gibt es kein ausreichend starkes unterirdisches Deckgebirge, das den Salzstock dauerhaft von Wasserzuflüssen abschirmt.[29] Damit greift die Regelung des § 36 Abs. 1 S. 5 Nr. 1 StandAG, wonach der Salzstock Gorleben aus dem Verfahren ausscheidet. Der Salzstock Gorleben wird daher nicht bei den weiteren Arbeiten der BGE zu den Vorschlägen über die Standortregionen betrachtet.[30]

Kosten

Die Kosten der bisherigen Untersuchungen zur Eignung des Salzstocks für die Endlagerung von Atommüll betrugen bis 2013 ca. 1,6 Milliarden Euro. Der Anteil der Energieversorgungsunternehmen für die Erkundung des Salzstocks lag bei über 90 Prozent. Bis zur endgültigen Entscheidung über die Standorte der Endlagerung schätzte das Bundesministerium für Umwelt die jährlichen Kosten für den Weiterbetrieb ab 2015 auf 30–40 Millionen Euro pro Jahr.[31]

Literatur

  • Ludwig Ahorner: Seismologisches Gutachten Gorleben. Erstellt von der Abteilung für Erdbebengeologie des Geologischen Instituts der Universität zu Köln. Im Auftrag der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Überarbeitete Fassung von August 1989. Bensberg.
  • D. Appel, J. Kreusch: Gutachterliche Stellungnahme zum Zusammenfassenden Zwischenbericht über bisherige Ergebnisse der Standortuntersuchung in Gorleben der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt vom Mai 1983. – Stellungnahme im Auftrag der Fraktion die Grünen im Bundestag sowie der Fraktion Die Grünen im Niedersächsischen Landtag, 122 S., Juni 1984, Hannover.
  • K. Duphorn, U. Schneider: Zur Geologie und Geomorphologie des Naturparks Elbufer-Drawehn. – Abhandl. Naturwiss. Vereinigung Hamburg (NF) 25 (1983): 9–40.
  • H. Klinge, A. Köthke, R.-R. Ludwig, R. Zwirner: Geologie und Hydrogeologie des Deckgebirges über dem Salzstock Gorleben. Zeitschr. f. angewandte Geologie (2/2002): 7–15. (PDF online)
  • Gorleben Aktuell (Zeitschrift, 1978–1981); Schwerpunkte: Gorleben, Region Wendland, Entsorgungspark[32]

Weblinks

Commons: Atommülllager Gorleben – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkung

(Anm.) 
1973 erfuhr die Öffentlichkeit erstmals von den Bauplänen eines Kernkraftwerkes in Langendorf. Dagegen gründete sich eine Bürgerinitiative, bis 1982 geleitet von Marianne Fritzen[33][34]

Einzelnachweise

  1. Kurzmeldung auf tagesschau.de
  2. Quelle Eilmeldung DLF
  3. Andreas Maier: Die Legende vom Salzstock. In: Die Zeit 48/2003. 24. August 2008, abgerufen am 9. Juni 2015.
  4. Ehemaliges Erkundungsbergwerk Gorleben. In: BGR (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe). Abgerufen am 11. April 2019.
  5. a b c d Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – Das Endlagerprojekt Gorleben, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, 2008 (Memento vom 3. Juni 2016 im Internet Archive)
  6. a b Endlager Gorleben aus Expertensicht nur zweite Wahl, Interview des Deutschen Depeschendienstes mit dem Geologen Gert Lüttig, abgerufen am 1. November 2009
  7. Gisela Jaschik: März 1979: Gorleben-Treck nach Hannover. In: Norddeutsche Geschichte. ndr.de, abgerufen am 22. März 2011 (Video).
  8. Klinge et al.: Geologie und Hydrogeologie des Deckgebirges über dem Salzstock Gorleben. (vgl. Literatur; hier als PDF-Datei direkt verlinkt)
  9. Thomas Breuer: Warum der Salzstock Gorleben nicht als Endlager geeignet ist (Kurzfassung): DAS MEHRBARRIERENSYSTEM BEI DER ENDLAGERUNG RADIOAKTIVER ABFÄLLE. In: greenpeace.de. 14. November 2006, abgerufen am 11. April 2019.
  10. Erkundungsstandort Gorleben, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, 2013 (Memento vom 4. Juli 2015 im Internet Archive)
  11. Gorleben: Eine Chronik der Ereignisse. NDR, 15. März 2010, abgerufen am 14. März 2015.
  12. www.bmub.de (Memento vom 8. April 2014 im Internet Archive), Informationen zum Salzstock Gorleben beim Bundesumweltministerium
  13. Energie: Gabriel beerdigt das Atomendlager Gorleben. Welt Online, 26. August 2009, abgerufen am 12. November 2010.
  14. a b c d Steffen Judzikowski und Christian Rohde: Beitrag: Willkür statt WissenschaftWie Gorleben zum Endlager erkoren wurde (Memento vom 22. Dezember 2013 im Internet Archive), 13. April 2010, heute.de
  15. Christoph Seidler: Greenpeace-Recherche: Dokumente entlarven Willkür bei Gorleben-Wahl. Spiegel Online, 13. April 2010, abgerufen am 12. November 2010.
  16. Seine Tochter machte dies im Mai 2008 öffentlich
  17. Greenpeace stellt Akten ins Netz: Die Gorlebenlüge. taz, 14. April 2010, abgerufen am 12. November 2010.
  18. Der Salzstock aus dem Nichts, Süddeutsche Zeitung vom 13. April 2010 (abgerufen am 3. November 2013).
  19. Unterirdische Argumente, Süddeutsche Zeitung vom 5. November 2010 (abgerufen am 3. November 2013).
  20. BT-Drs. 17/13700: Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes vom 23. Mai 2013
  21. Bei der Explosion am 25. Juni 1969 starb ein Mann und sechs weitere wurden schwer verletzt. (Susanne Schrammar: Salzstock Gorleben: Warnung vor neuen Risiken. Deutschlandfunk, 20. September 2010, abgerufen am 29. Januar 2011.)
  22. Susanne Schrammar: Salzstock Gorleben: Warnung vor neuen Risiken. Deutschlandfunk, 20. September 2010, abgerufen am 8. November 2010.
  23. Björn Vogt: Die Katastrophe von Rambow. wendland-net, 14. September 2010, abgerufen am 8. November 2010.
  24. Erkundung des Standorts Gorleben – ein Rückblick (Memento vom 30. Mai 2015 im Internet Archive)
  25. Atommüll: Altmaier rechnet mit Milliardenkosten für Endlager-Suche, Der Spiegel, 2013
  26. 1. Untersuchungsausschuss zum Gorleben-Endlager (Memento vom 5. September 2013 im Internet Archive)
  27. Untersuchungen zu Gorleben. Deutscher Bundestag, 26. März 2010, abgerufen am 8. November 2010.
  28. BT-Drs. 17/13700
  29. Gorleben wird kein Endlager: Salzstock ungeeignet. NDR, 28. September 2020, abgerufen am 24. April 2021.
  30. Zwischenbericht Teilgebiete gemäß § 13 StandAG (Stand 28.09.2020). BGE, 28. September 2020, abgerufen am 28. September 2020.
  31. Pauline Faust: Endlager-Suche ohne Ende. In: Wirtschaftswoche. 28. September 2020, abgerufen am 17. September 2021.
  32. Gorleben Aktuell - (Laka-Archiv)
  33. 86-Jährige ist Ikone des Castortransport-Widerstandes. In: MDR Online. 6. November 2010, archiviert vom Original am 14. November 2010; abgerufen am 9. Juni 2015., die für ihr Engagement 2010 von der Heinrich-Böll-Stiftung den Petra-Kelly-Preis erhielt
  34. gorleben-archiv.de (Memento vom 6. Januar 2011 im Internet Archive)

Koordinaten: 53° 1′ 34,5″ N, 11° 21′ 1,9″ O