Scharia

Die Schari'a bzw. deutsch Scharia (arabisch شريعة scharī'a «Weg zur Tränke», «deutlicher, gebahnter Weg», «religiöses Gesetz», «Ritus»; auch: شرع schar`), das islamische Recht, ist eine religiöse Pflichtenlehre, die die Regelung aller Bereiche des menschlichen Daseins anstrebt. In kasuistischem Aufbau bestimmt sie die Rechte und Pflichten des Menschen gegenüber anderen und gegenüber Gott. Trotz gelegentlicher Versuche ist die Schari'a nie kodifiziert worden, weshalb Detailfragen immer wieder durchaus strittig diskutiert werden. Die Pflege und Entwicklung der Schari'a obliegt der islamischen Jurisprudenz (فقه fiqh). Koranisch ist der Begriff Schari'a in Sure 45, Vers 18:

«Hierauf (d.h. nach dem Zeitalter der Kinder Israels) haben wir dich in der Angelegenheit(?) auf einen (eigenen) Ritus festgelegt.» (Das Wort «Ritus» steht in Parets Übersetzung für Schari'a)

Daraus leitet sich für Muslime der göttliche Ursprung der Schari'a her.

Westlich geprägte Länder lehnen die Schari'a wegen ihrer Praktiken wie beispielsweise Steinigung, Kreuzigung oder die Amputation von Körperteilen als barbarisch ab.

Charakteristika

Laut muslimischer Überlieferung hat der Engel Gabriel Gottes Gebote dem Religionsstifter Muhammed diktiert, welcher die übermittelten Texte im Koran und in der Überlieferung niedergeschrieben hat. Nach den Vorstellungen des Islam ist die Sharia, das islamische Recht, also ein dem Menschen von Gott gegebenes Gesetz. . Als Gotteswerk gilt das islamische Recht per se als vollkommen und ist vom Menschen nicht hinterfragbar. Theologen und insbesondere Juristen aus den ersten Jahrhunderten der islamischen Religion haben die rechtlich bedeutsamen Textanteile ausgelegt.

Die Sharia ist ein allumfassendes Gesetz zur Regelung der Beziehungen des einzelnen Menschen zu seiner Umwelt, seiner Familie und zu Gott. Die muslimischen Apologeten gehen davon aus, daß die Sharia, käme sie weltweit zur Geltung, die Menschheit in Gerechtigkeit und Frieden aufblühte.

Da es sich bei der Sharia um kein Gesetzeswerk handelt, hat das Gesetz einen idealtypischen Charakter. Deshalb wurde das Gesetz wegen seines universellen Anspruches auch bis heute nicht vollständig angewendet.

Die Wurzeln der Rechtswissenschaft

Muhammed hat zu seinen Lebzeiten im siebten Jahrhundert nur wenige Fälle entschieden und im Koran und in der Überlieferung festgehalten. Die ursprünglich recht übersichtliche frühislamischen Gemeinde auf der arabischen Halbinsel gewann jedoch immer mehr an Zulauf. Das dann immer rascher expandierende islamisches Reich bedurfte einer komplexeren Rechtsgrundlage. Schon bald schlossen sich Gelehrte und Juristen (Mufti) zu Zirkeln zusammen und versuchten, das Bedürfnis nach einer auf islamischen Prinzipien beruhenden, funktionierenden Rechtsprechung zu befriedigen. Aus diesen Zirkeln erwuchsen die sogenannten Rechtsschulen. Von der usrprünglichen Vielzahl der zunächst orthodox sunnitisch geprägten Rechtsschulen konnten sich im Lauf der Zeit vier Schulen durchsetzen.

Als Rechtsquellen kennen die vier orthodoxen Rechtsschulen vier «Wurzeln der Rechtswissenschaft» (اصول الفقه usūl al-fiqh), von denen allerdings nur die ersten beiden den Charakter von Quellen haben:

  1. Der Koran ist für Muslime das unmittelbare Wort Gottes und die erste Rechtsquelle. Allerdings haben nur etwa 500 Verse (ca. 8%) juristischen Bezug, weshalb schon früh die zweite Rechtsquelle hinzugezogen wurde.
  2. Die Sunna des Religionsstifters Muhammad, sein gelebtes Vorbild und seine Aussprüche, stellt den Großteil des Materials der islamischen Jurisprudenz. Die Sunna wird in Hadithen überliefert, die schon früh schriftlich festgehalten wurden. Eine mit zeitlichem Abstand zum Tode Muhammads eskalierende «Hadith-Inflation» führte im 9. Jahrhundert zur Kodifizierung der «authentischen» Hadithe in den «Sechs Büchern» (الكتب الستة al-kutub as-sitta), von denen zwei (Buchari und Muslim) besonderes Ansehen genießen.
  3. Qiyas, der «Analogieschluss», erlaubt die Übertragung der Ergebnisse eines Falles auf einen ähnlich gelagerten. Ein Beispiel ist das Weinverbot des Koran (Sure 5, Vers 90f.), das strenge Juristen im Analogieschluss auf alle berauschenden Mittel ausdehnen, während man im Volk, z.B. in der Türkei, zuweilen keinen Zusammenhang zwischen Wein und anderen Alkoholika erkennen mag; eine Position, die allerdings von keinem Rechtsgelehrten unterstützt wird.
  4. Idschma (الإجماع), der Konsens, meint nicht den Konsens der gesamten muslimischen Gemeinde (umma), sondern den der Rechtsgelehrten (consensus doctorum). Ist der Konsens erst einmal erreicht, was daran erkannt wird, dass kein Einspruch eines anerkannten Rechtsgelehrten vorliegt, gilt ein Rechtsproblem in der Orthodoxie als endgültig abgeschlossen. Das hat historisch zu einer Stabilisierung der Schari'a geführt, die allerdings von Manchen auch als «Erstarrung» bezeichnet wird.

Daneben gibt es eine Reihe weiterer Rechtsquellen, die heute nicht mehr oder nur noch eingeschränkt verwendet werden:

  • Das Gewohnheitsrecht (عرف urf oder عادة āda). Vorislamische Rechtspraktiken wurden, vor allem in der islamischen Expansionsphase, in großem Umfang in die Schari'a übernommen und durch den idschma legitimiert. Das medinensische Gewohnheitsrecht spielte hier eine große Rolle, aber auch Verwaltungspraktiken und Gesetze der eroberten Gebiete.
  • Die «Entscheidung nach eigenem Gutdünken» (رأى ra'y) des Juristen, dort wo weder Koran noch Sunna einen Anhaltspunkt boten, stand schon früh in der Kritik und ist heute nicht mehr statthaft. Allerdings lebt der ra'y insofern in abgeschwächter Form im qiyas fort, als es im Ermessen des Juristen liegt, welche Präzedenzfälle er als analog betrachtet.
  • Der Idschtihad (اجتهاد idschtihād), die selbstständige Interpretation der Rechtsquellen, wurde im orthodoxen Islam durch den Einfluss des Konsenses immer weiter zurückgedrängt, bis im Zuge der Konsolidierung der Rechtsschulen um das Jahr 300 der Hidschra, das «Tor des Idschtihad» als geschlossen galt. In der Schia wird er weiterhin eingesetzt, die formalen Anforderungen an die Ausbildung des entsprechend befähigten Theologen sind jedoch sehr hoch. In jüngerer Zeit wurde von Seiten von Reformbewegungen (z.B. der Salafiya, aber auch liberalen Muslimen – allerdings mit entgegengesetzten Zielen) die Wiedereinführung des Idschtihad gefordert, bzw. seine Ausübung regelrecht in Anspruch genommen.

Handlungen des Menschen

Die fünf Kategorien

Die Schari'a teilt die menschlichen Handlungen in fünf Kategorien ein, die wie angegeben bewertet werden:

  1. Pflicht (فرض fard oder واجب wādschib) – das Tun wird belohnt, das Unterlassen bestraft. Unterschieden wird zwischen persönlichen Pflichten (فرض العين fard al-ayn), denen jeder Muslim nachkommen muss, und gemeinschaftlichen Pflichten (فرض الكفاية fard al-kifāya «Pflicht des Genügeleistens»), bei denen es ausreicht, wenn eine ausreichende Anzahl der Muslime daran teilnimmt. In die erste Kategorie fällt z.B. das fünfmalige tägliche Gebet (صلاة, koranisch صلوة salat), in die zweite der Dschihad.
  2. Empfehlenswert (مندوب mandūb oder مستحب mustahabb oder سنة sunna) – das Tun wird belohnt, das Unterlassen nicht bestraft
  3. Erlaubt (مباح mubāh) – Tun und Unterlassen werden weder belohnt noch bestraft
  4. Verwerflich (مكروه makrūh) – das Tun wird nicht bestraft, das Unterlassen belohnt
  5. Verboten (حرام harām) – das Tun wird bestraft, das Unterlassen belohnt

Wenn hier von «belohnt» und «bestraft» gesprochen wird, so sind damit nur teilweise juristische Folgen gemeint, denn Pflichtverstöße gegenüber Gott lässt das islamische Recht in der Regel ungesühnt, da Muslime von einer Ahndung dieser Vergehen im «Jenseits» ausgehen.

Elemente einer Handlung

Zur Ausführung einer Handlung nach islamischem Recht gehören verschiedene Elemente, zu denen unter anderem die «Grundpfeiler» (اركان arkān) gehören, ohne die die ganze Handlung hinfällig wird. Einer dieser Grundpfeiler ist die «Absicht» (نية nīya): Eine Handlung, der die Absicht fehlt ist nichtig.

Am Vorhandensein der Elemente der Handlung erkennt der Jurist, ob sie rechtskräftig (صحيح sahīh) oder nichtig (باطل bātil) ist.

Besonderheiten

Schriftform und Zeugen

Rechtsgutachten

Siehe Fatwa

Teilbereiche der Schari'a

Bekleidungsvorschriften

Jeweils für Männer und für Frauen gelten verschiedene Richtlinien bezüglich ihres Äußeren. So soll eine Frau ihre körperlichen Reize vor Fremden bedecken. Für ältere, nicht mehr heiratsfähige Frauen gelten erleichterte Richtlinien (Koran Sure 24, Vers 60). Männer sollen immer mindestens den Bereich zwischen Bauchnabel und Knie bedeckt halten und Bart und Haare pflegen.

Die verschiedenen Formen der Schleier bei der Frau beruhen auf verschiedenen Lebensumständen und Traditionen. Die Vollverschleierung der Frau war bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts in islamischen Ländern vor allem ein städtisches Phänomen, auf dem Land hingegen wurde die Art der Kopfbedeckung von praktischen und traditionellen Gesichtspunkten bestimmt, so gibt es auch Schleierformen, die zwar das Gesicht bedecken, die Haare aber frei lassen.

Spätestens mit dem Kopftuchverbot durch Atatürk in der Türkei wurde aus der Marginalie ein Politikum und der Kopftuchstreit wird unter Muslimen recht emotional geführt, da beiden Seiten wirklich stichhaltige Argumente fehlen.

Als koranische Begründung für den Schleier gelten Sure 24, Vers 31 und Sure 33, Vers 59.

Ehe

Islamische Ehen werden durch einen Ehevertrag (عقد النكاح aqd an-nikāh) zwischen einem gesetzlichen Vertreter (ولى walī) der Braut, der mit den Zeugen die Einwilligung der Braut einholen muss - was jedoch nicht für die Schafiiten-Rechtsschule gilt, die die Verheiratung einer Jungfrau gegen ihren Willen erlaubt - und dem Bräutigam geschlossen. Scheidung ist für den Mann durch Verstoßung leicht möglich, für die Frau jedoch schwieriger. Sie kann die Scheidung wegen verschiedenen Gründen verlangen. Ein Grund, der aus der Zeit des Propheten überliefert ist und auch Anwendung fand, ist, dass die Frau ihren Ehemann verabscheut oder ihn für ihrer nicht würdig hält. Wird allerdings die Ehe auf Wunsch der Frau geschieden, verliert sie den Anspruch auf den Teil der Morgengabe, der dafür vorgesehen war, entweder bei dem Tod ihres Ehemannes (vor Verteilung des Erbes) oder bei einer Scheidung auf Wunsch des Ehemannes an sie ausgezahlt zu werden. Männer können bis zu vier Frauen gleichzeitig heiraten (Koran Sure 4, Vers 3f.), müssen diese dann aber alle gerecht behandeln. Einige Sufis (islamische Mystiker), nicht jedoch die in der turksprachigen Raum weit verbreitete Naqschbandiyya, legen den obengenannten Vers so aus, dass es einem gläubigen Muslim ausschließlich erlaubt ist, nur eine einzige Frau zu heiraten. Vom Gesetz her ist die Monogamie nur in der Türkei und in Tunesien vorgeschrieben, in der Türkei wird dies jedoch durch Imamehen unterlaufen.

Bei der Hochzeit wird die Brautgabe («Morgengabe» مهر mahr oder صداق sadāq) vom Bräutigam an die Braut fällig. Nach einer Scheidung gelten auch Vorschriften zur Sicherung des Unterhalts der Frau (Alimente نفقة nafaqa). Eine Besonderheit der Schia sind befristete Eheverträge („Zeitehen“ متعة mut'a), die eine legale Form des Konkubinats oder der Prostitution darstellen. Die Morgengabe ist in diesem Fall der Lohn für die Frau.

Die Frau ist dem Mann in allen Bereichen untergeordnet, kann allerdings mit ihrem eigenen Geld wirtschaftlich selbstständig handeln. Nur Männer sind zum Unterhalt verpflichtet, der allerdings nicht eingeklagt werden kann. Eine maßvolle körperliche Züchtigung der Frauen durch ihre Ehemänner ist durch die Schari'a gedeckt, wobei hier allerdings auch ein Hadith des Propheten Anwendung findet, der diese Züchtigung auf einen Schlag mit dem Miswak (einer natürlichen Zahnbürste) beschränkt, die weder Schaden anrichtet noch schmerzt, jedoch den hohen Grad des Unmuts gegenüber der Frau verdeutlichen soll.

Die Polygynie (eine Form der Mehrehe) ist in Tunesien und der Türkei gesetzlich verboten, wird aber in ländlichen Gegenden auf der Basis gesellschaftlicher Sitten dennoch praktiziert.

Erbrecht

Das Erbrecht ist im Islam recht kompliziert. Seine koranische Grundlage hat es in Sure 4, Vers 11-12 (Die Frauen), in der insbesondere der Erbteil der Frauen geregelt wird, was auf eine Präzisierung vorislamischen Erbrechts schließen lässt.

Im Vergleich mit dem deutschen Erbrecht ist auffallend, dass der Erblasser lediglich über ein Drittel seines Vermögens frei verfügen kann und dass Schulden nicht vererbt werden. Töchter erben die Hälfte des Erbteils von Söhnen.Die Ehefrau erbt ein Achtel des Vermögens des Ehemannes.

Zur Umgehung der erbrechtlichen Einschränkungen wurde oft auf Stiftungen zurückgegriffen.

Kriegsrecht

Das islamische Kriegsrecht wird im Artikel Dschihad behandelt. Der Dschihad ist eine Gemeinschaftspflicht und wird nur für Einwohner bedrohter Gegenden zur persönlichen Pflicht. Einzelne können aber im Heiligen Kampf zur Erlangung des im Koran verheißenen himmlischen Lohns kämpfen. Siehe auch Geschichte des Begriffs Dschihad.

Religionsfreiheit

Siehe auch: Glaubensfreiheit, Ridda, Aleviten, Ibaditen, Ismailiten, Kufr, Schirk

Stiftungen

Siehe: Waqf


Strafrecht im orthodoxen sunnitischen Islam

Die einzelnen Schulen sind sich in weiten Bereichen der verschiedenen Auslegungen, wie zum Beispiel im Strafrecht, prinzipiell einig.

Strafrecht im engeren Sinne ist in der Schari'a kaum vorhanden, da selbst bei Mord die Angehörigen des Opfers entscheiden, ob eine Entschädigungszahlung oder die Hinrichtung des Täters erfolgt, die Regelung also quasi privatrechtlich ist. Die Justiz beaufsichtigt hier im Prinzip nur die vorislamische Blutrache (ثأر tha'r) und verhindert deren Eskalation.

Einen besonderen Status haben die direkt vom Koran verbotenen Handlungen, die hadd-Vergehen (حد, pl. حدود hudūd). Das sind Unzucht (زناء zinā), Verleumdung betreffs Unzucht, Weinkonsum, Diebstahl und Straßenraub.

Einteilung der Straftaten

Das Strafrecht gliedert die Straftaten in drei Gruppen, welche sich bezüglich Strafmaß, Feststellung und Schuld deutlich voneinander abgrenzen. Es gibt Grenzstrafen (hadd-Strafen), Ermessensstrafen (ta'zir-Strafen). und Wiedervergeltungsstrafen (qisas-Vergehen).

Ein ordentliches Gerichtsverfahren ist unabdinglich. Der Koran verbietet ausdrücklich das Mitleid mit überführten Tätern (Sure 24,2).

hadd-Vergehen

Beim Prozeß um ein hadd-Vergehen bedarf es zweier Augenzeugen, beim Ehebruch sind vier Zeugen notwendig. Es gelten kurze Verjährungszeiten und abgegebene Geständnisse sind revidierbar.

Ehebruch und Unzucht

Der Koran fordert bei Ehebruch und Unzucht 100 Hiebe mit der Peitsche für Mann und Frau (Sure 24,2-3). Das islamische Recht sieht in der Regel bei Unverheirateten die Auspeitschung vor und bei Verheirateten den Tod durch Steinigung, welchen die islamische Überlieferung fordert.

Der Richter führt den Prozess zugunsten des Beschuldigten und hat auch auf die Möglichkeit des Geständnis-Widerrufs hinzuweisen.

Zur Feststellung der Schuld bedarf es entweder eines Geständnisses oder aber vier (meist männlicher) Augenzeugen (Sure 24,4). Auf Indizien basierende Verfahren genügen in der Regel nicht für eine Verurteilung. Eine Ausnahme war eine 2003 in Nigeria, angeklagte Mutter, welche unverheiratet und schwanger war.

Die Voraussetzung, vier männliche Zeugen aufzubringen, macht es Frauen schwer, eine Vergewaltigung anzuzeigen. Die Vergewaltigte läuft sonst Gefahr, ihrerseits eine Anklage zu erhalten wegen "Verleumdung von Ehebruch" und mit Auspeitschung bestraft zu werden.

Wegen des drohenden Gesichtsverlustes kommt es oft zu innerfamiliären Sanktionen und nicht zur koranisch geforderten Verhandlung vor Gericht, um die Schuld festzustellen und zu ahnden.

Verleumdung wegen Ehebruch

Der Koran fordert bei der Verleumdung wegen Ehebruchs 80 Peitschenhiebe für die Schuldigen (Sure 24,4).

Schwerer Diebstahl

Diebstahl liegt vor, wenn das gestohlene Gut einen bestimmten Wert übersteigt, die Besitzverhältnisse geklärt sind und das Gut ordnungsgemäß untergebracht war.

Schwerer Diebstahl erfordert nach islamischen Recht die Amputation der rechten Hand (Sure 5,33+38). Wiederholt der Verteilte sein Vergehen, so verliert er überdies den linken Fuß.

Das Ziel ist also nicht, dem Bestohlenen den Schaden zu ersetzen, sondern den Täter in die Erwerbsunfähigkeit zu befördern, was ihn wiederum von der Fürsorge der Gesellschaft abhängig macht.

Schwerer Straßen- und Raubmord

Je nach Schwere des Vergehen kommen bei schwerer Straßen- und Raubmord entweder Gefängnis, Amputation, Hinrichtung oder Kreuzigung als Strafen in Frage.

Genuß von Wein

Im Koran findet sich kein Hinweis auf die Bestrafung des Genußes von Wein. Die Überlieferung fordert jedoch 40-80 Peitschenhiebe für Leute, welche berauschende Getränke trinken.

weitere Vergehen

Die Überlieferung ergänzt die Vergehen um Vergewaltigung und Homosexualität

qisas-Vergehen

Koran und Überlieferung berichten auch von Vergehen mit Wiedervergeltung. Der Täter und seine Familie sind dazu verpflichtet, eine Wiedergutmachung zu leisten.

Körperverletzung

Die Familie des Opfers ist berechtigt, dem Täter eine gleichwertige Verletzung zuzufügen im Sinne eines "Aug um Aug und Zahn um Zahn".

Totschlag

Wurde bei einem Angriff das Opfer unbeabsichtigt getötet, so handelt es sich im Gegensatz zu Mord um Totschlag. Die Familie des Opfers ist in diesem Falle berechtigt, ihrerseits ein Mitglied der Täterfamilie mit demselben "Stellenwert" zu töten. So galt in diesem Falle beispielsweise "Sklavin gegen Sklavin" und "Mann gegen Mann" als gerechter Ausgleich. Es besteht für die Familie des Opfers die Möglichkeit, auf die Tötung zu verzichten, falls die Familie des Täters einen "Blutpreis" bezahlt und religiöse Buße leistet.

ta'zir-Vergehen

Alle Straftaten, welche nicht explizit als Grenzvergehen oder als Wiedervergeltungsstraftat benannt sind, fallen unter die Ermessensvergehen. Der Richter kann in diesem Fall nach seinem Ermessen bestrafen. Darunter fallen etwa Erpressung, Urkundenfälschung und Betrug.

Kritik

Der Kern des islamischen Strafrechts entstammt dem siebten Jahrhundert. Der zentrale Teil steht im Koran und ist somit nach Auffassung zeitgenössischer Apologeten unveränderbar und unantastbar. Der Mensch dürfe die göttlichen Vorschriften nicht hinterfragen oder gar in Frage stellen. Das vorgeschriebene Instrumentarium umfaßt Amputationen, Auspeitschungen, Hinrichtungen, Kreuzigungen und Wiedervergeltung. Diese qualvollen körperlichen Strafen reichen von Folter über Verstümmelung bis zur Tötung.

Mißbrauch

Zum Verhängnis wurde die Sharia meist dann, wenn Potentaten sie willkürlich verwendeten und sie als Mittel zum Zweck gegen Minderheiten mißbrauchten. Zur Durchsetzung der Interessen wurden die strengen und verbindlichen Vorbedingungen wie zum Beispiel bezüglich Zeugen und ordentliches Gerichtsverfahren ausgehebelt. (Schirrmacher)

Wirtschaft

Für den Kapitalverkehr ist das Zinsverbot (Sure 2, Vers 278 u.a.; ربا riban, in engerer Auslegung «Wucher») eine besondere Belastung, was schon früh zu Umgehungsgeschäften geführt hat: So kann man z. B. eine Ware mit Zahlungsziel kaufen und sofort zu einem niedrigeren Preis an den Verkäufer, der sofort zahlt, zurückveräußern. Da die Ware letztlich den Besitz nicht gewechselt hat, jedoch Geld ausgezahlt wurde, ist das Resultat wie bei einem Kredit mit Zinsen, der Wortlaut des Gesetzes jedoch eingehalten. Rechtskniffe (حيلة hīla; pl. حيل hiyal) dieser Art finden sich in der islamischen Rechtspraxis häufig; sie sind eines der Mittel, die Schari'a an gewandelte Voraussetzungen anzupassen.

Die einzige genuin islamische Steuer und gleichzeitig eine der «Säulen des Islam» ist die «Almosensteuer» (زكاة zakāt), eine Mischung aus Einkommens- und Vermögenssteuer, die nur zwischen 2,5 % und 10 % liegt. Ihre Verwendung ist im Koran (Sure 9, Vers 60) festgelegt. Schon in der ersten Expansionsphase reichte sie nicht mehr zur Deckung der Staatsausgaben (wozu sie auch nicht gedacht ist) und wurde durch weitere Abgabenarten (z. B. die Grundsteuer خراج charādsch) ergänzt.

Geltungsbereich

Nicht alle Vorschriften der Schari'a sind für jeden gültig: manche richten sich nur an ein bestimmtes Geschlecht (z.B. das Kopftuch bei Frauen) oder bestimmte Altersstufen. Die kultischen Vorschriften gelten nur für Muslime, Angehörige anderer Religionen (siehe Dhimmi) sind davon nicht betroffen, allerdings gelten, in Ländern in denen die Schari'a gilt, für sie spezielle Regelungen.

Wer zu bestimmten Handlungen verpflichtet (مكلف mukallaf) ist, wird jeweils genau vermerkt. Meist muss man im Vollbesitz der geistigen Kräfte (عاقل `āqil) und volljährig (بالغ bāligh) sein.

In islamischen Staaten der Gegenwart

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Öffentliche Enthauptung, Saudi Arabien, 50er Jahre des 20. Jahrhunderts

Seit der Kairoer Deklaration der "Menschenrechte" im Islam 1990 ist die Schari'a wieder Basis der Gesetzgebung in allen islamischen Ländern. Die praktische Umsetzung ist jedoch sehr unterschiedlich und reicht von «praktisch nicht erkennbar», wie in der Türkei, über die Umsetzung nur im zivilrechtlichen Bereich (Tunesien) bis zur fast vollständigen Geltung (Sudan). Zuweilen gilt die Schari'a nur in islamisch dominierten Landesteilen (Nigeria). Zurzeit ist die Schari'a geltendes Recht in Nigeria (einige Bundesstaaten), den Malediven, Iran, Saudi-Arabien, Bangladesch, Afghanistan, Marokko, Sudan, Katar, Indonesien und Pakistan.

Das heutige Rechtsgefüge der meisten islamisch geprägten Staaten ist ein Spiegelbild der Vergangenheit : Aus der Zeit vor dem Islam stammen Regeln aus Persien, Rom und der Sassaniden. Neben koranischen Geboten finden sich überlieferte Regeln des Gewohnheitsrechts. Dazu gesellen sich Strukturen der europäischen Rechtsprechung, welche der Kolonialzeit entstammten.

Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches wandelte sich die Türkei in die Türkische Republik. Kemal Atatürk schaffte 1926 die Sharia als Rechtsgrundlage ab und orientierte das Familienrecht am Schweizerischen Zivilgesetzbuch.

Familien- und Erbrecht sind zentrale Aspekte der Sharia. Das islamische Recht kommt nicht nur in vielen islamischen Staaten zur Anwendung. So ist die Sharia in Ländern in Südostasien und Afrika teilweise einzige rechtliche Grundlage beim Familienrecht und damit der zivilrechtlichen Jurisdiktion. Der Ruf mancher Staaten "Zurück zur Sharia !" drückt in der Regel vornehmlich den Wunsch aus, sich in familien- und eherechtlichen Fragen mehr an den Vorgaben des Korans zu orientieren.

In westlichen Staaten der Gegenwart

Der Arbitration Act (1991) der kanadischen Provinz Ontario erlaubte es Christen, Juden und Muslimen, häusliche Dispute (wie Scheidungs-, Vormundschafts- und Erbschaftsklagen) vor einem religiösen Schiedsgericht zu verhandeln, wenn alle Parteien damit einverstanden waren. Die Urteile dieser Schiedsgerichte waren, so fern sie nicht geltenden kanadischen Recht widersprachen, rechtskräftig. Damit hatte die Schari'a in Ontario in Spezialfällen Gültigkeit und wurde auch angewendet.

Im September 2005 wurde der Arbitration Act (auch auf Grund internationaler Proteste durch Frauenrechtsorganisationen) wieder abgeschafft.

Mystische Bedeutung

Im Sufismus (islamische Mystik) hat die Schari'a den Stellenwert der Basis für den Weg des Gottessuchenden. Weitere Stationen sind in der Reihenfolge: Tariqa (der mystische Weg), Haqiqa (Wahrheit) und Ma'rifa (Erkenntnis). Der bekannte Mystiker Ibn Arabi (1165 - 1240) beschreibt diese vier Stationen folgendermaßen: Auf dem Niveau von Schari'a gibt es “dein und mein“. Das heißt, dass das religiöse Gesetz individuelle Rechte und ethische Beziehungen zwischen den Menschen regelt. Auf dem Niveau von Tariqa “ist meins deins und deins ist meins“. Von den Sufis wird erwartet, dass sie sich gegenseitig als Brüder und Schwestern behandeln, den jeweils anderen an seinen Freuden, seiner Liebe und seinem Eigentum teilhaben lassen. Auf dem Niveau der Wahrheit (Haqiqa) gibt es “weder meins noch deins“. Fortgeschrittene Sufis erkennen, dass alle Dinge von Gott kommen, dass sie selbst nur die Verwalter sind und in Wirklichkeit nichts besitzen. Diejenigen, die die Wahrheit erkennen, interessieren sich nicht für Besitz und Äußerlichkeiten im Allgemeinen, Bekanntheit und gesellschaftlichen Stand inbegriffen. Auf dem Niveau der Erkenntnis (Ma'rifa) gibt es “kein ich und kein du“. Der einzelne erkennt, dass nichts und niemand von Gott getrennt ist.

Siehe auch

Literatur

  • Richard Hartmann: Die Religion des Islam. Darmstadt 1987, ISBN 3-534-01664-5
  • Said Ramadan: Das islamische Recht. Theorie und Praxis. Wiesbaden 1980, ISBN 3-447-02078-4
  • Eduard Sachau: Das Recht der Scharia. Neuauflage. Frankfurt a.M. 2004
Wiktionary: Scharia – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen