Herbert von Karajan

Herbert von Karajan, geboren als Heribert Ritter von Karajan (* 5. April 1908 in Salzburg; † 16. Juli 1989 in Anif, Salzburg), war ein österreichischer Dirigent. Er zählte zu den bekanntesten Orchesterleitern des 20. Jahrhunderts. Karajan arbeitete mit vielen renommierten Symphonieorchestern, wirkte an bedeutenden Opernhäusern und veröffentlichte zahlreiche Einspielungen klassischer Musik. Er arrangierte auch die Hymne der Europäischen Union.

Beruflicher Werdegang

1912 begann Karajan eine pianistische Ausbildung bei Franz Ledwinka.Von 1916-1926 war Karajan Schüler am Konservatorium Mozarteum in Salzburg bei Franz Ledwinka (Klavier), Franz Sauer (Harmonielehre) und Bernhard Paumgartner (Komposition, Kammermusik), der Karajan dabei förderte, Dirigent zu werden. 1926 machte er die Matura am Humanistischen Gymnasium in Salzburg (Thema der schriftlichen Arbeit: „Thermodynamik und Explosionsmotoren“). 1926 bis 1928 war er Student an der Technischen Hochschule in Wien und am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Wien und bis 1929 Student an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst (Klavier bei Josef Hofmann und Dirigieren bei Alexander Wunderer und Franz Schalk). Am 22. Januar 1929 trat Herbert von Karajan zum ersten Mal öffentlich mit dem Mozarteum-Orchester in Salzburg auf, worauf der Intendant des Ulmer Stadttheaters Karajan zum Probedirigat einlud.

In Ulm an der Donau wurde er 1930 Erster Kapellmeister am Ulmer Stadttheater und im Philharmonischen Orchester der Stadt Ulm. 1935 wurde er Generalmusikdirektor (GMD) in Aachen. In die NSDAP wurde Karajan erstmals in Salzburg am 8. April 1933 aufgenommen mit der Mitgliedsnummer 1 607 525. Allerdings heißt es, dieser Einritt sei nie vollzogen worden, obwohl er die Aufnahmegebühr zahlte. Im März 1935 erfolgte erneut ein Beitritt in die NSDAP mit der Nr. 3 430 914 in Aachen. Nach dem Anschluß von Österreich an Deutschland wurde diese doppelte Mitgliedschaft in der Zentrale der NSDAP in München entdeckt, die den zweiten Eintritt auf den 1. Mai 1933 zurückdatierte[1].

Bekannt wurde Karajan, nachdem er 1938 in der Berliner Staatsoper Wagners Tristan und Isolde dirigiert hatte; es war vom „Wunder Karajan“ die Rede und ein erster Vertrag mit der Deutschen Grammophon Gesellschaft wurde geschlossen. In der Folge wurde er Staatskapellmeister der Staatskapelle Berlin und dirigierte auch an der Mailänder Scala.

Am 18. Februar 1945 gab Karajan ein letztes Konzert mit der Staatskapelle in Berlin. Das Kriegsende verbrachte er zusammen mit seiner damaligen Frau Anita in Mailand und am Comer See, wo er sich – so sagte er – „versteckte um einem Einberufungsbefehl zu der Kampfpropagandatruppe Südstern zu entgehen.“[2]

1946 wurde ihm von der sowjetischen Besatzungsmacht wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft Berufsverbot erteilt, das aber 1947 bereits wieder aufgehoben wurde. 1948 wurde er Direktor und Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (seit 1949 auf Lebenszeit). Ab diesem Zeitpunkt begann seine eigentliche Karriere. Nach einem Engagement an der Mailänder Scala (ständiger Gastdirigent von 1948 bis 1968) wurde er 1955 Nachfolger von Wilhelm Furtwängler und Sergiu Celibidache als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Im Dezember 1954, kurz nach Furtwänglers Tod, hatte Berlins Kultursenator Joachim Tiburtius bei Karajan angefragt, ob dieser die noch zu Furtwänglers Lebzeiten für den März 1955 terminierte USA-Tournee der Berliner Philharmoniker übernehmen könne. Karajan antwortete: „Mit tausend Freuden, aber nur als designierter Nachfolger und künstlerischer Leiter“.[3] Als Karajan 1955 die Berliner Philharmoniker in New York dirigierte, kam es zu dramatischen Demonstrationen gegen Deutschland und Karajan. Von seinem 1956 auf Lebenszeit[4] abgeschlossenen Vertrag mit den Berliner Philharmoniker trat er im April 1989 zurück, da ihm die finanzielle Förderung durch die Stadt und seine Kompetenzen nicht mehr ausreichten.[5] Außerdem war er von 1957 bis 1964 künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper, wo er entscheidend zum Weltruhm des Hauses beitrug und viele wichtige Sänger erstmals an das Haus holte. Wegen eines Streites mit Direktor Egon Hilbert infolge eines Streiks des Opernpersonals verließ er die Staatsoper schließlich vorzeitig (es ging dabei um die Arbeitsbewilligung für einen von Karajan gewünschten italienischen Souffleur). Ab Mitte der 70er Jahre wurde er zunehmend von gesundheitlichen Problemen geplagt, was ihn freilich nicht daran hinderte, weiterhin Tourneen in alle Welt zu unternehmen. 1967 begründete er die Salzburger Osterfestspiele, die er bis zu seinem Tod leitete: Jedes Jahr erarbeitete er dort eine Opernneuproduktion, als Orchester dienten ihm die Berliner Philharmoniker, bis er nach dem Bruch mit diesem Klangkörper 1989 erstmals auf das Gewandhausorchester Leipzig zurückgriff.

Ferner spielte Herbert von Karajan bei den Salzburger Festspielen als Mitglied des Direktoriums eine prägende Rolle – vor allem in den Jahren 1960 bis zu seinem Tod 1989. Eine Vorentscheidung war bereits 1938 gefallen. Während Karajan von der Führungsspitze der NSDAP bevorzugt wurde, wurde Gottfried von Einem 1938 im Hotel Adlon von der Gestapo verhaftet.[6]

Herbert von Karajan war ein Gründungsmitglied der Paul-Hindemith-Gesellschaft in Berlin. Er war auch stark an den Techniken der Musikreproduktion interessiert und legte sehr viel Wert auf die Berichterstattung der Medien über klassische Musik. Er führte als einziger Österreicher nach Ende der Monarchie seinen Adelstitel, den er als Künstlernamen verstand.

Bedeutung

Karajan hat als Dirigent mehr Schallplatten- und CD-Einspielungen vorgelegt als die meisten seiner Kollegen. Nach wenigen Kriegsaufnahmen, u. a. auch frühe Stereoaufnahmen vom letzten Satz der 8. Sinfonie von Bruckner, startete er 1946 durch Vermittlung von Walter Legge bei Columbia Records (später EMI) eine erste große Serie von Schallplattenaufnahmen mit dem neu gegründeten Philharmonia Orchestra. Ab Mitte der 1950er bis Anfang der 1960er nahm er auch bei Decca/London auf, ab 1959 neben dem bis in die 1980er Jahre laufenden Vertrag mit EMI auch bei Deutsche Grammophon. Das Standardrepertoire (und nur das interessierte ihn mit ganz wenigen Ausnahmen) nahm er so bis zu fünfmal auf, und die Zahl der Aufnahmen steht nach Ansicht vieler Kritiker nicht immer im Verhältnis zu ihrer künstlerischen Leistung. Seine 1982 gegründete Firma Telemondial hatte den Zweck, sein „Vermächtnis“ auch im Bild festzuhalten; es entstanden Bild- und Tonaufnahmen, in denen Karajan zum Teil auch die Bildregie bestimmte, und zwar in einer Art, die pathetisch wirken sollte, das Peinliche gelegentlich aber mehr als nur streifte.

Karajans Musizierstil war meist (abgesehen von seiner frühen Zeit bei EMI) akademisch, ohne große Wagnisse, legte jedoch enormen Wert auf den Klang. Karajans Ideal war ein „entmaterialisierter“ Klang, der alle Ansatzgeräusche der Tonbildung etc. vermeidet. Das führte bei klangsinnlichen Werken wie solchen des Impressionismus oder auch bei Jean Sibelius zu großartigen Ergebnissen (Karajan gilt neben Leopold Stokowski als einer der größten „Klangmagier“ überhaupt), beim klassisch/romantischen Repertoire wurde sein Klangideal aber häufig als oberflächlich poliert kritisiert. Seine letzte Aufnahme war Bruckners 7. Sinfonie mit den Wiener Philharmonikern.

Karajan erhielt zahlreiche Auszeichnungen (u. a. 1961 das österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, 1978 wurde er Ehrenbürger der Stadt Wien). Seit 1997 finden im Festspielhaus Baden-Baden die „Herbert von Karajan Pfingstfestspiele“ statt. Seit 2003 wird ebenfalls in Baden-Baden der Herbert-von-Karajan-Musikpreis verliehen.

Sony-Chef und Gründer Akio Morita war ein großer Freund klassischer Musik und Verehrer Karajans. Er investierte erheblich in das neue Medium CD. So entstand in der Kapelle auf Karajans Anwesen das seinerzeit fortschrittlichste Aufnahmestudio der Welt. Fast alle heute bekannten digitalen Aufnahmen von Karajan entstanden abwechselnd in der Berliner Philharmonie bzw. im Wiener Musikvereinssaal. Karajan arbeitete von den siebziger Jahren ab mit dem Toningenieur Günter Hermanns zusammen, der alle seine späten Aufnahmen bei der DG betreute. Diese Aufnahmen wurden abwechselnd mit den Wiener- und den Berliner Philharmoniker erstellt. Viele Kritiker warfen Karajan in späten Jahren vor, sich vor allem auf Klangqualität zu konzentrieren. Karajan war kein großer Wiederholer bei Aufnahmen und mußte oft von seinem Produzenten überredet werden, bestimmte Passagen, die weniger gelungen waren, neu aufzunehmen. Karajan hatte immer das Gesamtklangbild im Vordergrund, verlor sich nicht in Einzelheiten, was ihm in späteren Jahren Kritiken über seinen „Hochglanzklang“ einbrachte. Dies konnte jedoch nicht über die immense Musikalität, fachliche Souveränität und seinem Sinn für ästhetische Klangdramatik hinwegtäuschen, die Karajan deutlich von all seinen Dirigentenkollegen unterschied. Karajan trieb die Musiker und Tontechniker hierbei an, um den „perfekten“ Klang aufzunehmen: Frei von Ansatzgeräuschen, rauschfrei, jede Stimme, ja jedes Instrument sollte klar erkennbar sein und lebendig klingen. In einem während dieser Aufnahmen entstandenen Dokumentarfilm kommen so auch Musiker und Tontechniker zu Wort, die sich verständlicherweise wenig begeistert über die Akribie Karajans äußern. Die Aufnahmen gelten heute allerdings als wenig gelungenes Beispiel frühen „Digitalklangs“ - undurchsichtig, steril und mit gläsern synthetischem Streicherklang. Unter dem Titel „Karajan Gold“ versuchte die Deutsche Grammophon ein Remastering, das allerdings nur eine gewisse Besserung brachte. Karajans letzte Aufnahme war Bruckners 7. Symphonie, die er mit den Wiener Philharmonikern aufnahm und die als eine der besten Interpretationen dieses Werks gilt.

Privatleben

Herbert von Karajans Ur-Urgroßvater Georgios Karajannis wanderte aus Kozani in Nordgriechenland nach Sachsen aus und war als Kaufmann tätig. Dessen Sohn Theodor von Karajan wurde von Kurfürst Friedrich August III. für seine Tätigkeit in der Textilindustrie geadelt. Herbert von Karajans Vater war als Chirurg in Salzburg tätig.

Herbert von Karajan war dreimal verheiratet. In erster Ehe (1938) mit Elmy von Karajan-Holgerloef, in zweiter Ehe (1942) mit der Nähseiden-Firma-Erbin Anita Gütermann und in dritter Ehe (1958) mit Eliette von Karajan. Aus dieser Ehe gingen die Töchter Isabel (* 1960) und Arabel (* 1964) hervor. Für beide Töchter übernahmen Orchester, die mit Karajan verbunden waren, die Patenschaft, die Wiener Philharmoniker für Isabel und die Berliner Philharmoniker für Arabel.

Seine technischen Interessen erstreckten sich nicht nur auf die Aufnahmetechnik. Er war ein Freund schneller Autos und gehörte als langjähriger Porsche-Fahrer zu dem geringen Kreis Prominenter, die das limitierte Modell 959 erhielten - sogar gleich zweimal. (Zitat: „Mit dem ersten hatte ich keine Probleme, da er abbrannte.“) Daneben besaß er eine Privatpilotenlizenz und flog nicht selten sein eigenes Propellerflugzeug aus dem Hause Cessna. Später erwarb er zusätzlich die entsprechende Musterberechtigung und flog eine Dassault Falcon 10 (Mystère 10). Auch Segeln auf größeren Yachten gehörte zu seinen Freizeitbeschäftigungen. Meist wurden diese Aktivitäten - gewollt - medial begleitet.

Herbert von Karajan verstarb in den Armen seiner Frau Eliette, nachdem er zuvor noch eine Probe zu Un ballo in maschera geleitet hatte, am 16. Juli 1989 in Anif an Herzversagen und wurde auf dem dortigen Ortsfriedhof beerdigt.

Siehe auch

Literatur

Bücher
  • Karl Löbl: Das Wunder Karajan. Heyne, München 1978, ISBN 3-453-00827-8.
  • Ernst Haeusserman: Herbert von Karajan. Biographie. Goldmann, München 1983, ISBN 3-442-33100-5.
  • Wolfgang Stresemann: „Ein seltsamer Mann…“. Erinnerungen an Herbert von Karajan. Ullstein, Berlin 1991, ISBN 3-548-35725-3.
  • Werner Thärichen: Paukenschläge. Furtwängler oder Karajan. Henschel, Berlin 1991, ISBN 3-362-00535-7.
  • Klaus Lang: Herbert von Karajan. Der philharmonische Alleinherrscher. M-und-T, Zürich und St. Gallen 1992, ISBN 3-7265-6025-4.
  • Franz Endler, Karl Michael Fritthum: Karajan an der Wiener Oper. Dokumentation einer Ära. Holzhausen, Wien 1997, ISBN 3-900518-64-5.
  • Richard Osborne: Une vie pour la musique. L'Archipel, Paris 1999, ISBN 2-841871894.
  • Richard Osborne: Herbert von Karajan. Leben und Musik. Zsolnay, Wien 2002, ISBN 3-552-05171-6.
  • Bruno Streiff: Karajan, le chef d'orchestre. Èd. Complicités, Grignan 2003, ISBN 2-910721-63-9.
  • Annemarie Kleinert: Berliner Philharmoniker von Karajan bis Rattle. Jaron, Berlin 2005, ISBN 3-897-73131-2.
  • Peter Uehling: Karajan. Eine Biographie. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2006, ISBN 3-498-06884-9.
  • Eliette von Karajan: Mein Leben an seiner Seite. Ullstein HC, 2008, ISBN 978-3-550-08222-5
Artikel
  • Richard Klein: Der Fall Herbert von Karajan. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 57 (2003), S. 339-344.
  • Hans-Joachim Hinrichsen: Leben und Musik Herbert von Karajans. In: Musik & Ästhetik, 8 (2004), Nr. 32, S. 98-102.
  • Hans-Joachim Hinrichsen: Wirtschaftswunder und absolute Musik. Zu Peter Uehlings neuer Karajan-Monographie. In: Musik & Ästhetik, 11 (2007), Nr. 42, S. 105-110.
  • Richard Klein: Physiognomie eines Interpreten. Zu Peter Uehlings Karajan-Deutung. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 61 (2007), Nr. 695, S. 258-266.

Einzelnachweise

  1. Vgl. "Der Mann, der zweimal in die NSDAP eintrat", Welt-Online-Artikel vom 26. Januar 2008[1]
  2. Reinhard J. Brembeck. Der Mann, der nicht danke sagen konnte. In: Süddeutsche Zeitung, 28. Juni 2007, S. 13
  3. Mozart - ein salzburg.com weblog
  4. NZZ: Ein Mythos wird entrümpelt 26. August 2007
  5. Cicero - Magazin für politische Kultur
  6. Franz Krahberger, Die Pürggschrift, 1998