„Aischa bint Abi Bakr“ – Versionsunterschied

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== Die Überlieferung über ihr Leben ==
== Die Überlieferung über ihr Leben ==
Das Heiratsalter der Prophetenfrau Aischa aus hadithwissenschaftlicher und historischer PerspektiveSerdar AslanPROPHET MUHAMMAD
=== Eheschließung mit Mohammed ===
Im islamischen Schrifttum wird Aischas Alter bei der [[Eheschließung]] mehrheitlich mit sechs bzw. sieben Jahren, beim [[Vollzug der Ehe]] mit neun bzw. zehn Jahren verzeichnet.<ref>Asma Afsaruddin: ''ʿĀʾisha bt. Abī Bakr.'' In: Kate Fleet, Gudrun Krämer, Denis Matringe, John Nawas, Everett Rowson (Hrsg.): ''Encyclopaedia of Islam, THREE.'' Brill Online, 2016. Vgl. Denise Spellberg: ''Politics, Gender, and the Islamic Past. The Legacy of ʿAʾisha bint Abi Bakr.'' Columbia University Press, 1994. S. 40</ref><ref>[[Jonathan A. C. Brown]] vermerkt mit Bezug auf aṭ-Ṭabarīs [[At-Tabarī#Geschichtsschreibung|Geschichtswerk]], dass Aischas Ehe erst zum Zeitpunkt ihrer Geschlechtsreife vollzogen wurde. Siehe Jonathan A. C. Brown: ''Misquoting Muhammad: The Challenge and Choices of Interpreting the Prophet’s Legacy.'' Oneworld Publications, 2014. [https://archive.org/stream/misquoting-muhammad-pbuh#page/n82/mode/1up S. 143] sowie [https://archive.org/stream/misquoting-muhammad-pbuh#page/n173/mode/1up S. 316, Anm. 50]</ref> Der Historiker [[Muhammad ibn Saʿd]] († 845 in [[Bagdad]]) überliefert in seinem ''Klassenbuch'' die eigene Aussage von Aischa, die gesagt haben soll:


1 Einführung
{{Zitat
|Text=Der Gesandte Gottes heiratete mich im Monat [[Schawwal]] im zehnten Jahr der Prophetie, drei Jahre vor der [[Hidschra|Auswanderung]], als ich sechs Jahre alt war. Der Gesandte Gottes wanderte aus und kam in Medina am Montag, den 12. [[Rabīʿ al-awwal]], an und veranstaltete mit mir die Hochzeit im Monat Schawwal, acht Monate nach seinem Auszug. Die Ehe vollzog er mit mir, als ich neun Jahre alt war.
|Autor=Ibn Saad
|Quelle=''Das Klassenbuch.'' Hrsg. Carl Brockelmann, Brill, Leiden 1904, Band 8, S. 39, 25–40, 4; siehe auch ebd. S. 40, 8–13; 40, 25–27
|ref=<ref>Siehe auch die Überlieferungen der [[Al-Kutub as-sitta|kanonischen Hadithsammlungen]] zum Heiratsalter bei [[Al-Buchari|Buchārī]], {{Webarchiv |url=https://www.usc.edu/org/cmje/religious-texts/hadith/bukhari/062-sbt.php |text=Buch 62, Nr. 64, Nr. 65 |wayback=20140317182545}} sowie {{Webarchiv |url=https://www.usc.edu/org/cmje/religious-texts/hadith/bukhari/062-sbt.php |text=Nr. 88 |wayback=20140317182545}} (englisch), und [[Muslim ibn al-Haddschadsch|Muslim]], {{Webarchiv |url=https://www.usc.edu/org/cmje/religious-texts/hadith/muslim/008-smt.php |text=Buch 8, Nr. 3309–3311 |wayback=20140317182906}} (englisch)</ref>}}


Die junge Ehe der Prophetenfrau Aischa[1], die nach der klassischen Annahme mit 9-10[2] Jahren gewesen sein soll, ist für viele unnachvollziehbar und wird selbst von einigen Muslimen direkt zurückgewiesen. Dieses Zurückweisen stößt jedoch wiederum auf innerislamischen Widerstand, weil damit auch als authentisch (ṣaḥīḥ) eingestufte Traditionen negiert werden. Kulturelle Aspekte der Heirat treten dann in den Vordergrund um die junge Ehe zu erklären und zu rechtfertigen. Andere jedoch, die die islamische Überlieferungstradition achten und beachten, versuchen innerhalb des vorliegenden Überlieferungsgutes eine Beweisführung für ein älteres Heiratsalter zu erbringen. Zudem diente diese Tradition, die mehrfach überliefert wurde, den klassisch-islamischen Juristen als Rechtsquelle, aus der sie Rechtsnormen für die Institution der Ehe ableiteten. All diese und weitere Aspekte machen dieses Thema zu einer spannenden Forschungsfrage. Im Rahmen dieser Arbeit können wir uns jedoch nicht mit jedem Aspekt auseinandersetzen. Unser Interesse soll daher schwerpunktmäßig der historischen Quellenuntersuchung gelten.
Asma Afsaruddin macht in diesem Zusammenhang auf den Umstand aufmerksam, dass nach den Angaben im biographischen Lexikon [[Ibn Challikān]]s Aischa zum Zeitpunkt der Ehe neun und beim Vollzug der Ehe zwölf Jahre alt war. Diese Darstellung wird auch durch einen Bericht in Ibn Saʿds [[Muhammad ibn Saʿd#Das große Klassenbuch|Klassenbuch]] gestützt.<ref>Siehe Asma Afsaruddin: ''ʿĀʾisha bt. Abī Bakr''. In: Kate Fleet, Gudrun Krämer, Denis Matringe, John Nawas, Everett Rowson (Hrsg.): ''Encyclopaedia of Islam, THREE.'' Brill Online, 2016 und dortige Quellenangaben. Siehe auch Denise Spellberg: ''Politics, Gender, and the Islamic Past. The Legacy of ʿAʾisha bint Abi Bakr''. Columbia University Press, 1994, S. 204, Anm. 54.</ref> Ferner vermerkt sie, dass Kinderehen im Zeitalter Mohammeds nicht unüblich waren. Die Ehe zwischen Mohammed und Aischa stellte insbesondere einen (politischen) Bund mit Aischas Vater Abu Bakr dar.<ref>William Montgomery Watt: ''[https://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-of-islam-2/aisha-bint-abi-bakr-SIM_0440 ʿĀʾis̲h̲a Bint Abī Bakr.]'' In: ''The Encyclopaedia of Islam. New Edition.'' Vgl. Nabia Abbott: ''Aishah – The Beloved of Mohammed''. Al Saqi Books, 1985, S. 9 f.</ref>


Im ersten Kapitel werden folgende methodische Fragen behandelt: Wie sollen die Traditionen beurteilt werden? Welche Aspekte müssen dabei berücksichtigt werden? Welches Verhältnis besteht zwischen Geschichte und Hadith? Welche Kriterien können bei der Analyse von sich scheinbar widersprechenden Traditionen (ta‛āruḍ) angewendet werden?
Denise Spellberg verweist auf die Bedeutung ihres frühen Heiratsalters und ihrer somit unumstrittenen Jungfräulichkeit als eine von mehreren Attributen, die sie in der (sunnitisch-)islamischen Historiographie in ihrer Position als Gattin des Propheten gegenüber seinen restlichen Ehefrauen hervorhebt und dadurch auch die Stellung ihres Vaters als erster Kalif befestigt (Siehe auch: [[Schia#Der Nachfolgestreit]]):<ref>Siehe dazu Denise Spellberg: ''Politics, Gender, and the Islamic Past. The Legacy of ʿAʾisha bint Abi Bakr''. Columbia University Press, 1994, S. 27–60, hier insb. S. 30 f. und S. 39 f.</ref> „All diese genauen Bezugnahmen auf das Alter der Braut untermauern Aischas vorpubertären Zustand [zum Zeitpunkt der Eheschließung] und somit implizit ihre Jungfräulichkeit. Sie erklären auch die sich unterscheidenden Altersangaben in den geschichtlichen Aufzeichnungen.“<ref>Denise Spellberg: ''Politics, Gender, and the Islamic Past. The Legacy of ʿAʾisha bint Abi Bakr''. Columbia University Press, 1994, S. 40. Original: {{" |Text=All of these specific references to the bride's age reinforce ʿAʾishas pre-menarcheal status and, implicitly, her virginity. They also suggest the variability of ʿAʾishas age in the historical record. |Sprache=en}}</ref>

Im nächsten Kapitel soll eine Darstellung der Geschichte der Forschung und des Diskurses über das junge Heiratsalter der Prophetenfrau Aischa folgen: Wann und warum begann die Diskussion über das Heiratsalter? Welche Gelehrten und Wissenschaftler befassten sich mit dieser Thematik? Welche Argumente wurden herangezogen?

Im darauffolgenden Kapitel versuchen wir uns einen Einblick in die Heiratskultur im Alten Arabien zu verschaffen, damit er als eine Stütze für die historische Untersuchung des Traditionsmaterials dienen kann. Stellt die junge Ehe des Propheten mit Aischa eine totale Ausnahme dar? Wann heirateten die Frauen und Männer in der Regel? Welche Heiratskultur und welche Zielsetzungen waren vorhanden?

Im Hauptteil besprechen wir dann im Lichte und auf Basis unserer Ergebnisse aus den vorherigen Kapiteln nach chronologischen und historischen Kriterien und gemäß hadithwissenschaftlicher Prinzipien die wichtigsten Beweise und Argumente, die von Forschern angeführt und diskutiert werden. Welche Überlieferungen und Berichte werden vorgelegt? Wie lassen sie sich diese mit anderen Traditionen harmonieren (ta‘līf)? Welche historischen Daten liegen vor?

Eine Chronologie (im Anhang) ist entsprechend unserer Methode als ein historisches Kriterium gedacht bzw. soll die chronologische Einbettung der Traditionen und Ereignisse erleichtern.

Am Ende der Arbeit sollen die Ergebnisse zusammengefasst, eigene Position erarbeitet und offene sowie weiterführende Fragen, die durch die Analyse entstanden sind, besprochen werden.

2 Eine kurze Skizzierung der Methode (uṣūl)

Am Beispiel der als authentisch (sahīh) qualifizierten Überlieferung und der damit verbunden überlieferungstechnisch diskutierten Frage nach dem Geburts-, Heirats- und Todesalter der Geehrten Aischa soll ein Versuch unternommen werden eine textkritische Methode neben der klassischen Hadithwissenschaft zur Anwendung zu bringen. Für die vorliegende Arbeit kommt als eine textkritische Methode in erster Linie die historische Chronologie in Frage, die aus anderen Traditionen gewonnen werden soll. Aufgrund der Tatsache, dass zu untersuchendem Thema keine extratextuellen Quellen[3] zur Verfügung stehen, kann es sich hierbei nur um eine inter- und intratextuelle[4] historisch-kritische Methode handeln.

Aus einer anderen Perspektive heißt das, dass es für die islamische Geschichte im Allgemeinen und für die hier zu analysierende Frage im Besonderen eine scharfe Trennung von Hadith und Historie nicht gegeben ist, da Geschichte selbst aus dem Überlieferungsmaterial abgeleitet wird, mit ihm verwoben ist und beide Bereiche miteinander interferieren. So zitiert der Wissenschaftshistoriker Fuad Sezgin eine frühere Definition der Geschichtswissenschaft: „Die Geschichtswissenschaft ist eine Disziplin der Disziplinen der Hadithwissenschaft.“[5] Jedoch soll die allgemeinbekannte Tatsache nicht unerwähnt bleiben, dass in den Prophetenbiographien und Geschichtswerken, nicht mit gleicher Strenge Isnād- und Matn-Kritik, wie sie z. B. bei juristischen (fiqh) Überlieferungen zur Geltung kam, ausgeübt wurde, sodass wir heute einer Unmenge vom Überlieferungsmaterial gegenüber stehen, das - nach hadithwissenschaftlichen und historischen Kriterien zugleich - gelesen, interpretiert und ausgelesen zu werden hat.

Wir intendieren - um eine höhere Historizität zu erlangen - für unsere Analyse chronologische Konstanten zu ermitteln, um dann diese als Prämisse zu verwenden, an denen einzelne Überlieferungen überprüft werden sollen. Da fast alle Zeitangaben in den Traditionen relativ sind, brauchen wir notwendigerweise - um sie historischer zu machen bzw. historisch auszuwerten - absolute Werte, die als Vergleichsmaßstab dienen können.

So dürfen wir unsere Methode zusammengefasst als eine historische bzw. chronologische Textkritik bezeichnen. Diese Methode wurde bereits von früheren Gelehrten als eine textkritische Methode eingesetzt.[6] Teilweise wurde sie sogar - wie noch zu sehen sein wird - in Bezug auf unser Thema angewandt.

Vielmehr als der sozio-kulturelle und ethisch-rechtliche Aspekt des jungen Heiratsalters der Prophetenfrau Aischa, interessiert uns die Erprobung der genannten historischen Methode. Erweist sie sich als nützlich, kann mit ihr die Authentizität und Korrektheit einzelner Überlieferungen verifiziert oder falsifiziert werden.

Als ein Prinzip sei zu erwähnen, dass die Jahresangaben, die mit den wenigsten Erklärungen auskommen bzw. den höchsten inhaltlichen Harmonisierungsgrad mit anderen Traditionen (intertextuellen Quellen) aufweisen, als die wahrscheinlichsten angenommen werden dürfen.[7]

Die Geburts- und Altersangaben wurden in den Überlieferungen nur ungefähr und oft schätzungsweise angegeben. Als Beispiele seien genannt:

Der Prophet heiratete Ḫadīğa als sie 28 oder 40 Jahre alt gewesen sein soll.Maimūna bint al-Ḥāriṯ starb 51 oder 61 n. H.[8].[9]

Die Menschen orientierten sich an wichtigen Ereignissen, die im kollektiven Gedächtnis bewahrt wurden. Zum Beispiel:

Ibn Qutaiba sagt: „Die Menschen stimmen darin überein (iğma‛), dass der Prophet im Jahre des Elefanten geboren ist.“[10]Aischa ist etwa 8 Jahre vor der Auswanderung in Mekka geboren.[11]

Die Araber der vorislamischen Zeit kannten keinen allgültigen Kalender. Sie richteten ihre Zeitangaben nach bestimmten wichtigen Ereignissen wie z. B. dem „Elefantenjahr“ (ām al-fīl). Diese Richtereignisse konnten jedoch auch je nach Stamm variieren. Während diese Angaben unter der Stadtbevölkerung langwieriger Natur waren, erfuhren sie bei den Beduinen - gemäß ihrer Lebensweise - einen häufigeren Wechsel.[12]

So machten auch die Muslime ihre Jahresangaben entsprechend dem Elefantenjahr, dem Beginn der Prophetie (nach der ersten Offenbarung) und der Auswanderung der mekkanischen Muslime nach Yaṯrib (später Medina) - wobei das letztere Ereignis später offiziell als Kalenderbeginn angenommen und institutionalisiert wurde.[13]

Das heißt wiederum, dass Angaben, die dem Elefantenjahr folgen, uns in mehrfacher Hinsicht nur ungefähre Daten liefern. Denn sowohl die Information, z. B. 5 Jahre nach dem Elefantenereignis, als auch das Elefantenjahr (bzw. der Elefantentag), sind an sich zunächst einmal unbestimmt bzw. relativ. Bestimmten wir auch mit einer gewissen Sicherheit das Datum des Elefantenereignisses, wären hiermit noch lange nicht alle mit ihm zusammenhängenden chronologischen Fragen gelöst, weil der Überlieferer bzw. der Informant sich bei seiner Mitteilung nicht unbedingt an unser Datum gerichtet hat, sondern eine eigene Schätzung wiedergibt, die uns bis auf Weiteres unbekannt bleibt.

Aus diesem Grund taucht das Problem auf, dass für das gleiche Ereignis unterschiedliche, manchmal unvereinbare, Zeitangaben gemacht werden. Im Hauptteil unserer Arbeit werden wir gerade mit diesem Problem uns auseinandersetzen müssen.

Für variierende Zeitangaben für denselben Vorfall gibt es vielerlei Gründe, von denen wir einige oben genannt haben. Auf weitere Ursachen – ŞULUL zählt bis zu 17 - können wir, weil es den Rahmen unserer Arbeit sprengen würde, nicht detaillierter eingehen.[14] Einige werden aber in der Analyse der Überlieferungen, im Hauptteil, zur Erscheinung treten. Fakt ist aber auch, dass unterschiedliche Aussagen nicht zwangsläufig die Inkorrektheit einer oder mehrerer Traditionen bedeuten, sondern, dass sogar sich scheinbar widersprechende zugleich richtig sein können, weil - wie oben angeführt - nicht immer tatsächliche, sondern auch perspektivische und relationale Gründe vorliegen können. Um es theoretisch zu verdeutlichen:

Für Tradent X findet Ereignis A am 01.06.625 statt.Für Tradent Y findet Ereignis A am 05.06.625 statt.Tradent X gibt an, dass Ereignis B 10 Tage nach Ereignis A stattfand.Tradent Y gibt an, dass Ereignis B 6 Tage nach Ereignis A stattfand.Für beide Tradenten findet im Ergebnis - aus unserer Sicht - Ereignis B am gleichen Tag, d. h. am 11.06.625, statt.

Viele andere Optionen, Fälle und Gründe sind neben den genannten möglich und sind möglichst zusammen sowie im Einklang miteinander in Betracht zu ziehen, sodass eine Überlieferung mit einer anderen nicht ausgespielt oder einige andere unbeachtet bleiben.

3 Zur Geschichte und Stand der Forschung

Soweit uns bekannt, wurde die Frage nach dem Heiratsalter der Geehrten Aischa bis in die späte Moderne (19. und Anfang 20. Jh.) in der islamischen Literatur nicht diskutiert. Dass sie den Propheten gemäß den vielfach tradierten und als authentisch (saḥīḥ) klassifizierten Überlieferungen mit 9 Jahren heiratete, galt unter den Gelehrten als ein Faktum und könnte sogar in traditioneller Sprache als ein Konsens (iğma‛) bezeichnet werden, hatten doch selbst die Rechtsschulen ihre Normableitungen (istinbāṭ al-ḥukm) darauf aufgebaut.[15] Obwohl einige Unstimmigkeiten hinsichtlich ihres Geburts- und Todesalters, ja selbst in Bezug auf das genaue Datum ihrer Verlobung und Heirat, bekannt waren - was ja ebenso typisch für die Überlieferungen war - und einige Historiker diese diskutierten, sah kein einziger Gelehrter sich veranlasst an der Richtigkeit bzw. Historizität ihres Heiratsalters zu zweifeln. Warum auch? War doch bis zum Anfang des 20. Jh. an vielen Gegenden der Welt und selbst heute noch an einigen Orten nichts Ungewöhnliches an einer frühen Ehe zu sehen. Dass auch kein einziger Gegner des Islams seit der Ehe des Propheten mit Aischa bis zum 19. Jh. über 1300 Jahre, soweit wir wissen, keine - auch nicht einmal eine leiseste - Kritik ausgeübt hat, selbst nicht diejenigen, welche sich sonst keine einzige Gelegenheit entgehen ließen,[16] zeigt neben anderen Belegen, die wir im entsprechenden Kapitel anführen werden, dass diese Ehe - mag sie auch in der uns nicht absolut bekannten historischen Realität im späteren Alter gewesen sein oder auch nicht -, war sie doch über Jahrhunderte so verbreitet und bekannt, den damaligen sozio-kulturellen Standards entsprochen haben muss.[17]

Wir können aus diesem Hintergrund heraus nun behaupten, dass die Erforschung des Heiratsalters erst durch eine außerislamische Kritik ausgelöst wurde, und diese nur möglich geworden war, weil die Heiratskultur und die diesbezüglichen Normen und kulturellen Maßstäbe sich stark veränderten und sich ja je nach Zeit und Ort im stetigen Wandel befanden und noch befinden.[18] Genau in diese Zeit fällt auch die uns bekannte früheste Kritik. Es war der niederländische Orientalist DOZY, der in seinem populären Buch Het Islamisme[19], welches 1863 erschien, 1879 ins Französische mit dem Titel Essai sur l'histoire de l'islamisme[20] und 1908 als Târîh-i Islâmiyyet[21] ins Türkische übersetzt wurde, zum ersten Mal eine Kritik über die junge Ehe des Propheten äußerte. Das Werk wurde im Osmanischen Reich in mehrfacher Hinsicht heftig kritisiert und sogar zeitweise verboten.[22]

Er wird wohl nicht der erste sein, der sich eine Kritik erlaubte, geht er doch in seinem Buch nur kurz auf diesen Punkt ein.[23] Es müsste auch keine lautstarke Kritik an der jungen Ehe geäußert werden, damit sich die Islamgelehrten veranlasst sahen, darüber zu schreiben, sondern das „Problem“ war - wie bereits angedeutet - wegen des sich permanent ändernden Heiratsalters in der Luft und musste „gelöst“ werden, sowie es vor allem heute durch das immer weiter steigende Heiratsalter noch einfacher noch stärker problematisiert werden kann und wird, bedenkt man auch die wachsende Islamophobie, die keine Gelegenheit verpasst um den Islam zu „kritisieren“. Wie dem auch sei, seien hier nun skizzenhaft die Arbeiten der Forscher angeführt, die sich damit beschäftigt haben:

Der erste muslimische Gelehrte, der sich kritisch auf das Heiratsalter der Prophetenfrau Aischa bezog, war MAULĀNĀ ŠIBLĪ am Anfang des 20. Jahrhunderts, der eine umfassende Prophetenbiographie schrieb, welche bereits 1928 ins Türkische übersetzt wurde.[24] 1978 folgte eine Übersetzung von DOĞRUL, die er auch an der Stelle über das Heiratsalter weiter ergänzt.

U. a. darauf aufbauend argumentiert SAVAŞ 1995 für ein älteres Heiratsalter. In seinem Beitrag bezieht er sich neben klimatisch-geographischen Aspekten, auch auf ihre mekkanische Erinnerungen, die er für so ein junges Alter zu unwahrscheinlich hält. Weiterhin führt er den Altersunterschied zwischen Asmā’ und Aischa an und behauptet, dass Aischa während der Auswanderung um die 17 Jahre alt sein müsse, weil Asmā’ 10 Jahre älter sei als Aischa und zur Zeit der Auswanderung um die 27 gewesen sei. Auch erwähnt er die Aufnahme der Aischa in die Liste der ersten Muslime und begründet damit ein viel älteres Alter zur Zeit ihrer Geburt und damit auch ihrer Heirat. Auch wenn er alternative Optionen in Betracht zieht, ist er gewillt sie so zu interpretieren, sodass sie mit seiner These übereinstimmen. So legt er dar, dass der Historiker Ibn ‛Asākir unter dem Eindruck der Überlieferungen, die besagen, dass Aischa mit 9 Jahren geheiratet hatte, sie aus dieser Liste strich, wobei er seine Position nicht teilt. Vor allem auch wegen seiner überlieferungstechnischen Hypothesen, scheint es an dieser Stelle angebracht, seine Schlussfolgerung zu zitieren:

„Nach all diesen Überlieferungen können wir sagen, dass die Traditionen, die Aischa 10 Jahre jünger, zur Zeit der Auswanderung als 8-jährig zeigen, falsch sind. Weil uns kein offensichtlicher Beweis für diesen Fehler vorliegt, liegt der Schluss nahe, dass (typische) Fehler bei dieser Art von Überlieferungen auch in diesem Fall gemacht wurden. Der Fehler ist entweder auf den Überlieferer oder den Kopist zurückzuführen oder resultiert aus einem Verkennen von einem vorher gemachten Fehler. Ist einem großen Gelehrten ein Fehler unterlaufen, nehmen die Späteren an, dass er keine Fehler gemacht haben kann und gehen so den Weg, vorhandene korrekte Überlieferungen als falsch zu sehen oder sie zu modifizieren. Auf diese Weise entstehen aus einem kleinen Fehler weitere Fehler. Ein Beispiel sehen wir in der obengenannten Überlieferung Ibn ‛Asākirs.“[25]

Es ist hier anzumerken, dass der gleiche „Vorwurf“ auch für den Autor selbst - sogar in noch stärkerer Form - vorgebracht werden kann, hat doch auch er unter dem „Einfluss“ der einen Überlieferung (Liste der ersten Muslime) die korrekten bzw. als korrekt und authentisch bekannten Traditionen als falsch erklärt.

Auf ihn und DOĞRUL bezieht sich der Artikel, welcher im Jahre 2003 erschien, verfasst von AZİMLİ, dem historisch-kritischen Autor, der bereits im Titel Position bezieht: Hz. Aişe’nin Evlilik Yaşı Tartışmalarında Savunmacı Tarihçiliğin Çıkmazı.[26] AZİMLİ geht ausführlich auf jeden Punkt ein und zeigt auf, dass auch alternative Erklärungen für die sich scheinbar “widersprechenden” Überlieferungen gebracht werden können, sodass sie mit der klassischen Annahme harmonieren. Nachdem er die kulturellen Hintergründe bzw. das Verhältnis zwischen Kultur und prophetischer Tradition erörtert, erklärt er die Gründe für die Vielehen des Propheten. Er vertritt die These, dass generell aus dem Todesalter der Gefährten ihr Geburtsdatum abgeleitet wurde. So verfährt er auch mit den Angaben über die Ehefrau des Propheten und kommt zu einem Ergebnis, das mit der klassischen Annahme übereinstimmt (S. 29-30). Dann widerlegt er die Behauptung, dass die Geehrte Aischa sich an die Offenbarung der Sūre al-Qamar erinnerte und deswegen älter sein müsse, mit dem Gegenargument, dass sie sich im jenem Alter durchaus daran erinnern könne (S. 30-31). Ebenso geht er auf den Altersunterschied zwischen Asmā’ und Aischa ein und kommt durch Berechnungen zu dem Ergebnis, dass nicht das Alter der Prophetenfrau Aischas erhöht, sondern vielmehr das Alter ihrer Schwester Asmā’ herabgesetzt werden müsse (S. 31-32). Sodann analysiert er andere Argumente wie ihre vorherige Verlobung mit Ǧubair ibn Mut‛im, den Altersunterschied zwischen ihr und ihrem Bruder ʿAbd ar-Raḥmān und schlussfolgert aufgrund der damaligen Heiratskultur: “So eine Anzahl von Traditionen kann nicht nur aufgrund von Deutung (yorum) zurückgewiesen werden.” (S. 36)

Schon ein Jahr später (2004) erscheint die nächste Bearbeitung der Frage. Dieses Mal geht es dem Autor COŞKUN eher um die Probleme der historischen Kritik der Hadithe. Sein Titel lautet: „Hadislerin Tarihe Arzının Uygulamadaki Bazı Problemleri (Hz. Âişe’nin Evlilik Yaşı Örnekleminde Bir İnceleme)“. Nachdem der Autor die historische Kritik definiert und ihre Probleme ausführt, führt er alle möglichen Traditionen bezüglich ihres Alters und der Jahresangaben, die in Bezug zu ihrem Alter stehen, an, ohne dabei - wie die vorherigen Autoren - allzu sehr die Beweise zu diskutieren. Sein Fazit ist dementsprechend offen gehalten:

„Als Aischa heiratete, war sie nicht - wie überliefert - 9-10 Jahre alt, sondern in einem Alter, welches von der damaligen Gesellschaft für die Heirat als akzeptabel und nicht anrüchig aufgefasst wurde. (…) Welches Alter es ist, das von der damaligen Gesellschaft akzeptiert wurde, kann aufgrund der vielfältigen Traditionen, die uns die Quellen anbieten, nicht mit letzter Sicherheit bestimmt werden, auf Basis dessen eine einstimmige Meinung gebildet werden könnte. Trotz dessen kann eine Bestimmung gemacht werden, doch dabei darf nicht unvergessen bleiben, dass dies nur eine Auswahl wäre.“ (S. 196)

Der im gleichen Jahr (2004) publizierte Beitrag[27] von Frau YILDIRIM erörtert die Relativität des Heiratsalters, wobei sie sich dabei mit der Kultur der Juden, Christen und Araber befasst. Sie erörtert die Ehen des Propheten im Allgemeinen, behandelt die junge Ehe mit seiner Frau Aischa im Besonderen und gibt die Diskussionen darüber gelungen zusammengefasst wieder. Ihr Ergebnis appelliert für eine objektive Mitte bei der Behandlung dieser Thematik:

 „Ohne eine definitive Angabe für das Heiratsalter der Aischa machen zu können, ist es eine Tatsache, dass es im jungen Alter stattfand. Doch dieses Alter widersprach nicht der Heiratskultur jener Gesellschaft. Wäre das Heiratsalter der Aischa im Widerspruch zur Tradition, Gewohnheit und Sitte der arabischen Gesellschaft, hätten in erster Linie die Juden und Heuchler in Medina sowie die Erzfeinde des Propheten ihn dafür heftig kritisiert. (…) Damit wir die Ereignisse der Vergangenheit im Rahmen der Bedingungen und Quellen richtig verstehen und an die Tatsachen gelangen, dürfen sie nicht mit den ethischen Maßstäben der heutigen Zeit bewertet werden.“ (S. 247)

ERUL veröffentlicht nach zwei Jahren (2006) seinen Beitrag[28] zum Thema, wobei er bewusst eine Zurückhaltung intendiert. Er gibt die Argumente der beiden Seiten direkt in langen Zitaten wieder. Damit beabsichtigt er in diesem heiklen Thema die Antwort dem Leser zu überlassen. Leider führt diese Zurückhaltung dazu, dass nicht besonders viel zur Diskussion beigetragen wird, was von diesem Hadithexperten zu erwarten wäre.

Umso stärker diskutiert HAYLAMAZ (2008) die bereits genannten Argumente für ein höheres Alter. Geht er auch gelegentlich auf eine alternative Deutung der Traditionen ein, so doch nur um diese zu entkräften. Diese Einseitigkeit wird noch auffälliger, wenn erkannt wird, dass er die durch zahlreiche authentische Traditionen belegte Tatsache, dass die Prophetenfrau Aischa in Medina an Puppenspielen Interesse zeigte unerwähnt lässt. Wäre sie nach seiner Tendenz damals eher um die 17-18, als sie den Propheten heiratete, so schuldet er zumindest eine Erklärung dafür wie eine - zieht man auch damalige Standards in Betracht - eine ziemlich erwachsene Frau noch mit Puppen spielte. Trotz dieses Mankos liefert der Autor nützliche Informationen, die wir im Hauptteil verwerten und auswerten werden.

Ein Jahr später (2009) widmet AKGÜNDÜZ dieser Thematik ein kurzes Kapitel in seinem erschienen Buch[29]. Er als Jurist weist die Kritik an der jungen Ehe vor allem mit dem Islamischen Recht zurück. Der Vollzug der Ehe sei nur nach der Zustimmung der Partner und nach der Pubertät möglich. Das Alter der Aischa entspreche ebenso den damaligen Standards.

Im deutschsprachigen Raum hat sich im Jahre 2005 der bekannte Übersetzer islamischer Bücher, WENTZEL, mit dem Thema befasst[30]. Sein ganzer Text konzentriert sich auf die Widerlegung eines vom Spanischen ins Deutsche übertragene Apologetik, die mit aller Vehemenz ein höheres Alter verteidigt und dabei nicht zurückschreckt die frühen Historiker mit Fehlern, Widersprüchen und Unzuverlässigkeit zu überhäufen. WENTZEL verteidigt ebenso stark die Authentizität der klassischen Überlieferung und kritisiert vor allem den leichtsinnigen Umgang mancher Muslime mit den eigenen Quellen.

Analog arbeitet eine englischsprachige Arbeit von BIN KHALID (2007)[31], die einen ähnlichen Beitrag zitiert und widerlegt. Englischsprachig ist - neben vielen anderen Beiträgen - ein Büchlein (1999) zu unserem Thema verfasst worden, das auch ins Deutsche übersetzt wurde[32]. Anders als die meisten Beiträge, beschäftigt sich der Autor hauptsächlich mit den kulturellen und biologischen Aspekten der Ehe. Er verteidigt die klassische Überlieferung und kritisiert mit scharfem Ton die Gegenposition.

Gut Zweidrittel seiner Diplomarbeit[33] widmet IBRAHIM (2009) unserer Thematik und führt fast alle bekannten Argumente an und diskutiert sie. Er beschäftigt sich auch mit rechtlichen Aspekten und kritisiert die islamischen Rechtsgelehrten. Sein Fazit ist umso selbstsicher:

„Darauf [die Feststellung über die Überlieferungslage - A. d. V.] aufbauend kann ich nun nach Abschluss meiner Recherchen mit großer Gewissheit behaupten, dass Aischa zum Zeitpunkt ihrer Heirat zwischen 19 und 21 Jahre alt war.“ (S. 126)

Er versucht mit größter Mühe überlieferungstechnisch die klassische Überlieferung zu entkräften, in dem er die Zuverlässigkeit Hišām ibn ‛Urwas in Frage stellt bzw. seine Überlieferungen im Irak in Zweifel zieht (S. 103 f.). Leider verkennt der Autor die Tatsache, dass neben ihm viele weitere Tradenten das junge Alter der Prophetenfrau Aischas direkt von ihr überliefern und dass nicht nur irakische, sondern auch medinische Überlieferer, von Hišām diese Informationen tradieren.[34] Damit wären seine Prämissen, d. h. Feststellungen, auf denen er „mit großer Gewissheit“ seine Behauptung aufstellt, zum großen Teil obsolet.

Es ist zu konstatieren, dass leider viele Autoren von anderen Beiträgen - u. a. sprachlich bedingt - keine Kenntnis hatten, sodass ihnen viele nützliche Erkenntnisse verborgen blieben und somit nicht verwertet werden konnten. Auf die wichtigsten Argumente und Traditionen, die von den genannten Autoren dargebracht wurden, werden wir im Hauptteil unserer Arbeit eingehen. Zunächst soll jedoch als eine Grundlage dafür, eine Behandlung der Heiratskultur der damaligen Zeit, betrachtet werden.

4 Heiratskultur im Alten Arabien

Oft halten wir unsere heutigen kulturellen Standards für „ewig gegeben“ und setzen sie nicht selten „absolut“. Wir vergessen oft, dass viele Selbstverständlichkeiten von Heute Kuriositäten von Gestern waren, sowie Trivialitäten der Vergangenheit zu Exzentrizitäten der Gegenwart geworden sind. Selbst so was Universelles wie die Zahlen - vor allem die Null - haben eine lange Geschichte hinter sich und blieben für Jahrhunderte ein Geheimnis.[35] Auch unsere Begriffe von „Kindheit“ und „Jugend“ sind noch lange nicht so absolut und natürlich wie es auf den ersten Blick scheint. Dafür genügt es in ein Werk zur Geschichte der Pädagogik zu schauen. So eine Phase wie die „Jugend“ gab es nicht immer! - und schon dieser Aspekt wird unsere Lektüre früherer Kulturen stark relativieren. Zudem wäre es ein imperialistischer Gedanke, sähen wir unsere hiesigen Kulturstandards - wenn es diese denn überhaupt als solche gibt - über alle Zeiten und Orte hinaus als absoluten Maßstab, mit dem alles zu messen sei. Beachten wir diese Gesichtspunkte und betrachten wir auch die klimatischen, soziologischen und kulturellen Gründe und Ursachen für das frühere Heranreifen, das frühere Heiraten, werden wir zu noch gesünderen Ergebnissen gelangen.

Wir finden in den Quellen zahlreiche Beispiele dafür, dass zur Zeit des Propheten und noch viel später neben den Frauen auch die Männer ein frühes und schnelles Wachstum aufwiesen. Es ist uns bekannt, dass zur Zeit des Propheten Männer um das Alter 15 herum im Krieg teilnahmen[36] und Usāma ibn Zaid war noch keine 20 Jahre alt, als er das islamische Heer gegen die damalige Supermacht, das Byzantinische Reich, leiten sollte.[37]

Im Alten Arabien wurden Frauen recht jung - gewöhnlich vor dem 12. Lebensalter - verheiratet.[38] Einige Beispiele dafür sind:

Zainab, die Tochter des Propheten, heiratete Abū al-‛Āṣ, als sie zwischen 8 und 10 Jahren alt war.[39]Die Töchter des Propheten, Ruqayya und Umm Kulṯūm, sind mit 7 oder 8 Jahren verehelicht worden.[40]Vor dem Gefährten ‛Alī hielten Abū Bakr und ‛Umar um die Hand der Prophetentochter Fāṭima, als sie im relativ jungen Alter war (12-14).[41]

Auch die Jungen wurden in jungen Jahren verheiratet:

Der Altersunterschied zwischen dem Prophetengefährten ‛Amr ibn al-‛Ās und seinem Sohn ‛Abd Allāh beträgt nur 12, d. h. ‛Amr müsste bereits mit 9-10 Jahren geheiratet haben.[42]

Wir finden in den Quellen Aussagen von damaligen Personen, die auch ein solches Alter als ein bzw. das Heiratsalter aussprechen und ansehen. Zwei Beispiele mögen genügen:

Die Prophetenfrau Aischa vertritt selbst die Position: „Wenn ein Mädchen 9 Jahre alt wird, ist sie eine Frau (Kandidatin, d. h. bereit zu heiraten).“[43]Ibn Yarā, ein arabischer Dichter, sagt: „Wenn ein Mädchen 8 Jahre alt ist, ist sie für mich keine Ğāriya (junges Mädchen) mehr. Vielmehr eine Heiratskandidatin, die ich mit ‛Utba oder Mu‛āwiya verheiraten könnte.“[44]

Selbst noch lange nach der Prophetenzeit bezeugen die Quellen die junge Heiratskultur:

ʿUmar ibn al-Ḫattāb heiratete Umm Kulṯūm, die Enkelin des Propheten, als diese 9 bzw. jünger war.[45] Mit 13-14 hatten sie bereits zwei Kinder.Ḥišām ibn ʿUrwa heiratete die 9-jährige Fāṭima bint Munḏir.[46]Baihaqī berichtet von nicht weniger als drei jungen Ehefrauen, die im Alter von 9 oder 10 Jahren Mutter wurden.[47]Imām aš-Šāfiʿī berichtet von zahllosen 9-jährigen Mädchen im Reifealter in Jemen.[48]

Was die Quellen eindeutig hergeben, galt nicht nur für die arabische Kultur, sondern war der damalige Standard und dieser galt bis ins Mittelalter hinein. Sehen wir uns einige Daten an:

Nach dem spätantiken christlich-römischen Recht war das Heiratsalter der Frau bei 12 Jahren angesetzt.[49]Das Alter der Pubertät lag im Mittelalter für gewöhnlich bei 12 Jahren. Das heißt junge Menschen konnten bereits mit 12 verheiratet werden. Männer und Frauen heirateten [im Abendland] kurz nach der Pubertät.[50]Nicht anders war es bei den Griechen. Dr. Maria H. Dettenhofer, Privatdozentin für Alte Geschichte, die zur Sozialgeschichte Griechenlands und Roms arbeitet, führt an, dass die Menschen in jungen Jahren heirateten:

„Schon der verhältnismäßig große Altersunterschied zwischen Mann und Frau (ungefähr 15 Jahre) sowie das frühe Heiratsalter der Mädchen (zwischen 13 und 15) und das relativ hohe Heiratsalter der Männer (ungefähr 30) bedingten ein zunächst eher erzieherisches Verhältnis zwischen den Eheleuten. Als ideale Ehefrau galt ein behütet aufgewachsenes Mädchen.“[51]

Ähnlich war es auch bei den Römern.

Dieser hohe Altersunterschied zwischen Mann und Frau ist auch für die arabische Kultur mehrfach belegt.

Die oben angeführte Ehe ‛Umars mit Umm Kulṯūm.Die klassische Annahme, dass der Prophet bei der Heirat 54 Jahre alt war, während Aischa 9-10 Jahre alt gewesen ist.[52]ʿUmar ibn al-Ḫattāb bietet seine Tochter Ḥafṣa dem Gefährten Abū Bakr an, der älter als ihr Vater war, während sie bereits mit 12 Jahren verwitwet gewesen war.[53]

Der pädagogische Aspekt der Verehelichung einer jungen Frau, ist bei den Arabern bis ins letzte Jahrhundert zu bezeugen. Ein interessantes Beispiel:

Der Koranexeget Muhammad Asad wird in Medina mit einer 11-Jährigen verheiratet. Sein Widerspruch wird wie folgt erwidert: „Das Mädchen wächst im Hause ihres Mannes heran.“[54]

Gemäß den Sitten der damaligen Zeit wurden die Mädchen früh, z. T. vor der Pubertät verlobt, doch erst nach der Pubertät verheiratet, sodass sie ihre Adoleszenz (Jugend nach der Pubertät) in der Ehe verbrachten und so im Hause des Ehemannes zur vollen Reife gelangten. Auf diese Weise wurden sie sozialisiert und in die Familie integriert. Wohlgemerkt beginnt diese Phase auch heute gemäß der WHO mit 10 Jahren.[55] In der postmodernen Zeit haben wir jedoch eine völlig andere Vorstellung der Heiratskultur: „Neuere[n] Untersuchungen zufolge berichten fast 50 Prozent der Jugendlichen unter 15 Jahren und 75 Prozent der unter Neunzehnjährigen, sie hätten bereits Geschlechtsverkehr gehabt“.[56] Da die „Reinheit“ vor der Ehe (d. h. „kein Sex vor der Ehe“) vielen Kulturen damals (und heute) von größter Bedeutung war, traf die Heiratskultur präventive Maßnahmen, sodass die Männer, aber vor allem die Frauen, „wohlbehütet“ in die Ehe gingen. Sie durften weiterhin ihre „Jugend“ erleben, waren jedoch unter dem Obhut ihres Ehemannes und seiner Familie. Zudem war eine „erzieherische“ Intention vorhanden, sodass die junge Frau noch leichter in die Familie integriert werden konnte.

Für die Heiratskultur des Alten Arabiens können folgende Thesen aufgestellt werden:

Die jungen Mädchen reiften nicht nur physiologisch, sondern auch geistig, viel früher heran als heute.[57]Junge Mädchen und Männer wurden nach der Pubertät verheiratet.Ein großer Altersunterschied zwischen Mann und Frau war normal und normkonform.Der Altersunterschied diente u. a. pädagogischen Zwecken.„Das Wohlbehütetsein“ der Frau war von großer Bedeutung.Diese Heiratskultur war auch an vielen Orten und auch viel später zu beobachten.

5 Jahresangaben

Die christlichen Entsprechungen der vorislamischen und islamischen Jahresangaben werden nach ungefährer Umrechnung in den eckigen Klammern angeführt. Die sichersten Daten werden präferiert und kommen für den chronologischen Vergleich in die Chronologie (siehe Anhang).

5.1 Aischas Geburtsjahr

Die Geehrte Aischa ist in Mekka etwa 8 Jahre vor der Auswanderung[58] [614], 4, 4,5 oder 5[59] [614-615] oder 4,5 Jahre [614,5] nach der Prophetie oder im 4. Jahr[60] [613-614] der Prophetie geboren.[61] Wir können festhalten, dass - abgesehen von u. a. kalendertechnisch bedingten Variationen - die historischen Überlieferungen das Jahr 614 als das Geburtsjahr Aischas hergeben. Diese Angabe harmoniert ebenso mit der klassischen Annahme ihres Hochzeitalters (9 Jahre) und anderer Jahresangaben über sie (614+9=623). D. h. aus ihren Geburtsjahresangaben kann eine Revision der klassischen Annahme nicht abgeleitet werden.

5.2 Ihr Eintrittsjahr in den Islam

Sie wird in biographischen Werken direkt nach ihrer älteren Schwester Asmā’ - als 18. Person - zu den ersten Muslimen, die noch vor der Auswanderung nach Abessinien konvertiert sind, gezählt, wobei sie dabei als „jung“ bezeichnet wird.[62]

Wenn sie nach der klassischen Überlieferung 614 geboren ist und der Islam bereits im Jahre 610 begann, wie kann es dann möglich sein, dass sie als 18. Person in der Liste der ersten Muslime auftaucht?

So argumentiert HAYLAMAZ:

„Von Aischas Schwester Asmā’, geboren 595, ist bekannt, dass sie im Alter von 15 Jahren Muslima wurde, im Jahr 610, als dem Propheten die ersten Offenbarungen zuteilwurden. Für Aischa wiederum heißt das, dass sie damals 5, 6 oder 7 Jahre alt war und demzufolge an dem Tag, an dem sie den Propheten in Medina heiratete, mindestens 17 oder 18 gewesen sein muss.“[63]

Diese Informationen lassen sich nicht ohne Weiteres mit der klassischen Annahme zusammenbringen. Noch interessanter wird es, wenn wir erfahren, dass diese Unstimmigkeit bereits einem früheren Gelehrten, dem Historiker IBN ‛ASĀKIR, auffiel und er sie aus der Liste strich.[64] Er bezieht dabei das Attribut „jung“ auf Asmā’.

Die obige Argumentation wird weiterhin unterstützt durch die Überlieferung, nach der Asmā’ 10 Jahre älter als Aischa gewesen sein soll. D. h. wenn Asmā’ mit 15 Jahren den Islam angenommen hat und Aischa 10 Jahre jünger war, müsste Aischa mit 5 Jahren als Muslima gezählt worden sein. Nehmen wir aber die klassische Überlieferung mit 614 als Geburtsjahr an, müsste sie - wenn die Liste stimmt - schon als ein kleines Baby in die Liste aufgenommen worden sein und dazu noch in den ersten 5 Jahren der Prophetie vor ihr nur 17 Personen den Islam angenommen haben. Anders lässt es sich zunächst nicht erklären. Wenn wir weiterhin an der dutzendfach authentisch, wegen mehreren Anlässen überlieferten und von vielen weiteren Überlieferungen gestützten Informationen festhalten wollen, so müssen wir mit Ibn ‛Asākir die Liste als fehlerhaft einstufen. Das ist auch möglich, da das Alter Asmā’s umstritten ist und die Eigenschaft „jung“ sich durchaus auf sie beziehen kann, wenn wir eine andere Altersangabe - nämlich etwa 10 Jahre jünger - annehmen, was noch unten aufgezeigt werden soll.

5.3 ‛Umar ibn al-Ḫattābs Konversion

Die Geehrte Aischa erinnert sich, dass sie den Propheten hörte wie er zu Allah betete, dass er den Islam durch ‛Umar ibn al-Ḫattāb stärke. Dabei sagt Aischa in direkter Form: „Ich hörte den Gesandten sagen: …“.[65]

‛Umar nahm den Islam nach 45 Männern und 11 Frauen (56 Personen) - nach seiner eigenen Aussage - im 6. Jahr der Prophetie im Monat Ḏū l-Ḥiğğa [615],[66] nach der Auswanderung der Muslime nach Abessinien,[67] die zum ersten Mal nach dem 5. Jahr der Prophetie im Monat Rağab [615] stattfand, an.[68]

615 n. Chr. tritt ‛Umar dem Islam bei, während Aischa nach der klassischen Annahme erst 2 Jahre alt wäre. Sie erinnert sich an das Bittgebet des Propheten und wie er Muslim wurde, was ausgeschlossen werden kann. Nun, wie ist es möglich, dass sich ein 2-jähriges Mädchen wortwörtlich an ein Bittgebet erinnert und daraufhin auch an die Konversion ‛Umars? Wenn wir jedoch die Liste der ersten Muslime und die Altersangabe der Asmā’ als korrekt annehmen, wäre Aischa, als ‛Umar Muslim wurde, wesentlich älter: 610 wäre sie 5 Jahre alt, als sie in die Liste aufgenommen wurde und 615 wäre sie 10 Jahre alt, wodurch wir ihre Erinnerungen an die Konversion ‛Umars erklären könnten.

5.4 Offenbarung der Sūre al-Qamar

Aischa erinnert sich, dass, als sie noch ein spielendes „Mädchen“ (ğāriya) in Mekka war, der 46. Vers der 54. Sure al-Qamar herabgesandt wurde.[69] Die Offenbarung dieser Sure ereignete sich im 4.-5.[70] oder zwischen dem 8.-10.[71] Jahr der Prophetie.[72]

Ziehen wir alle Jahre in Betracht, sehen wir, dass sie durchaus mit 5 Jahren (für damals die frühere Phase vor der Pubertät) sich an die Offenbarung erinnern kann, wenn wir das 9. Jahr[73] als das Offenbarungsjahr unserer Berechnung zugrunde legen (619-5=614 Geburtsjahr). Außerdem sind weitere Details von entscheidender Bedeutung: Die meisten Suren wurden über eine längere Periode sukzessiv herabgesandt und in dem Bericht ist die Rede nur von einem bestimmten Vers,[74] wobei HAYLAMAZ behauptet, dass die ganze Sure auf einmal offenbart wurde.[75]

Es gilt aber zu betonen, dass diese Überlieferung eher die These eines älteren Jahres der Aischa unterstützt. Wenn wir z. B. das 4. Jahr als das Herabsendungsjahr der Sure als Grundlage nehmen, dann wäre sie erst in diesem Jahr geboren, was ihre Erinnerung daran unmöglich macht. Vor allem der Ausdruck ğāriya in der Überlieferung mit der Ergänzung, dass sie spielte, kann als ein eindeutiger Hinweis auf ein junges Alter verstanden werden. Nach HAYLAMAZ bezeichnet es die Übergangsphase zur Pubertät. Er führt auch ein Gedicht an, in dem gesagt wird, dass eine ğāriya bereits eine Heiratskandidatin sei.[76]

Seine Argumentation, dass „Aischa also mindestens acht Jahre vorher … geboren sein [muss]“, hinkt, denn (vor allem für damalige Standards und Maßstäbe) könnte durchaus auch eine 5 jährige Person sich an ein solches Ereignis erinnern. Auch für heute wäre ein solches Erinnern nichts Ungewöhnliches.

5.5 Ihre Verlobung mit Ğubair

Die Geehrte Aischa wurde, noch vor dem Propheten, dem Ğubair, dem Sohn Mut‛im b. ‛Adī, „versprochen“. Nachdem aber der Prophet um ihre Hand bat, wurde das Versprechen aufgelöst und sie wurde als eine 6-Jährige mit ihm verlobt. D. h. nach diesem Bericht wäre die Verlobung mit Ğubair noch vor ihrem 6. Lebensalter. Wir erfahren, dass Abu Bakr die Verlobung nur auflösen konnte, weil auch die Bräutigamseite fürchtete, dass durch eine Ehe ihr Sohn zum Islam übertreten könnte.[77]

Einige Autoren versuchen diese Begebenheit - obwohl auch in ihr selbst vermerkt ist, dass sie 6 Jahre alt gewesen ist, als sie verlobt wurde - als ein Hinweis anzuführen, dass sie älter sein müsste.[78] Dieses Ereignis findet um das Jahr 620 n. Chr. statt, d. h. im 10. Jahr der Prophetie.

In der Überlieferung wird als Grund für die Auflösung der Verlobung erwähnt, dass Abu Bakr den Bräutigam zum Islam verführen könne. Die Frage wäre nun, warum erst jetzt die Verlobung aufgelöst wird und nicht vorher? Diese Frage ist sicherlich berechtigt, aber kein hinreichendes Argument um alle weiteren Indizien und Daten über Bord zu werfen. Es ist durchaus möglich, dass dieser Gedanke bei den Eltern Ğubairs später entstanden ist oder zunächst nicht zur Debatte stand, weil der Vollzug der Ehe noch nicht zeitnah war. Dass Abu Bakr sie besucht hat, könnte als Anlass und Gelegenheit verstanden werden, wo die Eltern ihre - vielleicht bereits vorher - gehegten Gedanken zum Ausdruck bringen.

Das zweite Argument, wonach das Alter Aischas hochgerechnet wird, besagt, dass der Prophet nach dem Tod seiner Frau Ḫadīğa eine Frau suchte, die u. a. ihn aus seiner Einsamkeit befreien möge und sich um die Pflege der Kinder sorge. Deshalb müsse Aischa älter gewesen sein. Die Argumentation verkennt jedoch die Tatsache, dass der Prophet erst 3 Jahre nach der Verlobung, in Medina, Aischa verehelichte.

Es ist noch anzumerken, dass der Historiker Balāḏurī die vorherige Verlobung der Prophetenfrau Aischa mit Ğubair zurückweist und behauptet, dass sie vor dem Propheten mit keinem anderen verlobt wurde.[79]

5.6 Ihre Verlobung und Heirat mit dem Propheten

Aischa wurde nach der klassischen Überlieferung mit dem Propheten verlobt, als sie 6-7 Jahre alt war und verehelichte ihn, während sie 9-10 Jahre alt gewesen ist.[80]

Die Verlobung fand (ca.) im 10. Jahr[81] [620] der Prophetie [610], 2 [622], 3 [623] oder 4 [624][82] Jahre nach dem Tod der Ḫadīğa [620][83] - der ersten Frau des Propheten -, 3 [619] oder 2 [620] Jahre vor der Auswanderung [622] im Monat Šawwāl, statt.[84]

Das Jahr 619-620 scheint am authentischsten zu sein, da sie mit anderen Daten übereinstimmt und die Geehrte Aischa in einer Tradition persönlich angibt, dass „sie sich mit 6 Jahren im 10. Jahre der Prophetie mit dem Propheten verlobte.“[85]

Berechnet heißt das: 610+10=620 oder mit ihrem Geburtsjahr: 614+6=620.

Ihre Heirat mit dem Propheten fand 7 Monate nach der Auswanderung im Monat Šawwāl bzw. am Anfang diesen Monats, 8 Monate nach der Auswanderung, im ersten, zweiten oder (nach der Badr-Schlacht im zweiten Jahr) oder 18 Monate nach der Auswanderung statt.[86] ŞULUL kommt hier zu dem Ergebnis, dass sie im Monat Šawwāl im 2. Jahr nach der Auswanderung den Propheten verehelichte [624].[87]

Als der Prophet starb, war die Geehrte Aischa 18 Jahre alt.[88] Da sie in Medina 9 Jahre verheiratet waren, kommen wir auf ein Heiratsalter von 9 Jahren (18-9=9).

5.7 Ihre Teilnahme an der Badr- und Uḥud-Schlacht

Einige Autoren[89] führen die Teilnahme der Geehrten Aischa in der Badr- und Uḥud-Schlacht im Jahre 624 und 625 als ein Beleg dafür, dass sie viel älter sein müsste, als gemeinhin angenommen. Nach der klassischen Annahme wäre sie zu dieser Zeit 10-11 Jahre alt (625-614=11). Es wird argumentiert, dass der Prophet Personen unter 15 Jahren nicht gestattete am Krieg teilzunehmen. Deswegen müsse auch die Geehrte Aischa zu jener Zeit über 15 Jahre alt gewesen sein. Doch es wird bei dieser Argumentation übersehen, dass z. B. der Gefährte Anas mit 11 Jahren den Propheten begleitete.[90] D. h. diese Alterseinschränkung dürfte sich nur auf den aktiven Kampf beziehen. Es ist ja auch bekannt, dass die Geehrte Aischa außermilitärische Dienste leistete. Außerdem muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden, dass wir uns eine 11-jährige Person von damals, nicht wie eine von heute vorstellen dürfen.

5.8 Aischa als „Mutter“ und Erziehungsperson

Nach der Uḥud-Schlacht (625) kommt ein kleines Kind, dessen Vater umkam, weinend zum Propheten. Der Prophet wollte ihm seine Trauer nehmen in dem er ihm sich als Vater und die Aischa als Mutter zur Verfügung stellte.[91]

Usāma ibn Zaid fiel eines Tages hin und blutete. Der Prophet bat die Aischa seine Nase zu putzen, was sie aber nicht mochte. Eines Tages wusch sie sein Gesicht. Usāma war zwischen 18 und 20 Jahre alt, als der Prophet starb.[92] Dabei war auch die Geehrte Aischa nach der klassischen Annahme um die 18 Jahre alt.[93]

IBRAHIM fragt aufgrund dieser Überlieferungen: „Wie kann der Prophet von Aischa das Putzen der Nase von Usāma verlangt haben, obwohl sie genau so alt war wie er, ja vielleicht sogar jünger.“[94] Wenn wir bedenken, dass die Frauen in der Regel um die 3-4 Jahre früher als Männer die Reife erlangen, kann diese Begebenheit erklärt werden. Oder es ist ein anderes Alter für Usāma anzunehmen.

5.9 Interesse an Puppen- und Kampfspielen

Die Geehrte Aischa berichtete, dass sie im Hause des Propheten mit Puppen zu spielen pflegte „und ich hatte Freundinnen, die mit mir spielten. Wenn der Gesandte Allahs eintrat, versteckten sie sich, doch er ermöglichte es ihnen, weiter zu mir zu kommen, damit sie weiter mit mir spielten.“[95]

Aus dem Bericht geht eindeutig hervor, dass sie sich hier - in den ersten Jahren ihrer Heirat - noch im Jugendalter befindet. Mit der alternativen Annahme (18 Jahre und älter) lassen sich diese authentischen und vielfach überlieferten Traditionen recht schwer erklären.

Aischa berichtete: „Ich erinnere mich daran, dass der Prophet mich mit seinem Umhang bedeckte, während ich die Abessinier bei ihren Spielen in der Moschee beobachtete, bis ich selbst davon genug hatte. Bedenket daher, dass Mädchen im jungen Alter gerne spielen!“[96]

Auch aus dieser Überlieferung geht unmissverständlich hervor, dass sie noch ein „Mädchen im jungen Alter“ war und noch viel wichtiger, dass der Prophet sie dementsprechend behandelt und im Rahmen der Möglichkeiten der damaligen Kultur sie auch bestens erzog.

5.10 Die Verleumdungskampagne (hadith al-ifk)

In dem sogenannten Ifk-Ereignis, das sich im 5. oder 6. Jahr der Auswanderung [627-628] ereignete, begegnen wir mehrmals sowohl aus ihrem Mund, als auch bei Außenstehenden dem Ausdruck „junges Mädchen“ (ğāriya).[97] Das heißt noch um das Jahr 627-628 ist die Prophetenfrau eine junge Person, wahrscheinlich um die 13-14 Jahre alt (627-614=13). Wäre sie jedoch zur Zeit der Auswanderung 17, müsste sie bei diesem Ereignis um die 22 Jahre alt gewesen sein, was jedoch vom Überlieferungsinhalt eher negiert wird.

5.11 Ihr Todesalter und Todesjahr

Die Traditionen, die Ibn Sa‛d und Ibn ‛Adb al-Barr[98] zu ihrem Tod anführen, geben folgende Jahresangaben zu ihrem Tod:

17. RamadanZur Regierungszeit Marwāns I.Im Ramadan 58 n. H.Im Ramadan17. Ramadan 58 n. H.17. Ramadan 58 n. H. und sie war 66 Jahre alt19. Ramadan 58 n. H.57 n. H.

Einstimmig kann der Monat bestimmt werden: Ramadan. Drei Überlieferungen führen das 58 n. H. als Todesjahr an, eine davon auch wie alt (66) sie dabei gewesen ist. Die Rechnung (58-66=-8 v. H.) ergibt als Geburtsjahr 614, ein Ergebnis, das mit den übrigen Traditionen harmoniert und somit die klassische Annahme nochmals belegt.

Die zweite Tradition ist jedoch etwas seltsam; Zur Regierungszeit Marwāns soll sie gestorben sein. Wir wissen, dass er zwischen 64-65 / 684-685 geherrscht hat. Nach dieser Tradition wäre die Geehrte Aischa mind. 70 Jahre alt, als sie dahin schied (684-622=62+8=70).[99]

5.12 Vergleich mit dem Alter der Prophetentochter Fāṭimas

Es wird versucht das Alter der Prophetentochter Fāṭima in Beziehung zum Alter der Geehrten Aischa zu setzen, so dass daraus ein höheres Alter resultiert. Weil die Prophetentochter Fāṭima 5 Jahre vor dem Islam (605) geboren und 5 Jahre älter sei als die Prophetenfrau Aischa, müsste auch sie etwa 610 geboren sein und damit zur Zeit ihrer Heirat mind. 13 Jahre alt sein.[100] Doch übersieht diese Argumentation weitere Jahresangaben über das Geburtsjahr der Geehrten Fāṭima in den Quellen:

‛Ainī zufolge - ohne, dass er dafür eine Quelle nennt - ist sie geboren, als die Quraiš - 7,5 Jahre vor der Prophetie die Kaaba erbauten.[101] [602-603]Nach Wāqidī ist sie im Monat Ramadan, 6 Monate nach dem Tod des Propheten [632], im 11. Jahr der Auswanderung [633], als sie um die 29 Jahre alt war, gestorben.[102] [633-29=604]Nach Ibn Sa‛d ist sie geboren, als die Quraiš die Kaaba erbauten, was 5 Jahre vor der Prophetie [610] gewesen sei.[103][605]Nach Ibn Ḥağar[104] ist sie eine kurze Zeit, ein Jahre oder mehr, vor der Prophetie geboren. [609-610]Sie ist geboren, als der Prophet 41 Jahre alt war. [611]Sie ist nach einer Meinung sogar 8 Jahre vor der Auswanderung geboren. [614]Ahl al-Bait Imāme wie Ğa‛far aṣ-Ṣādiq führen an, dass sie im 5. Jahr der Prophetie geboren sei. [614-615]

Wir haben für das Geburtsjahr der Geschätzten Fāṭima eine Variationsbreite von 12,5 Jahren. Nehmen wir an, dass sie 5 Jahre älter gewesen war als die Geehrte Aischa und dass die klassische Annahme ihres Alters stimmt, welche mehrfach und viel stärker belegt ist, wäre die Prophetentochter Fāṭima um das Jahr 610 geboren - ein Jahr, das auch die Mitte der Variationsbreite darstellt und deshalb wahrscheinlicher ist. Umgekehrt herum, nur ein Alter aus vielen möglichen zu nehmen und dieses als Grundlage zu setzen um das Alter der Geehrten Aischa abzuleiten und damit das authentisch tradierte so einfach ad absurdum zu führen, widerspricht der wissenschaftlichen Integrität.

5.13 Vergleich mit dem Alter der Geehrten Asmā‘ bint Abī Bakr

Es wird dargelegt, dass die Geehrte Asmā‘, die ältere Schwester der Prophetenfrau Aischa, als eine 100-jährige im Jahre 73 n. H. gestorben sei und dass sie 10 Jahre älter sei als ihre Schwester Aischa. Hierauf aufbauend wird berechnet, dass sie zur Zeit der Auswanderung 27 Jahre alt sei (100-73=27) und damit wäre auch Aischa 17 (27-10=17) oder 18 gewesen, als sie den Propheten verehelichte.[105] Diese These wird noch unterstützt mit der Angabe, dass die Geehrte Asmā‘ 27 Jahre vor der Auswanderung geboren wurde.[106]

Eine Untersuchung der einschlägigen Primärliteratur bestätigt einstimmig diese Daten.

Sie ist 27 Jahre v. H. und 10 Jahre vor der Prophetie geboren [622-27=595 / 610-10= 600] und im Jahre 73 n. H. 100-jährig gestorben [100-73=27 v. H.=595].[107]Sie ist 100-jährig, im Monat Ǧumādā l-ūlā, im Jahre 73 n. H. gestorben.[108] [100-73=27 v. H.=595]Sie ist 100-jährig, im Jahre 73 n. H., gestorben. Sie war 10 Jahre älter als Aischa.[109] [100-73= 27 v. H.=595, Aischas Geburt: 595+10=605]

Die Gegenposition argumentiert dagegen, dass die Zahl 100 wie die 70 in der arabischen Sprache nur eine ungefähre Angabe darstelle und nicht als eine exakte Zahl verstanden werden darf[110] - unterstützend ist hinzuzufügen, dass die Jahresangaben ohnehin nur ungefähre Zahlen sind - und dass der Überlieferer (Ibn Abī az-Zinād) dieser Angabe unzuverlässig (ḍa‛īf) sei.[111] Zudem hat der Historiker aḏ-Ḏahabī die Information, dass Asmā‘ 10 Jahre älter sei als Aischa angezweifelt und gesagt: „Abū Zinād sagt: Sie ist 10 Jahre älter als Aischa. Ich sage: Wenn das stimmt, dann wäre Asmā‘ mit 91 Jahren gestorben. Auf der anderen Seite sagt Hišām ibn ‛Urwa: Sie hat 100 Jahre gelebt.“[112] Wie aḏ-Ḏahabī nimmt auch AZİMLİ die Jahresangaben der Prophetenfrau Aischa als Grundlage für die Bestimmung des Alters der Geehrten Asmā‘ und kommt auf das Alter von 91 Jahren. Aischa war zur Zeit der Auswanderung 8 Jahre alt, damit wäre Asmā‘ zu jener Zeit 18 gewesen. Im Übrigen entspricht diese Präferenz den Prinzipien der Hadithwissenschaft, nach denen - bei vorliegendem inhaltlichem Widerspruch - die stärkere Tradition der schwächeren gegenüber vorzuziehen ist.[113]

Weiterhin stützt er seine These mit den kulturellen Standards, nämlich dass es eher unwahrscheinlich sei, dass sie erst mit 27 geheiratet und ihr erstes Kind mit 28 Jahren bekommen hätte.[114] Außerdem führen AZİMLİ und WENTZEL von aḏ-Ḏahabī an, dass Asmā‘ mehr als 10 Jahre bzw. bis zu 19 Jahren (13-19 = bi-biḍ‛a ašara) älter sei als Aischa[115] (100-73=27-19=8 - Aischas Alter zur Zeit der Auswanderung).

Obwohl in diesem Fall die erstere Position stärker auftritt, kann unter Berücksichtigung all dieser Daten auf Basis jener präsumtiven Information (‛ilm aḏ-ḏannī) eine viel stärkere Information nicht falsifiziert werden.

6 Schlussfolgerung

Die Diskussion der Methode hat verdeutlicht, dass wir uns bei Jahresangaben in einem historisch u


=== Der „Verleumdungsbericht“ ===
=== Der „Verleumdungsbericht“ ===

Version vom 9. Juli 2023, 13:08 Uhr

Mohammed und Aischa.
Miniatur aus dem Siyer-i Nebi, 1388

Aischa bint Abi Bakr (arabisch عائشة بنت أَبي بكر, DMG ʿĀʾiša bint Abī Bakr; geboren 613[1] oder 614; gestorben 678 in Medina) war die dritte und jüngste der zehn Frauen des islamischen Propheten Mohammed. Sie war die Tochter des Geschäftsmanns und späteren Kalifen Abu Bakr und seiner Frau Umm Ruman.[2] Abu Bakr stammte wie Mohammed aus dem damals vorherrschenden Stamm der Quraisch. In islamischen Schriften wird ihr Name oft mit dem Zusatz „Mutter der Gläubigen“ (arabisch أمّ المؤمنين, DMG umm al-muʾminīn) erwähnt.[3][4] Sie ist als Mohammeds Lieblingsfrau bekannt geworden.[5]

Die Überlieferung über ihr Leben

Das Heiratsalter der Prophetenfrau Aischa aus hadithwissenschaftlicher und historischer PerspektiveSerdar AslanPROPHET MUHAMMAD

1 Einführung

Die junge Ehe der Prophetenfrau Aischa[1], die nach der klassischen Annahme mit 9-10[2] Jahren gewesen sein soll, ist für viele unnachvollziehbar und wird selbst von einigen Muslimen direkt zurückgewiesen. Dieses Zurückweisen stößt jedoch wiederum auf innerislamischen Widerstand, weil damit auch als authentisch (ṣaḥīḥ) eingestufte Traditionen negiert werden. Kulturelle Aspekte der Heirat treten dann in den Vordergrund um die junge Ehe zu erklären und zu rechtfertigen. Andere jedoch, die die islamische Überlieferungstradition achten und beachten, versuchen innerhalb des vorliegenden Überlieferungsgutes eine Beweisführung für ein älteres Heiratsalter zu erbringen. Zudem diente diese Tradition, die mehrfach überliefert wurde, den klassisch-islamischen Juristen als Rechtsquelle, aus der sie Rechtsnormen für die Institution der Ehe ableiteten. All diese und weitere Aspekte machen dieses Thema zu einer spannenden Forschungsfrage. Im Rahmen dieser Arbeit können wir uns jedoch nicht mit jedem Aspekt auseinandersetzen. Unser Interesse soll daher schwerpunktmäßig der historischen Quellenuntersuchung gelten.

Im ersten Kapitel werden folgende methodische Fragen behandelt: Wie sollen die Traditionen beurteilt werden? Welche Aspekte müssen dabei berücksichtigt werden? Welches Verhältnis besteht zwischen Geschichte und Hadith? Welche Kriterien können bei der Analyse von sich scheinbar widersprechenden Traditionen (ta‛āruḍ) angewendet werden?

Im nächsten Kapitel soll eine Darstellung der Geschichte der Forschung und des Diskurses über das junge Heiratsalter der Prophetenfrau Aischa folgen: Wann und warum begann die Diskussion über das Heiratsalter? Welche Gelehrten und Wissenschaftler befassten sich mit dieser Thematik? Welche Argumente wurden herangezogen?

Im darauffolgenden Kapitel versuchen wir uns einen Einblick in die Heiratskultur im Alten Arabien zu verschaffen, damit er als eine Stütze für die historische Untersuchung des Traditionsmaterials dienen kann. Stellt die junge Ehe des Propheten mit Aischa eine totale Ausnahme dar? Wann heirateten die Frauen und Männer in der Regel? Welche Heiratskultur und welche Zielsetzungen waren vorhanden?

Im Hauptteil besprechen wir dann im Lichte und auf Basis unserer Ergebnisse aus den vorherigen Kapiteln nach chronologischen und historischen Kriterien und gemäß hadithwissenschaftlicher Prinzipien die wichtigsten Beweise und Argumente, die von Forschern angeführt und diskutiert werden. Welche Überlieferungen und Berichte werden vorgelegt? Wie lassen sie sich diese mit anderen Traditionen harmonieren (ta‘līf)? Welche historischen Daten liegen vor?

Eine Chronologie (im Anhang) ist entsprechend unserer Methode als ein historisches Kriterium gedacht bzw. soll die chronologische Einbettung der Traditionen und Ereignisse erleichtern.

Am Ende der Arbeit sollen die Ergebnisse zusammengefasst, eigene Position erarbeitet und offene sowie weiterführende Fragen, die durch die Analyse entstanden sind, besprochen werden.

2 Eine kurze Skizzierung der Methode (uṣūl)

Am Beispiel der als authentisch (sahīh) qualifizierten Überlieferung und der damit verbunden überlieferungstechnisch diskutierten Frage nach dem Geburts-, Heirats- und Todesalter der Geehrten Aischa soll ein Versuch unternommen werden eine textkritische Methode neben der klassischen Hadithwissenschaft zur Anwendung zu bringen. Für die vorliegende Arbeit kommt als eine textkritische Methode in erster Linie die historische Chronologie in Frage, die aus anderen Traditionen gewonnen werden soll. Aufgrund der Tatsache, dass zu untersuchendem Thema keine extratextuellen Quellen[3] zur Verfügung stehen, kann es sich hierbei nur um eine inter- und intratextuelle[4] historisch-kritische Methode handeln.

Aus einer anderen Perspektive heißt das, dass es für die islamische Geschichte im Allgemeinen und für die hier zu analysierende Frage im Besonderen eine scharfe Trennung von Hadith und Historie nicht gegeben ist, da Geschichte selbst aus dem Überlieferungsmaterial abgeleitet wird, mit ihm verwoben ist und beide Bereiche miteinander interferieren. So zitiert der Wissenschaftshistoriker Fuad Sezgin eine frühere Definition der Geschichtswissenschaft: „Die Geschichtswissenschaft ist eine Disziplin der Disziplinen der Hadithwissenschaft.“[5] Jedoch soll die allgemeinbekannte Tatsache nicht unerwähnt bleiben, dass in den Prophetenbiographien und Geschichtswerken, nicht mit gleicher Strenge Isnād- und Matn-Kritik, wie sie z. B. bei juristischen (fiqh) Überlieferungen zur Geltung kam, ausgeübt wurde, sodass wir heute einer Unmenge vom Überlieferungsmaterial gegenüber stehen, das - nach hadithwissenschaftlichen und historischen Kriterien zugleich - gelesen, interpretiert und ausgelesen zu werden hat.

Wir intendieren - um eine höhere Historizität zu erlangen - für unsere Analyse chronologische Konstanten zu ermitteln, um dann diese als Prämisse zu verwenden, an denen einzelne Überlieferungen überprüft werden sollen. Da fast alle Zeitangaben in den Traditionen relativ sind, brauchen wir notwendigerweise - um sie historischer zu machen bzw. historisch auszuwerten - absolute Werte, die als Vergleichsmaßstab dienen können.

So dürfen wir unsere Methode zusammengefasst als eine historische bzw. chronologische Textkritik bezeichnen. Diese Methode wurde bereits von früheren Gelehrten als eine textkritische Methode eingesetzt.[6] Teilweise wurde sie sogar - wie noch zu sehen sein wird - in Bezug auf unser Thema angewandt.

Vielmehr als der sozio-kulturelle und ethisch-rechtliche Aspekt des jungen Heiratsalters der Prophetenfrau Aischa, interessiert uns die Erprobung der genannten historischen Methode. Erweist sie sich als nützlich, kann mit ihr die Authentizität und Korrektheit einzelner Überlieferungen verifiziert oder falsifiziert werden.

Als ein Prinzip sei zu erwähnen, dass die Jahresangaben, die mit den wenigsten Erklärungen auskommen bzw. den höchsten inhaltlichen Harmonisierungsgrad mit anderen Traditionen (intertextuellen Quellen) aufweisen, als die wahrscheinlichsten angenommen werden dürfen.[7]

Die Geburts- und Altersangaben wurden in den Überlieferungen nur ungefähr und oft schätzungsweise angegeben. Als Beispiele seien genannt:

Der Prophet heiratete Ḫadīğa als sie 28 oder 40 Jahre alt gewesen sein soll.Maimūna bint al-Ḥāriṯ starb 51 oder 61 n. H.[8].[9]

Die Menschen orientierten sich an wichtigen Ereignissen, die im kollektiven Gedächtnis bewahrt wurden. Zum Beispiel:

Ibn Qutaiba sagt: „Die Menschen stimmen darin überein (iğma‛), dass der Prophet im Jahre des Elefanten geboren ist.“[10]Aischa ist etwa 8 Jahre vor der Auswanderung in Mekka geboren.[11]

Die Araber der vorislamischen Zeit kannten keinen allgültigen Kalender. Sie richteten ihre Zeitangaben nach bestimmten wichtigen Ereignissen wie z. B. dem „Elefantenjahr“ (ām al-fīl). Diese Richtereignisse konnten jedoch auch je nach Stamm variieren. Während diese Angaben unter der Stadtbevölkerung langwieriger Natur waren, erfuhren sie bei den Beduinen - gemäß ihrer Lebensweise - einen häufigeren Wechsel.[12]

So machten auch die Muslime ihre Jahresangaben entsprechend dem Elefantenjahr, dem Beginn der Prophetie (nach der ersten Offenbarung) und der Auswanderung der mekkanischen Muslime nach Yaṯrib (später Medina) - wobei das letztere Ereignis später offiziell als Kalenderbeginn angenommen und institutionalisiert wurde.[13]

Das heißt wiederum, dass Angaben, die dem Elefantenjahr folgen, uns in mehrfacher Hinsicht nur ungefähre Daten liefern. Denn sowohl die Information, z. B. 5 Jahre nach dem Elefantenereignis, als auch das Elefantenjahr (bzw. der Elefantentag), sind an sich zunächst einmal unbestimmt bzw. relativ. Bestimmten wir auch mit einer gewissen Sicherheit das Datum des Elefantenereignisses, wären hiermit noch lange nicht alle mit ihm zusammenhängenden chronologischen Fragen gelöst, weil der Überlieferer bzw. der Informant sich bei seiner Mitteilung nicht unbedingt an unser Datum gerichtet hat, sondern eine eigene Schätzung wiedergibt, die uns bis auf Weiteres unbekannt bleibt.

Aus diesem Grund taucht das Problem auf, dass für das gleiche Ereignis unterschiedliche, manchmal unvereinbare, Zeitangaben gemacht werden. Im Hauptteil unserer Arbeit werden wir gerade mit diesem Problem uns auseinandersetzen müssen.

Für variierende Zeitangaben für denselben Vorfall gibt es vielerlei Gründe, von denen wir einige oben genannt haben. Auf weitere Ursachen – ŞULUL zählt bis zu 17 - können wir, weil es den Rahmen unserer Arbeit sprengen würde, nicht detaillierter eingehen.[14] Einige werden aber in der Analyse der Überlieferungen, im Hauptteil, zur Erscheinung treten. Fakt ist aber auch, dass unterschiedliche Aussagen nicht zwangsläufig die Inkorrektheit einer oder mehrerer Traditionen bedeuten, sondern, dass sogar sich scheinbar widersprechende zugleich richtig sein können, weil - wie oben angeführt - nicht immer tatsächliche, sondern auch perspektivische und relationale Gründe vorliegen können. Um es theoretisch zu verdeutlichen:

Für Tradent X findet Ereignis A am 01.06.625 statt.Für Tradent Y findet Ereignis A am 05.06.625 statt.Tradent X gibt an, dass Ereignis B 10 Tage nach Ereignis A stattfand.Tradent Y gibt an, dass Ereignis B 6 Tage nach Ereignis A stattfand.Für beide Tradenten findet im Ergebnis - aus unserer Sicht - Ereignis B am gleichen Tag, d. h. am 11.06.625, statt.

Viele andere Optionen, Fälle und Gründe sind neben den genannten möglich und sind möglichst zusammen sowie im Einklang miteinander in Betracht zu ziehen, sodass eine Überlieferung mit einer anderen nicht ausgespielt oder einige andere unbeachtet bleiben.

3 Zur Geschichte und Stand der Forschung

Soweit uns bekannt, wurde die Frage nach dem Heiratsalter der Geehrten Aischa bis in die späte Moderne (19. und Anfang 20. Jh.) in der islamischen Literatur nicht diskutiert. Dass sie den Propheten gemäß den vielfach tradierten und als authentisch (saḥīḥ) klassifizierten Überlieferungen mit 9 Jahren heiratete, galt unter den Gelehrten als ein Faktum und könnte sogar in traditioneller Sprache als ein Konsens (iğma‛) bezeichnet werden, hatten doch selbst die Rechtsschulen ihre Normableitungen (istinbāṭ al-ḥukm) darauf aufgebaut.[15] Obwohl einige Unstimmigkeiten hinsichtlich ihres Geburts- und Todesalters, ja selbst in Bezug auf das genaue Datum ihrer Verlobung und Heirat, bekannt waren - was ja ebenso typisch für die Überlieferungen war - und einige Historiker diese diskutierten, sah kein einziger Gelehrter sich veranlasst an der Richtigkeit bzw. Historizität ihres Heiratsalters zu zweifeln. Warum auch? War doch bis zum Anfang des 20. Jh. an vielen Gegenden der Welt und selbst heute noch an einigen Orten nichts Ungewöhnliches an einer frühen Ehe zu sehen. Dass auch kein einziger Gegner des Islams seit der Ehe des Propheten mit Aischa bis zum 19. Jh. über 1300 Jahre, soweit wir wissen, keine - auch nicht einmal eine leiseste - Kritik ausgeübt hat, selbst nicht diejenigen, welche sich sonst keine einzige Gelegenheit entgehen ließen,[16] zeigt neben anderen Belegen, die wir im entsprechenden Kapitel anführen werden, dass diese Ehe - mag sie auch in der uns nicht absolut bekannten historischen Realität im späteren Alter gewesen sein oder auch nicht -, war sie doch über Jahrhunderte so verbreitet und bekannt, den damaligen sozio-kulturellen Standards entsprochen haben muss.[17]

Wir können aus diesem Hintergrund heraus nun behaupten, dass die Erforschung des Heiratsalters erst durch eine außerislamische Kritik ausgelöst wurde, und diese nur möglich geworden war, weil die Heiratskultur und die diesbezüglichen Normen und kulturellen Maßstäbe sich stark veränderten und sich ja je nach Zeit und Ort im stetigen Wandel befanden und noch befinden.[18] Genau in diese Zeit fällt auch die uns bekannte früheste Kritik. Es war der niederländische Orientalist DOZY, der in seinem populären Buch Het Islamisme[19], welches 1863 erschien, 1879 ins Französische mit dem Titel Essai sur l'histoire de l'islamisme[20] und 1908 als Târîh-i Islâmiyyet[21] ins Türkische übersetzt wurde, zum ersten Mal eine Kritik über die junge Ehe des Propheten äußerte. Das Werk wurde im Osmanischen Reich in mehrfacher Hinsicht heftig kritisiert und sogar zeitweise verboten.[22]

Er wird wohl nicht der erste sein, der sich eine Kritik erlaubte, geht er doch in seinem Buch nur kurz auf diesen Punkt ein.[23] Es müsste auch keine lautstarke Kritik an der jungen Ehe geäußert werden, damit sich die Islamgelehrten veranlasst sahen, darüber zu schreiben, sondern das „Problem“ war - wie bereits angedeutet - wegen des sich permanent ändernden Heiratsalters in der Luft und musste „gelöst“ werden, sowie es vor allem heute durch das immer weiter steigende Heiratsalter noch einfacher noch stärker problematisiert werden kann und wird, bedenkt man auch die wachsende Islamophobie, die keine Gelegenheit verpasst um den Islam zu „kritisieren“. Wie dem auch sei, seien hier nun skizzenhaft die Arbeiten der Forscher angeführt, die sich damit beschäftigt haben:

Der erste muslimische Gelehrte, der sich kritisch auf das Heiratsalter der Prophetenfrau Aischa bezog, war MAULĀNĀ ŠIBLĪ am Anfang des 20. Jahrhunderts, der eine umfassende Prophetenbiographie schrieb, welche bereits 1928 ins Türkische übersetzt wurde.[24] 1978 folgte eine Übersetzung von DOĞRUL, die er auch an der Stelle über das Heiratsalter weiter ergänzt.

U. a. darauf aufbauend argumentiert SAVAŞ 1995 für ein älteres Heiratsalter. In seinem Beitrag bezieht er sich neben klimatisch-geographischen Aspekten, auch auf ihre mekkanische Erinnerungen, die er für so ein junges Alter zu unwahrscheinlich hält. Weiterhin führt er den Altersunterschied zwischen Asmā’ und Aischa an und behauptet, dass Aischa während der Auswanderung um die 17 Jahre alt sein müsse, weil Asmā’ 10 Jahre älter sei als Aischa und zur Zeit der Auswanderung um die 27 gewesen sei. Auch erwähnt er die Aufnahme der Aischa in die Liste der ersten Muslime und begründet damit ein viel älteres Alter zur Zeit ihrer Geburt und damit auch ihrer Heirat. Auch wenn er alternative Optionen in Betracht zieht, ist er gewillt sie so zu interpretieren, sodass sie mit seiner These übereinstimmen. So legt er dar, dass der Historiker Ibn ‛Asākir unter dem Eindruck der Überlieferungen, die besagen, dass Aischa mit 9 Jahren geheiratet hatte, sie aus dieser Liste strich, wobei er seine Position nicht teilt. Vor allem auch wegen seiner überlieferungstechnischen Hypothesen, scheint es an dieser Stelle angebracht, seine Schlussfolgerung zu zitieren:

„Nach all diesen Überlieferungen können wir sagen, dass die Traditionen, die Aischa 10 Jahre jünger, zur Zeit der Auswanderung als 8-jährig zeigen, falsch sind. Weil uns kein offensichtlicher Beweis für diesen Fehler vorliegt, liegt der Schluss nahe, dass (typische) Fehler bei dieser Art von Überlieferungen auch in diesem Fall gemacht wurden. Der Fehler ist entweder auf den Überlieferer oder den Kopist zurückzuführen oder resultiert aus einem Verkennen von einem vorher gemachten Fehler. Ist einem großen Gelehrten ein Fehler unterlaufen, nehmen die Späteren an, dass er keine Fehler gemacht haben kann und gehen so den Weg, vorhandene korrekte Überlieferungen als falsch zu sehen oder sie zu modifizieren. Auf diese Weise entstehen aus einem kleinen Fehler weitere Fehler. Ein Beispiel sehen wir in der obengenannten Überlieferung Ibn ‛Asākirs.“[25]

Es ist hier anzumerken, dass der gleiche „Vorwurf“ auch für den Autor selbst - sogar in noch stärkerer Form - vorgebracht werden kann, hat doch auch er unter dem „Einfluss“ der einen Überlieferung (Liste der ersten Muslime) die korrekten bzw. als korrekt und authentisch bekannten Traditionen als falsch erklärt.

Auf ihn und DOĞRUL bezieht sich der Artikel, welcher im Jahre 2003 erschien, verfasst von AZİMLİ, dem historisch-kritischen Autor, der bereits im Titel Position bezieht: Hz. Aişe’nin Evlilik Yaşı Tartışmalarında Savunmacı Tarihçiliğin Çıkmazı.[26] AZİMLİ geht ausführlich auf jeden Punkt ein und zeigt auf, dass auch alternative Erklärungen für die sich scheinbar “widersprechenden” Überlieferungen gebracht werden können, sodass sie mit der klassischen Annahme harmonieren. Nachdem er die kulturellen Hintergründe bzw. das Verhältnis zwischen Kultur und prophetischer Tradition erörtert, erklärt er die Gründe für die Vielehen des Propheten. Er vertritt die These, dass generell aus dem Todesalter der Gefährten ihr Geburtsdatum abgeleitet wurde. So verfährt er auch mit den Angaben über die Ehefrau des Propheten und kommt zu einem Ergebnis, das mit der klassischen Annahme übereinstimmt (S. 29-30). Dann widerlegt er die Behauptung, dass die Geehrte Aischa sich an die Offenbarung der Sūre al-Qamar erinnerte und deswegen älter sein müsse, mit dem Gegenargument, dass sie sich im jenem Alter durchaus daran erinnern könne (S. 30-31). Ebenso geht er auf den Altersunterschied zwischen Asmā’ und Aischa ein und kommt durch Berechnungen zu dem Ergebnis, dass nicht das Alter der Prophetenfrau Aischas erhöht, sondern vielmehr das Alter ihrer Schwester Asmā’ herabgesetzt werden müsse (S. 31-32). Sodann analysiert er andere Argumente wie ihre vorherige Verlobung mit Ǧubair ibn Mut‛im, den Altersunterschied zwischen ihr und ihrem Bruder ʿAbd ar-Raḥmān und schlussfolgert aufgrund der damaligen Heiratskultur: “So eine Anzahl von Traditionen kann nicht nur aufgrund von Deutung (yorum) zurückgewiesen werden.” (S. 36)

Schon ein Jahr später (2004) erscheint die nächste Bearbeitung der Frage. Dieses Mal geht es dem Autor COŞKUN eher um die Probleme der historischen Kritik der Hadithe. Sein Titel lautet: „Hadislerin Tarihe Arzının Uygulamadaki Bazı Problemleri (Hz. Âişe’nin Evlilik Yaşı Örnekleminde Bir İnceleme)“. Nachdem der Autor die historische Kritik definiert und ihre Probleme ausführt, führt er alle möglichen Traditionen bezüglich ihres Alters und der Jahresangaben, die in Bezug zu ihrem Alter stehen, an, ohne dabei - wie die vorherigen Autoren - allzu sehr die Beweise zu diskutieren. Sein Fazit ist dementsprechend offen gehalten:

„Als Aischa heiratete, war sie nicht - wie überliefert - 9-10 Jahre alt, sondern in einem Alter, welches von der damaligen Gesellschaft für die Heirat als akzeptabel und nicht anrüchig aufgefasst wurde. (…) Welches Alter es ist, das von der damaligen Gesellschaft akzeptiert wurde, kann aufgrund der vielfältigen Traditionen, die uns die Quellen anbieten, nicht mit letzter Sicherheit bestimmt werden, auf Basis dessen eine einstimmige Meinung gebildet werden könnte. Trotz dessen kann eine Bestimmung gemacht werden, doch dabei darf nicht unvergessen bleiben, dass dies nur eine Auswahl wäre.“ (S. 196)

Der im gleichen Jahr (2004) publizierte Beitrag[27] von Frau YILDIRIM erörtert die Relativität des Heiratsalters, wobei sie sich dabei mit der Kultur der Juden, Christen und Araber befasst. Sie erörtert die Ehen des Propheten im Allgemeinen, behandelt die junge Ehe mit seiner Frau Aischa im Besonderen und gibt die Diskussionen darüber gelungen zusammengefasst wieder. Ihr Ergebnis appelliert für eine objektive Mitte bei der Behandlung dieser Thematik:

 „Ohne eine definitive Angabe für das Heiratsalter der Aischa machen zu können, ist es eine Tatsache, dass es im jungen Alter stattfand. Doch dieses Alter widersprach nicht der Heiratskultur jener Gesellschaft. Wäre das Heiratsalter der Aischa im Widerspruch zur Tradition, Gewohnheit und Sitte der arabischen Gesellschaft, hätten in erster Linie die Juden und Heuchler in Medina sowie die Erzfeinde des Propheten ihn dafür heftig kritisiert. (…) Damit wir die Ereignisse der Vergangenheit im Rahmen der Bedingungen und Quellen richtig verstehen und an die Tatsachen gelangen, dürfen sie nicht mit den ethischen Maßstäben der heutigen Zeit bewertet werden.“ (S. 247)

ERUL veröffentlicht nach zwei Jahren (2006) seinen Beitrag[28] zum Thema, wobei er bewusst eine Zurückhaltung intendiert. Er gibt die Argumente der beiden Seiten direkt in langen Zitaten wieder. Damit beabsichtigt er in diesem heiklen Thema die Antwort dem Leser zu überlassen. Leider führt diese Zurückhaltung dazu, dass nicht besonders viel zur Diskussion beigetragen wird, was von diesem Hadithexperten zu erwarten wäre.

Umso stärker diskutiert HAYLAMAZ (2008) die bereits genannten Argumente für ein höheres Alter. Geht er auch gelegentlich auf eine alternative Deutung der Traditionen ein, so doch nur um diese zu entkräften. Diese Einseitigkeit wird noch auffälliger, wenn erkannt wird, dass er die durch zahlreiche authentische Traditionen belegte Tatsache, dass die Prophetenfrau Aischa in Medina an Puppenspielen Interesse zeigte unerwähnt lässt. Wäre sie nach seiner Tendenz damals eher um die 17-18, als sie den Propheten heiratete, so schuldet er zumindest eine Erklärung dafür wie eine - zieht man auch damalige Standards in Betracht - eine ziemlich erwachsene Frau noch mit Puppen spielte. Trotz dieses Mankos liefert der Autor nützliche Informationen, die wir im Hauptteil verwerten und auswerten werden.

Ein Jahr später (2009) widmet AKGÜNDÜZ dieser Thematik ein kurzes Kapitel in seinem erschienen Buch[29]. Er als Jurist weist die Kritik an der jungen Ehe vor allem mit dem Islamischen Recht zurück. Der Vollzug der Ehe sei nur nach der Zustimmung der Partner und nach der Pubertät möglich. Das Alter der Aischa entspreche ebenso den damaligen Standards.

Im deutschsprachigen Raum hat sich im Jahre 2005 der bekannte Übersetzer islamischer Bücher, WENTZEL, mit dem Thema befasst[30]. Sein ganzer Text konzentriert sich auf die Widerlegung eines vom Spanischen ins Deutsche übertragene Apologetik, die mit aller Vehemenz ein höheres Alter verteidigt und dabei nicht zurückschreckt die frühen Historiker mit Fehlern, Widersprüchen und Unzuverlässigkeit zu überhäufen. WENTZEL verteidigt ebenso stark die Authentizität der klassischen Überlieferung und kritisiert vor allem den leichtsinnigen Umgang mancher Muslime mit den eigenen Quellen.

Analog arbeitet eine englischsprachige Arbeit von BIN KHALID (2007)[31], die einen ähnlichen Beitrag zitiert und widerlegt. Englischsprachig ist - neben vielen anderen Beiträgen - ein Büchlein (1999) zu unserem Thema verfasst worden, das auch ins Deutsche übersetzt wurde[32]. Anders als die meisten Beiträge, beschäftigt sich der Autor hauptsächlich mit den kulturellen und biologischen Aspekten der Ehe. Er verteidigt die klassische Überlieferung und kritisiert mit scharfem Ton die Gegenposition.

Gut Zweidrittel seiner Diplomarbeit[33] widmet IBRAHIM (2009) unserer Thematik und führt fast alle bekannten Argumente an und diskutiert sie. Er beschäftigt sich auch mit rechtlichen Aspekten und kritisiert die islamischen Rechtsgelehrten. Sein Fazit ist umso selbstsicher:

„Darauf [die Feststellung über die Überlieferungslage - A. d. V.] aufbauend kann ich nun nach Abschluss meiner Recherchen mit großer Gewissheit behaupten, dass Aischa zum Zeitpunkt ihrer Heirat zwischen 19 und 21 Jahre alt war.“ (S. 126)

Er versucht mit größter Mühe überlieferungstechnisch die klassische Überlieferung zu entkräften, in dem er die Zuverlässigkeit Hišām ibn ‛Urwas in Frage stellt bzw. seine Überlieferungen im Irak in Zweifel zieht (S. 103 f.). Leider verkennt der Autor die Tatsache, dass neben ihm viele weitere Tradenten das junge Alter der Prophetenfrau Aischas direkt von ihr überliefern und dass nicht nur irakische, sondern auch medinische Überlieferer, von Hišām diese Informationen tradieren.[34] Damit wären seine Prämissen, d. h. Feststellungen, auf denen er „mit großer Gewissheit“ seine Behauptung aufstellt, zum großen Teil obsolet.

Es ist zu konstatieren, dass leider viele Autoren von anderen Beiträgen - u. a. sprachlich bedingt - keine Kenntnis hatten, sodass ihnen viele nützliche Erkenntnisse verborgen blieben und somit nicht verwertet werden konnten. Auf die wichtigsten Argumente und Traditionen, die von den genannten Autoren dargebracht wurden, werden wir im Hauptteil unserer Arbeit eingehen. Zunächst soll jedoch als eine Grundlage dafür, eine Behandlung der Heiratskultur der damaligen Zeit, betrachtet werden.

4 Heiratskultur im Alten Arabien

Oft halten wir unsere heutigen kulturellen Standards für „ewig gegeben“ und setzen sie nicht selten „absolut“. Wir vergessen oft, dass viele Selbstverständlichkeiten von Heute Kuriositäten von Gestern waren, sowie Trivialitäten der Vergangenheit zu Exzentrizitäten der Gegenwart geworden sind. Selbst so was Universelles wie die Zahlen - vor allem die Null - haben eine lange Geschichte hinter sich und blieben für Jahrhunderte ein Geheimnis.[35] Auch unsere Begriffe von „Kindheit“ und „Jugend“ sind noch lange nicht so absolut und natürlich wie es auf den ersten Blick scheint. Dafür genügt es in ein Werk zur Geschichte der Pädagogik zu schauen. So eine Phase wie die „Jugend“ gab es nicht immer! - und schon dieser Aspekt wird unsere Lektüre früherer Kulturen stark relativieren. Zudem wäre es ein imperialistischer Gedanke, sähen wir unsere hiesigen Kulturstandards - wenn es diese denn überhaupt als solche gibt - über alle Zeiten und Orte hinaus als absoluten Maßstab, mit dem alles zu messen sei. Beachten wir diese Gesichtspunkte und betrachten wir auch die klimatischen, soziologischen und kulturellen Gründe und Ursachen für das frühere Heranreifen, das frühere Heiraten, werden wir zu noch gesünderen Ergebnissen gelangen.

Wir finden in den Quellen zahlreiche Beispiele dafür, dass zur Zeit des Propheten und noch viel später neben den Frauen auch die Männer ein frühes und schnelles Wachstum aufwiesen. Es ist uns bekannt, dass zur Zeit des Propheten Männer um das Alter 15 herum im Krieg teilnahmen[36] und Usāma ibn Zaid war noch keine 20 Jahre alt, als er das islamische Heer gegen die damalige Supermacht, das Byzantinische Reich, leiten sollte.[37]

Im Alten Arabien wurden Frauen recht jung - gewöhnlich vor dem 12. Lebensalter - verheiratet.[38] Einige Beispiele dafür sind:

Zainab, die Tochter des Propheten, heiratete Abū al-‛Āṣ, als sie zwischen 8 und 10 Jahren alt war.[39]Die Töchter des Propheten, Ruqayya und Umm Kulṯūm, sind mit 7 oder 8 Jahren verehelicht worden.[40]Vor dem Gefährten ‛Alī hielten Abū Bakr und ‛Umar um die Hand der Prophetentochter Fāṭima, als sie im relativ jungen Alter war (12-14).[41]

Auch die Jungen wurden in jungen Jahren verheiratet:

Der Altersunterschied zwischen dem Prophetengefährten ‛Amr ibn al-‛Ās und seinem Sohn ‛Abd Allāh beträgt nur 12, d. h. ‛Amr müsste bereits mit 9-10 Jahren geheiratet haben.[42]

Wir finden in den Quellen Aussagen von damaligen Personen, die auch ein solches Alter als ein bzw. das Heiratsalter aussprechen und ansehen. Zwei Beispiele mögen genügen:

Die Prophetenfrau Aischa vertritt selbst die Position: „Wenn ein Mädchen 9 Jahre alt wird, ist sie eine Frau (Kandidatin, d. h. bereit zu heiraten).“[43]Ibn Yarā, ein arabischer Dichter, sagt: „Wenn ein Mädchen 8 Jahre alt ist, ist sie für mich keine Ğāriya (junges Mädchen) mehr. Vielmehr eine Heiratskandidatin, die ich mit ‛Utba oder Mu‛āwiya verheiraten könnte.“[44]

Selbst noch lange nach der Prophetenzeit bezeugen die Quellen die junge Heiratskultur:

ʿUmar ibn al-Ḫattāb heiratete Umm Kulṯūm, die Enkelin des Propheten, als diese 9 bzw. jünger war.[45] Mit 13-14 hatten sie bereits zwei Kinder.Ḥišām ibn ʿUrwa heiratete die 9-jährige Fāṭima bint Munḏir.[46]Baihaqī berichtet von nicht weniger als drei jungen Ehefrauen, die im Alter von 9 oder 10 Jahren Mutter wurden.[47]Imām aš-Šāfiʿī berichtet von zahllosen 9-jährigen Mädchen im Reifealter in Jemen.[48]

Was die Quellen eindeutig hergeben, galt nicht nur für die arabische Kultur, sondern war der damalige Standard und dieser galt bis ins Mittelalter hinein. Sehen wir uns einige Daten an:

Nach dem spätantiken christlich-römischen Recht war das Heiratsalter der Frau bei 12 Jahren angesetzt.[49]Das Alter der Pubertät lag im Mittelalter für gewöhnlich bei 12 Jahren. Das heißt junge Menschen konnten bereits mit 12 verheiratet werden. Männer und Frauen heirateten [im Abendland] kurz nach der Pubertät.[50]Nicht anders war es bei den Griechen. Dr. Maria H. Dettenhofer, Privatdozentin für Alte Geschichte, die zur Sozialgeschichte Griechenlands und Roms arbeitet, führt an, dass die Menschen in jungen Jahren heirateten:

„Schon der verhältnismäßig große Altersunterschied zwischen Mann und Frau (ungefähr 15 Jahre) sowie das frühe Heiratsalter der Mädchen (zwischen 13 und 15) und das relativ hohe Heiratsalter der Männer (ungefähr 30) bedingten ein zunächst eher erzieherisches Verhältnis zwischen den Eheleuten. Als ideale Ehefrau galt ein behütet aufgewachsenes Mädchen.“[51]

Ähnlich war es auch bei den Römern.

Dieser hohe Altersunterschied zwischen Mann und Frau ist auch für die arabische Kultur mehrfach belegt.

Die oben angeführte Ehe ‛Umars mit Umm Kulṯūm.Die klassische Annahme, dass der Prophet bei der Heirat 54 Jahre alt war, während Aischa 9-10 Jahre alt gewesen ist.[52]ʿUmar ibn al-Ḫattāb bietet seine Tochter Ḥafṣa dem Gefährten Abū Bakr an, der älter als ihr Vater war, während sie bereits mit 12 Jahren verwitwet gewesen war.[53]

Der pädagogische Aspekt der Verehelichung einer jungen Frau, ist bei den Arabern bis ins letzte Jahrhundert zu bezeugen. Ein interessantes Beispiel:

Der Koranexeget Muhammad Asad wird in Medina mit einer 11-Jährigen verheiratet. Sein Widerspruch wird wie folgt erwidert: „Das Mädchen wächst im Hause ihres Mannes heran.“[54]

Gemäß den Sitten der damaligen Zeit wurden die Mädchen früh, z. T. vor der Pubertät verlobt, doch erst nach der Pubertät verheiratet, sodass sie ihre Adoleszenz (Jugend nach der Pubertät) in der Ehe verbrachten und so im Hause des Ehemannes zur vollen Reife gelangten. Auf diese Weise wurden sie sozialisiert und in die Familie integriert. Wohlgemerkt beginnt diese Phase auch heute gemäß der WHO mit 10 Jahren.[55] In der postmodernen Zeit haben wir jedoch eine völlig andere Vorstellung der Heiratskultur: „Neuere[n] Untersuchungen zufolge berichten fast 50 Prozent der Jugendlichen unter 15 Jahren und 75 Prozent der unter Neunzehnjährigen, sie hätten bereits Geschlechtsverkehr gehabt“.[56] Da die „Reinheit“ vor der Ehe (d. h. „kein Sex vor der Ehe“) vielen Kulturen damals (und heute) von größter Bedeutung war, traf die Heiratskultur präventive Maßnahmen, sodass die Männer, aber vor allem die Frauen, „wohlbehütet“ in die Ehe gingen. Sie durften weiterhin ihre „Jugend“ erleben, waren jedoch unter dem Obhut ihres Ehemannes und seiner Familie. Zudem war eine „erzieherische“ Intention vorhanden, sodass die junge Frau noch leichter in die Familie integriert werden konnte.

Für die Heiratskultur des Alten Arabiens können folgende Thesen aufgestellt werden:

Die jungen Mädchen reiften nicht nur physiologisch, sondern auch geistig, viel früher heran als heute.[57]Junge Mädchen und Männer wurden nach der Pubertät verheiratet.Ein großer Altersunterschied zwischen Mann und Frau war normal und normkonform.Der Altersunterschied diente u. a. pädagogischen Zwecken.„Das Wohlbehütetsein“ der Frau war von großer Bedeutung.Diese Heiratskultur war auch an vielen Orten und auch viel später zu beobachten.

5 Jahresangaben

Die christlichen Entsprechungen der vorislamischen und islamischen Jahresangaben werden nach ungefährer Umrechnung in den eckigen Klammern angeführt. Die sichersten Daten werden präferiert und kommen für den chronologischen Vergleich in die Chronologie (siehe Anhang).

5.1 Aischas Geburtsjahr

Die Geehrte Aischa ist in Mekka etwa 8 Jahre vor der Auswanderung[58] [614], 4, 4,5 oder 5[59] [614-615] oder 4,5 Jahre [614,5] nach der Prophetie oder im 4. Jahr[60] [613-614] der Prophetie geboren.[61] Wir können festhalten, dass - abgesehen von u. a. kalendertechnisch bedingten Variationen - die historischen Überlieferungen das Jahr 614 als das Geburtsjahr Aischas hergeben. Diese Angabe harmoniert ebenso mit der klassischen Annahme ihres Hochzeitalters (9 Jahre) und anderer Jahresangaben über sie (614+9=623). D. h. aus ihren Geburtsjahresangaben kann eine Revision der klassischen Annahme nicht abgeleitet werden.

5.2 Ihr Eintrittsjahr in den Islam

Sie wird in biographischen Werken direkt nach ihrer älteren Schwester Asmā’ - als 18. Person - zu den ersten Muslimen, die noch vor der Auswanderung nach Abessinien konvertiert sind, gezählt, wobei sie dabei als „jung“ bezeichnet wird.[62]

Wenn sie nach der klassischen Überlieferung 614 geboren ist und der Islam bereits im Jahre 610 begann, wie kann es dann möglich sein, dass sie als 18. Person in der Liste der ersten Muslime auftaucht?

So argumentiert HAYLAMAZ:

„Von Aischas Schwester Asmā’, geboren 595, ist bekannt, dass sie im Alter von 15 Jahren Muslima wurde, im Jahr 610, als dem Propheten die ersten Offenbarungen zuteilwurden. Für Aischa wiederum heißt das, dass sie damals 5, 6 oder 7 Jahre alt war und demzufolge an dem Tag, an dem sie den Propheten in Medina heiratete, mindestens 17 oder 18 gewesen sein muss.“[63]

Diese Informationen lassen sich nicht ohne Weiteres mit der klassischen Annahme zusammenbringen. Noch interessanter wird es, wenn wir erfahren, dass diese Unstimmigkeit bereits einem früheren Gelehrten, dem Historiker IBN ‛ASĀKIR, auffiel und er sie aus der Liste strich.[64] Er bezieht dabei das Attribut „jung“ auf Asmā’.

Die obige Argumentation wird weiterhin unterstützt durch die Überlieferung, nach der Asmā’ 10 Jahre älter als Aischa gewesen sein soll. D. h. wenn Asmā’ mit 15 Jahren den Islam angenommen hat und Aischa 10 Jahre jünger war, müsste Aischa mit 5 Jahren als Muslima gezählt worden sein. Nehmen wir aber die klassische Überlieferung mit 614 als Geburtsjahr an, müsste sie - wenn die Liste stimmt - schon als ein kleines Baby in die Liste aufgenommen worden sein und dazu noch in den ersten 5 Jahren der Prophetie vor ihr nur 17 Personen den Islam angenommen haben. Anders lässt es sich zunächst nicht erklären. Wenn wir weiterhin an der dutzendfach authentisch, wegen mehreren Anlässen überlieferten und von vielen weiteren Überlieferungen gestützten Informationen festhalten wollen, so müssen wir mit Ibn ‛Asākir die Liste als fehlerhaft einstufen. Das ist auch möglich, da das Alter Asmā’s umstritten ist und die Eigenschaft „jung“ sich durchaus auf sie beziehen kann, wenn wir eine andere Altersangabe - nämlich etwa 10 Jahre jünger - annehmen, was noch unten aufgezeigt werden soll.

5.3 ‛Umar ibn al-Ḫattābs Konversion

Die Geehrte Aischa erinnert sich, dass sie den Propheten hörte wie er zu Allah betete, dass er den Islam durch ‛Umar ibn al-Ḫattāb stärke. Dabei sagt Aischa in direkter Form: „Ich hörte den Gesandten sagen: …“.[65]

‛Umar nahm den Islam nach 45 Männern und 11 Frauen (56 Personen) - nach seiner eigenen Aussage - im 6. Jahr der Prophetie im Monat Ḏū l-Ḥiğğa [615],[66] nach der Auswanderung der Muslime nach Abessinien,[67] die zum ersten Mal nach dem 5. Jahr der Prophetie im Monat Rağab [615] stattfand, an.[68]

615 n. Chr. tritt ‛Umar dem Islam bei, während Aischa nach der klassischen Annahme erst 2 Jahre alt wäre. Sie erinnert sich an das Bittgebet des Propheten und wie er Muslim wurde, was ausgeschlossen werden kann. Nun, wie ist es möglich, dass sich ein 2-jähriges Mädchen wortwörtlich an ein Bittgebet erinnert und daraufhin auch an die Konversion ‛Umars? Wenn wir jedoch die Liste der ersten Muslime und die Altersangabe der Asmā’ als korrekt annehmen, wäre Aischa, als ‛Umar Muslim wurde, wesentlich älter: 610 wäre sie 5 Jahre alt, als sie in die Liste aufgenommen wurde und 615 wäre sie 10 Jahre alt, wodurch wir ihre Erinnerungen an die Konversion ‛Umars erklären könnten.

5.4 Offenbarung der Sūre al-Qamar

Aischa erinnert sich, dass, als sie noch ein spielendes „Mädchen“ (ğāriya) in Mekka war, der 46. Vers der 54. Sure al-Qamar herabgesandt wurde.[69] Die Offenbarung dieser Sure ereignete sich im 4.-5.[70] oder zwischen dem 8.-10.[71] Jahr der Prophetie.[72]

Ziehen wir alle Jahre in Betracht, sehen wir, dass sie durchaus mit 5 Jahren (für damals die frühere Phase vor der Pubertät) sich an die Offenbarung erinnern kann, wenn wir das 9. Jahr[73] als das Offenbarungsjahr unserer Berechnung zugrunde legen (619-5=614 Geburtsjahr). Außerdem sind weitere Details von entscheidender Bedeutung: Die meisten Suren wurden über eine längere Periode sukzessiv herabgesandt und in dem Bericht ist die Rede nur von einem bestimmten Vers,[74] wobei HAYLAMAZ behauptet, dass die ganze Sure auf einmal offenbart wurde.[75]

Es gilt aber zu betonen, dass diese Überlieferung eher die These eines älteren Jahres der Aischa unterstützt. Wenn wir z. B. das 4. Jahr als das Herabsendungsjahr der Sure als Grundlage nehmen, dann wäre sie erst in diesem Jahr geboren, was ihre Erinnerung daran unmöglich macht. Vor allem der Ausdruck ğāriya in der Überlieferung mit der Ergänzung, dass sie spielte, kann als ein eindeutiger Hinweis auf ein junges Alter verstanden werden. Nach HAYLAMAZ bezeichnet es die Übergangsphase zur Pubertät. Er führt auch ein Gedicht an, in dem gesagt wird, dass eine ğāriya bereits eine Heiratskandidatin sei.[76]

Seine Argumentation, dass „Aischa also mindestens acht Jahre vorher … geboren sein [muss]“, hinkt, denn (vor allem für damalige Standards und Maßstäbe) könnte durchaus auch eine 5 jährige Person sich an ein solches Ereignis erinnern. Auch für heute wäre ein solches Erinnern nichts Ungewöhnliches.

5.5 Ihre Verlobung mit Ğubair

Die Geehrte Aischa wurde, noch vor dem Propheten, dem Ğubair, dem Sohn Mut‛im b. ‛Adī, „versprochen“. Nachdem aber der Prophet um ihre Hand bat, wurde das Versprechen aufgelöst und sie wurde als eine 6-Jährige mit ihm verlobt. D. h. nach diesem Bericht wäre die Verlobung mit Ğubair noch vor ihrem 6. Lebensalter. Wir erfahren, dass Abu Bakr die Verlobung nur auflösen konnte, weil auch die Bräutigamseite fürchtete, dass durch eine Ehe ihr Sohn zum Islam übertreten könnte.[77]

Einige Autoren versuchen diese Begebenheit - obwohl auch in ihr selbst vermerkt ist, dass sie 6 Jahre alt gewesen ist, als sie verlobt wurde - als ein Hinweis anzuführen, dass sie älter sein müsste.[78] Dieses Ereignis findet um das Jahr 620 n. Chr. statt, d. h. im 10. Jahr der Prophetie.

In der Überlieferung wird als Grund für die Auflösung der Verlobung erwähnt, dass Abu Bakr den Bräutigam zum Islam verführen könne. Die Frage wäre nun, warum erst jetzt die Verlobung aufgelöst wird und nicht vorher? Diese Frage ist sicherlich berechtigt, aber kein hinreichendes Argument um alle weiteren Indizien und Daten über Bord zu werfen. Es ist durchaus möglich, dass dieser Gedanke bei den Eltern Ğubairs später entstanden ist oder zunächst nicht zur Debatte stand, weil der Vollzug der Ehe noch nicht zeitnah war. Dass Abu Bakr sie besucht hat, könnte als Anlass und Gelegenheit verstanden werden, wo die Eltern ihre - vielleicht bereits vorher - gehegten Gedanken zum Ausdruck bringen.

Das zweite Argument, wonach das Alter Aischas hochgerechnet wird, besagt, dass der Prophet nach dem Tod seiner Frau Ḫadīğa eine Frau suchte, die u. a. ihn aus seiner Einsamkeit befreien möge und sich um die Pflege der Kinder sorge. Deshalb müsse Aischa älter gewesen sein. Die Argumentation verkennt jedoch die Tatsache, dass der Prophet erst 3 Jahre nach der Verlobung, in Medina, Aischa verehelichte.

Es ist noch anzumerken, dass der Historiker Balāḏurī die vorherige Verlobung der Prophetenfrau Aischa mit Ğubair zurückweist und behauptet, dass sie vor dem Propheten mit keinem anderen verlobt wurde.[79]

5.6 Ihre Verlobung und Heirat mit dem Propheten

Aischa wurde nach der klassischen Überlieferung mit dem Propheten verlobt, als sie 6-7 Jahre alt war und verehelichte ihn, während sie 9-10 Jahre alt gewesen ist.[80]

Die Verlobung fand (ca.) im 10. Jahr[81] [620] der Prophetie [610], 2 [622], 3 [623] oder 4 [624][82] Jahre nach dem Tod der Ḫadīğa [620][83] - der ersten Frau des Propheten -, 3 [619] oder 2 [620] Jahre vor der Auswanderung [622] im Monat Šawwāl, statt.[84]

Das Jahr 619-620 scheint am authentischsten zu sein, da sie mit anderen Daten übereinstimmt und die Geehrte Aischa in einer Tradition persönlich angibt, dass „sie sich mit 6 Jahren im 10. Jahre der Prophetie mit dem Propheten verlobte.“[85]

Berechnet heißt das: 610+10=620 oder mit ihrem Geburtsjahr: 614+6=620.

Ihre Heirat mit dem Propheten fand 7 Monate nach der Auswanderung im Monat Šawwāl bzw. am Anfang diesen Monats, 8 Monate nach der Auswanderung, im ersten, zweiten oder (nach der Badr-Schlacht im zweiten Jahr) oder 18 Monate nach der Auswanderung statt.[86] ŞULUL kommt hier zu dem Ergebnis, dass sie im Monat Šawwāl im 2. Jahr nach der Auswanderung den Propheten verehelichte [624].[87]

Als der Prophet starb, war die Geehrte Aischa 18 Jahre alt.[88] Da sie in Medina 9 Jahre verheiratet waren, kommen wir auf ein Heiratsalter von 9 Jahren (18-9=9).

5.7 Ihre Teilnahme an der Badr- und Uḥud-Schlacht

Einige Autoren[89] führen die Teilnahme der Geehrten Aischa in der Badr- und Uḥud-Schlacht im Jahre 624 und 625 als ein Beleg dafür, dass sie viel älter sein müsste, als gemeinhin angenommen. Nach der klassischen Annahme wäre sie zu dieser Zeit 10-11 Jahre alt (625-614=11). Es wird argumentiert, dass der Prophet Personen unter 15 Jahren nicht gestattete am Krieg teilzunehmen. Deswegen müsse auch die Geehrte Aischa zu jener Zeit über 15 Jahre alt gewesen sein. Doch es wird bei dieser Argumentation übersehen, dass z. B. der Gefährte Anas mit 11 Jahren den Propheten begleitete.[90] D. h. diese Alterseinschränkung dürfte sich nur auf den aktiven Kampf beziehen. Es ist ja auch bekannt, dass die Geehrte Aischa außermilitärische Dienste leistete. Außerdem muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden, dass wir uns eine 11-jährige Person von damals, nicht wie eine von heute vorstellen dürfen.

5.8 Aischa als „Mutter“ und Erziehungsperson

Nach der Uḥud-Schlacht (625) kommt ein kleines Kind, dessen Vater umkam, weinend zum Propheten. Der Prophet wollte ihm seine Trauer nehmen in dem er ihm sich als Vater und die Aischa als Mutter zur Verfügung stellte.[91]

Usāma ibn Zaid fiel eines Tages hin und blutete. Der Prophet bat die Aischa seine Nase zu putzen, was sie aber nicht mochte. Eines Tages wusch sie sein Gesicht. Usāma war zwischen 18 und 20 Jahre alt, als der Prophet starb.[92] Dabei war auch die Geehrte Aischa nach der klassischen Annahme um die 18 Jahre alt.[93]

IBRAHIM fragt aufgrund dieser Überlieferungen: „Wie kann der Prophet von Aischa das Putzen der Nase von Usāma verlangt haben, obwohl sie genau so alt war wie er, ja vielleicht sogar jünger.“[94] Wenn wir bedenken, dass die Frauen in der Regel um die 3-4 Jahre früher als Männer die Reife erlangen, kann diese Begebenheit erklärt werden. Oder es ist ein anderes Alter für Usāma anzunehmen.

5.9 Interesse an Puppen- und Kampfspielen

Die Geehrte Aischa berichtete, dass sie im Hause des Propheten mit Puppen zu spielen pflegte „und ich hatte Freundinnen, die mit mir spielten. Wenn der Gesandte Allahs eintrat, versteckten sie sich, doch er ermöglichte es ihnen, weiter zu mir zu kommen, damit sie weiter mit mir spielten.“[95]

Aus dem Bericht geht eindeutig hervor, dass sie sich hier - in den ersten Jahren ihrer Heirat - noch im Jugendalter befindet. Mit der alternativen Annahme (18 Jahre und älter) lassen sich diese authentischen und vielfach überlieferten Traditionen recht schwer erklären.

Aischa berichtete: „Ich erinnere mich daran, dass der Prophet mich mit seinem Umhang bedeckte, während ich die Abessinier bei ihren Spielen in der Moschee beobachtete, bis ich selbst davon genug hatte. Bedenket daher, dass Mädchen im jungen Alter gerne spielen!“[96]

Auch aus dieser Überlieferung geht unmissverständlich hervor, dass sie noch ein „Mädchen im jungen Alter“ war und noch viel wichtiger, dass der Prophet sie dementsprechend behandelt und im Rahmen der Möglichkeiten der damaligen Kultur sie auch bestens erzog.

5.10 Die Verleumdungskampagne (hadith al-ifk)

In dem sogenannten Ifk-Ereignis, das sich im 5. oder 6. Jahr der Auswanderung [627-628] ereignete, begegnen wir mehrmals sowohl aus ihrem Mund, als auch bei Außenstehenden dem Ausdruck „junges Mädchen“ (ğāriya).[97] Das heißt noch um das Jahr 627-628 ist die Prophetenfrau eine junge Person, wahrscheinlich um die 13-14 Jahre alt (627-614=13). Wäre sie jedoch zur Zeit der Auswanderung 17, müsste sie bei diesem Ereignis um die 22 Jahre alt gewesen sein, was jedoch vom Überlieferungsinhalt eher negiert wird.

5.11 Ihr Todesalter und Todesjahr

Die Traditionen, die Ibn Sa‛d und Ibn ‛Adb al-Barr[98] zu ihrem Tod anführen, geben folgende Jahresangaben zu ihrem Tod:

17. RamadanZur Regierungszeit Marwāns I.Im Ramadan 58 n. H.Im Ramadan17. Ramadan 58 n. H.17. Ramadan 58 n. H. und sie war 66 Jahre alt19. Ramadan 58 n. H.57 n. H.

Einstimmig kann der Monat bestimmt werden: Ramadan. Drei Überlieferungen führen das 58 n. H. als Todesjahr an, eine davon auch wie alt (66) sie dabei gewesen ist. Die Rechnung (58-66=-8 v. H.) ergibt als Geburtsjahr 614, ein Ergebnis, das mit den übrigen Traditionen harmoniert und somit die klassische Annahme nochmals belegt.

Die zweite Tradition ist jedoch etwas seltsam; Zur Regierungszeit Marwāns soll sie gestorben sein. Wir wissen, dass er zwischen 64-65 / 684-685 geherrscht hat. Nach dieser Tradition wäre die Geehrte Aischa mind. 70 Jahre alt, als sie dahin schied (684-622=62+8=70).[99]

5.12 Vergleich mit dem Alter der Prophetentochter Fāṭimas

Es wird versucht das Alter der Prophetentochter Fāṭima in Beziehung zum Alter der Geehrten Aischa zu setzen, so dass daraus ein höheres Alter resultiert. Weil die Prophetentochter Fāṭima 5 Jahre vor dem Islam (605) geboren und 5 Jahre älter sei als die Prophetenfrau Aischa, müsste auch sie etwa 610 geboren sein und damit zur Zeit ihrer Heirat mind. 13 Jahre alt sein.[100] Doch übersieht diese Argumentation weitere Jahresangaben über das Geburtsjahr der Geehrten Fāṭima in den Quellen:

‛Ainī zufolge - ohne, dass er dafür eine Quelle nennt - ist sie geboren, als die Quraiš - 7,5 Jahre vor der Prophetie die Kaaba erbauten.[101] [602-603]Nach Wāqidī ist sie im Monat Ramadan, 6 Monate nach dem Tod des Propheten [632], im 11. Jahr der Auswanderung [633], als sie um die 29 Jahre alt war, gestorben.[102] [633-29=604]Nach Ibn Sa‛d ist sie geboren, als die Quraiš die Kaaba erbauten, was 5 Jahre vor der Prophetie [610] gewesen sei.[103][605]Nach Ibn Ḥağar[104] ist sie eine kurze Zeit, ein Jahre oder mehr, vor der Prophetie geboren. [609-610]Sie ist geboren, als der Prophet 41 Jahre alt war. [611]Sie ist nach einer Meinung sogar 8 Jahre vor der Auswanderung geboren. [614]Ahl al-Bait Imāme wie Ğa‛far aṣ-Ṣādiq führen an, dass sie im 5. Jahr der Prophetie geboren sei. [614-615]

Wir haben für das Geburtsjahr der Geschätzten Fāṭima eine Variationsbreite von 12,5 Jahren. Nehmen wir an, dass sie 5 Jahre älter gewesen war als die Geehrte Aischa und dass die klassische Annahme ihres Alters stimmt, welche mehrfach und viel stärker belegt ist, wäre die Prophetentochter Fāṭima um das Jahr 610 geboren - ein Jahr, das auch die Mitte der Variationsbreite darstellt und deshalb wahrscheinlicher ist. Umgekehrt herum, nur ein Alter aus vielen möglichen zu nehmen und dieses als Grundlage zu setzen um das Alter der Geehrten Aischa abzuleiten und damit das authentisch tradierte so einfach ad absurdum zu führen, widerspricht der wissenschaftlichen Integrität.

5.13 Vergleich mit dem Alter der Geehrten Asmā‘ bint Abī Bakr

Es wird dargelegt, dass die Geehrte Asmā‘, die ältere Schwester der Prophetenfrau Aischa, als eine 100-jährige im Jahre 73 n. H. gestorben sei und dass sie 10 Jahre älter sei als ihre Schwester Aischa. Hierauf aufbauend wird berechnet, dass sie zur Zeit der Auswanderung 27 Jahre alt sei (100-73=27) und damit wäre auch Aischa 17 (27-10=17) oder 18 gewesen, als sie den Propheten verehelichte.[105] Diese These wird noch unterstützt mit der Angabe, dass die Geehrte Asmā‘ 27 Jahre vor der Auswanderung geboren wurde.[106]

Eine Untersuchung der einschlägigen Primärliteratur bestätigt einstimmig diese Daten.

Sie ist 27 Jahre v. H. und 10 Jahre vor der Prophetie geboren [622-27=595 / 610-10= 600] und im Jahre 73 n. H. 100-jährig gestorben [100-73=27 v. H.=595].[107]Sie ist 100-jährig, im Monat Ǧumādā l-ūlā, im Jahre 73 n. H. gestorben.[108] [100-73=27 v. H.=595]Sie ist 100-jährig, im Jahre 73 n. H., gestorben. Sie war 10 Jahre älter als Aischa.[109] [100-73= 27 v. H.=595, Aischas Geburt: 595+10=605]

Die Gegenposition argumentiert dagegen, dass die Zahl 100 wie die 70 in der arabischen Sprache nur eine ungefähre Angabe darstelle und nicht als eine exakte Zahl verstanden werden darf[110] - unterstützend ist hinzuzufügen, dass die Jahresangaben ohnehin nur ungefähre Zahlen sind - und dass der Überlieferer (Ibn Abī az-Zinād) dieser Angabe unzuverlässig (ḍa‛īf) sei.[111] Zudem hat der Historiker aḏ-Ḏahabī die Information, dass Asmā‘ 10 Jahre älter sei als Aischa angezweifelt und gesagt: „Abū Zinād sagt: Sie ist 10 Jahre älter als Aischa. Ich sage: Wenn das stimmt, dann wäre Asmā‘ mit 91 Jahren gestorben. Auf der anderen Seite sagt Hišām ibn ‛Urwa: Sie hat 100 Jahre gelebt.“[112] Wie aḏ-Ḏahabī nimmt auch AZİMLİ die Jahresangaben der Prophetenfrau Aischa als Grundlage für die Bestimmung des Alters der Geehrten Asmā‘ und kommt auf das Alter von 91 Jahren. Aischa war zur Zeit der Auswanderung 8 Jahre alt, damit wäre Asmā‘ zu jener Zeit 18 gewesen. Im Übrigen entspricht diese Präferenz den Prinzipien der Hadithwissenschaft, nach denen - bei vorliegendem inhaltlichem Widerspruch - die stärkere Tradition der schwächeren gegenüber vorzuziehen ist.[113]

Weiterhin stützt er seine These mit den kulturellen Standards, nämlich dass es eher unwahrscheinlich sei, dass sie erst mit 27 geheiratet und ihr erstes Kind mit 28 Jahren bekommen hätte.[114] Außerdem führen AZİMLİ und WENTZEL von aḏ-Ḏahabī an, dass Asmā‘ mehr als 10 Jahre bzw. bis zu 19 Jahren (13-19 = bi-biḍ‛a ašara) älter sei als Aischa[115] (100-73=27-19=8 - Aischas Alter zur Zeit der Auswanderung).

Obwohl in diesem Fall die erstere Position stärker auftritt, kann unter Berücksichtigung all dieser Daten auf Basis jener präsumtiven Information (‛ilm aḏ-ḏannī) eine viel stärkere Information nicht falsifiziert werden.

6 Schlussfolgerung

Die Diskussion der Methode hat verdeutlicht, dass wir uns bei Jahresangaben in einem historisch u

Der „Verleumdungsbericht“

Breiten Raum in der arabischen Überlieferung über Aischa nimmt der sogenannte „Verleumdungsbericht“ (Chabar al-ifk oder Hadīth al-ifk) ein. Demnach wurde Aischa der Unzucht beschuldigt, jedoch durch eine Offenbarung (Sure 24:11–20) entlastet. Der Bericht liegt in einer großen Anzahl unterschiedlicher Versionen vor.[6]

Gemäß der Version von Ibn Ishāq, in der Aischa selbst als Berichterstatterin auftritt, ist der Ausgangspunkt des Skandals Mohammeds Feldzug gegen die Banū l-Mustaliq, der im Januar 627 stattfand und bei dem ihn Aischa in einer Kamelsänfte begleitete. Als das Heer nach einem nächtlichen Halt in der Nähe von Medina am frühen Morgen im Begriff steht, wieder aufzubrechen, entfernt sich Aischa, um ihr Bedürfnis zu verrichten. Dabei verliert sie ihre Halskette. Die Suche danach hält sie auf. Als sie sie endlich gefunden hat, ist das Heer bereits fortgezogen. Die Träger haben ihre Kamelsänfte aufgeladen, ohne zu bemerken, dass sie leer war. Aischa wird von dem angeblich impotenten, später als Märtyrer gefallenen Zügler Safwān ibn al-Muʿattal entdeckt (Zu dieser Zeit war der Schleier noch keine Vorschrift[7]) und gerettet. Er lädt sie auf sein Kamel und geleitet sie heim, wobei er das Kamel selbst führt. Nach der Ankunft in Medina wird sie der Unzucht verleumdet. Da Aischa nach der Ankunft erkrankt, erfährt sie nichts von der Kampagne gegen sie, nur ist sie über die Gleichgültigkeit Mohammeds ihr gegenüber erstaunt. Auch im Hause ihrer Eltern, in das sie nach ein paar Tagen wechselt, erfährt sie nichts davon. Erst mehr als zwanzig Tage später wird sie von einer Frau beim nächtlichen Abortgang über den Skandal aufgeklärt. Es wird klar, dass neben anderen ʿAbdallāh ibn Ubayy, der Führer der Banu Chazradsch, und Aischas Verwandter Mistah ibn Uthātha hinter der Verleumdungskampagne stecken. Mohammed nimmt in einer Ansprache zu den Anwürfen Stellung und berät sich mit Ali und Usāma ibn Zaid über sein weiteres Vorgehen. Nachdem er bei Aischas Dienerin Barīra Erkundigungen über sie eingezogen hat, sucht er die weinende Aischa auf, die immer noch bei ihren Eltern ist. Auf seine Aufforderung zur Reue beteuert sie ihre Unschuld. Es kommt zur Offenbarung des Koranworts von Sure 24:11-20, in dem Aischas Unschuld bestätigt wird. Der Prophet hält daraufhin eine weitere Chutba, in der er die geoffenbarten Verse rezitiert, und ordnet Körperstrafen für die Verleumder an.[8]

Aischas Eifersucht

Moderne arabische Werke, die sich mit Aischa beschäftigen, heben vor allem ihre Eifersucht auf die anderen Ehefrauen Mohammeds hervor.[9] Dieses Bild von Aischas Eifersucht knüpft an verschiedene Anekdoten aus der Sīra an, die ebenfalls diesen Aspekt thematisieren. So führt Ibn Ishāq zum Beispiel eine Anekdote an, wonach Aischa kurz vor Mohammeds Tod unter heftigen Kopfschmerzen litt. Mohammed, der ebenfalls Kopfschmerzen hatte, sprach daraufhin zu ihr: „Was würde es dir schaden, wenn du vor mir sterben würdest und ich dich dann in ein Leichentuch hüllte, das Totengebet über dich spräche und dich begrübe?“ Darauf antwortete Aischa: „Bei Gott, mir ist, als sähe ich dich vor mir, wie du nach meinem Begräbnis in mein Zimmer zurückkehrst und dort mit einer deiner Frauen die Hochzeit feierst.“[10]

Politische Aktivität nach Mohammeds Tod

Aischa in der sogenannten Kamelschlacht, Manuskript aus Hafiz-i Abru’s Majma’ al-tawarikh, um 1425

Während der Kalifate ihres Vaters und dessen Nachfolger hatte sich Aischa weitgehend aus der Politik herausgehalten. Erst der wachsenden Rebellion gegen den dritten Kalifen galt ihre Sympathie, und sie unterstützte die Aufrührer. Da sie jedoch genauso gegen ein von Ali geführtes Kalifat war, nutzte sie die Ermordung Uthmans als Mittel gegen Alis Herrschaft. Zusammen mit Talha ibn ʿUbaidallāh und Abdallah ibn az-Zubair, zwei ehemaligen Gefährten Mohammeds, befürwortete sie 656 einen Aufruhr gegen den vierten Kalifen Ali, einen Vetter ihres verstorbenen Mannes. Der Kalif jedoch schlug in der sogenannten „Kamelschlacht“ bei Basra den Aufstand nieder und nahm unter anderem Aischa gefangen. Er begnadigte sie später und ließ sie nach Medina geleiten, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahre 678 lebte.[11] Sie soll kurz vor ihrem Tod entschieden haben, neben den anderen Frauen Mohammeds beigesetzt zu werden.

Aischa als Tradentin

In der Hadith-Literatur erscheint Aischa außerdem als eine bedeutende Übermittlerin religiösen Wissens. Mehr als 1.200 Hadithe werden auf sie zurückgeführt.[12] In vielen Berichten wird beschrieben, wie Aischa Behauptungen anderer Personen über angebliche religiöse Verbote oder Gebote widerlegte, indem sie eine Handlungsweise des Propheten als Gegenargument heranzog.[13]

Literatur

  • Nabia Abbott: Aishah, the beloved of Mohammed. Chicago 1942, Reprint New York 1973.
  • Hoda Elsadda: Discourses on Women’s Biographies and Cultural Identity. Twentieth-Century Representations of the Life of 'A'isha Bint Abi Bakr. In: Feminist Studies. Band 27, 2001, S. 37–64.
  • Aisha Geissinger: The exegetical traditions of ʿĀʾisha. Notes on their impact and significance. In: Journal of Qurʾanic Studies. Band 6, 2004, S. 1–20.
  • D. A. Spellberg: Politics, Gender, and the Islamic Past. The Legacy of 'A'isha bint Abi Bakr. New York 1994.
  • Hossein Kamaly: Aisha (ca. 615–679). „Get half of your religion from here“. In: ders.: A history of Islam in 21 women. Oneworld, London 2019, ISBN 978-1-78607-878-0, S. 29–37.
  • W. Montgomery Watt: Art: ʿĀʾisha bint Abī Bakr. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Bd. I., S. 307b-308b.
  • Asma Afsaruddin: ʿĀʾisha bt. Abī Bakr. In: Kate Fleet, Gudrun Krämer, Denis Matringe, John Nawas, Everett Rowson (Hrsg.): Encyclopaedia of Islam, THREE. Brill Online, 2016.

Einzelnachweise

  1. Das Geburtsjahr ergibt sich aus den islamischen Quellen, die das Jahr 9 vor der Hidschra angeben. Siehe: A. J. Wensinck, J. H. Kramers (Hrsg.): Handwörterbuch des Islam. Brill, Leiden 1941, S. 29.
  2. James E. Lindsay: Daily life in the medieval Islamic world. Greenwood Publishing Group 2005, ISBN 0-313-32270-8, S. 68.
  3. Koran 33:6. Abgerufen am 17. Mai 2019.
  4. Carl Brockelmann: Geschichte der Islamischen Völker und Staaten. Georg Olms Verlag, 1947, S. 38, 58, 61, 373.
  5. Ria Kloppenborg, Wouter J. Hanegraaff: Female stereotypes in religious traditions. E. J. Brill, Leiden/New York/Berlin 1995, ISBN 978-90-04-10290-3, S. 89.
  6. Vgl. Gregor Schoeler: Charakter und Authentie der muslimischen Überlieferung über das Leben Mohammeds. Berlin 1996, S. 119–171.
  7. Hans Jansen: Mohammed. Eine Biographie. (2005/2007) Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas. C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-56858-9, S. 326.
  8. Vgl. Schoeler 124-126. Der arabische Text ist hier einsehbar: http://archive.org/stream/p2daslebenmuhamm01ibnhuoft#page/296/mode/2up
  9. Vgl. Elsadda: Discourses. 2001, S. 48 und 52.
  10. Ibn Hischām: Kitāb Sīrat Rasūl Allāh. Aus d. Hs. zu Berlin, Leipzig, Gotha u. Leyden hrsg. von Ferdinand Wüstenfeld. 2 Bde. Göttingen 1858–1859. S. 1000, Z. 15ff. Digitalisat. Vgl. die Übersetzung von Gernot Rotter in Ibn Ishāq: Das Leben des Propheten. Goldmann, Stuttgart 1982, S. 247.
  11. Eberhard Serauky: Geschichte des Islam. Berlin 1991, ISBN 3-326-00557-1, S. 146 f.
  12. Vgl. Watt 308a.
  13. Vgl. Doris Decker: Frauen als Trägerinnen religiösen Wissens. Konzeptionen von Frauenbildern in frühislamischen Überlieferungen bis zum 9. Jahrhundert. Stuttgart 2013, S. 235.