Sandstreueinrichtung

Sandungsvorrichtung an einer Lok der DB-Baureihe 103
Ein ICE 3 sandet bei 300 km/h
Sandeinfüllstutzen am Wagenkasten eines Triebzugs der DB-Baureihe 442

Ein Sandstreuer ist eine vor allem in Schienenfahrzeugen verwendete Einrichtung, bei der mit Hilfe von Druckluft (ca. 8 bar) oder durch Wirkung der Schwerkraft Sand aus einem Vorratsbehälter (Sandkasten) durch Sandfallrohre unter die Räder geblasen bzw. vor den Rädern auf die Schienen gestreut wird, um die Reibung zwischen Rad und Schiene zu erhöhen. Dies ist vor allem bei (etwa aufgrund von Nässe) reduziertem Reibungskoeffizienten und starken Zug- oder Bremskräften sinnvoll, um die Traktions- bzw. Bremswirkung zu verbessern und ein Durchrutschen der Räder (Schleudern bzw. Gleiten) zu verhindern. Der Sandvorrat ist so bemessen, dass er in der Regel nur von Nachschau zu Nachschau ergänzt werden muss.

Für den Betrieb des Sandstreuers ist trockener Bremssand zwingend erforderlich. Bei Dampflokomotiven befand sich der Sandkasten daher regelmäßig auf dem Scheitel des Langkessels in einem separaten Sanddom, in dem der Sand durch die Kesseltemperatur warm und trocken gehalten wurde. Bei modernen Fahrzeugen ist zumeist eine elektrische Heizspirale im Sandvorratsbehälter eingebaut, die den Sand trocken hält. Bei einfachen Verhältnissen (ältere Straßenbahnfahrzeuge) befand sich der Sandkasten regelmäßig im beheizbaren Fahrgastraum.

Als Bremssand kommt Sand mit hoher Festigkeit durch einen hohen Quarzanteil zum Einsatz. Der Sand sollte eine Körnung von 0,8–1,6 mm gemäß TL 918 2243-5 bzw. 0,71–1,6 mm gemäß BN 918 224 (s. Grobsand) haben und lehmfrei sein. Der Sandvorrat ist im Rahmen der Abschlussarbeiten am Fahrzeug zu überprüfen und gegebenenfalls aufzufüllen.

Geschichtliches

Werbung für Lokomotivstreusand der Amberger Kaolinwerke, 1928

Die Erfindung des Sandstreuers ist einem unbekannten Beschäftigten der Camden and Amboy Railroad (C&A) zu verdanken: 1836 wurde New Jersey durch eine Plage von Grashüpfern heimgesucht. Der Besatz war so dicht, dass die Sicherheit des Zugbetriebes nicht mehr gewährleistet war. Die C&A stellte eigens Personen ein, die die Gleise freifegen sollten, was nur wenig bis gar nichts half. Gleichfalls wurde mit Bürsten und Kratzern experimentiert, die den Lokomotiven vorgespannt wurden, allerdings die Geschwindigkeiten so stark verzögerten, dass dies sich ebenfalls als nutzlos erwies. Ein Beschäftigter experimentierte mit feinem Sand, der direkt vor der Lokomotive auf die Schienen rieselte, was das Problem löste. Es erwies sich ebenfalls als nützlich für insbesondere feuchte und schlüpfrige Schienen im Allgemeinen und ist seitdem im Gebrauch.[1]

2017 startete das britische Rail Safety & Standards Board ein Forschungsprojekt, zur Anordnung von Sandstreuern und Besandungsraten. Es wurden 225 Versuchsfahrten durchgeführt. Im Ergebnis zeigte sich, dass mit Dual Variable Rate-Sandstreuern relativ kurze Bremswege unabhängig von der Adhäsion erreicht werden konnten.[2]

Bedienung des Sandstreuers

Bremssand auf einer Schiene

Der Sandstreuer wird vom Führerstand des Bahnfahrzeuges aus bedient. Bei Dampflokomotiven erfolgte die Betätigung über Druckluft, mechanisches Gestänge oder über Seilzug; der Sand fiel dann allein durch die Schwerkraft über die Sandrohre vor beide Räder der Achse auf die Schiene. Bei modernen Triebfahrzeugen erfolgt das Sanden auf Tastendruck oder automatisch durch den Gleit- bzw. Schleuderschutz. Dazu wird ein Magnetventil angesteuert, das Druckluft aus der Hauptluftbehälterleitung (HBL) in eine Düse der Sandungsvorrichtung leitet und dadurch bewirkt, dass Sand über eine Schlauch- oder Rohrleitung unter die Räder geblasen wird.

Auf schlüpfrigen Schienen und sobald zu erwarten ist, dass die Räder gleiten, die Gleitschutzvorrichtungen ansprechen oder übermäßiger Schlupf auftritt, muss gemäß DB-Richtlinie[3] die Sandungsvorrichtung betätigt werden. Auf Brücken, Weichen, Drehscheiben, Schiebebühnen, Gleiswaagen und im Bereich von Tankstellen von Schienenfahrzeugen darf jedoch außer bei Gefahr im Verzug nicht gesandet werden, da hier durch Sanden die Funktion beweglicher und empfindlicher Bauteile beeinträchtigt werden könnte[4]. Auf übermäßiges Sanden sollte generell verzichtet werden, da der zerriebene Quarzsand den elektrischen Kontakt zwischen Rad und Schiene und damit bei elektrischen Schienenfahrzeugen den Stromfluss (Triebstromrückfluss und Gleisfreimeldung) beeinträchtigen kann.

Gefahren

Bei niedriger Geschwindigkeit gestreuter Bremssand kann bei einzeln fahrenden Triebfahrzeugen eine isolierende Wirkung zwischen Rad und Schiene verursachen. Durch so entstandene fehlerhafte Gleisfreimeldungen an elektrischen Gleisstromkreisen kam es wiederholt zu Zusammenstößen. Das Eisenbahn-Bundesamt wies die Eisenbahnverkehrsunternehmen Ende der 2000er Jahre an, bei scheibengebremsten Triebfahrzeugen das Sanden bei Geschwindigkeiten von 25 km/h (oder weniger) zu vermeiden.[5]

Am 1. August 2013 kam es im Mainzer Hauptbahnhof zu einem Beinahe-Zusammenstoß zweier S-Bahn-Züge, da zu viel Bremssand auf dem Gleis war.[6][7] Mit Mitteilung vom 8. August 2013 verschärfte das EBA die Regelung zum Bedienen der Sandstreueinrichtung. Galt sie bis dahin Zug- und Rangierfahrten, bei denen der gebildete Fahrzeugverband insgesamt weniger als neun Radsätze hat oder bei denen zwischen aktiven Sandstreueinrichtungen weniger als neun Radsätze vorhanden waren, galt sie nun unabhängig von der Länge bzw. von daher Anzahl der Radsätze. Damit sollte die sicherheitskritische Isolationswirkung durch Bremssand auf Gleisstromkreisen sichergestellt werden.[8]

Wird zu viel Sand ausgebracht, kann es auch zu einem Aufsteigen kommen (ähnlich wie in Sandgleisen). Das kann besonders an solchen Gleisstellen zu Problemen führen, an denen der Sand seitlich nicht abrutschen kann (z. B. bei Bahnübergängen).

Nicht zuletzt steigert der Sand die Reibung zwischen Schiene und Spurkranz, was der Spurkranzschmierung entgegenwirkt; die verminderte Spurkranzschmierung erhöht ebenfalls die Gefahr des Aufsteigens.

Luftverschmutzung

In der Nähe von Bahnstrecken und damit auch im Passagierraum der Bahn selbst tritt durch Verschleiß am System Rad-Schiene-Bremsen typisch viel Eisen(oxid)staub auf. Durch Sanden wird quarzhaltiger Sand zwischen Schiene und Rad zu feinem Staub zerrieben. Lungengängig feiner Staub insbesondere mit Silikat- und Quarzanteil ist besonders gesundheitsschädlich (siehe Silikose).

Bei trockenem Wetter ist massive Staubaufwirbelung an Straßenbahnstrecken dort zu beobachten und für Nahestehende unmittelbar am Körper (als Brennen im Auge, Reizung im Atemtrakt, Knirschen zwischen den Zähnen) erlebbar, wo viel gesandet worden ist, danach keine Schienenreinigung (Kehren unter Saugen) erfolgt ist, wo auf der Schienentrasse kaum oder nur langsamer Kfz-Verkehr stattfindet, wenn dann vereinzelt Einsatzfahrzeuge oder Ersatz- oder Nachtbusse schnell darüberfahren.

Mit generell langsamerem Fahrtempo der Straßenbahn, besserer Wahrnehmbarkeit der Trasse und der Züge, fußgängerabweisender Gestaltung der Trasse in Fußgängerzonen und kooperativem Verhalten aller Verkehrsteilnehmer gelingt es, Sandstreuvorgänge zu reduzieren und damit eine Ursache gravierender Staubaufwirbelung zu vermeiden.

Ausblick

Aufgrund der Probleme durch Sanden werden in der Branche auch andere Verfahren wie z. B. das Freibürsten der Schienen diskutiert.

Sandstreuer bei Straßenfahrzeugen

Auch bei Straßenfahrzeugen kommen gelegentlich Sandstreuer zum Einsatz. Im Gegensatz zur Eisenbahn dienen sie dort hauptsächlich als Anfahrhilfe bei schwierigen Straßenverhältnissen. Verbreitet sind Sandstreuer hauptsächlich bei Oberleitungsbussen, die technisch mit der Straßenbahn verwandt sind. Aufgrund von Sicherheitsüberlegungen bezüglich der elektrischen Isolation dürfen diese keine (metallischen) Schneeketten aufziehen, da ansonsten ein Rückstrom über leitende Elemente in der Straße statt über die Fahrleitung auftreten könnte.[9] Es sind aber auch Omnibusse[10][11] und LKW[12][13] bekannt, die mit Sandstreuern ausgerüstet wurden. Dabei wird üblicherweise der Sand direkt vor die Antriebsachse gestreut. Der Sandstreuer hat den Vorteil, dass nicht vor jedem Einsatz eine Montage nötig ist und er auch auf Straßen ohne Schnee ohne Schäden eingesetzt werden kann; die Effektivität ist aber geringer als bei Schneeketten.

Literatur

  • Benjamin Büche, Felix Kröger: Kraftübertragung Rad/Schiene – Einfluss von Bremssand auf den Rad-Schiene-Kraftschluss. In: Eisenbahntechnische Rundschau. Nr. 1+2, Januar 2021, ISSN 0013-2845, S. 60–65.
Commons: Sandstreuer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Michael Portillo: Great American Railroad Journeys. Simon & Schuster UK Ltd., London 2017, ISBN 978-1-4711-5151-4, S. 43.
  2. Roger Ford: Process delays £4m fleet sanding pilot. In: Modern Railways. Nr. 1, Januar 2022, ISSN 0026-8356, S. 26–28.
  3. DB-Richtlinie 915.0107, Abschnitt 1, Absatz 8
  4. DB-Richtlinie 492.0001, Abschnitt 3, Absatz 14
  5. Sicherheit hat oberste Priorität. In: Voraus, Ausgabe Januar/Februar 2009, ISSN 1438-0099, S. 8, 10
  6. Eisenbahnbundesamt ermittelt nach Beinahe-Zusammenstoß zweier S-Bahnen am Mainzer Hauptbahnhof von Frank Schmidt-Wyk auf allgemeine-zeitung.de vom 2. August 2013.
  7. Zuviel Bremssand auf dem Gleis auf swr.de vom 24. September 2013
  8. Das EBA hat die Allgemeinverfügung für das Bedienen der Sandstreueinrichtung auf Schienenfahrzeugen nochmals verschärft. In: eba.bund.de. Eisenbahn-Bundesamt, 8. August 2013, abgerufen am 8. Januar 2022.
  9. Verkehrsbetriebe Luzern: Geschäftsbericht und Rechnung 1999, S. 15
  10. Die spezielle Art zu reisen auf www.schwyzer-poschti.de
  11. Paul F. Schneeberger: Verkehrsbetriebe der Stadt Luzern, 100 Jahre Tram, Autobus und Trolleybus. Minirex, Luzern 1999, ISBN 3-907014-12-X
  12. Y 60 Sandstreuer auf ger.autoline.no
  13. Motorwagenfabrik FBW: Chassis Typen L50, L70