Regenschirmattentat

Als Regenschirmattentat wird der Mordanschlag auf den bulgarischen Schriftsteller und Dissidenten Georgi Markow bezeichnet, der in London am 7. September 1978, dem Geburtstag des von Markow häufig kritisierten bulgarischen Staatschefs Todor Schiwkow, mit dem hochtoxischen pflanzlichen Gift Rizin verübt wurde.

Schema der verwendeten Waffe

Durchführung

Der Täter, vermutlich ein Agent des damaligen bulgarischen Geheimdienstes, verletzte das Opfer auf der Londoner Waterloo Bridge scheinbar zufällig mit einer präparierten Regenschirmspitze.[1] Dabei wurde eine Kugel aus einer Platin-Iridium-Legierung von 1,52 mm Durchmesser in den Unterschenkel des Opfers injiziert. In das Projektil waren, im rechten Winkel zueinander, zwei nur 0,34 mm durchmessende Löcher gebohrt worden. In diese waren etwa 200 Mikrogramm[2] des hochtoxischen Giftes Rizin gefüllt und mit Zuckerguss verschlossen, der sich bei Körpertemperatur leicht in der Gewebsflüssigkeit auflöste und daraufhin die kontinuierliche Rizin-Freisetzung ermöglichte. Das Kügelchen wurde bei der Obduktion entdeckt.[3]

Zunächst als harmloser Zwischenfall abgetan, wurde die Ursache der spät einsetzenden Symptome der Vergiftung viel zu spät erkannt. Markow starb vier Tage nach dem Attentat.

Untersuchung

Im Juni 2005 benannte die britische Zeitung The Times den in Italien gebürtigen Dänen Francesco Gullino als Hauptverdächtigen für das Attentat.[4] Eine Fernsehdokumentation des britischen Senders Five enthüllte im Jahr 2005 unter Verwendung mehrerer Interviews, die in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Bulgarien aufgenommen wurden, dass Gullino noch immer gesund und am Leben ist und sich frei durch die Europäische Union bewegen kann. Nach Auffassung der Autoren der Dokumentation ist es möglich, dass eine Strafverfolgung aufgrund der bulgarischen Gesetzeslage ab Ende 2008 durch Verjährung ausgeschlossen war.[5] Scotland Yard nahm deswegen im Juni 2008 erneut Ermittlungen in dieser Angelegenheit auf und entsandte Beamte nach Bulgarien. Sie beantragten Einsichtnahme in archivierte Dokumente zu dem Fall und baten die bulgarischen Behörden um Erlaubnis, 40 Zeugen zu befragen, darunter auch ehemalige Geheimpolizisten.[6] Der frühere Generalmajor des sowjetischen Geheimdienstes Oleg Kalugin bestätigte in einem Interview mit dem bulgarischen Sender Darik Radio, dass dieses Attentat aufgrund eines Befehls des bulgarischen Partei- und Staatschefs Todor Schiwkow ausgeführt wurde.[7] Der KGB lieferte das Gift und die Kapsel.[8]

Ähnliche Vorkommnisse

Am 15. Juli 2011 stach in Hannover ein Unbekannter den 40-jährigen IT-Fachmann (Datenbankadministrator) der Industriegewerkschaft IG BCE Christoph B. in der Nähe seines Arbeitsplatzes am Königswörther Platz mit einem Regenschirm ins Gesäß. An der Spitze des Regenschirms war eine mit einer organischen Quecksilberverbindung (Dimethylquecksilber) gefüllte Spritze.[9][10] Im Blut waren 4200 Mikrogramm Quecksilber (statt üblicher 3). Das Opfer starb zehn Monate später (Mai 2012) nach qualvollem Leiden und Koma.[11] Der Fall wurde am 24. August 2022 bei Aktenzeichen XY … ungelöst gezeigt, lieferten aber zunächst keine heiße Spur.[9] Das Motiv ist weiterhin unklar. Das Leben des Opfers war unauffällig, so dass die Polizei auch eine Verwechslung oder einen Anschlag auf den Arbeitgeber in Betracht zieht.[9] Der Täter wurde als 40 bis 50 Jahre alt,sehr schlank und mit Pockennarben beschrieben und trug eine Lederjacke,helle Jeans und eine schwarze Baseballcap.

Filme

Das Attentat inspirierte den französischen Regisseur Gérard Oury 1980 zu dem Film Der Regenschirmmörder (Le coup du parapluie) mit Pierre Richard und Gert Fröbe. Es spielte auch in den Folgen Unter die Haut und Die Show geht weiter der Fernsehserie Der letzte Zeuge eine Rolle. Des Weiteren werden in der Folge Regel Nummer 10 der Serie Navy CIS zwei fiktive Personen, eine Reporterin und ein Navy-Offizier, durch eine mit Rizin gefüllte Platin-Iridium-Kugel ermordet, die unter die Haut injiziert wurde. 2013 erschien ein deutscher Dokumentarfilm unter dem Titel Zum Schweigen gebracht – Georgi Markov und der Regenschirm-Mord, der auf Arte lief.[12]

Trivia

Der 2015 erschienene Roman Und der Duft nach Weiß von Stefanie Gregg enthält einen Handlungsstrang, der die Planung und Durchführung des Regenschirmattentats auf den bulgarischen Schriftsteller Georgi Markow beschreibt. Die Autorin schreibt auch die neuesten Entwicklungen in dem Fall fort, bis hin zum Auffinden eines mutmaßlichen Mittäters 2012 in Österreich.

Einzelnachweise

  1. Süße Kugel. In: Der Spiegel. Nr. 7, 1992, S. 168–170 (online10. Februar 1992).
  2. CNN.com: Ricin and the umbrella murder. Vom 23. Oktober 2003. Abgerufen am 23. Oktober 2016.
  3. Sebastian Borger: Wie Moskau mit vergiftetem Regenschirm mordete. In: Welt Online. 6. September 2008.
  4. Jack Hamilton, Tom Walker: Dane named as umbrella killer. In: The Sunday Times. 5. Juni 2005.
  5. The Umbrella Assassin. (Memento vom 29. September 2007 im Internet Archive) In: Five. 2006.
  6. Sara Merchant: Umbrella Murder Case Stays Open. (Memento vom 6. Dezember 2008 im Internet Archive) In: Sky News. 9. September 2008.
  7. Regenschirm oder nicht? Das Gift-Attentat auf Georgi Markow vor 39 Jahren. In: Deutsches Spionagemuseum. 7. September 2017, abgerufen am 6. Juli 2020 (deutsch).
  8. Klaus Brill: Gift direkt vom Diktator. (Memento vom 16. Mai 2009 im Internet Archive) In: Süddeutsche Zeitung. 2. August 2008.
  9. a b c Peer Hellerling, Neue Hinweise im Quecksilber-Mord, HAZ, 26.August 2022,S. 16
  10. Neue Erkenntnisse zu tödlicher Spritzenattacke In: haz.de, 29. Oktober 2012, abgerufen am 16. September 2018
  11. Quecksilbervergiftung: 40-Jähriger stirbt nach rätselhafter Spritzenattacke In: spiegel.de, 11. Mai 2012, abgerufen am 25. Juni 2013
  12. ZDF-Film: Zum Schweigen gebracht. Auf Arte 2013: Georgi Markov und der Regenschirm-Mord.