„Kindermord in Bethlehem“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Gutenzell Krippe Kindermord.jpg|mini|Darstellung des Bethlehemitischen Kindermords in der barocken Krippe von [[Gutenzell-Hürbel|Gutenzell]]]]
Als '''Kindermord in Betlehem''' wird der im [[Matthäusevangelium]] überlieferte Mord an allen Knaben [[Betlehem]]s bezeichnet, der auf Befehl König [[Herodes der Große|Herodes des Großen]] erfolgt sein soll:
Als '''Kindermord in Bethlehem''' (auch '''Bethlehemitischer Kindermord''') bezeichnet die [[Tradition#Tradition im Christentum|christliche Tradition]] die in der [[Weihnachtsgeschichte#Matthäusevangelium|Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums]] {{Bibel|Mt|2}} überlieferte Tötung aller männlichen Kleinkinder in [[Bethlehem#Biblische Überlieferung|Bethlehem]], die von König [[Herodes|Herodes dem Großen]] angeordnet worden sei, um den – wie ihn der Evangelist nennt – neugeborenen [[König der Juden]], [[Jesus von Nazaret]], zu beseitigen. Eine Mehrheit der Herodes-Biographen und „wahrscheinlich eine Mehrheit der Bibelforscher“ halten das Ereignis für fiktiv.<ref>{{Literatur |Autor=[[Paul L. Maier]] |Hrsg=Mercer University Press |Titel="Herod and the Infants of Bethlehem" |Sammelwerk=In Summers, Ray; Vardaman, Jerry (eds.). Chronos, Kairos, Christos II: Chronological, Nativity, and Religious Studies in Memory of Ray Summers. |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=1998 |ISBN=978-0-86554-582-3 |Seiten=170-171}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=[[Michael Grant]] |Hrsg=American Heritage Press |Titel=Herod the Great |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=1971 |ISBN=978-0-07-024073-5 |Seiten=}}</ref>
{{Zitat|Als Herodes merkte, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig, und er ließ in Betlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte.|Matthäus 2,16–18{{Bpur|Mt|2|16–18}}}}


== Biblische Darstellung ==
Der christlichen Tradition nach werden die Opfer mit dem Begriff '''Unschuldige Kinder''' bezeichnet. Wissenschaftlich wird die Geschichte allgemein angezweifelt, da diese Tat durch keine weitere Quelle historisch belegt ist.
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| caption = Bethlehem. Kindermord, Detail aus dem [[Glasmalereien_von_Mehoffer_(Kathedrale_Freiburg_im Üechtland)#Dreikönigsfenster|Dreikönigsfenster]] von [[Józef Mehoffer]] in der Kathedrale [[St. Nikolaus (Freiburg im Üechtland)|St. Nikolaus (Freiburg i. Üe.)]]
}}
Das zweite Kapitel des [[Matthäusevangelium]]s {{Bibel|Mt|2}} berichtet im Rahmen der Erzählung von der Geburt [[Jesus Christus|Jesu Christi]] in Bethlehem über die Verehrung des Neugeborenen durch [[Sterndeuter]] (später fälschlich bezeichnet als die [[Heilige Drei Könige|Heiligen Drei Könige]]) aus dem Osten. Dort heißt es:
{{Zitat
|Text=Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Bethlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.
|Quelle={{B|Mt|2|1–2}}}}


Mt 2 erzählt davon, dass der herrschende König Herodes „erschrickt“ und die [[Schriftgelehrter|Schriftgelehrten Israels]] befragt, wo diese Geburt stattgefunden habe. Diese nennen Bethlehem als Geburtsort. Bethlehem gilt als Stadt [[David]]s, dem [[JHWH|Gott]] verheißen hatte, sein Nachkomme werde auf ewig den Thron erben {{Bibel|2 Sam|7|16}}. Damit schlägt Matthäus den Bogen zum ersten Kapitel, in dem die [[Vorfahren Jesu|Abstammung Jesu]] über [[Josef von Nazaret|Josef]] auf David zurückgeführt wird {{Bibel|Mt|1|1–17}}, und zitiert den Propheten [[Micha]] {{Bibel|Mi|5|1}}.
== Biblischer Hintergrund ==
Für Herodes ist ein [[Thronanwärter]], der sich auf eine Abstammung von David beruft, gefährlich. Dementsprechend gibt er den Sterndeutern den Auftrag, nachzuforschen, dann zurückzukommen und Bericht zu erstatten, vorgeblich, um ihm selbst [[Huldigung|huldigen]] zu können {{Bibel|Mt|2|8}}.
[[Bild:Gutenzell_Krippe_Kindermord.jpg|thumb|Darstellung des betlehemitischen Kindermords in der barocken Krippe von [[Gutenzell-Hürbel|Gutenzell]]]]
Die Sterndeuter finden das neugeborene Kind Jesus in Bethlehem, werden aber durch einen Traum davor gewarnt, wieder zu Herodes zu gehen {{Bibel|Mt|2|12}}. Auch Josef wird in einem Traum von Gott gewarnt und aufgefordert, das Land zu verlassen und mit seiner Frau [[Maria (Mutter Jesu)|Maria]] und dem Kind nach [[Flucht nach Ägypten|Ägypten zu fliehen]] {{Bibel|Mt|2|13–15}}.
Als König Herodes von [[Judäa]] durch die [[Heilige Drei Könige|Sterndeuter aus dem Morgenland]] (die sogenannten Heiligen Drei Könige) von der Geburt eines neuen Königs der Juden erfuhr, ließ er die Weisen Israels befragen, wo diese Geburt stattgefunden habe. Diese identifizierten aufgrund prophetischer Weissagungen des alten Bundes [[Betlehem]] als Geburtsort {{Bibel|Mt|2|1–6}}. Beim Propheten [[Buch Micha|Micha]] steht dazu: {{Zitat|Aber du, Betlehem-Efrata, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen.|{{B|Mi|5|1}}}} Betlehem aber war die Stadt [[David (Israel)|Davids]], dem Gott verheißen hatte, sein Nachkomme werde auf Ewig den Thron erben {{Bibel|2 Sam|7|16}}. Nachdem die Sterndeuter ihm nicht wie gewünscht auf ihrem Rückweg über das Gefundene berichtet hatten {{Bibel|Mt|2|12}}, wurde Herodes wütend und beschloss, den Konkurrenten für sich und seine Söhne auszuschalten, indem er in Bethlehem alle Knaben unter zwei Jahren töten ließ {{Bibel|Mt|2|16–18}}. [[Josef (Ziehvater Jesu)|Josef]] wurde jedoch in einem Traum angewiesen, nach [[Altes Ägypten|Ägypten]] zu fliehen, so dass Jesus dem Kindermord entgehen konnte {{Bibel|Mt|2|13–15}}.
So entgeht Jesus dem Zorn des Herodes:
{{Zitat
|Text=Als Herodes merkte, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig und er ließ in Bethlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte.
|Quelle={{B|Mt|2|16}}}}


Matthäus sieht darin ein Zitat des Propheten [[Jeremia]] als erfüllt an:
== Frühe Schätzungen des Ausmaßes ==
{{Zitat
|Text=Damals erfüllte sich, was durch den Propheten Jeremia gesagt worden ist: ''Ein Geschrei war in Rama zu hören, lautes Weinen und Klagen: Rahel weinte um ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn sie waren dahin.''
|Quelle={{B|Mt|2|17–18}}}}


== Schätzungen des Ausmaßes ==
Während die griechische [[Liturgie]] 14.000 ermordete Knaben nennt und mittelalterliche Autoren bis zu 144.000 Opfer annahmen, sprachen spätere Theologen ([[Joseph Knabenbauer]], [[August Bisping]]) auf Grund der anzunehmenden Größe des Ortes Betlehem zu biblischen Zeiten nur noch von etwa sechs bis zwanzig erschlagenen Kindern.<ref>Catholic Encyclopedia, http://www.newadvent.org/cathen/07419a.htm</ref>
Während die [[Göttliche Liturgie|griechische Liturgie]] 14.000 ermordete Knaben nennt und mittelalterliche Autoren bis zu 144.000 Opfer annahmen, sprachen spätere Theologen (Joseph Knabenbauer, [[August Bisping]]) aufgrund der anzunehmenden Größe des Ortes Bethlehem zu [[biblisch]]en Zeiten nur noch von etwa sechs bis zwanzig erschlagenen Kindern.<ref>{{CE|https://www.newadvent.org/cathen/07419a.htm|Holy Innocents|Autor=Frederick Holweck|Band=7}}</ref>


== Wissenschaft ==
== Frühe Rezeption ==
[[Bild:Kerald (Meister des Codex Egberti) 001.jpg|thumb|right|Kerald malt den Betlehemitischen Kindermord im Codex Egberti]]
[[Datei:Kerald (Meister des Codex Egberti) 001.jpg|mini|[[Codex Egberti]], fol. 15v: ''Bethlehemitischer Kindermord'' ([[Meister des Registrum Gregorii]] und der [[Reichenauer Malschule]], [[10. Jahrhundert]])]]


Ältestes Zeugnis für die Rezeption des biblischen Berichts vom Bethlehemitischen Kindermord ist eine [[Predigt]] des Bischofs [[Optatus von Mileve]] aus der Zeit um 360. Auch [[Augustinus]] (†&nbsp;430) und [[Caesarius von Arles]] (†&nbsp;542) rühmen die „kindlichen [[Märtyrer]]“, denen es vergönnt gewesen sei, nicht nur als Zeugen für Jesus, sondern sogar stellvertretend für ihn zu sterben.
=== Früheste Rezeptionen ===


Eine der ältesten bildlichen Darstellungen des Kindermordes findet sich im [[Codex Egberti]] ([[10. Jahrhundert]]).
Ältestes Zeugnis für die Rezeption des biblischen Berichts vom Betlehemitischen Kindermord ist eine Predigt des Bischofs [[Optatus]] von Mileve aus der Zeit um 360. Auch [[Augustinus]] († 430) und [[Caesarius von Arles]] († 542) rühmen die kindlichen Märtyrer, denen es vergönnt war, nicht nur als Zeugen für Jesus, sondern stellvertretend für ihn zu sterben.


== Historizität ==
Ende des vierten Jahrhunderts berichtet der römische Philosoph [[Ambrosius Theodosius Macrobius]] in seiner Schrift ''Saturnalia'' davon, dass [[Augustus]], als er davon gehört hatte, dass Herodes, König der Juden, alle Jungen in Syrien unter dem Alter von zwei Jahren töten ließ und dabei auch sein eigener Sohn umgebracht worden sei, kundtat: „Bei Herodes ist es besser, sein Schwein zu sein als sein Sohn.“ (Macrobius, Saturnalia, 2, 4, 11)
Matthäus’ Geschichte ist in keinem anderen Evangelium zu finden, und auch der jüdische Historiker [[Flavius Josephus|Josephus]] erwähnt sie in seinen ca. 94 n. Chr. entstandenen [[Jüdische Altertümer|''Jüdischen Altertümern'']] nicht.<ref>Dabei wird das Schweigen des Josephus unterschiedlich gewertet: [[Theodor Zahn]] (''Grundriß der Geschichte des Lebens Jesu''. Hänssler, Holzgerlingen 1999 = Nachdruck der Ausgabe von 1928, S. 47) schreibt: „Neben dem, was Josephus über diese Zeit berichtet, war die Tötung der wenigen Knaben unter 2&nbsp;Jahren in einem Städtchen wie Bethlehem kaum der Rede wert.“ Andere Autoren verweisen aber darauf, dass Josephus sehr wohl bemüht war, die Gräueltaten des Herodes detailliert zusammenzutragen, so dass sein Schweigen auf eine fehlende historische Basis der Geschichte hindeutet; vgl. Stephen Hultgren: ''Jesus: Herkunft, Geburt, Kindheit, Familie'', in: [[Jens Schröter (Theologe)|Jens Schröter]], [[Christine Jacobi]] (Hrsg.): Jesus-Handbuch, Tübingen: Mohr 2017, S. 217.</ref> Die meisten modernen Herodes-Biographen lehnen die Geschichte als Erfindung ab.<ref>{{Literatur |Autor=[[Arnold Hugh Martin Jones]] |Hrsg=Oxford: Clarendon |Titel=The Herods of Judaea |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=1967 |ISBN= |Seiten=155}}</ref> Der klassische Historiker [[Michael Grant]] erklärte zum Beispiel: „Die Geschichte ist nicht Geschichte, sondern Mythos oder Volkskunde.“<ref>{{Literatur |Autor=Michael Grant |Hrsg=American Heritage Press |Titel=Herod the Great |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=1971 |ISBN=978-0-07-024073-5 |Seiten=}}</ref>


Zudem würde die Geschichte vom Kindermord in Bethlehem voraussetzen, dass Jesus wirklich in Bethlehem geboren wurde, und dies ist keineswegs sicher. Die wissenschaftliche Forschung sieht den tatsächlichen Geburtsort Jesu mehrheitlich in Nazareth, weil sich die Bethlehem-Geburtsgeschichten bei Matthäus und Lukas nicht in Einklang bringen lassen und auch der von Lukas {{BBK|Lk|2|2}} behauptete reichsweite [[Volkszählung#Im Neuen Testament|Zensus]] fragwürdig ist.<ref>Stephen Hultgren: ''Jesus: Herkunft, Geburt, Kindheit, Familie'', in: Jens Schröter, Christine Jacobi (Hrsg.): Jesus-Handbuch, Tübingen: Mohr 2017, S. 216f.</ref> Die erste nachweisbare Provinzzählung unter [[Publius Sulpicius Quirinius]] in der Provinz Judäa fand erst im Jahr 6 n.&nbsp;Chr. statt, also ein Jahrzehnt nach dem Tod des Herodes. Zu dessen Lebzeiten war Judäa noch nicht Teil der [[Römische Provinz|römischen Provinzialordnung]]. Bethlehem sei vermutlich erst aufgrund nachösterlicher Reflexion als angeblicher Geburtsort Jesu ins Spiel gekommen,<ref>[https://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/themenkapitel-nt/jesus-von-nazaret/biographie-und-wirksamkeit/ Bibelkunde, Stichwort: ''Jesus von Nazaret, Biographische Daten'']</ref> da im [[Altes Testament|Alten Testament]] geweissagt war, dass der Messias bzw. künftige Herrscher aus Bethlehem, der Stadt Davids, kommen sollte {{Bibel|Mi|5|1}}.<ref>[https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/bethlehem/ch/a62c621ad31c579f96d6ceb93594a618/#h6/ Bibelkunde, Stichwort: ''Bethlehem, 2.5. Die neutestamentliche Überlieferung.'']</ref>
Der [[Codex Egberti]] (10. Jahrhundert) enthält eine der ältesten bildlichen Darstellungen des Kindermordes.


Es gibt nur einen außerbiblischen – aber nicht zwingend unabhängigen – und zudem sehr späten Beleg für den Kindermord des Herodes, und zwar bei [[Ambrosius Theodosius Macrobius]] in seiner Schrift ''Saturnalia'' (Saturnalien), geschrieben um 420 nach Christus. Dort zählt der Autor etliche [[Bonmot]]s des Kaisers [[Augustus]] auf, darunter folgendes:<ref>Vgl. Theo Mayer-Maly: ''Rechtsgeschichtliche Bibelkunde'', Wien-Köln-Weimar: Böhlau 2003, S. 18.</ref>
=== Fehlende Belege für den Kindermord ===


{{Zitat
Es ist zwar belegt, dass Herodes der Große ein striktes und grausames Regiment führte und dass er neben Dutzender politischer Gegner sogar einige seiner Verwandten ermorden ließ. Der jüdisch-römische Historiker [[Flavius Josephus]], der alle bekannt gewordenen Verbrechen des Herodes besonderes ausführlich darstellte, berichtet allerdings nichts von einem Kindermord in Betlehem.
|Text=''Cum audisset inter pueros, quos in Syria Herodes rex Iudaeorum intra bimatum iussit interfici, filium quoque eius occisum, ait: melium est Herodis porcum esse quam filium.''<br />
Als er [Augustus] hörte, dass unter den bis zu zweijährigen Knaben, die Herodes, König der Juden, in Syrien töten ließ, auch sein eigener Sohn war, sagte er: Bei Herodes ist es besser, sein Schwein zu sein als sein Sohn.
|Quelle=Macrobius, Saturnalia 2,4,11}}


Dieser Satz ergäbe im Altgriechischen – wäre er denn ursprünglich in dieser Sprache gesagt worden – ein Wortspiel, weil dort die Wörter für „Sohn“ und „Schwein“ sehr ähnlich waren. Da Schweine als [[Jüdische_Speisegesetze#Fleisch|unkoschere]] Tiere in Israel nicht geschlachtet wurden, wäre man somit als Schwein sicherer, als wenn man ein Sohn des Herodes wäre.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.youtube.com/watch?v=MJBkttfGEhw&t=1806s |titel=Roger Liebi: Wie alles begann. Die Wahrheit über das Christentum. YouTube Video ab 24:10|werk= |datum=2023-01-28 |abruf=2023-02-23}}</ref>
Außerdem berichtet das Lukas-Evangelium {{BBK|Lk|2|2}}, dass Jesus während der ersten römischen Volkszählung in Judäa auf die Welt kam. Die erste nachweisbare Provinzzählung unter [[Publius Sulpicius Quirinius]] in der Provinz Judäa fand jedoch 7 n. Chr., also etwa zehn Jahre nach dem Tod Herodes’ statt, eine frühere kann aber nicht ausgeschlossen werden.


Es wurde überlegt, ob diese Nachricht eine unabhängige Bestätigung für den Kindermord des Herodes sein könnte. [[Theo Mayer-Maly]] bejaht dies, da Macrobius Heide gewesen sei und daher seine Kenntnis kaum aus dem Matthäusevangelium habe.<ref>Theo Mayer-Maly: ''Rechtsgeschichtliche Bibelkunde'', Wien-Köln-Weimar: Böhlau 2003, S. 18.</ref> Dagegen gehen die Althistoriker [[Walter Otto (Historiker)|Walter Otto]] und [[Hermann Bengtson]] davon aus, dass Macrobius sein Wissen vom bethlehemischen Kindermord aus der christlichen Tradition übernommen hat.<ref>Walter Otto: ''Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses'', Stuttgart: Metzler 1913, S. 143.</ref><ref>Hermann Bengtson: ''Kaiser Augustus. Sein Leben und seine Zeit'', München 1981, S. 180f.</ref> Für den geringen Quellenwert der Macrobius-Notiz spricht, dass Macrobius hier offensichtlich zwei verschiedene Überlieferungen gekoppelt bzw. vermischt hat: Denn Herodes ließ zwar laut Flavius Josephus (Antiquitates Iudaicae 16,4,1–5) zwei seiner Söhne (Antipatros und Aristobulos) hinrichten, aber keinen davon als Säugling oder in Kontext mit einem Kindermord in Bethlehem, wie Macrobius hier nahelegt.<ref>Vgl. Theo Mayer-Maly: ''Rechtsgeschichtliche Bibelkunde'', Wien-Köln-Weimar: Böhlau 2003, S. 19.</ref>
==== Mythologische Ähnlichkeiten ====


== Ähnlichkeiten in der Mythologie ==
Die Mehrheit der Exegeten (Auslegungen) geht von einem mythologischen Motiv des Kindermords anlässlich der Ankunft eines heiligen Königs aus. So soll ein König von [[Bhojas]] namens [[Kamsa]] versucht haben, den Aufwuchs [[Krishna]]s zu verhindern, indem er etliche Kinder hinschlachten ließ. Auch dem mythischen König Arthur (Artus) war von [[Merlin]] geweissagt, einst würde ihn ein an einem 1. Mai geborenes Kind ablösen. Darum ließ er alle im fraglichen Zeitpunkt geborenen Kindern edler Herkunft, die als Prinzen in Frage kamen, einsammeln und auf ein Schiff verfrachten, das auf hoher See versenkt wurde. Ein weiteres Beispiel bietet die griechische Mythologie, Laios der König von Theben will seinen Sohn [[Ödipus]] umbringen lassen um einem Orakelspruch zu entgehen. Wie in solchen Geschichten üblich, nützte weder Arthur noch Laios ein solches Aufbegehren gegen das Schicksal, denn sowohl [[Mordred]] im Falle Athurs als auch Ödipus, entkamen glücklich und wurden aufgezogen.
Etliche [[Exeget]]en (Ausleger) gehen von einem [[mythologisch]]en Motiv des Kindermords anlässlich der Ankunft eines heiligen [[König]]s aus. Hierbei werden aber ausschließlich [[Quelle (Geschichtswissenschaft)|Quellen]] der im 19. Jahrhundert beliebten [[Germanische Mythologie|germanischen]], [[Griechische Mythologie|griechischen]] sowie [[Indische Mythologie|indischen Traditionen]] rezipiert. Der Umgang mit diesen Quellen steht in der neueren Forschungsdiskussion unter starker Kritik.<ref>Richard King: ''Orientalism and Religion.''</ref> So soll [[Kamsa]], König von [[Mathura]], versucht haben, das Aufwachsen [[Krishna]]s zu verhindern, indem er etliche Kinder hinschlachten ließ. Auch dem mythischen [[König Arthur]] (Artus) war von [[Merlin]] geweissagt, einst würde ihn ein an einem 1. Mai geborenes Kind ablösen. Darum ließ er alle zur fraglichen Zeit geborenen Kinder edler Herkunft, die als Prinzen in Frage kamen, einsammeln und auf ein Schiff verfrachten, das auf hoher See versenkt wurde. Ein weiteres Beispiel bietet die griechische Mythologie: [[Laios]], der König von Theben, will seinen Sohn [[Ödipus]] umbringen lassen, um einem [[Orakel]]spruch zu entgehen. Wie in solchen Geschichten üblich, nützte weder Arthur noch Laios ein solches Aufbegehren gegen das [[Schicksal]]; denn sowohl [[Mordred]] im Falle Arthurs als auch Ödipus entkamen glücklich und wurden aufgezogen.


Sind die vorgenannten Motive rein phänomenologisch vergleichbar, so wird ein Kindermord im Alten Testament möglicherweise als Vorlage im eigentlichen Sinn gedient haben. Der Pharao ließ alle neugeborenen Knaben der Israeliten töten. Allerdings war hier das Motiv nicht die Ausschaltung eines persönlichen Konkurrenten, sondern die demographische Schwächung eines versklavten Volkes. Damals entging [[Mose]] dem Kindermord.
Sind die vorgenannten Motive rein äußerlich vergleichbar, so könnte ein im [[Altes Testament|Alten Testament]] berichteter Kindermord als Vorlage gedient haben: Der [[Pharao]] ließ alle neugeborenen Knaben der [[Israeliten]] töten. Allerdings war hier das Motiv nicht die Ausschaltung eines persönlichen Konkurrenten, sondern die demographische Schwächung eines [[Versklavung|versklavten Volkes]]. Damals entging [[Mose]] dem Kindermord {{Bibel|2. Mose|2|1–10}}.


== {{Anker|Tag der Unschuldigen Kinder|Tag der unschuldigen Kinder}}Fest der Unschuldigen Kinder ==
==== Fund von Babyknochen in Ashkelon ====
[[Datei:AltarUnschKind.JPG|mini|''Altar der Unschuldigen Kinder'' in der [[St. Anna (Altötting)|Basilika Altötting]]]]
Die [[Römisch-katholische Kirche|römisch-katholische]], [[Anglikanische Gemeinschaft|anglikanische]] und [[Orthodoxe Kirchen|orthodoxe Kirche]] begehen das [[Fest (Liturgie)|Fest]] der unschuldigen Kinder. Im [[Agende#Das Evangelische Gottesdienstbuch von VELKD und EKU|Evangelischen Gottesdienstbuch]] ist er als besonderer Gedenktag der Kirche verzeichnet. Das Fest erscheint im [[Sacramentarium Leonianum]] und 505 in einem liturgischen Kalender aus Nordafrika. Der Festtag differiert heute in den verschiedenen Konfessionen:
* römisch-katholische und evangelische Kirche: [[28. Dezember]]
* syrische und chaldäische Kirchen: [[27. Dezember]]
* orthodoxe Kirchen: [[29. Dezember]]
* anglikanische Kirche: [[1. Dezember]] / 28. Dezember


=== Brauchtum ===
Mit dem Kindermord von Bethlehem wird fälschlicherweise auch der 1988 n.Chr. gemachte Fund von über Hundert Skeletten von Neugeborenen in einem Wohnviertel hinter den ehemaligen Hafenanlagen der Hafenstadt [[Ashkelon]], einer der zur Zeit Jesu wichtigsten Häfen Palästinas, in Verbindung gebracht. Laut dem Papyrologen [[Carsten Peter Thiede]] seien diese auf die Zeit des Herodes zu datieren und stammten zu einem großen Teil von Jungen unter zwei Jahren.
In den Jahren 680/81 wurde das ''Festum puerorum'' auf dem [[Drittes Konzil von Konstantinopel|6. Ökumenischen Konzil]] verboten, weil sich dieses ''Fest der Kinder'' mit einem „Narrenfest“ verbunden hatte, das möglicherweise in der Tradition orientalischer Narrenkönige, römischer [[Saturnalien]] und eventuell auch keltischer Tier[[Mummenschanz|vermummung]] stand. Dieses Brauchtum erfreute sich unter [[Laie (Religion)|Laien]] großer Beliebtheit. Er wurde trotz kirchlicher Verbote weiterhin mit [[Narrenspiel]]en wie der „[[Eselsmesse]]“ begangen.


Die [[Reformation]] schaffte diesen Brauch ab, in den meisten katholischen Gegenden Deutschlands starb er im 18. Jahrhundert aus. Allerdings hält sich bis heute in Teilen Österreichs der Brauch, Kinder an diesem Tag die Erlaubnis zu erteilen, den Erwachsenen durch Rutenschläge Glück und Gesundheit fürs kommende Jahr zu wünschen. Beim Schlagen, genannt „[[Schappen]]“, sagen dabei die Kinder Verse auf und erhalten als Dank von den gesegneten Erwachsenen kleine Geschenke oder Geld. In der [[Steiermark]] und in [[Kärnten]] sind folgende Verse gebräuchlich:
Archäologen der Harvard-Universität konnten unter Nutzung zahlreicher wissenschaftlicher Techniken, so auch der DNA-Analyse, feststellen, dass die Skelette aus dem dritten Jahrhundert nach Christus stammen und die Säuglinge bei bester Gesundheit waren. Es handelte sich zumeist um männliche, aber auch um weibliche Säuglinge.
{{Zitat
|Text=Frisch und g’sund, frisch und g’sund,<br />Lang leben und g’sund bleibe<br />und a glücklichs Neujahr!<br /><br />Frisch und g’sund, frisch und g’sund<br />long lebm und g’sund bleibm<br />nix klunzn und nix klogn<br />bis i wieda kum schlogn!}}


oder im Klagenfurter Raum:
Patricia Smith und Gila Kahila von der Hebrew University stellten bei einer ersten Untersuchung fest, dass die meisten Skelette unversehrt und vollständig sind. Fehlende Neonatallinien (Linien im Zahnschmelz der Milchzähne und der ersten bleibenden Backenzähne gelten als sicherer Hinweis auf ein Lebensalter von mindestens drei Tagen) lassen darauf schließen, dass die Kinder bereits kurz nach ihrer Geburt in die Kanalisation geworfen wurden und starben.
{{Zitat
Die Ermordung der Säuglinge wird von den meisten beteiligten Wissenschaftlern als Tötung von unerwünschten Kindern im Rotlichtmilieu gedeutet.
|Text=Schapp Schapp frisch und gsund,<br /> lång lebn gsund bleibn,<br /><br /> Wünsch a glücklichs neigs johr,<br /> nix klunzn nix klågn,<br /> bis i wieda kum schlågn!}}


In der Oststeiermark ist folgender Spruch üblich:
== Tag der Unschuldigen Kinder ==
{{Zitat
[[Bild:AltarUnschKind.JPG|thumb|''Altar der Unschuldigen Kinder'' in der Basilika [[Altötting]]]]
|Text=Frisch und g’sund, Frisch und g’sund<br />ganzes Jahr pumperlg’sund,<br />gern geb’n, lang leb’n, glückselig sterb’n,<br />Christkindl am Hochaltar,<br /> des wünsch i dir zum neuen Jahr.}}
Die [[Römisch-Katholische Kirche|römisch-katholische]], [[Anglikanische Kirche|anglikanische]] und [[Orthodoxe Kirche|orthodoxe Kirche]] feiern den '''Tag der unschuldigen Kinder''' als liturgischen Gedenktag. Im ''[[Agende#Das Evangelische Gottesdienstbuch von VELKD und EKU|Evangelischen Gottesdienstbuch]]'' ist er als besonderer Gedenktag der Kirche verzeichnet, wird aber nur in einzelnen Regionen, etwa in [[Lateinamerika]], begangen. Das Fest erscheint im [[Sacramentarium Leonianum]] und 505 in einem liturgischen Kalender aus Nordafrika. Der Festtag differiert heute in den verschiedenen Konfessionen:
* römisch-katholische (u. evangelisch-lutherische) Kirche: [[28. Dezember]]
* syrische und chaldäische Kirchen: [[27. Dezember]]
* orthodoxe Kirchen: [[29. Dezember]]
* anglikanische Kirche: [[1. Dezember]]/28. Dezember


In der Obersteiermark (Bezirk Judenburg, Murau usw.) ist folgender Spruch üblich:
=== Brauchtum ===
{{Zitat
|Text=Frisch und g’sund, Frisch und g’sund<br />laung leb’n, g'sund bleib’n<br />nix glunz’n, nix klog’n,<br />bis i wiederkumm schlog’n<br />s Christkind’l am Hocholtor,<br />wünscht a guat’s neix Joahr!}}


In einigen Regionen Bayerns hielt sich dieser als „Fetzeln“ benannte Brauch bis ins 20. Jahrhundert; der 28. Dezember erhielt mitunter die volkstümliche Bezeichnung „Fetzeltag“.
689/90 wurde das „festum puerorum“ auf dem 6. Konzil von Konstantinopel verboten, weil sich dieses „Fest der Kinder“ mit einem „Narrenfest“ verbunden hatte, das möglicherweise in der Tradition orientalischer Narrenkönige, römischer Saturnalien und eventuell auch keltischer Tiervermummung stand.


In [[Spanien]] und Teilen [[Lateinamerika]]s ist der ''Día de los Santos Inocentes'' der Anlass, seine Mitmenschen zu veräppeln, wie man es in [[Deutschland]], [[Frankreich]], [[Italien]] und in den angelsächsischen Ländern am [[Aprilscherz|1.&nbsp;April]] zu tun pflegt. Dies steht in Zusammenhang mit der Mehrdeutigkeit des [[Adjektiv]]s ''inocente'', was nicht nur „unschuldig“, sondern auch „naiv“ oder „dumm“ heißen kann. Aus diesem Grunde trat angeblich auch die [[Verfassung des Königreichs Spanien|spanische Verfassung]] erst am 29. Dezember 1978 in Kraft, einen Tag später als ursprünglich vorgesehen.
Dieser Gedenktag war nie von der Kirche verordnet worden, erfreute sich aber unter [[Laienbewegung|Laie]]n großer Beliebtheit. Er wurde trotz kirchlicher Verbote weiterhin mit [[Narrenspiel]]en begangen.


Am Fest der Unschuldigen Kinder wurde bis ins Mittelalter hinein in Klosterschulen der Jüngste für einen Tag auf den Stuhl des [[Abt]]es gesetzt, ein Brauch, der sich im Mittelalter (etwa seit dem 13. Jahrhundert) dann allerdings auf den [[Nikolaustag]] verschob.
Die [[Reformation]] schaffte diesen Brauch ab, in den meisten katholischen Gegenden Deutschlands starb er im 18. Jahrhundert aus. Allerdings hält sich bis heute in Teilen Österreichs der Brauch, Kinder an diesem Tag die Erlaubnis zu erteilen, den Erwachsenen durch Rutenschläge Glück und Gesundheit fürs kommende Jahr zu bringen; dazu sagen die Kinder beim Schlagen, genannt „Schappen“, rituelle Verse auf, und erhalten als Dank von den somit „gesegneten“ Erwachsenen kleine Geschenke oder Geld. In einigen Regionen Bayerns hielt sich dieser als „Fetzeln“ benannte Brauch bis ins 20. Jahrhundert; der 28.12. erhielt mitunter die volkstümliche Bezeichnung „Fetzeltag“.


Ebenfalls im Mittelalter wurden die Kinder am Nikolaustag (6. Dezember) oder am Tag der unschuldigen Kinder (28. Dezember) beschenkt; die [[Bescherung]] am [[Heiligabend]] bzw. am ersten Weihnachtsfeiertag, wie sie heute üblich ist, gab es damals noch nicht.
In [[Spanien]] und Teilen [[Lateinamerika]]s hat er sich dagegen bis heute gehalten. Dort ist der ''Día de los Santos Inocentes'' der Anlass, seine Mitmenschen zu veräppeln, wie man es in [[Deutschland]], [[Frankreich]], [[Italien]] und in den angelsächsischen Ländern am [[Aprilscherz|1. April]] zu tun pflegt. Dies steht in Zusammenhang mit der Mehrdeutigkeit des [[Adjektiv]]s ''inocente'', was nicht nur „unschuldig“, sondern auch „naiv“ oder „dumm“ heißen kann. Aus diesem Grunde trat angeblich auch die [[Verfassung des Königreiches Spanien|spanische Verfassung]] erst am 29. Dezember 1978 in Kraft, einen Tag später als ursprünglich vorgesehen.


Heute ist es in vielen [[Kirchengemeinde#Römisch-katholische Kirche|Gemeinden der römisch-katholischen Kirche]] Brauch, am oder um den Gedenktag der Unschuldigen Kinder die [[Kindersegnung (Ritus)|Kinder zu segnen]]. Das [[Benediktionale]] bietet dazu ein eigenes Formular.
Am Fest der Unschuldigen Kinder wurde bis ins Mittelalter hinein in Klosterschulen der Jüngste für einen Tag auf den Stuhl des Abtes gesetzt, ein Brauch, der sich im Mittelalter (etwa seit dem 13. Jahrhundert) dann allerdings auf den [[Nikolaustag]] verschob.


=== Widmungen ===
== Der Betlehemetische Kindermord in der Kunst ==
Unter anderem ist ihnen die [[Frauenkirche (München)#Kapelle des hl. Blasius und der Unschuldigen Kindlein|Kapelle der Unschuldigen Kindlein]] in München geweiht. Siehe auch: [[Church of the Holy Innocents]].
[[Image:Fra Angelico 003.jpg|thumb|Fra Angelico, um 1450]]

Neben der [[Geburtskirche]] in [[Bethlehem]] liegt die [[Grotte der Unschuldigen Kinder]].<ref>{{Literatur |Autor=Erhard Gorys |Hrsg= |Titel=Heiliges Land |Auflage=1. Auflage |Verlag=Dumont |Ort=Köln |Datum=1996 |ISBN=3-7701-3860-0 |Seiten=426}}</ref>

== Der Bethlehemitische Kindermord in der Kunst ==
Dieses Bildmotiv wurde immer wieder von zahlreichen Malern aufgegriffen.
Dieses Bildmotiv wurde immer wieder von zahlreichen Malern aufgegriffen.


=== Spätantike und Mittelalter ===
In der frühchristlichen Kunst tritt es selten auf, so zum Beispiel in den Mosaiken von S. Maria Maggiore. Die mittelalterliche Kunst stellt es häufiger dar, etwa im Egbert-Codex; in den Kanzelreliefs der Pisani; auf Fresken in Padua.
[[Datei:RomaSantaMariaMaggioreArcoTrionfaleSxRegistro3.jpg|mini|hochkant=1.2|Mosaik in Santa Maria Maggiore in Rom]]
In der frühchristlichen Kunst tritt das Motiv selten auf, so zum Beispiel in den Mosaiken von [[Santa Maria Maggiore]] in Rom.

Die mittelalterliche Kunst stellt es häufiger dar, etwa im Egbert-Codex, im Kanzelrelief von [[Sant’Andrea (Pistoia)|Sant’Andrea in Pistoia]], gestaltet von [[Giovanni Pisano]], sowie auf einem Fresko von [[Giotto di Bondone]] in der [[Cappella degli Scrovegni]] in Padua.

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Pistoia chiesa san andria 007.JPG|Giovanni Pisano<br /> ([[Sant’Andrea (Pistoia)|Sant’Andrea]] in [[Pistoia]])
Massacre of the Innocents - Capella dei Scrovegni - Padua 2016.jpg|Giotto<br /> ([[Cappella degli Scrovegni]], Padua)
Nürnberg St. Lorenz Dreikönigsaltar Kindermord 01.jpg|Hans Pleydenwurff<br /> ([[St. Lorenz (Nürnberg)|St. Lorenz]], Nürnberg)
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=== Renaissance und Barock ===
[[Datei:Guido Reni - Massacre of the Innocents.jpg|mini|hochkant|Guido Reni ([[Pinacoteca Nazionale di Bologna]])]]

Auch in der Renaissance- und Barockmalerei kommt das Motiv häufiger vor, unter anderem bei [[Fra Angelico]], [[Lucas Cranach der Ältere|Lucas Cranach dem Älteren]], [[Pieter Lastman]] und [[Guido Reni]].

Das Thema wurde im übertragenen Sinn auch von [[Pieter Bruegel der Ältere|Pieter Bruegel dem Älteren]] gestaltet, mit Bezug auf die Gräueltaten der spanischen Besatzer gegen die Niederländer im 16. Jahrhundert – siehe ''[[Der Bethlehemitische Kindermord (Bruegel)]]''.


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Einzelbildlich erscheint das Motiv auch in der Renaissance- und Barockmalerei, unter anderem bei [[Pieter Lastman]], Cranach und [[Peter Paul Rubens|Rubens]]. Das Thema wurde im übertragenen Sinn auch von [[Pieter Brueghel der Ältere|Pieter Brueghel dem Älteren]] gestaltet, mit Bezug auf die Greueltaten der spanischen Besatzer gegen die Niederländer im 16. Jahrhundert.
Fra Angelico 003.jpg|Fra Angelico<br /> (Museo di San Marco, Florenz)
[[Bild:Rubens kindermord.png|thumb|''Der bethlehemische Kindermord'' (Um 1636/38)]]
Pieter Bruegel the Elder - Massacre of the Innocents - Google Art Project.jpg|Pieter Bruegel der Ältere<br /> ([[Royal Collection]] in London)
=== Der betlehemitische Kindermord (Rubens) ===
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Der Maler [[Peter Paul Rubens|Rubens]] malte das Thema gleich mehrfach:
Von [[Peter Paul Rubens]] beziehungsweise aus seiner Werkstatt stammen drei Werke zu diesem Thema:
* ''Das Massaker der Unschuldigen'', auch ''Kindermord von Betlehem'' genannt, wurde 1609/11 gemalt. Bei einer Versteigerung im Londoner Auktionshaus Sotheby’s wurde es am 10. Juli 2002 für die damalige Rekordsumme von 76,7 Mio $ versteigert.
* ''Das Massaker der Unschuldigen'', auch ''Kindermord von Bethlehem'' genannt, wurde 1609/11 gemalt. Bei einer Versteigerung im Londoner Auktionshaus Sotheby’s wurde es am 10. Juli 2002 für die damalige Rekordsumme von 76,7 Millionen US-Dollar versteigert (siehe auch [[Liste der teuersten Gemälde]]). Es hängt heute in der [[Art Gallery of Ontario]].
* ''Der bethlehemische Kindermord'' ist seit 1902 im Besitz der Königlichen Museen in Brüssel. Es wird dort allerdings unter dem Namen von Anton Sallaert geführt; es ist also unklar, ob es von Rubens ist oder nicht.
* ''Der bethlehemische Kindermord'' in der [[Alte Pinakothek|Alten Pinakothek]] in München entstand um 1638 auf Eichenholz mit einem Format von 198,5 × 302,2&nbsp;cm.
* ''Der bethlehemische Kindermord'' aus Rubens’ Werkstatt im Format von 162,5 × 232&nbsp;cm ist seit 1902 im Besitz der [[Königliche Museen der Schönen Künste|Königlichen Museen in Brüssel]].<ref>[https://www.fine-arts-museum.be/fr/la-collection/peter-paul-rubens-atelier-de-le-massacre-des-innocents?letter=r&artist=rubens-peter-paul&page=2 Königliche Museen der Schönen Künste]</ref>
* ''Der bethlehemische Kindermord'' entstand um 1636/38 auf Eichenholz mit einem Format von 198,5 * 302,2 cm.


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=== Weitere Darstellungen ===
Rubens - Massacre of the Innocents - Art Gallery of Ontario 2.jpg|Rubens, um 1609/11<br /> ([[Art Gallery of Ontario]])
The Massacre of the Innocents - Peter Paul Rubens (Unframed).jpg|Rubens, um 1638<br /> ([[Alte Pinakothek]], München)
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== Siehe auch ==
Für weitere Gemälde und Krippendarstellungen siehe {{Commons|Category:Massacre of the Innocents|Betlehemitischer Kindermord}}.
* [[Gewalt in der Bibel]]


==Quellen==
== Literatur ==
* [[Felix Albrecht (Theologe)|Felix Albrecht]]: ''Herodes der Große und der Kindermord zu Bethlehem (Mt 2,16–18) aus historischer und narrativer Perspektive.'' In: [[Susanne Luther]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Wie Geschichten Geschichte schreiben. Frühchristliche Literatur zwischen Faktualität und Fiktionalität.'' (= ''Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament.'' Reihe 2. Band 395). Mohr Siebeck, Tübingen 2015, ISBN 978-3-16-152634-3, S. 139–154.
<references/>
* Claire Clivaz u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Infancy Gospels. Stories and Identities.'' (= ''Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament.'' Band 281). Mohr Siebeck, Tübingen 2011, ISBN 978-3-16-150833-2 (englisch).
* Richard Thomas France: ''Herod and the Children of Bethlehem.'' In: ''Novum Testamentum.'' Heft 21. Brill, Leiden u. a. 1979, {{ISSN|0048-1009}}, S. 98–120 (englisch).
* Elena Nendza: ''Der Bethlehemitische Kindermord in den Künsten der Frühen Neuzeit.'' (= ''Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext.'' Band 233). De Gruyter, Berlin 2020, ISBN 978-3-11-069094-1.


==Weblinks==
== Weblinks ==
{{Commonscat|Massacre of the Innocents|Bethlehemitischer Kindermord}}
* [http://www.heiligenlexikon.de/BiographienU/unschuldige_Kinder.htm Ökumenisches Heiligenlexikon zum 28. Dezember]
* {{DNB-Portal|4513271-9|TEXT=Literatur zum|Kindermord in Bethlehem}}
* Fabian Brand: [https://www.katholisch.de/artikel/28140-der-kindermord-von-betlehem-hat-es-ihn-wirklich-gegeben ''Der Kindermord von Betlehem – Hat es ihn wirklich gegeben?'']. In: [[Katholisch.de]], 28. Dezember 2020
* [[Margareta Gruber]]: [https://www.katholisch.de/artikel/1867-klage-als-befreiung ''Unschuldige Kinder – Das grausame Fest nach Weihnachten.''] In: ''[[Katholisch.de]]'', 28. Dezember 2019.
* Joachim Schäfer: [https://www.heiligenlexikon.de/BiographienU/unschuldige_Kinder.htm ''Unschuldige Kinder'']. In: [[Ökumenisches Heiligenlexikon|Heiligenlexikon.de]]


== Einzelnachweise ==
<references />


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[[zh:諸聖嬰孩慶日]]

Aktuelle Version vom 21. Mai 2024, 18:04 Uhr

Darstellung des Bethlehemitischen Kindermords in der barocken Krippe von Gutenzell

Als Kindermord in Bethlehem (auch Bethlehemitischer Kindermord) bezeichnet die christliche Tradition die in der Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums (MtEU) überlieferte Tötung aller männlichen Kleinkinder in Bethlehem, die von König Herodes dem Großen angeordnet worden sei, um den – wie ihn der Evangelist nennt – neugeborenen König der Juden, Jesus von Nazaret, zu beseitigen. Eine Mehrheit der Herodes-Biographen und „wahrscheinlich eine Mehrheit der Bibelforscher“ halten das Ereignis für fiktiv.[1][2]

Biblische Darstellung

Bethlehem. Kindermord, Detail aus dem Dreikönigsfenster von Józef Mehoffer in der Kathedrale St. Nikolaus (Freiburg i. Üe.)

Das zweite Kapitel des Matthäusevangeliums (MtEU) berichtet im Rahmen der Erzählung von der Geburt Jesu Christi in Bethlehem über die Verehrung des Neugeborenen durch Sterndeuter (später fälschlich bezeichnet als die Heiligen Drei Könige) aus dem Osten. Dort heißt es:

„Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Bethlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.“

Mt 2,1–2 EU

Mt 2 erzählt davon, dass der herrschende König Herodes „erschrickt“ und die Schriftgelehrten Israels befragt, wo diese Geburt stattgefunden habe. Diese nennen Bethlehem als Geburtsort. Bethlehem gilt als Stadt Davids, dem Gott verheißen hatte, sein Nachkomme werde auf ewig den Thron erben (2 Sam 7,16 EU). Damit schlägt Matthäus den Bogen zum ersten Kapitel, in dem die Abstammung Jesu über Josef auf David zurückgeführt wird (Mt 1,1–17 EU), und zitiert den Propheten Micha (Mi 5,1 EU). Für Herodes ist ein Thronanwärter, der sich auf eine Abstammung von David beruft, gefährlich. Dementsprechend gibt er den Sterndeutern den Auftrag, nachzuforschen, dann zurückzukommen und Bericht zu erstatten, vorgeblich, um ihm selbst huldigen zu können (Mt 2,8 EU). Die Sterndeuter finden das neugeborene Kind Jesus in Bethlehem, werden aber durch einen Traum davor gewarnt, wieder zu Herodes zu gehen (Mt 2,12 EU). Auch Josef wird in einem Traum von Gott gewarnt und aufgefordert, das Land zu verlassen und mit seiner Frau Maria und dem Kind nach Ägypten zu fliehen (Mt 2,13–15 EU). So entgeht Jesus dem Zorn des Herodes:

„Als Herodes merkte, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig und er ließ in Bethlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte.“

Mt 2,16 EU

Matthäus sieht darin ein Zitat des Propheten Jeremia als erfüllt an:

„Damals erfüllte sich, was durch den Propheten Jeremia gesagt worden ist: Ein Geschrei war in Rama zu hören, lautes Weinen und Klagen: Rahel weinte um ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn sie waren dahin.

Mt 2,17–18 EU

Schätzungen des Ausmaßes

Während die griechische Liturgie 14.000 ermordete Knaben nennt und mittelalterliche Autoren bis zu 144.000 Opfer annahmen, sprachen spätere Theologen (Joseph Knabenbauer, August Bisping) aufgrund der anzunehmenden Größe des Ortes Bethlehem zu biblischen Zeiten nur noch von etwa sechs bis zwanzig erschlagenen Kindern.[3]

Frühe Rezeption

Codex Egberti, fol. 15v: Bethlehemitischer Kindermord (Meister des Registrum Gregorii und der Reichenauer Malschule, 10. Jahrhundert)

Ältestes Zeugnis für die Rezeption des biblischen Berichts vom Bethlehemitischen Kindermord ist eine Predigt des Bischofs Optatus von Mileve aus der Zeit um 360. Auch Augustinus († 430) und Caesarius von Arles († 542) rühmen die „kindlichen Märtyrer“, denen es vergönnt gewesen sei, nicht nur als Zeugen für Jesus, sondern sogar stellvertretend für ihn zu sterben.

Eine der ältesten bildlichen Darstellungen des Kindermordes findet sich im Codex Egberti (10. Jahrhundert).

Historizität

Matthäus’ Geschichte ist in keinem anderen Evangelium zu finden, und auch der jüdische Historiker Josephus erwähnt sie in seinen ca. 94 n. Chr. entstandenen Jüdischen Altertümern nicht.[4] Die meisten modernen Herodes-Biographen lehnen die Geschichte als Erfindung ab.[5] Der klassische Historiker Michael Grant erklärte zum Beispiel: „Die Geschichte ist nicht Geschichte, sondern Mythos oder Volkskunde.“[6]

Zudem würde die Geschichte vom Kindermord in Bethlehem voraussetzen, dass Jesus wirklich in Bethlehem geboren wurde, und dies ist keineswegs sicher. Die wissenschaftliche Forschung sieht den tatsächlichen Geburtsort Jesu mehrheitlich in Nazareth, weil sich die Bethlehem-Geburtsgeschichten bei Matthäus und Lukas nicht in Einklang bringen lassen und auch der von Lukas (2,2 EU) behauptete reichsweite Zensus fragwürdig ist.[7] Die erste nachweisbare Provinzzählung unter Publius Sulpicius Quirinius in der Provinz Judäa fand erst im Jahr 6 n. Chr. statt, also ein Jahrzehnt nach dem Tod des Herodes. Zu dessen Lebzeiten war Judäa noch nicht Teil der römischen Provinzialordnung. Bethlehem sei vermutlich erst aufgrund nachösterlicher Reflexion als angeblicher Geburtsort Jesu ins Spiel gekommen,[8] da im Alten Testament geweissagt war, dass der Messias bzw. künftige Herrscher aus Bethlehem, der Stadt Davids, kommen sollte (Mi 5,1 EU).[9]

Es gibt nur einen außerbiblischen – aber nicht zwingend unabhängigen – und zudem sehr späten Beleg für den Kindermord des Herodes, und zwar bei Ambrosius Theodosius Macrobius in seiner Schrift Saturnalia (Saturnalien), geschrieben um 420 nach Christus. Dort zählt der Autor etliche Bonmots des Kaisers Augustus auf, darunter folgendes:[10]

Cum audisset inter pueros, quos in Syria Herodes rex Iudaeorum intra bimatum iussit interfici, filium quoque eius occisum, ait: melium est Herodis porcum esse quam filium.
Als er [Augustus] hörte, dass unter den bis zu zweijährigen Knaben, die Herodes, König der Juden, in Syrien töten ließ, auch sein eigener Sohn war, sagte er: Bei Herodes ist es besser, sein Schwein zu sein als sein Sohn.“

Macrobius, Saturnalia 2,4,11

Dieser Satz ergäbe im Altgriechischen – wäre er denn ursprünglich in dieser Sprache gesagt worden – ein Wortspiel, weil dort die Wörter für „Sohn“ und „Schwein“ sehr ähnlich waren. Da Schweine als unkoschere Tiere in Israel nicht geschlachtet wurden, wäre man somit als Schwein sicherer, als wenn man ein Sohn des Herodes wäre.[11]

Es wurde überlegt, ob diese Nachricht eine unabhängige Bestätigung für den Kindermord des Herodes sein könnte. Theo Mayer-Maly bejaht dies, da Macrobius Heide gewesen sei und daher seine Kenntnis kaum aus dem Matthäusevangelium habe.[12] Dagegen gehen die Althistoriker Walter Otto und Hermann Bengtson davon aus, dass Macrobius sein Wissen vom bethlehemischen Kindermord aus der christlichen Tradition übernommen hat.[13][14] Für den geringen Quellenwert der Macrobius-Notiz spricht, dass Macrobius hier offensichtlich zwei verschiedene Überlieferungen gekoppelt bzw. vermischt hat: Denn Herodes ließ zwar laut Flavius Josephus (Antiquitates Iudaicae 16,4,1–5) zwei seiner Söhne (Antipatros und Aristobulos) hinrichten, aber keinen davon als Säugling oder in Kontext mit einem Kindermord in Bethlehem, wie Macrobius hier nahelegt.[15]

Ähnlichkeiten in der Mythologie

Etliche Exegeten (Ausleger) gehen von einem mythologischen Motiv des Kindermords anlässlich der Ankunft eines heiligen Königs aus. Hierbei werden aber ausschließlich Quellen der im 19. Jahrhundert beliebten germanischen, griechischen sowie indischen Traditionen rezipiert. Der Umgang mit diesen Quellen steht in der neueren Forschungsdiskussion unter starker Kritik.[16] So soll Kamsa, König von Mathura, versucht haben, das Aufwachsen Krishnas zu verhindern, indem er etliche Kinder hinschlachten ließ. Auch dem mythischen König Arthur (Artus) war von Merlin geweissagt, einst würde ihn ein an einem 1. Mai geborenes Kind ablösen. Darum ließ er alle zur fraglichen Zeit geborenen Kinder edler Herkunft, die als Prinzen in Frage kamen, einsammeln und auf ein Schiff verfrachten, das auf hoher See versenkt wurde. Ein weiteres Beispiel bietet die griechische Mythologie: Laios, der König von Theben, will seinen Sohn Ödipus umbringen lassen, um einem Orakelspruch zu entgehen. Wie in solchen Geschichten üblich, nützte weder Arthur noch Laios ein solches Aufbegehren gegen das Schicksal; denn sowohl Mordred im Falle Arthurs als auch Ödipus entkamen glücklich und wurden aufgezogen.

Sind die vorgenannten Motive rein äußerlich vergleichbar, so könnte ein im Alten Testament berichteter Kindermord als Vorlage gedient haben: Der Pharao ließ alle neugeborenen Knaben der Israeliten töten. Allerdings war hier das Motiv nicht die Ausschaltung eines persönlichen Konkurrenten, sondern die demographische Schwächung eines versklavten Volkes. Damals entging Mose dem Kindermord (2. Mose 2,1–10 EU).

Fest der Unschuldigen Kinder

Altar der Unschuldigen Kinder in der Basilika Altötting

Die römisch-katholische, anglikanische und orthodoxe Kirche begehen das Fest der unschuldigen Kinder. Im Evangelischen Gottesdienstbuch ist er als besonderer Gedenktag der Kirche verzeichnet. Das Fest erscheint im Sacramentarium Leonianum und 505 in einem liturgischen Kalender aus Nordafrika. Der Festtag differiert heute in den verschiedenen Konfessionen:

Brauchtum

In den Jahren 680/81 wurde das Festum puerorum auf dem 6. Ökumenischen Konzil verboten, weil sich dieses Fest der Kinder mit einem „Narrenfest“ verbunden hatte, das möglicherweise in der Tradition orientalischer Narrenkönige, römischer Saturnalien und eventuell auch keltischer Tiervermummung stand. Dieses Brauchtum erfreute sich unter Laien großer Beliebtheit. Er wurde trotz kirchlicher Verbote weiterhin mit Narrenspielen wie der „Eselsmesse“ begangen.

Die Reformation schaffte diesen Brauch ab, in den meisten katholischen Gegenden Deutschlands starb er im 18. Jahrhundert aus. Allerdings hält sich bis heute in Teilen Österreichs der Brauch, Kinder an diesem Tag die Erlaubnis zu erteilen, den Erwachsenen durch Rutenschläge Glück und Gesundheit fürs kommende Jahr zu wünschen. Beim Schlagen, genannt „Schappen“, sagen dabei die Kinder Verse auf und erhalten als Dank von den gesegneten Erwachsenen kleine Geschenke oder Geld. In der Steiermark und in Kärnten sind folgende Verse gebräuchlich:

„Frisch und g’sund, frisch und g’sund,
Lang leben und g’sund bleibe
und a glücklichs Neujahr!

Frisch und g’sund, frisch und g’sund
long lebm und g’sund bleibm
nix klunzn und nix klogn
bis i wieda kum schlogn!“

oder im Klagenfurter Raum:

„Schapp Schapp frisch und gsund,
lång lebn gsund bleibn,

Wünsch a glücklichs neigs johr,
nix klunzn nix klågn,
bis i wieda kum schlågn!“

In der Oststeiermark ist folgender Spruch üblich:

„Frisch und g’sund, Frisch und g’sund
ganzes Jahr pumperlg’sund,
gern geb’n, lang leb’n, glückselig sterb’n,
Christkindl am Hochaltar,
des wünsch i dir zum neuen Jahr.“

In der Obersteiermark (Bezirk Judenburg, Murau usw.) ist folgender Spruch üblich:

„Frisch und g’sund, Frisch und g’sund
laung leb’n, g'sund bleib’n
nix glunz’n, nix klog’n,
bis i wiederkumm schlog’n
s Christkind’l am Hocholtor,
wünscht a guat’s neix Joahr!“

In einigen Regionen Bayerns hielt sich dieser als „Fetzeln“ benannte Brauch bis ins 20. Jahrhundert; der 28. Dezember erhielt mitunter die volkstümliche Bezeichnung „Fetzeltag“.

In Spanien und Teilen Lateinamerikas ist der Día de los Santos Inocentes der Anlass, seine Mitmenschen zu veräppeln, wie man es in Deutschland, Frankreich, Italien und in den angelsächsischen Ländern am 1. April zu tun pflegt. Dies steht in Zusammenhang mit der Mehrdeutigkeit des Adjektivs inocente, was nicht nur „unschuldig“, sondern auch „naiv“ oder „dumm“ heißen kann. Aus diesem Grunde trat angeblich auch die spanische Verfassung erst am 29. Dezember 1978 in Kraft, einen Tag später als ursprünglich vorgesehen.

Am Fest der Unschuldigen Kinder wurde bis ins Mittelalter hinein in Klosterschulen der Jüngste für einen Tag auf den Stuhl des Abtes gesetzt, ein Brauch, der sich im Mittelalter (etwa seit dem 13. Jahrhundert) dann allerdings auf den Nikolaustag verschob.

Ebenfalls im Mittelalter wurden die Kinder am Nikolaustag (6. Dezember) oder am Tag der unschuldigen Kinder (28. Dezember) beschenkt; die Bescherung am Heiligabend bzw. am ersten Weihnachtsfeiertag, wie sie heute üblich ist, gab es damals noch nicht.

Heute ist es in vielen Gemeinden der römisch-katholischen Kirche Brauch, am oder um den Gedenktag der Unschuldigen Kinder die Kinder zu segnen. Das Benediktionale bietet dazu ein eigenes Formular.

Widmungen

Unter anderem ist ihnen die Kapelle der Unschuldigen Kindlein in München geweiht. Siehe auch: Church of the Holy Innocents.

Neben der Geburtskirche in Bethlehem liegt die Grotte der Unschuldigen Kinder.[17]

Der Bethlehemitische Kindermord in der Kunst

Dieses Bildmotiv wurde immer wieder von zahlreichen Malern aufgegriffen.

Spätantike und Mittelalter

Mosaik in Santa Maria Maggiore in Rom

In der frühchristlichen Kunst tritt das Motiv selten auf, so zum Beispiel in den Mosaiken von Santa Maria Maggiore in Rom.

Die mittelalterliche Kunst stellt es häufiger dar, etwa im Egbert-Codex, im Kanzelrelief von Sant’Andrea in Pistoia, gestaltet von Giovanni Pisano, sowie auf einem Fresko von Giotto di Bondone in der Cappella degli Scrovegni in Padua.

Renaissance und Barock

Guido Reni (Pinacoteca Nazionale di Bologna)

Auch in der Renaissance- und Barockmalerei kommt das Motiv häufiger vor, unter anderem bei Fra Angelico, Lucas Cranach dem Älteren, Pieter Lastman und Guido Reni.

Das Thema wurde im übertragenen Sinn auch von Pieter Bruegel dem Älteren gestaltet, mit Bezug auf die Gräueltaten der spanischen Besatzer gegen die Niederländer im 16. Jahrhundert – siehe Der Bethlehemitische Kindermord (Bruegel).

Von Peter Paul Rubens beziehungsweise aus seiner Werkstatt stammen drei Werke zu diesem Thema:

  • Das Massaker der Unschuldigen, auch Kindermord von Bethlehem genannt, wurde 1609/11 gemalt. Bei einer Versteigerung im Londoner Auktionshaus Sotheby’s wurde es am 10. Juli 2002 für die damalige Rekordsumme von 76,7 Millionen US-Dollar versteigert (siehe auch Liste der teuersten Gemälde). Es hängt heute in der Art Gallery of Ontario.
  • Der bethlehemische Kindermord in der Alten Pinakothek in München entstand um 1638 auf Eichenholz mit einem Format von 198,5 × 302,2 cm.
  • Der bethlehemische Kindermord aus Rubens’ Werkstatt im Format von 162,5 × 232 cm ist seit 1902 im Besitz der Königlichen Museen in Brüssel.[18]

Siehe auch

Literatur

  • Felix Albrecht: Herodes der Große und der Kindermord zu Bethlehem (Mt 2,16–18) aus historischer und narrativer Perspektive. In: Susanne Luther u. a. (Hrsg.): Wie Geschichten Geschichte schreiben. Frühchristliche Literatur zwischen Faktualität und Fiktionalität. (= Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. Reihe 2. Band 395). Mohr Siebeck, Tübingen 2015, ISBN 978-3-16-152634-3, S. 139–154.
  • Claire Clivaz u. a. (Hrsg.): Infancy Gospels. Stories and Identities. (= Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. Band 281). Mohr Siebeck, Tübingen 2011, ISBN 978-3-16-150833-2 (englisch).
  • Richard Thomas France: Herod and the Children of Bethlehem. In: Novum Testamentum. Heft 21. Brill, Leiden u. a. 1979, ISSN 0048-1009, S. 98–120 (englisch).
  • Elena Nendza: Der Bethlehemitische Kindermord in den Künsten der Frühen Neuzeit. (= Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext. Band 233). De Gruyter, Berlin 2020, ISBN 978-3-11-069094-1.
Commons: Bethlehemitischer Kindermord – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Paul L. Maier: "Herod and the Infants of Bethlehem". In: Mercer University Press (Hrsg.): In Summers, Ray; Vardaman, Jerry (eds.). Chronos, Kairos, Christos II: Chronological, Nativity, and Religious Studies in Memory of Ray Summers. 1998, ISBN 978-0-86554-582-3, S. 170–171.
  2. Michael Grant: Herod the Great. Hrsg.: American Heritage Press. 1971, ISBN 978-0-07-024073-5.
  3. Frederick Holweck: Holy Innocents. In: Catholic Encyclopedia, Band 7, Robert Appleton Company, New York 1910.
  4. Dabei wird das Schweigen des Josephus unterschiedlich gewertet: Theodor Zahn (Grundriß der Geschichte des Lebens Jesu. Hänssler, Holzgerlingen 1999 = Nachdruck der Ausgabe von 1928, S. 47) schreibt: „Neben dem, was Josephus über diese Zeit berichtet, war die Tötung der wenigen Knaben unter 2 Jahren in einem Städtchen wie Bethlehem kaum der Rede wert.“ Andere Autoren verweisen aber darauf, dass Josephus sehr wohl bemüht war, die Gräueltaten des Herodes detailliert zusammenzutragen, so dass sein Schweigen auf eine fehlende historische Basis der Geschichte hindeutet; vgl. Stephen Hultgren: Jesus: Herkunft, Geburt, Kindheit, Familie, in: Jens Schröter, Christine Jacobi (Hrsg.): Jesus-Handbuch, Tübingen: Mohr 2017, S. 217.
  5. Arnold Hugh Martin Jones: The Herods of Judaea. Hrsg.: Oxford: Clarendon. 1967, S. 155.
  6. Michael Grant: Herod the Great. Hrsg.: American Heritage Press. 1971, ISBN 978-0-07-024073-5.
  7. Stephen Hultgren: Jesus: Herkunft, Geburt, Kindheit, Familie, in: Jens Schröter, Christine Jacobi (Hrsg.): Jesus-Handbuch, Tübingen: Mohr 2017, S. 216f.
  8. Bibelkunde, Stichwort: Jesus von Nazaret, Biographische Daten
  9. Bibelkunde, Stichwort: Bethlehem, 2.5. Die neutestamentliche Überlieferung.
  10. Vgl. Theo Mayer-Maly: Rechtsgeschichtliche Bibelkunde, Wien-Köln-Weimar: Böhlau 2003, S. 18.
  11. Roger Liebi: Wie alles begann. Die Wahrheit über das Christentum. YouTube Video ab 24:10. 28. Januar 2023, abgerufen am 23. Februar 2023.
  12. Theo Mayer-Maly: Rechtsgeschichtliche Bibelkunde, Wien-Köln-Weimar: Böhlau 2003, S. 18.
  13. Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses, Stuttgart: Metzler 1913, S. 143.
  14. Hermann Bengtson: Kaiser Augustus. Sein Leben und seine Zeit, München 1981, S. 180f.
  15. Vgl. Theo Mayer-Maly: Rechtsgeschichtliche Bibelkunde, Wien-Köln-Weimar: Böhlau 2003, S. 19.
  16. Richard King: Orientalism and Religion.
  17. Erhard Gorys: Heiliges Land. 1. Auflage. Dumont, Köln 1996, ISBN 3-7701-3860-0, S. 426.
  18. Königliche Museen der Schönen Künste