Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft

Die im Jahr 2000 gegründete "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) bezeichnet sich selbst als "branchen- und parteiübergreifende Plattform", die "die Menschen in Deutschland für marktwirtschaftliche Reformen“ gewinnen möchte.

Die Initiative hat ca. 40 feste und freie Mitarbeiter, dazu eine unbekannte Anzahl an sog. Kuratoren, Unterstützern und Botschaftern, zu denen auch Personen wie Arnulf Baring, Hans Tietmeyer, Paul Kirchhof, Friedrich Merz (CDU) und Oswald Metzger (Bündnis 90/Die Grünen) gehören.

Träger der Initiative ist der Arbeitgeberverband Gesamtmetall der deutschen Metall- und Elektroindustrie, welcher die Initiative mit jährlich 8,8 Millionen Euro finanziert. Als wissenschaftlicher Berater fungiert das Institut der deutschen Wirtschaft.

2005 gründete sich ein Förderverein für die INSM, der "Förderverein Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", zu dessen Gründungsmitgliedern unter anderem Florian Gerster und Klaus von Dohnanyi zählen.

Die Inititative Neue Soziale Marktwirtschaft ist nicht zu verwechseln mit der Stiftung Marktwirtschaft, steht aber in engem Kontakt mit dieser.

Geschäftsführer der Initiative ist Tasso Enzweiler.

Ziele

Unter dem Leitmotiv "Chancen für alle" hat die Initiative nach eigenen Angaben das Ziel, die Menschen in Deutschland für "marktwirtschaftliche Reformen" zu gewinnen. Das bewährte Ordnungssystem der Sozialen Marktwirtschaft müsse an die Bedingungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden: An "die Globalisierung, die Wissensgesellschaft, die Veränderungen in der Arbeitswelt und den demografischen Wandel". Die Initiative vertritt die Meinung, dass den Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft nach den ursprünglichen Vorstellungen von Ludwig Erhard (Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Wettbewerb, dabei mehr Geltung verschafft werden müsse.

Themen

Methoden

Die INSM nutzt ein breites Spektrum an Methoden des Lobbyismus und der Öffentlichkeitsarbeit. Die Verbreitung der Inhalte erfolgt durch Anzeigen, Broschüren, Magazine, Bücher und Lehrveranstaltungen.

Pressekonferenzen dienen dazu, Themen in den Medien indirekt zu platzieren und Themenangebote der Initiative werden in regelmäßigen Abständen über eine Agentur an Medienredaktionen versandt. Außerdem werden mit Hilfe geldlicher Zuwendungen an die Medien, wie zum Beispiel an das Fernsehen, ähnlich dem Prinzip der Schleichwerbung Themen platziert, ohne dass der Zuschauer sich des Werbezweckes bewusst wird. Erleichtert wird das Setzen solcher Themen durch den Kostendruck in den Redaktionen, die gern auf ausformulierte Mitteilungen zurückgreifen ohne weitere Recherchen anzustellen. Ergänzt wir die Medienarbeit durch so genannte Botschafter der Initiative, meist Wissenschaftler, die die Vorstellungen der INSM insbesondere in politischen Talkshows des Fernsehens vertreten.

Die Initiative bedient sich hauptsächlich der Werbeagentur Scholz & Friends. Der Internetauftritt wird durch die Aperto AG betreut.

Kritik

Die Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbunds kritisiert die aus ihrer Sicht neoliberalen Positionen und die Nähe zu Unternehmensverbänden. Der Initiative wird vorgeworfen, eine Tarnorganisation der Industrie zu sein, welche die "marktradikalen Konzepte" u.a. der CDU/CSU sowie der FDP bewerbe, aber gleichzeitig als "überparteilich" auftrete und damit den Anschein von Neutralität erwecken wolle.

Zudem wird kritisiert, dass die Botschafter der Initiative in den Medien als unabhängige Experten auftreten, obwohl sie von der Initiative honoriert werden.

Aus Sicht von Kritikern benutzt die INSM die folgenden Argumentationsmuster:

  • Betonung und Definition von positiv besetzten Begriffen ("Sozial ist ... was Arbeit schafft", Freiheit)
  • Botschafter aus unterschiedlichen politischen Parteien sollen Anspruch auf Überparteilichkeit und Konsens verdeutlichen
  • Darstellung wirtschaftlicher und politischer Prozesse als nicht beeinflussbare Gesetzmässigkeiten (Globalisierung), (wirtschafts-)wissenschaftlicher Anspruch der Initiative
  • Besetzung von Themen (Modernität), Einsatz von negativ besetzten Schlagworten (Besitzstandswahrer, Florida-Rolf)
  • Betonung einer schlechten wirtschaftlichen Lage in Deutschland (Rankings)
  • Einseitige Darstellung von linker Politik als emotional, unwissenschaftlich, unzeitgemäss und überkommen (z.B. als Versorgungsmentalität)
  • Interessen der Wirtschaft werden den Interessen der Gesamtbevölkerung gleichgesetzt
  • Einseitige Darstellung der Ziele der INSM als daher alternativlose Notwendigkeit

Der Politologe Dr. Rudolf Speth (FU Berlin) stellte dazu fest: "Wenn alle Botschafter der Initiative dasselbe sagen, dann heißt das ja, oder dann bedeutet das ja: Das muss richtig sein. Da kann gar nichts falsch liegen, wenn so ganz unterschiedliche Leute dieselbe Idee vertreten. Das andere ist aber, dass dadurch die Alternativen unsichtbar werden, denn es gibt Alternativen, aber die werden dadurch faktisch ausgeblendet oder nicht thematisiert. Also insofern hat die Initiative die Strategie, Alternativen unsichtbar zu machen." (siehe auch: Deutungshoheit).

SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter kritisierte die INSM als "Tarnorganisation" und bezeichnet deren Vorgehen als "durchsichtig, parteiisch und zielgerichtet". So kürte die Initiative vor der sächsischen Landtagswahl bereits den sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Georg Milbradt zum Ministerpräsidenten des Jahres und lobte den zurückgetretenen Friedrich Merz (CDU) zum Reformer des Jahres aus, während SPD-Präsidiumsmitglied Andrea Nahles zur Blockiererin des Jahres ernannt wurde. Der Titel Reformer des Jahres wurde 2003 auch dem späteren Kompetenzteam-Mitglied Paul Kirchhof verliehen, Blockierer des Jahres war 2003 nach Ansicht der INSM Jürgen Peters von der Gewerkschaft IG Metall.

In einem Positionspapier [1] kritisiert die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche die Veröffentlichung von Texten der INSM als redaktionelle Beiträge ohne Hinweise darauf, dass die Texte von der INSM stammen. Dadurch sei die journalistische Unabhängigkeit gefährdet. Sie fordert unter anderem eine stärkere Trennung von Lobbyarbeit und Journalismus in den Medien.

Im September 2005 wurde durch eine von der ARD veröffentlichte Kundenliste bekannt, dass die INSM 2002 per Schleichwerbung in der ARD-Sendung Marienhof für 58.670 Euro Szenen und Dialoge zu Themen wie Wirtschaft, schlanker Staat, Steuern platziert hat. Die Gewerkschaft Verdi forderte die INSM daraufhin auf, ihre Aktivitäten in den Medien offenzulegen. Der stellvertretende Verdi-Vorsitzende Frank Werneke kritisierte, ein solcher Fall von Manipulation übertreffe alle bisherigen Vermutungen über verdeckte Einflussnahmen durch die INSM. Offenbar scheue man die offene Auseinandersetzung über die sozialen und beruflichen Perspektiven von Jugendlichen und schleiche sich stattdessen in Jugendmedien ein. Die NGO LobbyControl kritisiert, dass die mit der Schleichwerbung den Rundfunkstaatsvertrag sowie professionelle Standards der Öffentlichkeitarbeit wie den europäischen Code de Lisbonne missachtet habe. Die INSM verlautbarte daraufhin, es sei nur darum gegangen, Grundkenntnisse über unsere Wirtschaftsordnung zu vermitteln und die Bedeutung eigenen Engagements bei der Suche nach einer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle zu betonen. Sie räumt inzwischen ein, dass die Medien-Kooperation im Falle der ARD-Serie "Marienhof" ein Fehler war. Der Initiative sei aber von der Produktionsgesellschaft mehrfach versichert worden, dass die Form der Zusammenarbeit in Einklang mit dem Rundfunkstaatsvertrag stehe und die zuständige ARD-Redaktion die Stücke abnehme, was sich als falsch herausgestellt habe. Den Generalvorwurf, den die Gewerkschaft Verdi in ihrer Pressemitteilung vom 20.9.2005 erhoben hat, die INSM würde die Medien manipulieren weist die Geschäftsführung der Initiative zurück.

Die ARD-Sendung Monitor berichtete am 13. 10. 2005 unter dem Titel Die Macht über die Köpfe: Wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Meinung macht darüber, wie die INSM Experten, Studien und ganze Fernsehbeiträge an verschiedene Redaktionen von Fernsehsendungen, u.a. Sabine Christiansen, und Printmedien liefert, ohne dass diese als Meinungsäußerung der INSM gekennzeichnet wären. Teilweise waren mehrere Experten, die eigentlich kontrovers diskutieren sollten, Botschafter und Kuratoren der INSM. Monitor kritisierte besonders ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Journalismus und Werbung, das von der INSM bewusst forciert werde, und forderte die Zuschauer entsprechend zu Wachsamkeit auf. Ebenso zeigte der Bericht, wie die INSM bereits in Grundschulen Informationsveranstaltungen für Kinder, z.B. über Geld, durchführt und dokumentierte, wie Kinder dabei Standpunkte der INSM lernen.

Rankings der Initiative, die Bundesländer danach beurteilen, inwieweit sie Ziele der INSM verwirklichen, wurden nachweislich von vielen großen Printmedien als neutrale Statistiken über wirtschaftlichen Erfolg der Bundesländer übernommen. Der Einfluss der INSM reiche bis in die Spitzen der Politik: Der ursprünglich von der INSM geprägte Slogan Sozial ist, was Arbeit schafft sei im Wahlkampf 2005 zunehmend auch von Angela Merkel, Edmund Stoiber, Guido Westerwelle und anderen CDU- und FDP-Politikern geäußert worden.

Personen

Gründungsmitglieder der INSM

Martin Kannegiesser (Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall)

Gründungsmitglieder des Fördervereins für die INSM

Florian Gerster ((SPD), ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit)
Johanna Hey (Stiftungsprofessur für Unternehmenssteuerrecht in Düsseldorf)
Dieter Lenzen (Präsident der Freien Universität Berlin)
Friedrich Merz (MdB CDU)
Ulrike Nasse-Meyfarth (Sportlerin)
Dieter Rickert ("Headhunter")
Hergard Rohwedder (Rechtsanwältin)
Max Schön (Mitglied im Aufsichtsrat der MAX SCHÖN AG)
Carl-Ludwig Thiele (Stellv. Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion)
Hans Tietmeyer (Vorsitzender des Fördervereins, ehemaliger Präsident der Deutschen Bundesbank)

Geschäftsführer

Tasso Enzweiler: Der frühere Chefreporter der Financial Times Deutschland machte sich als Journalist einen Namen mit seinen Recherchen zum Vulkan-Skandal und war Mitglied im Netzwerk Recherche.

Dieter Rath: Der frühere Chef der Öffentlichkeitsarbeit im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) war unter anderem Sprecher der BDI-Präsidenten Dr. Tyll Necker und Hans-Olaf Henkel.

Enzweiler und Rath leiten die Kölner Strategiezentrale der INSM. Von hier aus wird die Kampagne der INSM geführt. Unterstützt wird die INSM dabei von zahlreichen Wissenschaftlern, PR- und Werbefachleuten. Darunter auch die Agentur Scholz & Friends. Die Initiative beschäftigt rund 40 feste und freie Mitarbeiter.

Kuratoren

Hans Tietmeyer (Vorsitzender des Kuratoriums und ehemaliger Präsident der Deutschen Bundesbank)
Michael Hampe (Intendant, Regisseur, Schauspieler)
Michael Hüther (Direktor und Mitglied des Präsidiums des IW Köln)
Martin Kannegiesser (Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall)
Oswald Metzger (Finanzexperte Bündnis 90/Die Grünen)
Randolf Rodenstock (Vorsitzender des Aufsichtsrats der Rodenstock GmbH)
Hans-Dietrich Winkhaus (Präsident des IW Köln)

Botschafter

Ann-Kristin Achleitner (Wissenschaftl. Direktorin des CEFS an der TU München)
Hans-Wolfgang Arndt (Rektor der Universität Mannheim)
Hans D. Barbier (Wirtschaftspublizist, Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn)
Arnulf Baring (Politikwissenschaftler, Historiker und Publizist)
Roland Berger (internationaler Unternehmensberater, Roland Berger Strategy Consultants GmbH)
Christoph Burmann (Lehrstuhlinhaber für Allgemeine BWL an der Universität Bremen)
Ralf Dahrendorf (Mitglied des Britischen Oberhauses)
Juergen B. Donges (Prof. für Wirtschaftl. Staatsw. an der Universität Köln und Direktor des IW Köln)
Klaus von Dohnanyi ((SPD), Bundesminister a.D)
Dominique Döttling (Geschäftsführende Gesellschafterin Döttling & Partner Beratungsgesellschaft mbH, Uhingen)
Marie-Luise Dött (MdB (CDU), Vorsitzende des Bundes katholischer Unternehmer (BKU))
Johann Eekhoff (Staatssekretär a.D., Wirtschaftspolitisches Seminar der Universität zu Köln)
Michael Eilfort (Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft / Frankfurter Institut)
Lüder Gerken (Vorstand der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung)
Stephan A. Jansen (Gründungspräsident und Geschäftsführer der Zeppelin Universität (ZU))
Paul Kirchhof (Professor für öffentliches Recht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg)
Silvana Koch-Mehrin (Mitglied des EU-Parlaments und des FDP-Bundesvorstands)
Eberhard von Koerber (Präsident des Verwaltungsrates der Eberhard von Koerber AG, Zürich; Vizepräsident des Club of Rome)
Dieter Lenzen (Präsident der Freien Universität Berlin)
Siegmar Mosdorf (Parlamentarischer Staatssekretär a.D.)
Arend Oetker (Unternehmer, Präsident des Stifterverbandes der Deutschen Wissenschaft, Vizepräsident des BDI)
Karl-Heinz Paqué (Finanzminister von Sachsen-Anhalt (FDP), Mitglied des Bundesvorstands der FDP)
Rolf Peffekoven (Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft Johannes Gutenberg-Universität Mainz)
Bernd Raffelhüschen (Prof. für Finanzwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Professor II an der Universität Bergen)
Arndt Rautenberg (Deutschen Telekom AG)
Dagmar Schipanski (MdL (CDU), Präsidentin des Landtages von Thüringen)
Nikolaus Schweickart (Vorstandsvorsitzender der ALTANA AG)
Lothar Späth (Politiker der CDU, Vorsitzender des Aufsichtsrats der JENOPTIK AG)
Erwin Staudt (Präsident des VfB Stuttgart)
Thomas Straubhaar (Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA))
Ulrich van Suntum (Geschäftsführender Direktor des CAWM, Universität Münster)
Carl-Ludwig Thiele (MdB (FDP), Stellvertretender Vorsitzender des Finanzausschusses des D. Bundestages)
Gunnar Uldall ((CDU), Senator, Präses der Wirtschaftsbehörde Freie und Hansestadt Hamburg)

Unterstützer

Ulrich Dietz (Vorsitzender des Vorstandes der GFT Technologies AG)
Florian Gerster (Partner der Personalberatung Ray & Berndtson, FrankfurtMain)
Jennifer Neumann (Vorsitzende des Vorstandes der Canto AG)
Eva Mayr-Stihl (stellv. Vorsitzende des Vorstandes der ANDREAS STIHL AG & Co., Waiblingen)

Siehe auch

Denkfabrik, Lobbyismus, Astroturfing

Literatur

  • Cerstin Gammelin, Götz Hamann: Die Strippenzieher, Econ , August 2005, ISBN 3430130115