Dammbruch von Brumadinho

Ort des Unglücks bei Brumadinho. Rot eingefärbt: Ausbreitung der Schlammlawine.
A Zerstörtes Absetzbecken, Ort des Dammbruchs
B Benachbartes Absetzbecken
C Überflutete Gebäude der Minengesellschaft
D Zerstörte Eisenbahnbrücke
E Eintritt der Schlammlawine in den Fluss Paraopeba

Der Dammbruch von Brumadinho war ein Unglück in der brasilianischen Kleinstadt Brumadinho nahe Belo Horizonte im Bundesstaat Minas Gerais. Das Unglück ereignete sich am 25. Januar 2019. Eine dadurch ausgelöste Schlammlawine mit 11,7 Millionen Kubikmetern zerstörte Gebäude und Einrichtungen auf dem Minengelände sowie Häuser in Siedlungen nahe der Stadt[1] und tötete mindestens 246 Menschen (Stand 5. Juni 2019).[2] Das Ökosystem des Flusses Paraopeba, in den die Schlammlawine floss, galt als zerstört.[3]

Im Juli 2019 verurteilte ein Gericht den Minenbetreiber Vale, für alle Schäden der Katastrophe aufzukommen.

Der Staudamm

Der Staudamm gehört zur Mina Córrego do Feijão, einer im Tagebau betriebenen Eisenerzmine des Bergbaukonzerns Vale. Der Damm bildete die südöstliche Wand eines Absetzbeckens für Tailings, das sind schlammige feinkörnige Rückstände aus der Erzaufbereitung.

Querschnitt durch den Unglücksdamm

Mit dem Bau des Damms wurde 1976 begonnen und er wurde in zehn Schritten aufgestockt auf eine Endhöhe von 86 m.[4] Die Einzeldämme hatten dabei rund 5 bis 8 m Höhe. Für den Bau wurden anfangs Abraum aus dem Bergbau und dann Böden (Laterit) aus der Umgebung benutzt, die verdichtet wurden, später (in den letzten sechs Stufen) wurden die getrockneten Tailings des Absetzbeckens genommen. Er besteht zu 56 Prozent aus Feinsand, 28 Prozent Schluff, 8 Prozent Mittelsand und 4 Prozent Ton.

In Brasilien gibt es mindestens 790 Tailingsdämme. Minas Gerais ist mit Abstand der Bundesstaat mit den meisten derartigen Dämmen; von dem in Brasilien geförderten Eisenerz stammt mehr als die Hälfte aus diesem vom Bergbau geprägten Bundesstaat. Viele Tailingsdämme in Brasilien liegen oberhalb von Städten und Siedlungen und bedrohen diese unmittelbar. Bei mehr als 200 Dämmen von Tailingsbecken in Brasilien wurde offiziell ein hohes Gefährdungspotential festgestellt – nicht wegen einer ungewöhnlich hohen Wahrscheinlichkeit eines Dammbruchs, sondern wegen der Zahl der im Katastrophenfall betroffenen Menschen und im Blick auf gefährdete Ökosysteme. Auch für Brumadinho wurde das Gefährdungspotential vor dem Unglück als hoch eingeschätzt.[5]

Verlauf und Folgen

Blick auf die Verwüstungen am 27. Januar 2019. Links von der Bildmitte das zerbrochene und ausgelaufene Absetzbecken. Links unten die zerstörte Eisenbahnbrücke.
Luftbildaufnahme aus einem Video: die durch Eisenoxid rot gefärbte Schlammlawine bei der zerstörten Eisenbahnbrücke, 26. Januar 2019
Die Schlammlawine im Bereich der Eisenbahnbrücke, 26. Januar 2019

Am 25. Januar 2019 kurz nach Mittag brach der Damm in mehreren höher und tiefer gelegenen Bereichen und kurz darauf auf breiter Front vollständig ein.[1] Zu dieser Zeit sollen sich mehr als 400 Arbeiter auf dem Gelände aufgehalten haben.[6] Die Schlammlawine ergoss sich mit einer Geschwindigkeit von anfangs mehr als 70 km/h talwärts und begrub alles auf ihrem Weg unter sich.[5] Viele Arbeiter und Angestellte starben in der Kantine im Bereich der Verwaltungsgebäude unterhalb des geborstenen Absetzbeckens.[1] Ein Warnsystem war zwar installiert, es versagte aber, die Sirenen blieben stumm. Die Fahrerin eines Muldenkippers sah etwa 550 Meter vom Dammbruch entfernt frühzeitig die Schlammlawine und schrie Warnungen in ihr Funkgerät, dadurch konnten sich einige Menschen gerade noch retten.[5] Am 26. Januar 2019, dem Tag nach dem Unglück, wurden 150 Menschen als vermisst gemeldet.[6] Die Feuerwehr ging insgesamt von 200 bis 300 Opfern aus, da außer den Arbeitern weitere Menschen in dem überfluteten Gebiet lebten. Unter anderem wurden ein Hotel zerstört und Wagen eines Zugs von Schlammmassen erfasst.[6] Eine Eisenbahnbrücke wurde auf rund 100 Metern Länge eingerissen. Weiter talwärts zerstörte die Schlammlawine mehr als zwei Dutzend Gebäude in der Siedlung Parque da Cachoeira. Sie bahnte sich einen Weg von mehr als 8 Kilometern und mündete schließlich in den Fluss Paraopeba.[1]

Die brasilianische Armee suchte mit etwa 1000 Soldaten sowie mit Spürhunden nach Vermissten. 130 Soldaten der israelischen Armee wurden Ende Januar 2019 zum Unglücksort entsandt, um mit Hilfe von Sonargeräten nach Personen in den Schlammmassen zu suchen. In Folge des Unglücks fror die brasilianische Justiz elf Milliarden Real (ca. 2,6 Milliarden Euro) auf den Konten des Betreibers Vale ein, um mögliche Entschädigungszahlungen zu decken. Zusätzlich verhängten der Staat und der Bundesstaat bereits erste Strafen in Höhe von 81 Millionen Euro gegen Vale.[7]

Bis zum 1. Februar 2019 waren 110 Opfer geborgen worden, 238 Personen wurden noch vermisst.[8][9] Bis Anfang März waren 186 Todesopfer geborgen worden, weitere 122 Menschen galten als vermisst.[3] Am 7. Mai war die Zahl der bestätigten Todesopfer auf 237 gestiegen, 33 weitere Personen galten noch als vermisst.[10] Am 5. Juni stand die Zählung bei 246 identifizierten Todesopfern und 24 vermissten Personen.[2]

Der Damm war im September 2018 vom TÜV Süd geprüft und nicht beanstandet worden. Aufgrund dieses Gutachtens war eine Betriebsgenehmigung erteilt worden.[11][12] Am Morgen des 29. Januar 2019 durchsuchte die Polizei das Büro des TÜV Süd in São Paulo, nahm zwei am Gutachten beteiligte Ingenieure vorläufig fest und beschlagnahmte Computer und Unterlagen.[13] Festgenommen wurden außerdem drei Mitarbeiter des Bergbaukonzerns Vale.[14]

Am 30. Januar 2019 wurde berichtet, dass im Dezember 2018 das regionale Umweltsekretariat des Bundesstaates Minas Gerais dem Konzern Vale eine Genehmigung zum Ausbau der Minenaktivität in Brumadinho und Arbeiten am eigentlich stillgelegten Unglücksdamm erteilt hatte. In den Genehmigungsunterlagen war das Sicherheitsrisiko des Staudamms mit 4 angegeben worden, was ein mittleres Risiko bedeutet. In vorherigen Genehmigungen war dem Damm die Risikostufe 6, ein höheres Risiko, bescheinigt worden. In Folge der Genehmigung hätte die Produktion der Mine um 70 Prozent gesteigert werden können.[15] Im weiteren Verlauf wurde am 15. Februar 2019 berichtet, dass die TÜV-Süd-Mitarbeiter nach einer Woche wieder freigelassen worden waren, und statt dessen auf deren Aussage hin 8 Mitarbeiter des Bergbaukonzerns Vale verhaftet wurden.[16] Derweil wird gegen die Verantwortlichen ermittelt:

„Die Vertreter von Vale bestehen darauf, dass es sich um einen Unfall handelte, aber die Staatsanwaltschaft und die Polizei von Minas Gerais sind überzeugt, dass wir es mit einem vorsätzlichen Verbrechen zu tun haben.“

William Garcia Pinto Coelho von der Staatsanwaltschaft des Bundesstaats Minas Gerais.[17]

Das Umweltministerium des Bundesstaats Minas Gerais im Südosten Brasiliens entzog Vale die Genehmigung für den Laranjeiras-Damm. Dieser gehört zu einer Eisenerzmine in Brucutu. Die Firma verlor auch für einen weiteren Damm ihre Lizenz.[18]

Etwa fünf Wochen nach der Katastrophe, Anfang März 2019, trat der Vale-Chef Fabio Schvartsman vorerst von seinen Posten zurück. Dieser Schritt war dem Konzern von der brasilianischen Staatsanwaltschaft empfohlen worden.[19] Am 14. März 2019 wurde berichtet, dass wiederum für elf Mitarbeiter des Vale Konzerns und zwei TÜV-Süd-Mitarbeiter Haft angeordnet wurde, da sie verdächtigt werden, von der Instabilität des Dammes gewusst zu haben.[20]

Im März wurde bekannt, dass das TÜV-Süd-Gutachten eine Reihe von Mängeln listete, am Ende aber dennoch die Standfestigkeit zertifizierte. So lagen für die ersten sechs Aufstockungen des Damms bis auf eine Höhe von 60,5 Meter keine as built-Dokumente vor, sodass die Gutachter vermerkten, dass sie für den Bau bis zu diesem Zeitpunkt die Situation nicht endgültig beurteilen konnten. Auch gab es kein Register, in dem Bauabweichungen von den Planungen verzeichnet wurden. Dokumente gab es erst ab 2003 für die letzten vier Aufstockungen.[21] Weiter wurde bekannt, dass TÜV-Ingenieure schon 2017 Zweifel an der Sicherheit geäußert und Mängel aufgelistet hatten.

Juristische Aufarbeitung

Am 9. Juli 2019 verurteilte ein Gericht im Bundesstaat Minas Gerais den Bergbaukonzern Vale dazu, für alle Schäden der Katastrophe aufzukommen. Eine genaue Schadenssumme wurde nicht festgelegt, da diese laut dem Richter Elton Pupo Nogueira noch nicht beziffert werden könnte. Die Blockade von Vermögenswerten des Unternehmens in Höhe von elf Mrd. Reais (2,5 Mrd. Euro) für etwaige Schadensersatzzahlungen hielt das Gericht aufrecht.[22]

Vale kommentierte, dass das Gericht die „Kooperation“ des Konzerns während des Verfahrens anerkannt habe und wolle „rasch und gerecht“ für die Begleichung der Katastrophenschäden aufkommen.[22]

Parallelen 2015

Am 5. November 2015 war im selben Bundesstaat ebenfalls an einem Absetzbecken eines Eisenerzbergwerks ein Damm gebrochen. Der Minenbetreiber Samarco hatte teilweise Vale sowie dem australisch-britischen Konzern BHP Billiton gehört. Bei dem Dammbruch von Bento Rodrigues waren 19 Menschen ums Leben gekommen.[23]

Literatur zur Dammstabilität

Siehe auch

Commons: Dammbruch von Brumadinho – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d A Tidal Wave of Mud The New York Times, 9. Februar 2019. Mit detaillierter Grafik aus Satellitenbildern zum Verlauf der Schlammlawine.
  2. a b Corpo da 246a vítima da tragédia em Brumadinho é identificado g1.globo.com, 5. Juni 2019.
  3. a b Umweltschützer: Kein Leben in Fluss nach Dammbruch von Brumadinho. Erschienen am 1. März 2019 in Aargauer Zeitung. Eingesehen am 3. März 2019.
  4. 86 m nach Spiegel, Nr. 13, 23. März 2019, S. 21. Nach Pirete, Gomes, Soils and Rock, Band 36, Nr. 1, 2013, S. 40, war die maximale Höhe damals (2013) 81 m
  5. a b c Brazil’s dam disaster BBC News, 22. Februar 2019.
  6. a b c „Mit Sicherheit sind viele Opfer zu beklagen“ tagesschau.de, 26. Januar 2019.
  7. Mehr als 300 Menschen vermisst: Mindestens 58 Tote bei Dammbruch in Brasilien. In: RP ONLINE. 28. Januar 2019, abgerufen am 28. Januar 2019.
  8. Inzwischen 110 Leichen geborgen. In: deutschlandfunk.de. Erschienen und abgerufen am 1. Februar 2019.
  9. Aktivisten demonstrieren bei Schweizer Hauptsitz von Vale. In: tagesanzeiger.ch. 30. Januar 2019, abgerufen am 30. Januar 2019: „42 Leichen seien inzwischen identifiziert worden. «Leider ist es sehr unwahrscheinlich, noch Überlebende zu finden», sagte ein Feuerwehrsprecher im Fernsehsender Globo News.“
  10. Polícia Civil registra 237 mortos identificados após tragédia em Brumadinho Estado de Minas, 7. Mai 2019.
  11. Dammbruch in Brasilien: Viele Opfer befürchtet. In: tagesschau.de. 26. Januar 2019, abgerufen am 30. Januar 2019.
  12. Thomas Fromm, Boris Herrmann, Frederik Obermaier, Uwe Ritzer: "Keine Mängel festgestellt". Dammbruch in Brasilien. In: Süddeutsche Zeitung. 28. Januar 2019, abgerufen am 28. Januar 2019.
  13. Dammbruch in Brasilien: Zwei Ingenieure des TÜV Süd festgenommen. In: Welt Online. 28. Januar 2019, abgerufen am 30. Januar 2019.
  14. Matthias Ebert: Polizei nimmt TÜV-Süd-Mitarbeiter fest. In: Spiegel online. 29. Januar 2019, abgerufen am 29. Januar 2019.
  15. Matthias Ebert: Behörden erlaubten Arbeiten am Damm. In: tagesschau.de. 30. Januar 2019, abgerufen am 30. Januar 2019.
  16. Acht Bergwerksmitarbeiter festgenommen. In: tagesschau.de. 15. Februar 2019, abgerufen am 16. Februar 2019.
  17. «Kein Unfall»: Ermittler suchen Verantwortliche für den Dammbruch in Brasilien. In: nzz.ch. 18. Februar 2019, abgerufen am 18. Februar 2019.
  18. Minenkatastrophe in Brasilien: TÜV soll Bergbaukonzern vor möglichem Dammbruch gewarnt haben. In: Spiegel Online. 8. Februar 2019 (spiegel.de [abgerufen am 3. März 2019]).
  19. Dammbruch in Brasilien: Bergbaukonzern-Chef bietet Rücktritt an. In: Spiegel online. 3. März 2019, abgerufen am 3. März 2019.
  20. Nach Dammbruch in Brasilien - Haftanordnung für TÜV-Mitarbeiter. In: ZDF. 14. März 2019, abgerufen am 17. März 2019.
  21. Dammbruchkatastrophe: Versagte deutscher TÜV in Brasilien?. Der Spiegel. S. 21. Erschienen 23. März 2019. Seite 21.
  22. a b Gericht verurteilt brasilianischen Vale-Konzern nach verheerendem Dammbruch. In: arte.tv, 10. Juli 2019 (abgerufen am 10. Juli 2019).
  23. Schlammlawine reißt Hunderte in den Tod Erschienen am 26. Januar 2019 auf orf.at. Abgerufen am 26. Januar 2019.

Koordinaten: 20° 7′ 10″ S, 44° 7′ 15″ W